Wolfgang Hohlbein – Das Druidentor

Wolfgang Hohlbein ist einer der erfolgreichsten deutschen Phantastikautoren überhaupt. Seine Werke werden von vielen Lesern mit Begeisterung verschlungen, während die Kritiker ob des dürftigen Niveaus der meisten Bücher, ihrer endlosen Klischees und der unsäglichen Aneinanderreihung von Cliffhangern meistens schmerzvoll aufheulen oder zumindest vor Wut schäumen. Hohlbeins Ausstoß von Prosa ist mittlerweile dermaßen hoch, dass böse Zungen bereits vom „wöchentlichen“ oder „täglichen“ Hohlbein sprechen, andere wiederum zweifeln daran, ob der Autor überhaupt noch selbst schreibt und nur noch seinen Namen diversen Zuarbeitern leiht.

Schaut man sich näher in dem ganzen Wust von Hohlbein-Produkten um, so fällt auf, dass der Autor nicht nur grottenschlechte Cliffhangerexzesse à la „Der Widersacher“ und langweilige Zyklen geschrieben hat, sondern auch das eine oder andere handwerklich geschickte und unterhaltsame Buch. Jedoch nur ein Roman Wolfgang Hohlbeins ragt deutlich wie ein Leuchtturm aus der mittelmäßigen bis grottigen Öde heraus, verknüpft knisternde Spannung mit inhaltlichem Niveau. Dies ist zweifellos bei „Das Druidentor“ der Fall, denn der Autor setzt hier eine gute Idee kreativ und mit viel Verve um, vermeidet dabei geschickt Schwarz-Weiß-Zeichnungen oder gekünstelte Spannungstreiber. Handlung wie Figuren überzeugen gleichermaßen und gerade als der Leser zu befürchten beginnt, der Autor würde wieder ganz tief in die Trivialitätenmottenkiste greifen, reißt Hohlbein geschickt die Handlung herum und lässt keine ach so böse Entität aus einer anderen Welt in unsere Realität eindringen, sondern zaubert eine andere Lösung aus dem Hut.

Zum Inhalt: Durch den Alpenberg Gridone solle ein Eisenbahntunnel gebaut werden, der die Schweiz und Italien miteinander verbinden soll. Begonnen werden die Arbeiten auf Schweizer Seite und in der Nähe der Tessiner Stadt Ascona soll der Tunnel enden. Doch schon während der Bauarbeiten geschieht Unheimliches: Uhren bewegen sich plötzlich rückwärts, Arbeiter verschwinden für Stunden oder gar Tage in den Tunneln, um dann aufzutauchen und zu behaupten, sie seien nur kurz weg gewesen, lasergestützte Telefonleitungen empfangen statisches Rauschen und vermitteln dann stundenalte Gespräche, der den Tunnel vermessende Laser gibt ständig andere Werte wieder und schließlich schmilzt sogar eine Planierraupe vor den Augen der Arbeiter hinweg, als bestünde sie aus erhitzter Butter. Dann sterben sogar einige Arbeiter bei einem verheerenden Gewitter.

Trotzdem wird der Tunnel fertig gestellt. Der Ingenieur Frank Warstein, der beim Bauprojekt angestellt ist, versucht die Arbeiten abbrechen zu lassen, scheitert jedoch an seinem skrupellosen Vorgesetzten, wird entlassen und mundtot gemacht.

Als ein Zug probeweise durch den Tunnel fährt, erreicht dieser zwar den Zielbahnhof, ist jedoch samt Personal und Passagieren um Jahrzehnte gealtert. Trotzdem startet eine Jungfernfahrt mit einem ICE. Dieser erreicht jedoch niemals den Zielbahnhof, sondern bleibt im Tunnel stehen und wird dort verrostet und marode aufgefunden. An Bord befinden sich die zerfallenden Skelette der Reisenden. Daraufhin wird der Tunnel vorerst einmal gesperrt. Doch es ist bereits zu spät, denn etwas im Inneren des Tunnels beginnt unsere Realität aufzulösen. Ein Reporter, Warstein und die Ehefrau eines verschwundenen Bauarbeiters versuchen das Mysterium des Tunnels zu enträtseln und stoßen auf ein schreckliches Geheimnis…

Der Roman beginnt mit der Szene, in der das Wrack des ICE im Tunnel entdeckt und erforscht wird. Schon in dieser fulminanten Anfangssequenz wird deutlich, mit welch genialen Mitteln der Autor es schafft, den Leser mit Haut und Haaren zu packen und auf einen unglaublich spannenden Abenteuertrip mitzunehmen. Dabei steigert er die Spannung geschickt, lässt die Protagonisten erst nur die Umrisse des Zuges im hellen Scheinwerferlicht wahrnehmen, bevor ihre Augen nach und nach des ganzen grotesken Schadens ansichtig werden. Das Ausmaß der Katastrophe erweist sich als apokalyptisch und grauenhaft, so dass es phantasievollen Lesern ob der Ausweglosigkeit der Situation der armen Zugpassagiere eisig kalt über den Rücken laufen muss. Wenn der Autor dann noch detailliert das Wrack und die Leichenfunde beschreibt, wird klar, dass das vorliegende Buch den Leser bis zur letzten Seite weder zu Atem kommen noch aus den Krallen lassen könnte, wenn es dem Autor gelänge, diese immense Spannung zu halten.

Tatsächlich gelingt genau das Hohlbein beim vorliegenden Roman scheinbar mühelos, auch ohne Cliffhanger und Klischees, und so entsteht ein Meisterwerk knisternder Unterhaltungsliteratur, welches auf so hohem stilistischen Niveau nur selten zu finden ist. Bei „Das Druidentor“ gelingt dem Autor erstmals die befriedigende Synthese aus Action und ansprechenden Ideen unter Vermeidung von billigen literarischen Tricks.

Leider endet das Buch an einer Stelle, die zu großen Hoffnungen Anlass gegeben hätte. So wäre die nun veränderte Realität sicherlich allemal eine Fortsetzung wert, vor allem, wenn man sich anschaut, was andere Autoren hierzu, zumindest in Kurzgeschichten, zustande gebracht haben. So hat Jack Vance in seiner Geschichte „Die Menschen kehren zurück“ eine frappierende Welt entworfen, in der unsere naturwissenschaftlichen Grundlagen und Gegebenheiten völlig aufgelöst scheinen. Ähnlich gut, wenn auch nicht so drastisch, gelang dies Robert R. McCammon in „Tödliche Spur“.

Aber vielleicht ist es gut, dass Hohlbein inzwischen keine Fortsetzung geschrieben hat, denn es erscheint fraglich, ob der Autor noch jemals dermaßen inspiriert, pointiert und so voller Verve schreiben wird, wie er es in „Das Druidentor“ tat. Seine letzten Werke geben dafür leider zu keinerlei Hoffnung Anlass. Um so erfreulicher, dass Hohlbeins Meisterwerk nun wieder lieferbar ist, denn nach der Erstveröffentlichung im zum Thienemann-Verlag gehörenden Weitbrecht-Verlag 1993 und der darauf folgenden Publikation als Heyne-Taschenbuch ist das vorliegende Knaur-Taschenbuch sicherlich eine rundum empfehlenswerte Lektüre, auch oder sogar gerade für Leser, die den Vielschreiber Hohlbein hassen oder alles von ihm über einen Kamm scheren und als Schund verdammen. Denn zumindest „Das Druidentor“ ragt eindeutig aus Hohlbeins Gesamtwerk heraus und ist sicherlich einer der packendsten deutschen Phantastikromane überhaupt.

Sollte Stephen King dieses Buch jemals zu lesen bekommen, wird er sich sicherlich heftig darüber ärgern, dass er es nicht selbst geschrieben hat.

Taschenbuch: 598 Seiten
www.droemer-knaur.de

Gunther Barnewald (2003)
mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von Buchrezicenter.de