_Neues aus Prydain, aber wo ist Taran?_
Dies ist der sechste Band eines Fantasy-Zyklus, der es vielleicht nicht mit Tolkiens „Herr der Ringe“ aufnehmen kann, der aber ebenso stark auf Mythen und Fantasythemen zurückgreift. Und die Hauptfigur Taran, die im Laufe des Zyklus eindrucksvoll heranreift, lieferte wie Tolkiens „Herr der Ringe“ die Vorlage zu einem Zeichentrickfilm.
Diese Geschichten erscheinen zum ersten Mal in deutscher Sprache, wie uns der Verlag versichert. Sie wurden vom Herausgeber der Fantasyreihe, Helmut W. Pesch, übersetzt, der auch eine erhellende Biografie und Bibliografie beigefügt hat.
|Der Autor|
Lloyd Alexander, geboren 1924, ist der Autor der „Chroniken von Prydain“ (= Britannien). Ähnlich wie bei Tolkien, der mit „The Hobbit“ (1937) zunächst eine Fantasy für Kinder schrieb, beginnt auch Alexander mit einer leichtfüßigen Kinder-Fantasy, um dann jedoch schnell auf tiefere, dunklere Themen sprechen zu kommen. Der erste und Teile des zweiten Bandes fanden Eingang in einen gleichnamigen Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1985: „Taran und der Zauberkessel“.
Der |Taran|-Zyklus:
1. „Taran und das Zauberschwein“ bzw. „Das Buch der Drei“ (engl. The Book of Three) (1964)
2. „Taran und der Zauberkessel“ bzw. „Der schwarze Kessel“ (engl. The Black Cauldron) (1965)
3. „Taran und die Zauberkatze“ bzw. „Die Prinzessin von Llyr“ (engl. The Castle of Llyr) (1966)
4. „Taran und der Zauberspiegel“ bzw. „Der Spiegel von Llunet“ (engl. Taran Wanderer) (1967)
5. „Taran und das Zauberschwert“ bzw. „Der Fürst des Todes“ (engl. The High King) (1968) – Gewinner der Newbery Medal, 1969
6. „Der Findling und andere Geschichten aus Prydain“ (engl. The Foundling) (1973) – Sammlung von Kurzgeschichten, die in Tarans Welt Prydain spielen
_Die Geschichten aus TARANs Welt_
In der ersten Geschichte „Der Findling“ erfahren wir, wie aus einem Findling in den Marschen von Morva der Zauberer Dallben wurde. Er wuchs bei den drei Hexen/Parzen/Nornen/Schicksalsgöttinnen Orgoch, Orwen und Orddu auf. Weil er von ihrem Zaubertrank kostete, erkannte er die Wahrheit ihrer Existenz: das Schicksal der Menschen zu weben und zu bestimmen. Angesichts seines neuen Wissens konnte er nicht mehr bleiben, doch beim Abschied bekam er „Das Buch der Drei“, ein Buch der Weisheit und mit allen Informationen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Doch auch dieses Geschenk hat einen Preis.
Der Bauer, der Dallben auf der Straße begegnet war, beklagt sich über das Älterwerden, bis er eines Tages von einem der Zwerge – es ist wieder einmal Doli – einen magischen Stein als Ausgleich für einen Hilfsdienst erhält. Der Stein soll Bauer Mabion ewige Jugend verleihen. Das funktioniert auch, doch leider auch bei allem anderen, das auf dem Gehöft wächst: Die Saat geht nicht auf, die Kuh kalbt nicht und aus den Eiern schlüpfen keine Küken. Nur auf die harte Tour erkennt Bauer Mabion das Geheimnis des Lebens. Und dass ein Stein nicht wachsen kann.
Ganz andere Sorgen hat das königliche Haus Llyr unter Königin Regat. Sie muss ihre Tochter Angharad verheiraten, doch die Tradition verlangt, dass der Künftige ebenfalls über Magie herrscht. Prinzessin Angharad, Eilonwys Mutter, ist ziemlich skeptisch und prüft jeden Bewerber genau. Der erste ist ihr zu dürftig in seiner Kunst, der zweite zu egoistisch, und der dritte, der junge Geraint, vermag ihr Herz zu gewinnen, erweist sich aber als kein Zauberer: Er ist Dichter und holt ihr auf diese Weise die Sterne vom Himmel.
Die vierte Geschichte liest sich wie eine Tierfabel: „Die übermütige Krähe“. Der Hüter des Waldes warnt seine Schützlinge, die Tiere, dass der Todesfürst Arawn seine Jäger ausgesandt habe, um Tiere zu fangen und in seinen Dienst zu zwingen. So habe er es schon mit den einst sanften Gwythaint-Vögeln gemacht, die nun zu furchterregenden Spähern geworden seien. Alle Tiere schwören Medwyn, dem Hüter, Treue, alle bis auf die Krähe Kadwyr. Sie verspottet die Tiere, doch als der Jäger Arawns auftaucht, erleidet sie ein Missgeschick, das sie in höchste Bedrängnis bringt: Sie bricht sich einen Flügel. Doch wider Erwarten erweisen sich die verspotteten Tiere als solidarische Helfer in der Not.
In der nächsten Erzählung erfahren wir mehr über „Das Schwert“ des rechtmäßigen Königs: Dyrnwyn. Ein Tabu liegt auf ihm, dass nämlich nur ein Mann von königlichem Geblüt es führen dürfe. Doch was ist ein richtiger König? Der aktuelle Herrscher Rhitta muss erkennen, dass nur derjenige von könglichem Geblüt ist, der selbst das Anliegen des Geringsten seiner Untertanen achtet. Diese Lektion macht ihm das magische Schwert unmissverständlich klar: Der König ist nur so viel wert, wie seine Herrschaft zum Wohle seiner Untertanen bewirkt.
„Der Schmied, der Weber und der Harfner“ werden alle vom dunklen Fürsten Arawn in Versuchung geführt, doch was er anbietet, ist eitel Blendwerk, das dem Verführten mehr schadet als nützt. Nicht so beim Harfner. Der verfügt über seine eigene Art der Magie, die eng mit der Kraft des Lebens verknüpft ist. Mag auch die Harfe zerstört sein, so spielt die Musik doch weiter: im Leben. Fürst Arawn wendet sich mit Grausen.
In der vorletzten Geschichte erfahren wir endlich, wie Fflewdur Fflam zu seiner „wahrhaftigen Harfe“ kam. Als ausgebildeter König denkt er, als Barde müsse man die Wahrheit ein wenig ausschmücken. Die Harfe, die ihm der Oberbarde (er hat hier keinen Namen, doch in den Romanen ist es Taliesin) zur Probe seiner Kunst überlässt, verhält sich recht merkwürdig. Bei jeder lobenswerten Tat, die Fflam vollbringt, etwa die Rettung eines ertrinkenden Kindes, erdichtet Fflam genau das Gegenteil der Wahrheit. Unverzüglich reißen die Saiten der Harfe, und das sind nicht wenige. Am Schluss muss Fflam dem Oberbarden sein Missgeschick eingestehen und erkennen, was die wahre Aufgabe eines Barden ist.
Die vielleicht schönste Geschichte folgt zum Schluss. Sie handelt von „Coll und seinem weißen Schwein“ Hen Wen. Da es die Zukunft kennt, möchte ihm Fürst Arawn seine Geheimnisse entreißen, um besser Prydain beherrschen zu können, und lässt es rauben. Coll ist entsetzt: Nicht nur über den Verlust, sondern auch über die Tatsache, dass er nun seinen Hof verlottern lassen muss. Wer weiß, wie lange die Jagd dauert?
Zunächst erwirbt der gute Mann per Magie die Gabe, die Sprache der Tiere zu verstehen. Eine freundliche Eule klärt ihn auf, was Sache ist. Dann hilft er einem Hirsch aus einer Dornenhecke; der trägt ihn zu den Toren der Unterwelt Annuvis, wo Hen Wen vermutet wird. Auch einem Maulwurf hilft Coll, was sich später als äußerst nützlich erweist. Ohne die Pointe zu verraten: Als Coll inklusive Zauberschwein wieder nach Hause kommt, wartet dort ein neuer Bewohner auf ihn: Es ist Dallben. Nun können die Abenteuer Tarans wirklich beginnen.
|Biografie|
Den Abschluss des Buches bildet eine Notiz des Übersetzers Helmut W. Pesch, in der er auf acht Seiten Leben und Werk Lloyd Alexanders beschreibt. Er tut dies wirklich sehr anschaulich, so als ob er den Autor in Pennsylvania besucht hätte. Alexander veröffentlichte bis Ende der neunziger Jahre Kinder- und Jugendbücher, hielt Vorträge sowie Lesungen und schrieb Artikel über dieses Genre. Der Achtzigjährige lebt immer noch in seiner Geburtsstadt Drexel Hill.
_Mein Eindruck_
Jede Geschichte ist auf eine bestimmte Pointe hin geschrieben. Das macht sie einerseits spannend und unterhaltsam, andererseits auch lehrreich. Jedes Mal wird ein Problem gelöst, was mit einer kleinen Erkenntnis verbunden ist. Sei es die Erkenntnis, dass keiner ohne Freunde überlebt oder dass man kein Zauberer sein muss, um eine Prinzessin bezaubern zu können. Jede Geschichte gibt dem jungen Leser etwas, das er für sich nutzen kann.
Innerhalb des Taran-Zyklus bieten drei Geschichten zusätzliche Hintergrundinformationen: die jeweiligen Erzählungen zu Coll dem Schweinehirten, Dallben dem Zauberer und Fflewdur Fflam, dem Barden. Man muss diese Informationen aber nicht haben, um die restlichen Bücher genießen zu können.
Eine Illustration, die Johann Peterka angefertigt hat, leitet jede Erzählung ein. Peterka hat auch den restlichen Zyklus illustriert, von daher ist diese Fortführung sehr passend. Die Übersetzung ist Helmut W. Pesch gut gelungen. Sie hebt sich deutlich von den Erzeugnissen ab, die Vocke und Killer in Band 3 und 4 abgeliefert hatten und kehrt zu der altertümelnden Diktion von Band 1 und 2 zurück. Nun klingen diese Fabeln aus alten Tagen auch wieder so, als kämen wirklich aus alten Tagen zu uns und nicht mehr aus dem Unterricht an der Gesamtschule.
Die Illustrationen und die große Schrifttype führen dazu, dass eine Menge Platz „verschwendet“ wird, um es mal ökonomisch auszudrücken. Ein anderer Verlag hätte wahrscheinlich nur halb so viel Seiten verwendet, um die Texte unterzubringen. Und das wäre wahrlich ein Jammer gewesen: Die Geschichten sind zum Vorlesen gedacht, die schönen Zeichnungen zum Anschauen. Und bei kleinerer Schrifttype würden sich die Kinder – ich denke an Kinder ab 6 bis 8 Jahren – die Augen verderben. Das geht also in Ordnung. Zumal der Preis der niedrigste in der gesamten Taschenbuchkategorie ist.
_Unterm Strich_
„Der Findling“ ist ein schönes Geschichtenbuch für sehr junge Leser ab 6 bis 8 Jahren, illustriert mit detailreichen Zeichnungen von Johann Peterka. Alles Weitere habe ich schon oben gesagt. Das Buch zu kennen, ist keine Voraussetzung für das Lesen der fünf Romane, aber es lohnt sich besonders, wenn man die Romane schon kennt. Einziges Manko: keine einzige neue Geschichte um Taran selbst.
Die Biografie klärt den Leser über den Autor des Taran-Zyklus auf, die hiermit erstmals komplett in deutscher Sprache vorliegt, und weist ihn auf weitere Werke von Lloyd Alexander hin, von denen viele noch nicht in unsere Sprache übertragen worden sind. Diesem Missstand sollte schleunigst abgeholfen werden.