Turow, Scott – letzte Beweis, Der

Schuld oder Unschuld einer Person sind nicht immer eindeutig festzustellen, erst recht nicht in einem Prozess. Indizien können lügen, Zeugen sind nicht immer zuverlässig und auch auf die Geständnisse von Angeklagten kann man nicht immer etwas geben. Der Anwalt und Schriftsteller Scott Turow („Aus Mangel an Beweisen“) beschäftigt sich in seinem Roman „Der letzte Beweis“ sehr detailliert genau mit solchen Fragestellungen – und zeigt, wie sehr der Schein manchmal trügt.

_Die Karriere des_ Richters Rusty Sabich ist nicht ohne Makel. Vor zwanzig Jahren stand er im Verdacht, seine damalige Affäre ermordet zu haben, doch er wurde nie dafür verurteilt. Fehlende Beweise und Verfahrensfehler bewahrten ihn davor, ins Gefängnis zu gehen, doch wirklich reinwaschen konnte er sich von der Schuld nicht.

Nun gibt es erneut eine tote Frau in seinem Leben. Seine Gattin Barbara liegt eines morgens tot im Bett neben ihm, doch anstatt einen Notarzt zu rufen, bleibt er einen ganzen Tag neben ihr sitzen und denkt über die gemeinsame Zeit nach. Tommy Molto, der Rusty damals anklagte, sitzt die frühere Niederlage auch nach zwanzig Jahren noch in den Knochen. Ihm fällt es schwer zu glauben, dass Rusty wirklich nur aus Nostalgie so lange neben seiner Frau sitzen geblieben ist. Er beginnt nachzuforschen und kommt weiteren Ungereimtheiten auf die Spur – dieses Mal sieht es nicht so rosig aus für Rusty …

_“Der letzte Beweis“_ ist ein raffiniertes Buch, das zum Nachdenken anregt und den Leser fordert. Erzählt wird aus zahlreichen Perspektiven und auch aus verschiedenen Zeiten. Um keine Verwirrung aufkommen zu lassen, sind die Kapitel mit dem Namen der Person sowie dem Zeitpunkt überschrieben. Eine zusätzliche Zeitleiste über der Überschrift erleichtert die Orientierung. Die Personen im Vordergrund sind Rusty, Tommy Molto sowie Rustys Sohn Nat, der vor allem die familiäre Situation beleuchtet. Diese spielt im Buch keine unbedeutende Rolle.

Die Figuren sind ausgesprochen gut gezeichnet. Sie dienen nicht nur der Handlung, es scheint dem Autor auch sehr daran gelegen, dem Leser die Charaktere selbst nahe zu bringen. Ihre Gedanken, Gefühle, Ansichten werden ausgiebig behandelt. Einige Stellen wiederholen sich, andere sind für den Fortgang der Geschichte nicht unbedingt relevant. Sie sind jedoch bedeutend für das Gesamtbild, denn Rustys Prozess ist nicht irgendeine Auseinandersetzung vor Gericht. Es ist gewissermaßen auch das Aufeinandertreffen mehrerer Persönlichkeiten, deren Motive nicht immer gleich deutlich werden.

Der Autor schafft es, die Gedanken der Charaktere und ihr zwischenmenschliches Zusammenspiel sowie den langwierigen Prozess zu einer sehr spannenden Sache zu machen. Da der Leser mehr weiß als die Figuren, wartet er nur darauf, dass einige der Lügengerüste zusammenfallen. Zudem überrascht der Autor mit einigen kleinen, aber einflussreichen Wendungen. Turow schafft es, den Leser während des Prozesses als eine Art Richter einzuspannen. Obwohl man in Rustys Kopf gucken darf, schwankt man beständig. Ist er schuldig oder ist er nicht schuldig? Der Autor sät gewieft seine Zweifel, eine Bewertung der Situation ist vertrackt, die Auflösung erfolgt erst ganz am Ende und kommt überraschend.

Bis zu diesem Punkt sind es über 570 Seiten, die Turow flüssig und mitreißend erzählt. Sein Stil ist eher nüchtern, unaufgeregt, dafür aber handwerklich sehr geschickt. So wie er den Persönlichkeiten seiner Figuren auf den Grund geht, so detailliert schreibt er auch. Er drückt sich präzise aus, ohne zu ausschweifend zu werden, bleibt dabei aber häufig recht distanziert von den Personen, aus deren Perspektive er erzählt. Dies stört allerdings nicht, sondern unterstreicht im Gegenteil das schon beinahe analytische Vorgehen des Autors bei der Schilderung der Umstände.

_“Der letzte Beweis“_ ist ein sehr gut geschriebener Roman, dessen Inhalt zuerst etwas langweilig anmutet, in dem aber überraschend viel Potenzial verborgen ist. Autor Scott Turow macht jedenfalls eine interessante und wendungsreiche Geschichte daraus, die zum Nachdenken über Schuld und Unschuld anregt.

|Hardcover: 573 Seiten
Originaltitel: |Innocenct|
Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
ISBN-13: 978-3896674241|
http://www.blessing-verlag.de

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