Williams, Tad – brennende Mann, Der (Osten Ard)

Tad Williams ist seit seinen Zyklen |Otherland| und |Das Geheimnis der Großen Schwerter|, besser bekannt unter dem Namen |Osten Ard|, zu einer festen Größen im fantastischen Literaturmetier geworden. Seine Werke sind sprachlich fesselnd, bieten klassische High-Fantasy-Kost und kommen, sofern sie auf mehrere Bände ausgelegt sind, in absehbarer Zeit zu einem Abschluss. Ein, möchte man meinen, von vielen modernen Autoren vernachlässigtes Ziel, die ihre zig Bände umfassenden Sagen weder fertig bringen können noch wollen und schon längst den Überblick über ihre eigene Welt verloren haben.

Positiv sticht da ein Autor wie Williams hervor, der sich neben seinen gut durchdachten und tatsächlich vollendeten Romanreihen auch die Zeit nimmt, sich kleineren Geschichten zu widmen. Mit „Der brennende Mann“ liegt eine gut hundertseitige Novelle erstmals im Taschenbuchformat vor, die im Land Osten Ard angesiedelt ist und viele Jahre nach den Ereignissen um Simon Schneelocke und den Verwicklungen um |Das Geheimnis der Großen Schwerter| spielt. Sie erschien ursprünglich in der Anthologie „Der siebte Schrein“, liegt nun jedoch in einer Einzelausgabe wahlweise als Hardcover oder eben Taschenbuchformat vor. „Der brennende Mann“ zielt damit vor allem auf die Osten-Ard-Fans ab, die eine weitere Facetten dieser Welt kennen lernen möchten – denn Verweise auf bekannte Ortschaften und Personen lassen sich zahlreiche finden.

_Zum Inhalt_

Tad Williams erzählt aus der Ich-Perspektive der Protagonistin Breda, einer Greisin, die ihre jugendlichen Erlebnisse auf der Feste Hochhorst niederschreibt und dem Leser zugänglich macht. Die Novelle enthält also eine Binnenerzählung, eine Erzählung innerhalb der Erzählung, in der die alte Breda um den Ausgang ihrer Abenteuer als jugendliche Protagonistin Bescheid weiß. Dieses Mittel wird im Fantasygenre selten eingesetzt und vermittelt bereits einen positiven Ersteindruck. Viel mehr ermöglicht es aber Williams dazu, einige Vorausdeutungen zu machen und den Leser mit eingestreuten, auf das Finale hindeutenden Elementen bei der Stange zu halten. Der Autor schafft es, seinem Handlungsstrang einer gut konzipierten Novelle entsprechend straff und ohne vertiefende Abschweifungen zu folgen. Wie es einer kleinen Geschichte angemessen ist, protzt „Der brennende Mann“ nämlich nicht mit ausschweifenden Action-Verstücken, sondern überzeugt vielmehr durch die leisen Töne, die sich durch die Schilderung von Bredas Innenleben und ihrer genauen Beobachtung der sie umgebenden Menschen offenbart.

Breda ist noch ein junges Mädchen, als ihr Vater, ein Großthan, stirbt. Zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Mutter zieht die kleine Familie zu ihrem Großvater, der sein Erbe durch den Verlust seines Sohnes gefährdet sieht. Da kommt ihm der Reiherkönig Sulis aus dem fernen Nabban recht, der eines Tages mit einer großen Gefolgsschar in die Ortschaft kommt und um die Hand der Witwe anhält. Nach nur wenigen Jahren der väterlichen Abstinenz sieht sich die junge Breda mit einem Stiefvater konfrontiert, der zwar ihren Großvater von der Heirat ihrer Mutter überzeugen kann, hinter seiner Fassade jedoch ein Geheimnis zu verbergen scheint. Warum auch sollte er eine Witwe ehelichen wollen, die durch den Tod ihres ersten Mannes all ihre Ansprüche auf einen Titel verloren hat und nichts weiter bieten kann?

Dennoch kommt es zur Heirat. Dem neuen königlichen Paar angemessen, zieht es König Sulis in die Ruinen der einstigen Festung Hochhorst. Dort soll es, will man den Gerüchten der Bauern glauben, zu unheimlichen Begegnungen kommen und spuken. Geister längst verstorbener Feenwesen, die diese Burg einst bewohnt haben, hausen den Erzählungen nach noch immer in dem Gemäuer. Sulis lässt sich davon jedoch nicht abschrecken, zieht mit seiner Familie und seiner ganzen Gefolgschaft in die Burg ein und lässt nach vielen Jahren harter Arbeit den Glanz vergangener Zeiten wieder aufleben. Breda wächst, nachdem ihre Mutter verstirbt und ihr Verhältnis zum Stiefvater immer kühler und distanzierter wird, zu einer jungen Frau heran, erkundet die zahlreichen, noch leer stehenden Türme und Abteilungen des Hochhorstes und beginnt sich schließlich in den einfachen Soldaten Tellurian zu verlieben. Breda scheint ihr Glück endlich gefunden zu haben. Doch dann verdichten sich merkwürdige Vorkommnisse. König Sulis zieht sich immer öfter in seine private Bibliothek zurück, wo er sich stundenlang in alten Büchern verliert. Eine Hexe wird aus einer nahen Ortschaft gefangen genommen und in die Kerker geworfen, wo sie jeden Tag von Sulis selbst verhört wird. Und schließlich spricht auch Tellurian, Bredas Geliebter, von einer wichtigen Queste direkt vom König, für die er sogar in den Tod gehen würde.

_Bewertung_

Tad Williams Novelle präsentiert sich als eine in sich geschlossene Geschichte mit klarem Anfang und Ende, die mit den Geheimnissen einer Welt verwoben ist, die in der Osten-Ard-Sage am Rande erwähnt wurden. Damit bietet sie vor allem den Kennern der Reihe einen hohen Leseanreiz, auch wenn sie für sich stehend und ohne die Kenntnis des Zyklus ohne Schwierigkeiten verstanden werden kann. Schließlich wandelt Williams mit „Der brennende Mann“ abseits der üblichen Fantasywege und fährt eine Geschichte auf, die nicht durch ausholende Beschreibungen, actionlastige Kämpfe und verwickelte Intrigen punktet – so wie die Sage um Osten Ard –, sondern durch eine ruhige, fast schon poetische Erzählstruktur überzeugen kann. Alle Figuren, die in Bredas Geschichte auftauchen, stehen in direktem Zusammenhang mit den darin beschriebenen Ereignissen und werden in einer motivierten Weise eingeführt, dass sie für die Handlung eine wichtige Rolle spielen.

Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen und damit unweigerlich die Pointe der Novelle zu verraten, stellt „Der brennende Mann“ eine philosophische Frage in den Mittelpunkt, die wunderbar in das Fantasyuniversum eingebettet wird, aber auch ohne diesen Hintergrund funktioniert hätte. Liebhaber ungewöhnlicher fantastischer Erzählungen und Fans der Osten-Ard-Reihe sollten sich dieses Schmuckstück daher nicht entgehen lassen. Allen anderen sei gesagt, dass „Der brennende Mann“ mit seinen hundert Seiten schnell durchgelesen ist und ihnen möglicherweise nicht das verspricht, was sie von einer klassischen Fantasyerzählung erwarten.

http://www.dtv.de

Ergänzend dazu: Michael Matzers [Rezension 2341 der Lesung, erschienen im März 2006 beim |Hörverlag|.

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