Gonzales, Laurence – Lucy

Menschen und Menschenaffen sind sich nicht nur vom Verhalten (manchmal) ähnlich, sondern auch von den Genen her. Die DNA der Bonobos, einer Schimpansenart, soll der DNA des Menschen am ähnlichsten sein. Dies nimmt der Schriftsteller Laurence Gonzales in seinem Roman „Lucy“ als Ausgangspunkt für eine erstaunliche Geschichte.

Bei einem Angriff von Rebellen kommt der Primatenforscher Donald Stones im Kongo ums Leben. Jenny Lowe, ebenfalls Primatenforscherin, kommt auf ihrer Flucht an dem Camp vorbei, in dem der Mann abgeschottet von anderen gelebt hat. Dabei macht sie eine überraschende Entdeckung: Donald Stone hatte eine Tochter, die sechzehnjährige Lucy. Jenny nimmt das Mädchen mit auf ihre Flucht vor den Rebellen und schließt sie dabei so sehr ins Herz, dass sie beschließt, sie zu adoptieren.

Zurück in Chicago ist es zuerst nicht einfach, Lucy an das Großstadtleben zu gewöhnen, ist sie doch in ihrem ganzen Leben noch nie aus dem Dschungel herausgekommen. Sie bellt Rolltreppen an und isst Bananen ohne sie zu schälen. Als Jenny die alten Notizbücher von Donald Stone durchgeht, entdeckt sie den Grund für Lucys merkwürdiges Verhalten. Lucy ist kein richtiger Mensch, ihre Mutter war ein Bonobo-Affe. Jenny ist bestürzt, gewöhnt sich aber schnell an den Gedanken und auch Lucy scheint überhaupt kein Problem damit zu haben, Ergebnis eines genetischen Experiments zu sein. Jenny ist klar, dass sie auf der Hut sein müssen, aber als Lucy an einer Krankheit erkrankt, die keine Menschen, sondern nur Tiere befällt, ist es unmöglich, ihre Tarnung weiterhin aufrechtzuerhalten …

_Laurence Gonzales erzählt_ in „Lucy“ eine ungewöhnliche Geschichte, auf die man erstmal kommen muss. Sie beginnt im afrikanischen Dschungel und begleitet Lucy bei ihrer Reise in die Zivilisation. Gonzales erzählt schnell und kompakt von Lucys Problemen mit der Eingewöhnung und wie sie sich letztendlich zu einem beinahe normalen Teenager wandelt. Das komödiantische Potenzial, das andere Autoren vielleicht ausgeschlachtet hätten, lässt der Autor unberührt. Er bleibt angenehm ernst. Was man ihm aber vorwerfen kann, ist die Menge an Stoff, die er in seinem Buch verarbeitet. Dadurch reißt er manche Dinge nur sehr kurz an, die aber durchaus mehr Raum verdient hätten, beispielsweise die Reaktionen aus der Gesellschaft auf Lucy. Auch anderen Stellen wirkt die Geschichte gehetzt. Ein größerer Umfang des Buches oder eine stärkere Eingrenzung des Stoffes hätten „Lucy“ gut getan.

Ansonsten gibt es nichts zu bemängeln. Die Figuren in der Geschichte sind facettenreich und tiefgründig. Sowohl Haupt- als auch Nebencharaktere haben interessante Biografien und Persönlichkeit. Gonzales schafft es außerdem, Lucys besonderes Wesen gut zu erfassen. Auf der einen Seite passt sie sich schnell den Gegebenheiten ihres neuen Umfelds an, auf der anderen sind auch ihre tierischen Instinkte noch vorhanden. So betrachtet sie Szenen im Sozialleben der Menschen gerne im Vergleich zu Szenen aus dem Leben einer Bonobogruppe. Diese Beobachtungen sind sehr aufschlussreich, offenbaren sie dem Leser doch, wie ähnlich wir den Tieren sind.

Der Schreibstil von Gonzales ist von hoher Qualität. Sowohl die Alltagsszenen als auch die wissenschaftlichen Fakten zu Lucys Herkunft beschreibt er in einer sehenswerten Sprache und gleichzeitig gut verständlich. Genau wie sein Erzähltempo hält er sich auch beim Beschreiben nicht lange auf. Zügig, aber mit eindrucksvoller und passender Wortwahl hakt der Autor die Situationen ab, ohne zu Unwichtigem abzuschweifen.

_Letztendlich hält „Lucy“_ nicht ganz, was es verspricht. Die originelle Grundidee wird gut umgesetzt, aber nicht überragend. Das hängt vor allem mit den Schwächen in der Handlung zusammen. An und für sich ist das Buch aber lesenswert, vor allem wegen der guten Charaktere.

|Originaltitel: Lucy
Deutsch von Britta Mümmler
430 Seiten, broschiert
ISBN-13: 978-3423248907|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

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