Thomas Thiemeyer – Medusa

Wie kam das Leben auf die Erde, wie die menschliche Kultur ins Dasein? Und sind wir die Ausnahme in den Weiten des Kosmos? Welche Spuren lassen sich zur Beantwortung dieser brennenden Fragen in Geologie, Anthropologie, Weltraumforschung und Geschichte finden? Welche sprunghaften Ungereimtheiten stellen sich dabei den Forschern in den Weg?

Diese Fragen spielen für Dr. Hannah Peters und ihren Assistenten Abdu Kader zunächst noch keine Rolle, während sie in der algerischen Sahara auf der Suche nach Felsbildkunst sind, wozu Ritzungen oder Malereien zählen, die bis zu 13.000 Jahren alt sein können. Mit einer ausgewachsenen Skulptur in abstrakter und unheimlicher Medusengestalt, die zudem noch älter als diese anerkannten Datierungen ist, aus einem unbekannten Material besteht und mehr neue Fragen aufwirft, als ihre Entdeckung zu beantworten scheint, hätten die beiden allerdings nicht gerechnet. Und wie wichtig die eingänglichen Überlegungen dabei tatsächlich sind, wird sich erst noch herausstellen.

Das Geheimnis in der Wüste

Zu verdanken haben sie diesen besonderen Fund einer Begegnung zwischen Hannah und dem |Targi| Kore Cheikh Mellakh vom Stamme der |Kel Ajjer|, der ihr eine im felsigen Hochland verborgene Oase zeigt, die eigentlich von den Wüstenvölkern geheim gehalten wird. Kores Motivation, dieses Geheimnis zu offenbaren, bleibt recht unklar; ein Schwachpunkt in der Handlungskette. Sinnvoll wäre es hier vielleicht davon auszugehen, dass die geradezu mystische Begabung dieses |Tuareg|-Anführers ihn erkennen ließ, dass die Zeit gekommen ist, den Schleier des Verborgenen zu lüften und Hannah genau der richtige Mensch der Moderne ist, um einen Prozess in Gang zu bringen, der unvermeidlich scheint.

Doch bewegen wir uns von derlei Spekulationen fort, wieder hin zu Thomas Thiemeyers Geschichte. Die geheime Felsenschlucht ist abseits der absonderlichen Statue ein Fundus an frühzeitlichen Kunstdarstellungen, und eines ist klar: Allein ist Dr. Peters mit „ihrer“ Entdeckung überfordert und es muss sich ein Spezialistenteam der Sache annehmen; Geheimhaltung hin oder her. Einige Monate später rauscht auch professionelle Hilfe an: Die |National Geographic Society| entsendet ihren Star Dr. Irene Clairmont zusammen mit einer handverlesenen Truppe in die Wüste, um der Sache auf den Grund zu gehen und eine Medien-Veröffentlichung zu arrangieren. Gemeinsam stellen die Forscher fest, dass diese bereits umwälzende Entdeckung nur die Spitze der Sanddüne ist, und Hinweise in den Zeichnungen lassen erkennen, dass das eigentliche Geheimnis erst noch gefunden werden muss. So zieht es die Gefährten tiefer in (und unter) die gewaltigste und tödlichste aller Wüsten. Im Aïr-Gebirge im Niger hoffen sie, auf die Wurzel dieses Mysteriums zu stoßen: Das Auge der Medusa.

Maulwurfshügel im Wüstensand

Natürlich entpuppt sich die Expedition als gefahrvolle Suche nach dem Gral. Nicht nur, dass die Wüste selbst aus dieser Reise ein lebensgefährliches Abenteuer macht; nein, so mancher Zeitgenosse ist dem Unternehmen nicht wohlgesonnen und nicht jeder im Team ist das, was er zu sein scheint. Der erste Doppelspieler, der für den Leser gleich zu Beginn und vom Autor beabsichtigt offenbart wird, ist der Klimatologe und Fotograf mit dem Decknamen Chris Carter (nein, der Name ist kein Scherz, aber Akte-X-Kenner dürfen gern schmunzeln). Er arbeitet für einen schwerreichen Kunstliebhaber, dem es nichts ausmacht, auch auf linken Touren an die Objekte seiner Begierde zu gelangen. Doch Carter ist in diesem Spiel noch der gute Böse. Ein weiterer Gegenspieler hat seinen Maulwurf in den Sand hinausgeschickt, und der ist deutlich bissiger als sein Kollege. Und mit ausreichend Geld in der Hinterhand lässt sich gerade im desolaten Afrika der Bürgerkriegszustände noch so manche Aktivhilfe für den Notfall gewinnen.

Die Wiege der Menschheit

Nach und nach entpuppt sich die Odyssee durch die Sandmeere der Sahara als eine Suche nach den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte. Das Herz Afrikas, diverse Sternkarten im Fels und ein prähistorisches Steinkunstwerk mit Meteorit-Anteilen sind dafür natürlich ein ausgezeichneter Ansatz. Hier kann der Autor auch einen deutlichen Trumpf ausspielen, denn er war so klug, sich in Bereichen auszutoben, in denen er sich auskennt: Thomas Thiemeyer, Jahrgang 1963, studierte Kunst und Geologie, bevor er sich als Illustrator und Verfasser von Jugendliteratur betätigte. Für seinen ersten „richtigen“ Roman hat er sich also das perfekte Thema ausgesucht, denn der Leser nimmt ihm seine literarische Konstruktion gutgläubig ab. Auch die Darstellung der kulturellen Eigenheiten der Wüstenbewohner sowie die ungewohnte Lebensumgebung werden uns glaubhaft präsentiert. Von einigen mystischen Anleihen abgesehen, bewegt sich Thiemeyer in einem ausreichend wissenschaftlichen Rahmen, spielt mit einigen moderneren Theorien und verschmilzt sie zu einem solide und spannend aufbereiteten Konglomerat, das genug Authentizität besitzt, um vom Leser ernstgenommen zu werden, während dieser mit gespannter Neugierde sowohl der Entwicklung der Geschichte als auch den schrittweise offenbarten Hintergrundtheorien folgt.

Das Handwerkliche

Einige Anmerkungen zum Stil und zur Erzählkonstruktion sind bereits gefallen. Sprachlich ist die Geschichte zwar schlicht gehalten, dümpelt aber nicht in Flachheit ab und genügt somit den Ansprüchen eines Unterhaltungsromanes völlig. Thiemeyer ist die Geschichte auch wichtiger als die sorgsame Zeichnung der beteiligten Charaktere. Im Falle der Hauptfiguren ist dies ausreichend geschehen, die Nebenfiguren bekommen eine grobe Skizzierung, die in diesem Falle ebenfalls genügt. Dem Spannungsbogen wären vermutlich weitergehende Ausführungen nur abträglich, wie die gelegentliche Erwähnung von Vergangenheitsgeschichten zeigt, was ebenso bemüht wirkt wie die menschlich teils unglaubhaft erscheinende Einbindung diverser Bettgeschichten. Das ist in der hier vorliegenden Form leider weder Fisch noch Fleisch. Der Autor sollte sich dabei entscheiden, ob er seinen Personen tatsächlich mehr Tiefe verleihen und mehr menschlich-alltäglich wirkende Aspekte einbringen möchte. In diesem Falle: Wenn schon, dann richtig und für das Gesamtwerk zuträglich, ansonsten ist es nur Ballast, um Seiten zu schinden (oder naive Romantiker zu ködern). Für diese Nuancen fehlt es Thiemeyer derzeit aber noch an stilistischer Breite und so sollte er sich auf das beschränken, was er fabelhaft kann: eine phantastische Geschichte konstruieren und aktionsreich erzählen. Der szenische Aufbau, die Bildhaftigkeit und die Dramaturgie schreien übrigens förmlich nach einer Verfilmung, da ließe sich einiges draus machen. Ich befürchte nur, dass uns hier die nächste deutsche TV-„Weltpremieren“-Produktion ins Haus stünde – da lässt es sich gleich doppelt gruseln.

Das Auge liest mit

Dass Thiemeyer auch als Illustrator tätig ist, kommt dieser Hardcover-Veröffentlichung sehr zugute, da er selbst Hand anlegte. Die Aufmachung im farbprächtigen Prägedruck ist ein echter Blickfang und passt thematisch natürlich ausgezeichnet zum Buchinhalt. So wird bereits beim ersten Griff zum Buch Atmosphäre aufgebaut. Jeder Kapitelanfang ist zudem mit dem Wasserzeichen einer anderen altafrikanischen Felsmalerei unterlegt. Außerdem findet der geneigte Leser auf den Innenseiten der Buchdeckel eine nordafrikanische Reliefkarte mit Gebietsmarkierungen. So lässt der Buchliebhaber sich eine Veröffentlichung gern präsentieren.

Indiana Jones und das Auge der Medusa

Die mit Fallen, mystischen Tücken, gemeinen und machtgierigen Schatzjägern gespickte Schnitzeljagd ist für jeden Freund von Indiana-Jones-Geschichten ein Leckerbissen. Thiemeyers Schriftstellerkollege und Vorbild in mancher Hinsicht, Andreas Eschbach, sieht das ebenso, wie uns auf der Buchrückseite mitgeteilt wird. Als weitere deutsche Referenzen des phantastischen Thrillers könnten auch Kai Meyer oder Wolfgang Hohlbein erwähnt werden, wobei Thiemeyer zum Glück mehr handwerkliches und sprachliches Geschick als Letzterer besitzt, allerdings dem Erstgenanntem in beiderlei Hinsicht nicht das Wasser reichen kann. Einige Andeutungen uralter Mächte spielen auch mit dem großen Vorbild der unheimlichen Phantastik, H. P. Lovecraft, der Schrecken hält sich in Thiemeyers Geschichte allerdings, bis auf vage Andeutungen und ein gewisses Zombie-Flair zum Ende hin, in Grenzen. Doch wie gesagt: Spannend und faszinierend ist dieser Mystery-Thriller allemal und wer sich für die beschriebene Thematik sowie oben genannte Autoren erwärmen kann, sollte Thomas Thiemeyer und seiner „Medusa“ eine wohlwollende Chance geben.

Gebunden: 365 Seiten
www.thiemeyer.de
www.droemer-knaur.de