Susan Gates – Dusk. Jagd in der Dämmerung

Curtis ist ein ziemlicher Versager. Er ist Alkoholiker, lebt von seiner Familie getrennt und droht demnächst wegen schlampiger Arbeitsweise seinen x-ten Job zu verlieren. Da sowieso schon alles egal zu sein scheint, verschafft der nachlässige Laborassistent sich aus purem Trotz Zugang zu einem Raum, der ihm eigentlich streng verboten ist. Aber ehe ihn jemand dort erwischen kann, führt seine eigene Unachtsamkeit zu einem Großbrand …

Zwei Jahre später ist Curtis‘ Sohn Jay in den Sommerferien bei ihm zu Besuch. Um seinen Hund zurückzuholen, der ihm ausgebüchst ist, betritt der Junge ein per Elektrozaun abgegrenztes Sperrgebiet. Und macht dort eine haarsträubende Entdeckung …

Der Roman hat einen ausgeprägten Jugendbuchcharakter, wie ich ihn noch von meinen Schullektüren kenne: eine überraschend kurze Geschichte, die sich völlig auf das Wesentliche beschränkt, mit einer brisanten Thematik und einem offenen Schluss, der zum Nachdenken anregt.

Die Namensgeberin des Buches ist Dusk, ein Mädchen, das von Wissenschaftlern zu Testzwecken geklont wurde. Dabei wurden ihre eigenen für die Augen zuständigen Geninformationen durch die eines Falken ersetzt, um herauszufinden, ob die Sehfähigkeit eines solchen Raubvogels auf den Menschen übertragbar ist. Offenbar hatte diese Genmanipulation nicht nur Auswirkungen auf Dusks Augen. Sie ist wild und jähzornig, kreischt wie ein Raubvogel und ist überzeugt davon, fliegen zu können. Gleichzeitig ist sie trotz allem Mensch, sie kann sprechen, lachen und liebt alles, was glitzert. Von der Welt draußen weiß sie allerdings nichts, sie kennt nichts anderes als das Labor. Als sie bei dem Großbrand entwischt, ist Curtis überzeugt, dass sie nicht überleben wird.

Die Hauptperson aber ist Jay, ein typischer Teenager, ein wenig rebellisch, aber nicht halb so ein böser Bube, wie er seiner sehr religiösen Mutter weismachen will. Von seiner Mutter genervt und von seinem alkoholabhängigen Vater enttäuscht, trägt ihm seine große Klappe schließlich auch noch eine herbe Abreibung und ein geknicktes Selbstbewusstsein ein. Der Hohn seiner Mitschüler setzt der Niederlage die Krone auf. Jay fühlt sich dem nicht gewachsen und verzieht sich zu seinem Vater.

Die Charakterzeichnung ist nachvollziehbar, aber nicht gerade detailliert und intensiv. Im Vordergrund steht dabei Jays Entwicklung. Das Zusammentreffen mit Dusk und die Bedrohung durch die Hunde und Ratten wirken wie ein Katalysator. Jay lernt, sich seinen Ängsten zu stellen. Richtig warm wird man mit den Protagonisten aber nicht.

Auch die Handlung ist recht zielstrebig und schnörkellos erzählt. Ausführliche Beschreibungen fehlen völlig, Stimmung ist nicht viel zu finden. Auf gerade mal zweihundert Seiten war dafür kein Platz. Jays Entwicklung ist geradezu ein Paradebeispiel für Problembewältigung und für sich allein genommen fast ein wenig trocken. Immerhin sorgen das Zusammentreffen Jays mit den Hunden und der Ausbruch aus dem Sperrgebiet für ein wenig Spannung, und das ungewöhnliche Wesen von Dusk für einen Hauch Extravaganz.

Das Thema Gentechnik, das Dusks Extravaganz zugrunde liegt und eigentlich einen diskussionswürdigen Hintergrund abgäbe, ist allerdings für meinen Geschmack zu überzogen dargestellt. Natürlich sind die Auswirkungen gentechnischer Manipulationen nicht annähernd erforscht, trotzdem erschien mir die Gedankenspielerei, die Dusk verkörpert, ein wenig übertrieben. Zum Beispiel sehe nicht ganz, warum sich die genetische Veränderung von Dusks Augen auch auf ihre Artikulation auswirken sollte, es sein denn, da hätte jemand beim Klonen gepfuscht.

Übertrieben ist auch die Sache mit der Ratte namens General. Sie mag weit größer gewesen sein als alle anderen Ratten, aber ihr Körper war immer noch der einer Ratte, und ein Gehirn, das groß genug für menschliche Intelligenz wäre, hätte in ihrem Kopf keinesfalls Platz gehabt.

Erstaunt hat mich außerdem die Tatsache, dass die Leihmutter, die den Klon austrug, über dessen Manipulation Bescheid wusste! Das Experiment unterlag solch strenger Geheimhaltung – kein Wunder, immerhin ist sowas sogar in den USA verboten -, dass die Weitergabe dieser Information an eine Außenstehende ein viel zu hohes Risiko bedeutet hätte, vor allem, weil sie gar nicht notwendig war. Man hätte der Frau die Besonderheit des Kindes einfach verschweigen können.

Jugendbücher wollen zum Nachdenken anregen und gleichzeitig ein wenig erzieherisch wirken. Und natürlich basiert eine Diskussion immer auf Widerspruch. Einen solchen Widerspruch wollte die Autorin möglicherweise bewusst provozieren, allerdings ist sie dabei ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Vielleicht hat sie sich darauf verlassen, dass die Ungereimtheiten und Übertreibungen Kindern und Jugendlichen nicht so auffallen werden und sie deshalb zugunsten der größeren Exotik und höheren Spannung in Kauf genommen. Andererseits verliert das Buch dadurch an Glaubwürdigkeit, und wer weiß, womöglich unterschätzt die Autorin ihre Leserschaft.

Susan Gates ist gebürtige Engländerin, lebte aber einige Zeit als Lehrerin in Afrika, ehe sie nach England zurückkehrte und amerikanische und englische Literatur studierte. Nach weiteren zehn Jahren Lehrtätigkeit wurde sie freiberufliche Jugendbuchautorin. Sie schrieb unter anderem „Gewitter im Kopf“, „Außer Kontrolle“ und „Lauries letzte Fahrt“.

Taschenbuch: 216 Seiten
www.arena-verlag.de