Hutchinson, Andrew – Rohypnol

Rohypnol, die „Vergewaltigungsdroge“, ist ein gern gesehener Aufreger in gewissen Boulevardzeitungen. Das auch als Flunitrazepam oder Roofies bekannte Medikament ist eigentlich ein Schlafmittel, wird aber auch als Droge benutzt. Da es in Kombination mit Alkohol zu Gedächtnislücken führen kann und die User mehr oder weniger willenlos macht, gibt es immer häufiger Fälle, in denen junge Mädchen mit Rohypnol betäubt und anschließend vergewaltigt werden. Am nächsten Tag wissen sie nicht mehr, was mit ihnen passiert ist, so dass eine strafrechtliche Verfolgung schwierig ist.

_Der Australier_ Andrew Hutchinson beschreibt in seinem Debütroman „Rohypnol“ das Horrorszenario einer Jungenbande, die sich ihren Kick holt, indem sie Mädchen mit Roofies gefügig machen und dann brutal vergewaltigen. Sein Verdienst ist, dass er das Buch nicht zu einer einzigen Brutalo-Nummer verkommen lässt, sondern auch einen Blick hinter die Kulissen, in die Gehirne der Vergewaltiger, zulässt.

_Der namenlose Ich-Erzähler_ wird von seinen Eltern auf eine teure Privatschule geschickt, in der Hoffnung, dass sich dort seine Noten und sein Benehmen bessern. Doch das Gegenteil ist der Fall. Bereits nach kurzer Zeit freundet er sich mit dem cleveren Thorley an, der in seinem Appartement ein Drogenlabor betreibt und einen Kopf voller blöder Ideen hat. Einen ersten Vorgeschmack bekommt der Ich-Erzähler, als Thorley ihm vorschlägt, die Chemielehrerin Mrs. Arthur, die mit ihrem sadistischen Englischlehrer verheiratet ist, zu verführen, um Mr. Arthur einen Dämpfer zu verpassen.

Der Ich-Erzähler ist fasziniert von Thorleys Unerschrockenheit und Skrupellosigkeit. Er schließt sich dem seltsamen Jungen an und beginnt zusammen mit den anderen Mitgliedern von Thorleys Gang nachts durch die Clubs zu ziehen. Von seinen Eltern entfremdet er sich immer mehr. Seinen hart arbeitenden Vater bekommt er kaum noch zu Gesicht, seine Mutter spricht er nur noch am Telefon. Bald zieht er ganz bei Thorley ein und sucht seinen Kick mithilfe von Pillen, Alkohol und den regelmäßigen Vergewaltigungen. Bis Troy, der Anabolikaprotz in der Truppe, eines Tages Mist baut …

_Reiche, gelangweilte Kids_, die ihre Zeit mit Drogen, Gewalt und Sex totschlagen – wirklich neu ist Hutchinsons Idee nicht. Er schlägt in die gleiche Kerbe wie Bret Easton Ellis mit „Unter Null“ oder Nick McDonell mit „Zwölf“. Während des Lesens hat man häufig das Gefühl, etwas ähnliches schon einmal in einem anderen Buch gesehen zu haben. Das Rohypnol fügt der Geschichte zwar noch eine krassere Nuance hinzu, weil es nicht nur um Selbstzerstörung mit Hilfe von Drogen geht, sondern auch um rohe Gewalt, aber das kann über Mängel in der Umsetzung nicht hinweg täuschen.

Der Roman ist geprägt durch Zeitsprünge, kurze Kapitel und kryptische Andeutungen, die später aufgeschlüsselt werden. Dass dabei keine Spannung aufkommt, hängt damit zusammen, dass die Handlung selbst nicht besonders interessant ist. Sie lebt nicht durch Aktion, sondern durch die Beschreibung seltsamer Drogenerlebnisse, brutaler Schlägereien und natürlich der Vergewaltigungen, die vorher taktisch geplant werden. Um das Bild einer völlig unmoralischen Jugend zu zeichnen reicht dieses Vorgehen, aber für eine spannende Geschichte nicht.

Dabei zeigt Hutchinson durchaus, dass er das Zeug zu einem wirklich guten Autor hätte. Sein Schreibstil ist dicht und flüssig, manchmal schockierend offen, häufig schmerzhaft gefühllos. Er schafft es, die widersprüchlichen Gefühle seiner Hauptperson gut zu transportieren. Seine Dialoge wirken authentisch, die Beschreibungen der Abenteuer der Gang sind nachvollziehbar. Der Tonfall ist flapsig, da aus der Ich-Perspektive erzählt wird, aber er ist nicht nachlässig. Im Gegenteil verleiht er dem Buch Aktualität und auch Authentizität.

Der Ich-Erzähler selbst ist nicht der strahlende Stern in der Gang, sondern lange Zeit hauptsächlich ein Mitläufer. Verwirrend ist, dass in die eigentliche Geschichte Sequenzen aus der Gegenwart eingeflochten sind, in denen der Erzähler behauptet, ein schlechter Mensch zu sein. Nun wird das in der Handlung aber nicht wirklich ersichtlich, frühestens am Schluss. Diese Abschnitte wirken deshalb merkwürdig überzogen. Auch eingestreute Textstücke, die mehr wie Songtexte wütender Punksongs wirken, sind etwas deplatziert. In der Summe ist es schwierig, den Erzähler in seiner Persönlichkeit zu erfassen. Das macht ihn auf der anderen Seite interessant und führt dazu, dass man das Buch vielleicht ein zweites Mal liest, um ihn besser zu verstehen. Auf der anderen Seite hat man aber auch das Gefühl, dass der Autor sich selbst nicht so ganz sicher war, wie er seinen Erzähler eigentlich gestalten will.

_Andrew Hutchinson_ hatte mit diesem Buch gute Intentionen, wie er sie in einem Nachwort veranschaulicht. Allerdings hakt es bei der Ausarbeitung. „Rohypnol“ bietet schlicht und ergreifend nur wenig Neues in diesem Genre. Der Schreibstil ist zwar gut, aber die Handlung und auch die Figur des Erzählers sind verbesserungswürdig.

|Originaltitel: Rohypnol
Aus dem Englischen von Simone Salitter und Gunter Blank
287 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3-453-67567-4|
http://www.heyne-hardcore.de
[„Myspace-Seite des Autors“]http://www.myspace.com/hutchinsona

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