Dass die Sterne irgendwann ausgebrannt sein müssen, ist allgemein akzeptierte Gewissheit. Dass sie allerdings in wenigen Generationen verlöschen könnten, und dann auch noch alle gleichzeitig, ist eine absurde Vorstellung, sollte man annehmen. Doch genau das passiert in einer von menschlichen Spezies bevölkerten Region des Universums, und allen ist es egal. Die Konsequenzen für die Völker: Aus- und Einwanderungen und ihre staatlichen Bestimmungen, Wirtschaftskatastrophen, Nahrungsmittelknappheit, Wohnungsnot. Der Niedergang von Ethos und Moral, das Erblühen von Religionen — stopp.
Eine starke religiöse Gruppierung versucht, das Verlöschen der Sterne zu ihren Zwecken zu nutzen, mit dem Erfolg, dass Religionen im Einflussgebiet des »Rats« – so die Bezeichnung der Regierung – verboten werden. Allen ist es egal, steht weiter oben. Das stimmt auch nicht ganz, denn es gibt wissenschaftliche Forschungen, denen der Geldhahn zugedreht wird. Innerhalb kurzer Zeit entwickeln sich Redewendungen mit Bezug auf das baldige Ende, und Fragen nach dem Grund für das Verlöschen werden nicht gestellt. Es ist halt so, denn sonst würde der Rat doch etwas dagegen unternehmen – oder?
Uwe Post, bekannter Verfasser satirischer SF-Kurzgeschichten und Romane, wovon der auch bei Atlantis erschienene »Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes« den Deutschen Science Fiction Preis 2011 erhielt und »SchrottT« 2013 die Preise nur knapp verfehlte, legte mit »Sterne in Asche« einen publikumswirksameren Titel vor, den man gern der Space Opera zuordnen könnte, um der Ordnungsliebe zu genügen. Mit seinen 190 Seiten ist er kurz und schnell gelesen, verstrickt den Leser dabei aber in den typischen Zusammenhangsreigen dieser Literaturform, ohne dabei die Ausmaße dicker Ziegelsteine zu benötigen. Ein umweltfreundlicher Roman, könnte man sagen, der trotzdem eine kinoreife Geschichte erzählt.
Und dabei ist der Einstieg relativ schwer mit dem Prolog, der sich in einer Landschaftsbeschreibung ergießt. Der folgende Wechsel zu einer der fünf völlig unterschiedlichen Erzähllinien ist wie das Öffnen eines neuen Buches, und auch hier ist der Einstieg, obgleich rasant und leinwandtauglich, reichlich gleichgültig und austauschbar. Leider wird hier der Wechsel auf den nächsten Strang zu schnell vollzogen, ehe die Ebene um den Sportstar Ketz das Interesse des Lesers binden kann. Erst jetzt beginnt der Roman seine Wirkung zu entfalten, springt der Autor in spannender Trennung zwischen den Ebenen umher und fesselt den Leser an die Geschichte, die ihre Fragen aufwirft und nach Zusammenhängen strebt.
Die einzelnen Ebenen könnten unterschiedlicher nicht sein. Dadurch helfen sie ausschlaggebend, die Vielfalt der Erzählung zu strukturieren und die Post’sche kreative Explosion für den Leser zu bändigen. Da gibt es den erwähnten Sportstar Ketz, dessen Erlebnisse ihm die Frage nach dem Grund für das Verlöschen der Sterne aufdrängen. Ketz durchläuft die augenscheinlichste Charakterentwicklung und ist damit der eigentliche Emotionsträger des Romans. Sein eigentlich schwacher Einstand am Anfang des Romans verschwindet gegen den Verlauf seiner Entwicklung.
Die zweite tragische Figur ist ein zweibeiniges Tintenfischwesen namens Bwsoll, ein Fangirl erster Güte, die sich für ihren Star Ketz aufzuopfern bereit ist. Ihre Reise führt den Leser zu einigen Erkenntnissen bezüglich der großen Fragen im Hintergrund, und in gewisser Weise ist ihr Schicksal ausschlaggebend für einige besondere Entscheidungen.
Zuletzt sei die undurchsichtigste Ebene erwähnt, ein bestraftes Mitglied einer Hacker-Gemeinde, dessen Vergangenheit im Rücklauf erzählt wird. Eine Frau auf Rädern, eigentlich Führungsmitglied der verbotenen religiösen Bewegung, mit der das große Hintergrundrätsel am stärksten verknüpft ist.
Dann gibt es noch zwei Ebenen um Figuren von untergeordneter Wichtigkeit, anhand derer der Autor die Zustände seines Gesellschaftsentwurfs näher beleuchtet. An dieser Stelle kann er es auch nicht lassen, offensichtliche Bezüge zu unserer Welt zu ziehen, sei es Wirtschaft, Religion oder Politik. Post verwebt diese grundverschiedenen Ebenen zu einem komprimierten, berstend geladenen Roman von der Eindringlichkeit einer Kurzgeschichte. Während er im Vordergrund die spannenden, miteinander verwobenen und jedes auf seine Art tragischen Schicksale seiner Protagonisten verfolgt, nebenbei ein großartiges Universum mit allen nötigen Anhängseln entwirft, löst er im Hintergrund mit wenigen Worten eine Assoziation im Kopf des Lesers aus, womit das große Rätsel um die Sterne wie gelöst vor ihm schimmert. Und zusätzlich findet man Formulierungen zum Schmunzeln, Sexszenen zum Abgewöhnen, Wirklichkeitskritik vom Feinsten, geheimnisvolle Kästchen voller Rätsel und endlich das Gefühl, genug Stoff zum Grübeln zu haben über den Inhalt und die Frage, ob man alles verstanden hat.
Für mich enthält der Roman alles für seine Vollständigkeit und benötigt zum Verständnis keine Fortsetzung. Einzig eine Figur, die die rückwärts erzählte Handlungsebene um Konstitution Null (so der Romanname für die Frau auf Rädern) triggert, benötigt meiner Meinung nach noch einen stärkeren Hintergrund als nur ihre Funktion als Trigger. Eine Verlautbarung des Autors (klick!) lässt allerdings eine Fortsetzung nicht unwahrscheinlich erscheinen. Nun, es scheint, als gäbe es aus diesem Umfeld mehr als genug zu erzählen.
»Sterne in Asche« ist ein angenehm kurzer Roman, atmosphärisch dicht, aber nicht leicht zu lesen. Man benötigt sein Gehirnschmalz zur Lektüre, erhält dafür aber ein packendes Leseerlebnis. Was Post hier wirklich versteht, ist, beim Leser das Verlangen nach den Zusammenhängen zu erzeugen, die Gier, aus den Schnipseln alles an Input heraus zu ziehen, das komplexe Bild vollständig zu erfassen und den Aha-Moment zu genießen. Und damit enttäuscht er uns nicht.
Broschiert, 190 Seiten
ISBN-13: 9783864022005
Originalausgabe
Titelbild von Mark Freier
Atlantisverlag
Der Verlag bietet auch eine Leseprobe an.
Der Autor vergibt: