Brian W. Aldiss – Der unmögliche Stern. SF-Erzählungen


Die besten der frühen Aldiss-SF-Erzählungen

Diese Auswahl von Erzählungen des britischen SF-Schwergewichts Brian W. Aldiss („Helliconia“ versammelt vor allem Erzählungen aus den Collections „Space, Time and Nathaniel“ (1957) und „Canopy of Time“ von 1959, es handelt sich also um frühe Storys. Einige davon werden aber bis heute regelmäßig nachgedruckt, so etwa „Poor Little Warrior!“.

Der Autor

Brian W. Aldiss (* 1925) ist nach James Graham Ballard und vor Michael Moorcock der wichtigste und experimentierfreudigste britische SF-Schriftsteller. Während Ballard nicht so thematisch und stilistisch vielseitig ist, hat er auch nicht Aldiss’ ironischen Humor.

Aldiss wurde bei uns am bekanntesten mit seiner Helliconia-Trilogie, die einen Standard in Sachen Weltenbau in der modernen SF setzte. Das elegische Standardthema von Aldiss ist die Fruchtbarkeit des Lebens und die Sterilität des Todes. Für „Hothouse“ („Am Vorabend der Ewigkeit“) bekam Aldiss den HUGO Award. Er hat auch Theaterstücke, Erotik, Lyrik und vieles mehr geschrieben.

Die Erzählungen

1) Wer kann einen Menschen ersetzen? (Who can replace a man?, 1958)

Nach dem Atomkrieg sind die Menschen fast vollständig ausgestorben. Das kapieren die Robotmaschinen aber erst nach und nach. Sie können nicht arbeiten, weil ihnen niemand mehr Anweisungen gibt, und weil das Klasse-eins-Zentralgehirn in der Hauptstadt sich im Krieg mit zwei Klasse-zwei-Gehirnen befindet, kommt es als Befehlsgeber auch nicht in Frage.

Die verwaisten Maschinen machen sich auf nach Süden, weil es dort noch eine winzige Kolonie überlebender Menschen geben soll. Als sie einen zerlumpten, halbnackten, verletzten und ungeniert pinkelnden Mann treffen, sind sie glücklich, endlich ihren Meister gefunden zu haben.

Mein Eindruck

Teils eine traurige Post-Holocaust-Satire, teils eine Lewis-Carroll-Fantasie, liest sich die Story kurzweilig und wie ein Märchen. Sie wäre lustig, wenn der Anlass dafür nur nicht so ernst wäre.

2) Eine Ewigkeit nicht (Not for an age, 1955)

Rodney Furnell erwacht wie jeden Tag in einem leeren Bett. Seine Valerie macht schon Frühstück und sein 19-jähriger Sohn rasiert sich bereits. Wie jeden Tag lacht das Publikum, als sich Rod in seinem Schlafanzug zeigt. Im Jahr 2500 kennt man so etwas nicht mehr, aber die AG für Zeitarchäologie zeigt die Familie Furnell gerne als unterhaltsame Kuriositätenschau für das 20. Jahrhundert. Rod ärgert sich natürlich darüber, zur Schau gestellt und verspottet zu werden, andererseits sieht er die Zuschauer nicht und kann sie nicht beschimpfen. Jeder Tag vergeht wie der andere, wie eine Filmvorführung.

Eines Tages reißt der Film. Ein ungeahntes Gefühl von Freiheit und Zuversicht erfüllt Rodney. Er besteigt das nächste Taxi, um sich nach Oxford, England, kutschieren zu lassen. Es ist das Jahr 2500 und alle Taxis werden von intelligenten Robotern gesteuert. Der Roboter erzählt dermaßen niederschmetternde Dinge, dass Rod erkennt, er kann niemals wieder in seine eigene zeit zurückkehren. Er befiehlt volle Kraft voraus. Nach seinem Unfalltod beginnt sein Leben erneut – in einer ewigen Filmschleife…

Mein Eindruck

In dieser kurzen Story kombiniert der Autor zentrale Themen der Moderne: die Wahrnehmung der Absurdität einer repetitiven Existenz, die Selbstentfremdung durch Fremdbestimmung, das Scheitern jeder Befreiungsbewegung in diesem System, die letztendliche Selbstzerstörung. Und doch können wir Mitgefühl für Rodney Furnell aufbringen, diesen Gefangenen einer Filmhandlung, die nur einen Tag dauert: „Täglich grüßt das Murmeltier“ mit einem Sisyphus als Akteur.

3) Psyklop (Psyclops, 1956)

Das kleine Ich des sechs Monate alten Fötus wird von einer Stimme geweckt. Die Stimme behauptet, sie gehöre seinem Vater. Da sich der kleine Sohnemann im Bauch der Mutter in Gefahr befinde, wolle er ihn warnen – per Telepathie. Denn er, der Vater, sei auf dem Planeten Mirone von blauhäutigen Eingeborenen entführt und verletzt worden, doch der Mutter sei es gelungen, mithilfe der Rakete zu entkommen. Der Haken dabei: Das Flugprogramm basiert immer noch auf dem Zusatzgewicht des verlorenen Vaters und berechnet deshalb den Kurs falsch. Der Flug würde ins Nichts führen.

Der kleine Sohnemann findet all diese Gedanken und Begriffe verwirrend. Er soll sich sogar neben einer Zwillingsschwester im Bauch seiner Mutter befinden. Statt das Universum zu beherrschen, muss er es nun mit jemandem teilen, den er gar nicht kennt. Er beginnt zu stoßen und zu treten…

Mein Eindruck

Dies ist wohl die ungewöhnlichste Familiengeschichte, die man je zu lesen bekommen wird. Mutter und Vater sind getrennt, Tochter und Sohn noch an Bord der Mutter. Allerdings ist nur der Sohn telepathisch begabt und soll, durch einen Kontakt mit der terranischen Telepathiezentrale TTZ alle drei Flüchtigen vor einem schlimmen Ende im Dunkel zwischen den Sternen bewahren. Allerdings reagiert der Sohnemann wie ein Zyklop mit nur einem Auge und beginnt durch sein Treten, alle drei in Gefahr zu bringen. Die Story ist einfallsreich, mit feinem Humor erzählt und doch auch anrührend in ihrer Sympathie für das Ungeborene.

4) Draußen (Outside, 1955)

Sechs Personen leben in dem Haus, doch nicht alle sind menschlich. Die Erde befindet sich in einem Kalten Krieg mit den Nititern, Gestaltwandlern, die menschliche Gestalt annehmen können. Das weiß Harley, einer der sechs, zwar, aber sein Geist ist sediert und nur ein klein wenig paranoid. Bislang hat er sich in die Hausgemeinschaft eingepasst, doch heute Nacht legt er sich auf die Lauer.

Tatsächlich: Es ist Jagger, der das Haus verlässt und ins unbekannte Draußen geht. Draußen funkeln die Sterne, ein Anblick, der Harley in Schrecken versetzt. Als er einen der anderen wecken will, verwandelt der sich vor seinen Augen in einen Nititer. Also muss Harley selbst draußen nachsehen. Im nächstgelegenen Haus stößt er auf vier bewaffnete Männer, die vor Bildschirmen hocken. Sie haben ihn offenbar erwartet. Was sie ihm erzählen, versetzt sein tiefstes Inneres in Unruhe, und er beginnt sich zu verwandeln…

Mein Eindruck

Eine klassische Kalter-Krieg-Story voller Paranoia, die auch Philip K. Dick oder Jack Finney („Die Körperfresser kommen“) hätten schreiben können. Der Verfolgungswahn gilt den „Anderen“, doch in Wahrheit sind wir es, die andersartig sind, ohne es zu ahnen. Die Geschichte kritisiert auch die Verschlossenheit der Umgebung (lies: der Westen) gegenüber dem Rest der Welt, das als Draußen hier die Paranoia verursacht, und der virtuellen Realität im HAUS, die nichts mit der Wahrheit zu tun hat.

5) Pantomime (Dump Show, 1959)

Der Schallkrieg herrscht seit über das Land seit sieben Jahren. Mrs. Snowden und ihre dreijährige Enkelin Pauline sind beide längst taub. Früher war Mrs. Snowden mal eine Dozentin für Englische Literatur, aber nach Kriegsausbruch wurden alle Fakultäten außer den praktischen geschlossen. Die Männer sind natürlich längst alle im Krieg. Jüngst wurde Island zurückerobert. Die ganze Sache mit der Vibromotion (VM) fing damit an, dass man das Pflanzenwachstum anregen wollte. Bald stellte sich heraus, dass Schall auch ganze Städte in Staub verwandeln kann.
Heute morgen steht Mrs. Snowden wegen eines Geräusches auf und geht mit Pauline vor die Tür. Alle Häuser, die jüngst ringsum gebaut wurden, sind verschwunden. In der Ferne wanken Riesen – sind es Angreifer? Doch der Schalldetektor über der Haustür zeigt an, dass ein Angriff im Gange ist. Mrs. Snowden beginnt in die Höhe zu wachsen – die Riesen sind Opfer! Kaum ist sie zusammengebrochen, als Pauline ebenfalls zu wachsen beginnt. Sie rennt los, in einen neuen Morgen, wie ein Komet…

Mein Eindruck

Ich glaube, es war Kate Bush, die mal einen Song über den Schallkrieg aufgenommen hat. Die Idee an sich ist also nicht neu, und sicherlich hat irgendeine Armee damit schon experimentiert. Neu ist das Element des menschlichen Körperwachstums, das die Opfer zu Riesen macht, die in einer zu Staub verwandelten Wüste wanken lässt. Nur die Kleinen haben noch eine Zukunft vor sich.

6) Der neue Weihnachtsmann (The New Father Christmas, 1959)

Die automatischen Fabriken haben die Herrschaft über die Gesellschaft übernommen und merzen nacheinander die Menschen aus, um mehr Maschinen herstellen zu können. In Roberta und Robin Proctor Fabrik X-10 haben sich ein paar Landstreicher versteckt, doch Roberta besucht sie heute, denn es ist ja schließlich Weihnachten. Kaum hat sie sie dazu verlockt, ein Tässchen zu trinken, stellt einer der Landstreicher ein kleines Metallei auf den Boden.

Als es aufklappt, springen kleine Maschinchen heraus und errichten eine Kuppel. „Sie wollen eine Fabrik bauen!“ kreischt Roberta und knallt den heißen Teekessel auf die kleine Kuppel. Die bekommt nicht mal den kleinsten Kratzer. Stattdessen ertönt ein schrilles Fiepen. „Sie rufen nach Verstärkung!“ ruft Jerry, der arbeitslose Schriftsteller, und alle eilen zur Tür hinaus. Dort erwischt sie der Neue Weihnachtsmann und sackt alle ein.

Mein Eindruck

Diese garstige Weihnachtsgeschichte könnte auch von Philip K. Dick stammen, wenn sie nicht so fröhlich wäre. Denn Dick hat 1955 mit „Autofac“ eine der bekanntesten paranoiden Geschichten über die Machtübernahme durch die Maschinen geschrieben. Der von den Maschinen übernommene Mythos des Weihnachtsmanns erfährt hier eine böse Umkehrung und wird zu Knecht Ruprecht, der die bösen Menschen holt – nicht um sie zu bestrafen, sondern um sie auszusortieren.

7) Voraus (Ahead, 1959)

Der Raumfahrer Surrey Edmark ist gerade ins Jahr 2388 zurückgekehrt und jammert, dass es hier in Singapur so voll sei. Er verdrückt sich in einer Seitenstraße und landet vor einem Café, in dem eine chinesische Sängerin ein sehnsüchtiges malaiisches Liebeslied trällert. Danach spricht er sie an, indem er gesteht, er komme gerade vom Zeitschiff. Das weckt ihr Interesse und er darf ihr seine Geschichte erzählen.

Die Paulls kamen aus dem 3157. Jahrhundert, um im 24. Jahrhundert für ihre jüngste IRK-Hilfsaktion Helfer zu rekrutieren sowie Hilfsgüter aufzutreiben. Das IRK ist das Intertemporale Rote Kreuz. Dann ging es los in die ferne Zukunft, wo die Gescheiterten Menschen existierten. Existierten, aber nicht lebten, denn sie hatten sich in flache Gräber eingebuddelt, um dort den Rest ihrer Zeit zu verbringen.

Surrey fragte die Paulls und die Gescheiterten nach ihrem Problem, das sie zu diesem absonderlichen Verhalten veranlasst hatte. Die Antwort ergibt keinen Sinn, wahrscheinlich durch die Übersetzungsmaschine oder die fremden Begriffe. Nur ein Wort fällt ihm auf: „Struback“. Er sei ein Struback, erfährt er, ein Dummkopf…

Mein Eindruck

Aldiss musste im Alter von 19 Jahren selbst am Burma-Feldzug in Südostasien teilnehmen, um die japanische Invasion Indiens abzuwehren. In der Zeit nach dem Kriegsende lernte er Südostasien kennen, wo die Briten in Singapur ihre wichtigste Festung hatten. Diese Stadt bildet den Schauplatz dieser Story. Aber nun wird auch klar, warum Aldiss das Problem der Hilfslieferungen (etwa nach Burma) als unlösbar aufgreift und kurzerhand in den Weltraum und die Zeitlandschaft transferiert.

Das Problem ist stets das Gleiche: Wenn die Sprache nicht verstanden wird, bleibt jede Kultur zwangsläufig unzugänglich und jede Hilfsanstrengung nur bedingt sinnvoll. Eine solche Thematik ist in der SF selten, obwohl man meinen sollte, dass bei Xenologie stets das gleiche Problem auftaucht. Am besten haben wohl weibliche SF-Autoren wie Ursula K. Le Guin, Alice Sheldon (= James Tiptree jr.) oder Sydney van Scyoc das Thema verarbeitet.

8) Armer kleiner Krieger! (Poor little warrior!, 1958)

Claude Ford, der gelangweilte Gatte von Maude Ford, hat sich aus dem Jahr 2181 zwecks Abenteuer 150 Mio. Jahre in die Vergangenheit versetzen lassen. Zweck der Reise: das Erlegen des größten Landlebewesens aller Zeiten (wie man noch 1958 glaubte), eines Brontosaurus. Sein Instrument: eine doppelläufige, computergesteuerte, garantiert rostfreie und absolut treffsichere Flinte.

Das Viech, das ihn hirnlos anschaut, ist groß wie ein Berg, aber mit einer Haut bedeckt, die feiner ist als die eines Elefanten. Zahllose Parasiten, groß wie Löwen, leben darauf und haben wiederum ihre eigenen Parasiten, groß wie Hummer. Das Wummern des riesigen Herzens ist bis zu Claude zu hören. Er feuert seine Doppelladung ab. Treffer!

Das Riesenvieh fällt alles andere als dramatisch, geradezu in Zeitlupe, auf die Seite. Das Licht in den Augen erlischt, und die Nickhaut verbirgt die Pupille. Das Herz kommt langsam zum Stillstand, bis Ruhe eintritt. Die ersten Vögel kapieren, was passiert ist, und fliegen zum nächsten Wirt. Claude will gerade zurück zur Zeitmaschine, als auch schon der erste Parasit kapiert, was los ist, und sich auf Claude stürzt. Er ist nur der erste von vielen…

Mein Eindruck

Der Reiz der Erzählung liegt nicht so sehr in der fast nicht vorhandenen Handlung, sondern in der Sprache. Deren poetische Eigenart kommt besonders im Original zum Tragen, wo sich die Wörter vielfach stabreimen und paarreimen. Abgewandelte Zitate aus der Lyrik wie etwa aus Dante Alighieris „Divina Commedia“, aber auch aus Shakespeares Stücken werden eingeflochten. Doch wozu dieser Aufwand für einen so banalen Vorgang?

In einer Vorwegnahme des kritischen New-Wave-Stils legt ein allwissender Du-Erzähler der Figur Claude Ford seine Gedanken und Gefühle dar, um sie fein säuberlich zu sezieren und ihrer Lächerlichkeit preiszugeben. Der versuch Claudes, seine eheliche Langeweile zu durchbrechen, indem er ein ABENTEUER erlebt, mündet ins Betrachten des glorreich angekündigten Stuhlgangs des Brontosaurus. Nie wurde Saurier-Scheiße showbusinessmäßiger präsentiert.

Auch der Tod des Biests ist alles andere als bühnenreif -ein dénouement. Der Gipfel der Ironie wird erreicht, als die Parasit sich einen neuen Wirt suchen: Claude. Auf diese Weise gesellt sich der „arme kleine Krieger“ des Titels zu seiner Beute und taucht wohl 150 Mio. Jahre später als Versteinerung irgendwo in den Rockies wieder auf.

8) Mann auf Brücke (Man on bridge, 1959)

Man schreibt das 22. Jahrhundert in Kroatien, in der Gegend von Saint Praz sind die Intellektuellen interniert worden. Dombrowicz und Winther sind zwei diese Z’s, der zerebralen, die mit einem gelben Z auf dem Rücken umhergehen, bewacht von Soldaten der Proleten. Der Kommandant belauscht die beiden. Der kühle Dombrowicz hat durch Lobotomie einen neuen Menschen geschaffen und ihn Adam X genannt. Der emotionale Winther ist gegen solche Experimente. Der Kommandant sieht großes Potential in neuen Menschen wie Adam X, aber werden sie eher zerebral oder mehr proletisch sein? Adam X sagt, dass sein Leben leer sei und er nicht mehr leben wolle.

Nach einer Strafaktion darf Winther mit Adam X nach Hause gehen. Die drei verbliebenen Schwestern und der Vater freuen sich sehr und veranstalten ein Festmahl. Strom gibt es allerdings ebenso wenig wie Leitungswasser, denn die nötige Infrastruktur ist zusammengebrochen. Die Familie und die eingeladenen Nachbarn wundern sich über Adam X, der sonderbare Sätze von sich gibt. Er sei eine neue Art Mensch. Als entdeckt wird, dass Adam X verschwunden ist, folgen ihm Winther und seine Schwester – bis zu einer Brücke in der Stadt, die üben einen wilden Fluss führt. Adam X balanciert auf der Brückenmauer…

Mein Eindruck

Das Internierungslager für Intellektuelle könnte aus der Stalinzeit stammen, das gelbe Z erinnert an den gelben Judenstern. Etwa 1968 griff der Amerikaner Tomas M. Disch die Idee der Intelligenzverbesserung in seinem Roman „Camp Concentration“ auf, allerdings wurde der neue Mensch nicht nur Lobotomie geschaffen, sondern durch Medikamente und Chemie. Schon der US-Autor Stanley Weinbaum schrieb in seinem Roman „Der neue Adam“ über die nächste Stufe des homo sapiens, doch derart schlimm malte er sich die Voraussetzungen dafür nicht aus – obwohl er natürlich schon in den 1930er Jahren Berichte über die Stalinzeit gelesen haben konnte.

Aldiss‘ Geschichte ist in einem sehr anschaulichen, humanistischen Stil geschrieben und führt den Leser an die menschliche, emotionale Dimension des Geschehens direkt heran, ohne jedoch romanhafte Vollständigkeit anzustreben. Der Leser muss sich zusammenreimen, was Winthers letzte Zeilen sind und was der Kommandant, der Winthers Bericht liest, dabei denkt. Dass nämlich Bynca, Winthers fröhliche Schwester, von der Miliz, die Winther und Adam X abholte, getötet worden sein muss.

9) Der unmögliche Stern (The Impossible Star, 1959)

Kapitän Dominguez ist mit seinem Erkundungsschiff „Wilson“ auf einer Welt gelandet, die er für einen Planeten hält und der er den Namen „Erewhon“ (= nowhere = nirgendwo) gibt. Er muss seinen Antrieb reparieren, will aber zugleich die Gelegenheit wahrnehmen, diese Himmelsgegend abzutasten. Worauf er und seine Männer Sharn, Baron und Malgrevin nicht vorbereitet sind, ist das gewaltige Schauspiel, das sich am Sternenhimmel abspielt. Sie nennen den Stern Dicke Bertha, nach der größten Kanone, die die Deutschen im Ersten Weltkrieg einsetzten. Sie liegt im Zentrum des Krebsnebels, einer explodierten Supernova.

Die Bertha, groß wie Millionen Sonnen, ist ein lichtloser Stern, der andere Sterne frisst. Seine Schwerkraft ist bereits so gewaltig, dass ein menschliches Gehirn sie tief im Thalamus spüren kann, von den weichen Knien ganz abgesehen. Die Auswirkung ist individuell verschieden. Sharn, der gerade seine Autobiografie verfasst, fühlt sich zu extremer Empfindungen wie Ehrfurcht, Angst und schließlich Panik hingerissen. Kapitän Dominguez ist vernünftiger, denn er muss die Lage unter Kontrolle behalten.

Als am nächsten Morgen, kurz vorm Funkkontakt mit den Schwesterschiffen, Baron mit einem Messer in seiner Brust aufgefunden wird, kommt es zum Aufruhr. Wer ist der Mörder? Kurz darauf ist auch Malgrevin tot. Dominguez sperrt Sharn aus, dem er nun alles zutraut. Doch draußen macht Sharn eine ebenso erschreckende wie interessante Entdeckung: Erewhon ist gar kein Planet…

Mein Eindruck

Für den heutigen Leser ist völlig klar, womit es die Leute auf der „Wilson“ zu tun haben: mit einem Schwarzen Loch. Die Schwerkraft ist so gewaltig, dass ihr nicht einmal Licht entkommen kann. Der kleine „Planet“, auf dem die „Wilson“ gelandet ist, wird unweigerlich auf diesen Schwerkraftschacht hin gezogen, bis zum Ereignishorizont, hinter dem nichts mehr zu beobachten ist.

Es ist eine sehr amerikanisch anmutende Erzählung, die Aldiss hier vorlegt, und darin darf auch ein ungeklärter Mord nicht fehlen. Der ist jedoch völlig überflüssig. Die Handlung, geschildert aus dem Blickwinkel Sharns, des Schriftstellers, ist philosophisch überhöht und wirft Schlaglichter auf die psychischen Reaktionen der vier Raumfahrer.

10) Verhandlungsbasis (Basis for Negotiation, 1959)

Die Gegenwart. USA und China haben einander den Krieg erklärt, in den nun auch Russland eintritt. Was soll Großbritannien tun? Als alter Verbündeter und Hilfsempfänger der Amerikaner sollte es sich auf die Seite der USA schlagen, findet der hochrangige Dozent Simon Challington, der als Old-School-Vertreter sofort seine Seilschaften aktivieren will, um die Neutralitätserklärung der englischen Regierung zu kippen. Doch das erweist sich als gar nicht so einfach.

Zusammen mit seinem alten Freund David Woolf, einem Dozenten für Kernphysik, der aus der Arbeiterklasse stammt und sich bewaffnet hat, fährt er per Auto von Norfolk via Oxford nach London. Er stößt auf Protestgruppen und Straßensperren, ganz besonders vor den US-Stützpunkten. Dort stellt er fest, dass sich die britische Polizei auf die Seite der Amis gestellt hat. Kurz vor Oxford erfährt er, dass sich sein Freund Norman Parmettio, ein College-Dekan, umgebracht hat, um der Schande zu entgehen, die die Regierung über sein Land gebracht.

Schmerzerfüllt fährt Challington nach London weiter, wo er es mit knapper Not zum Außenministerium schafft. Er wird sogar zu Minister Tertis vorgelassen, der sich gerade im Gespräch mit Wirtschaftsminister Northleech befindet. Nach einem ersten Streit tritt unvermittelt General Schuller ins Zimmer. Er ist der Stellvertretende Generalstabschef der NATO und würde am liebsten sofort den Kriegszustand ausrufen. Weil vor dem Zimmer bereits Polizei und Soldaten den Zutritt versperren, die Challington und Woolf verhaften wollen, wird ein Hubschrauber angefordert.

In einem hitzigen Streit feuert Schuller auf Woolf, doch der schießt sterbend zurück und verwundet Schuller tödlich. Der Hubschrauber ist zu spät gekommen, Nun heißt es für Challington und Northleech, heil aus Whitehall rauszukommen, um den Premierminister in dessen Bunker unter dem Tower zu treffen. In Kürze will der US-Präsident eine TV-Ankündigung machen. Von den Amis hat man einige Stunden lang nichts mehr gehört, weil sie wahrscheinlich unter Beschuss waren…

Mein Eindruck

Was wie eine Kreuzung aus James Bond und John Wyndham anmutet, ist eine realistische Schilderung des Ausbruchs des 3. Weltkriegs. Doch dies ist nicht das einzige Science-Fiction-Detail. Wichtiger ist das titelgebende Mittel der Amerikaner, um den chinesischen und russischen Atomangriff abzuwehren: der „geogravitische Kraftfluss“. Worauf auch immer dieses Phänomen beruht (vermutlich Gravitation, obwohl diese viel zu schwach wäre), so reicht es doch aus, alle Raketen unschädlich zu machen. Die Amis haben noch nicht zurückgeschossen, gewähren aber eine Frist von 48 Stunden bis zum Gegenschlag – diese Drohung ist die titelgebende Verhandlungsbasis.

Die Amis danken den Briten für ihre Neutralität. Diese müssen einsehen, dass sie jetzt recht belämmert da stehen: Die Amis kommen ohne ihre „Freunde“ aus und haben sie erst recht nicht durch einen Abwehrschirm beschützt. Hong Kong, die britische Kolonie im Fernen Osten, ist bereits durch eine Nuklearbombe ausgelöscht worden – doch der Premier kann nichts dagegen unternehmen, will er nicht seine Neutralität aufgeben. Hong Kong – war a) ein Warnschuss und b) ein Test der Neutralität. Wie lange will Britannien diese Schmach noch hinnehmen? Challington fordert beschämt den Rücktritt des Premiers.

Englische SF-Autoren lieben es, Katastrophengeschichten zu erzählen. Auch diese ist eine, ganz im realistischen Stil des klassischen Romans berichtet. Nur deshalb vermag der Leser die zunehmend dramatischen Geschehnisse ernstzunehmen.

11) Der Hundertste Psalm (Old Hundredth, 1960)

In ferner Zukunft. Auf der terraformierten Venus sind die Unreinen erschaffen worden, Lebensformen, die schon längst ausgestorben waren, so etwa das Riesenfaultier und das Balutschitherium, ein fünf Meter hoher nashornartiger Grasfresser. Dandi ist so ein Riesenfaultier und reitet auf Mädi, einem Balutschitherium, eine Landstraße entlang. Die Straße ist ebenso wie die Erde von allen Menschen verlassen und höchstens geistig aufgerüstete Bären würden die Gegend unsicher machen.

Dandis Aufgabe bzw. Hobby ist es, die seltsamen Musiksäulen zu inspizieren, die sich auf die geistige Frequenz eines Passanten einstellen und ein passendes Lied von sich geben. Um solche Lieder zu erkennen, verfügt Dandi über eine telepathische Verbindung zu ihrem Mentor, einem uralten Delphin, der irgendwo in einer Korallenhöhle existiert. Er klassifiziert das Lied, mit dem Mädi begrüßt wird, als einen holländischen Kirchenchoral aus dem 16. Jahrhundert.

Als sie nach Hause kommt, stößt sie auf einen Einbrecher: einen sprechenden Bären. Er will ihr alle ihre Menschensachen rauben und fuchtelt mit einem Messer herum. Wie soll sie reagieren? Ihr mentor liebt alles Menschliche und will den Hass des Bären mit Hass und Gewalt vergelten. Dandi ist strikt dagegen. Sie überstimmt ihren Mentoren und schreibt den Bären an, er solle abhauen. Ihre furchteinflößende Riesengestalt schlägt ihn in die Flucht, führt aber auch dazu, dass sie die Türbalken und Stützmauern einreißt. In letzter Sekunde rettet sie sich aus dem zusammenkrachenden Haus.

Nachdem ihr erboster Mentor sie verstoßen hat, fühlt sich Dandi sehr einsam. Aber es gibt noch einen Weg, eine Spur zu hinterlassen. Sie reitet auf Mädi zur nächsten Musiksäule und macht es wie die verschwundenen Menschen: Sie vergeistigt sich selbst und speichert sich in der Säule. Als Musikstück wählt sie den Choral zum 100. Psalm…

Mein Eindruck

Die Geschichte endet quasi mit einem Gottesdienst, inklusive des „Wunders“ einer Transsubstantiation, einer Umwandlung in eine Daseinsform, wie sie in der katholischen Liturgie bis heute integriert ist. Das Besondere an Dandis Verwandlung sind die Vorbilder: Die toten Seelen der Menschen sind nicht ins Weltall davongeschwebt, sondern haben einen festen Ort in einer Regenbogenbrücke, die sich über die Erde spannt, das sogenannte Involut. Von dort kann man auf geheimnisvollem Wege die Erinnerungen der Altvorderen abrufen, so auch die ihres Mentors, des uralten Delphins.

Die Geschichte hat wenig Handlung, aber viel Szenerie und Stimmung. Sie erinnert an Aldiss‘ Entwürfe ferner Zukünfte wie etwa „Am Vorabend der Ewigkeit“ (Hothouse). Sie gleicht einer Transzendierung der Existenz, indem eine Unreine – eben Dandi – zu einer Vergeistigung und somit zu einer höheren Existenzebene gelangt. Mit welchem Recht, fragt sich der Leser? Mit dem Recht des Bewahrers des Menschlichen: der Erinnerungen und Memorabilien an die Werke der Menschen, wie sie etwa Psalmen und Choräle darstellen. Der 100. Psalm beginnt mit „Jauchzet dem Herrn alle Welt…“

12) Eine Art Kunst (A kind of artistry, 1962)

In ferner Zukunft hat sich die Menschheit über die Sterne ausgebreitet, wurde dabei aber geschwächt und dekadent. Von Stern 1 wird ein Hilfeersuchen an die Erde geschickt, wo noch wenige starke Menschen leben, die von Parthenos, also Klonen, bedient werden. Einer dieser Herren ist Derek Flamifew Ende, der mit seiner Lady in einer Burg über einem isländischen Fjord lebt. Der Abschied von ihr verläuft wenig harmonisch unter Vorwürfen, er würde sie im Stich lassen und verachten. Dann widmet sie sich wieder ihren Experimenten bei der Verwandlung von einer Lebensform in eine andere.

Vor Ort trifft Derek einige Zeit später auf Festi XV ein. Der Auftrag lautet, den „Felsen“, einen lebenden Berg, irgendwie davon abzuhalten, menschliche Schiffe zu zerstören. Der Felsen indes erweist sich als gewaltig und mit großer Gravitation ausgestattet. Tatsächlich handelt es sich um einen Asteroiden, der ein gewisses Bewusstsein erlangt hat: Er saugt Derek in dessen Anzug ein – und stößt ihn wieder aus, nachdem er ihm zwei Geschenke gemacht hat. Eines davon trägt Derek in den Kühlschrank seines Schiffes: eine Materialprobe. Das andere Geschenk wirkt unsichtbar auf seine Gene ein…

Die Menschen auf Festi XV sind ihm dankbar und wollen ihn belohnen. Er lehnt alle Angebote ab, besonders die erotischen, und wird für arrogant gehalten. Frustriert belauscht er, was die Kolonisten über ihn sagen. Er gehöre einer aussterbenden Rasse an. Kein Wunder, wenn die Söhne ihre Mutter heiraten müssen, um den Genpool reinzuhalten.

Wutentbrannt verlässt Derek diese Welt, doch der Empfang zu Hause könnte nicht kühler sein. Seine Mutter / Gattin ist abweisender als je zuvor und macht ihm Vorwürfe. Als er sie wütend ohrfeigt, ist sie entzückt, er beschämt. Er stürzt sich von einer hohen Klippe in den Fjord, doch dort verwandelt er sich in ein ganz anderes Wesen…

Mein Eindruck

Der Autor stellt die klassische Heldengeschichte à la Herakles in einen ganz neuen Kontext: Der Held verhält sich wie ein Ritter, der seiner Herrin ewige Treue geschworen hat. Angebote von anderen Evas werden abgewiesen. Doch diese Treuebeziehung ist durch das Inzest-Tabu getrübt. Erst als der Held seine Mutter schlägt, erzeugt dies Dankbarkeit bei ihr – und Beschämung in ihm. Da der Konflikt nicht aufzulösen ist, wählt der Held den Freitod.

Doch auch dieser ist nicht – nomen est omen – das Ende: Er verwandelt sich in ein anderes Wesen – entweder ist er eine Kreatur des „Felsens“ oder seiner Mutter, die Assoziationen an die Zauberin Circe weckt. In jedem Fall wird die Heldenfigur durch die Fremdbestimmung in der Statur und Bedeutung gemindert, was einer Umkehrung des Herakles-Mythos entspricht.

13) Der Mann in seiner Zeit (Man in His Time, 1965)

Die erste Weltraumexpedition zum Mars ist zurückgekehrt, doch bei der Landung ging etwas schief. Acht der neun Crewmitglieder kamen dabei um, nur Jack Westermark hat überlebt. Aus Casablanca hat ihn die britische Regierung nach Hause zurückgebracht, um Jack zu untersuchen. Dabei wurde eine psychologische Anomalie entdeckt, die man nicht erwartete: Jack nimmt seine Umgebung exakt 3,3077 Minuten vor allen anderen wahr und reagiert auch entsprechend. Es ist, als besäße er jetzt seine eigene Zeitempfindung – womöglich die des Planeten Mars. So als besäße jeder Planet seine eigene Zeit.

Endlich lässt die Regierung Jack zu seiner Frau Janet. Sie ist behutsam auf die Anomalie vorbereitet worden, dennoch trifft es sie wie ein Schlag, wie sich Jack ihr gegenüber verhält – so als sei sie gar nicht da. Ihre Gefühle für ihn geraten erheblich ins Wanken. Um mit der neuartigen Lage zurechtzukommen, stellt die Regierung dem Ehepaar einen Berater zur Seite. Clement Stackpole bemüht sich wie ein wahrer Gentleman, doch er redet genau wie die Bürokraten: hochgestochen und technisch. Das treibt Janet immer wieder zur Weißglut. Clem und Jack reden sogar darüber, Expeditionen zur Venus und zum Saturn zu schicken – nicht zu fassen: Es wird also noch mehr Ver-rückte geben!

Ein unglückseliger Vorfall bringt das Fass dann zum Überlaufen. Es ist Janet, die durch ihr fehlerhaftes Verständnis von dem, was ein „Ereignis“ ist, ihrem Mann Schmerz zufügt, obwohl sie ihm eigentlich helfen wollte. Stackpole erklärt es ihr und ihrer Schwiegermutter. Doch es fällt den Frauen schwer, derart fremdartige Konzepte zu erfassen, geschweige denn, sich darauf umzustellen. Die Trennung ist die einzig mögliche Konsequenz.

Mein Eindruck

Der bekannte britische SF-Autor, quasi schon der Doyen seiner nationalen Zunft (und ein wirklich feiner Kerl, wie ich nach einer Lesung beurteilen kann), wendet die Vorstellung einer minimalen Zeitverschiebung auf die wichtigste menschliche Beziehung an: Liebe und Ehe. Wichtig ist dabei, dass die Zeitverschiebung rein psychologisch begründet ist, also keinen Einstein’schen Gesetzen der Zeitrelativität unterliegt. Sonst müsste ja Westermark bei seiner Rückkehr zur Erde deren Ortszeit übernehmen. Das tut er aber nicht, sondern bleibt der Mars-Zeit verhaftet.

Auf die feinfühlige englische Art exerziert der Autor die verschiedenen Stadien des Zerfalls einer Ehe durch. Kurzzeitig denkt Janet sogar an eine Affäre mit Stackpole, doch schon bald merkt sie, dass der Psychologe ihr unsympathisch ist, weil er genauso technisch denkt wie Westermark selbst. Zwischen dieser Denkweise und ihrer eigenen, emotional betonten Empfindungsweise liegen Welten. Und wenn diese vermaledeiten dreieinhalb Minuten nicht wären, die Jack von ihrer Welt trennen, würde der Unterschied in ihrer Denk- und Empfindungsweise die Kluft herbeiführen. Diese Geschichte kann es mit den (späteren) Erzählungen von Philip K. Dick aufnehmen, etwa mit „Eine Kleinigkeit für uns Temponauten“ (1974).

Die Übersetzung

Der sprachliche Stil ist ausgezeichnet und makellos – typische Hermstein-Qualität. Die Druckfehler indes fand ich nicht so prickelnd.

S. 58: „Die hohen, knisternden Sterne…“ Ist das ein passender Ausdruck? Ich habe die Sterne schon funkeln und schimmern gesehen, aber noch nie knistern gehört. Sie geben nämlich keinen Mucks von sich.

S. 121: „Ungück“ statt „Unglück“.

S. 208: „Ich fragte mich, ob Sie nur britische Nonchalance zur Schau trugen…“ Da dies kein Dialog mit Anrede ist, verweist „Sie“ nicht auf ein gegenüber, sondern auf eine Menge. Das S muss daher klein geschrieben werden.

S. 258: „in einem einzigen kataklystischen Augenblick.“ Das Adjektiv ist nicht korrekt gewählt, denn es bezieht sich auf „Kataklysmus“, weshalb das korrekte Adjektiv „kataklysmisch“ lauten muss.

S. 260: „Tri[u]mphgefühl“. Das U fehlt.

Unterm Strich

Dieser Zusammenschnitt zweier von Aldiss‘ Story-Sammlungen aus den fünfziger Jahren ist vielleicht nicht allererste Sahne, aber die Auswahl zeigt erstens die enorme thematische und stilistische Bandbreite dieses Autors und zweitens enthält sie einige klassische Texte, die immer wieder abgedruckt werden. Dazu gehören „Poor Little Warrior!“, eine der witzigsten Geschichten über Großwildjäger und die Saurierjagd. Sie mag vielleicht antiquiert erscheinen, ist es aber nicht: Bis heute fahren immer noch betuchte Leute aus USA und Britannien nach Afrika, um dort extra dafür gezüchtete Löwen abzuknallen.

Roboter, Virtuelle Realität, Telepathie, ein Schwarzes Loch – manches davon ist mittlerweile auf dem Schrottplatz der Literaturgeschichte gelandet, so etwa Telepathie. Andere Themen sind heute aktueller denn je und längst keine SF mehr: Roboter, VR, KI, künstliches Leben, die Vertreibung des Menschen durch Maschinen. Worauf wir allerdings verzichten können, ist der Schallkrieg – nicht dass es keine Schallwaffen in den Arsenalen gäbe – und Gestaltwandler. Ein Problem, auf das wir in der globalisierten Welt immer wieder stoßen, ist die Rätselhaftigkeit fremder Kulturen, etwa in „Voraus“, wo „Die Gescheiterten“ (alternativer Titel) sich darüber beschweren, bei ihrem merkwürdigen Tun gestört zu werden.

Erotik kommt als Thema kaum zur Sprache, was allerdings nicht an der Unfähigkeit des Autors läge – er hat einige erotische Romane veröffentlicht , sondern an der Prüderie des Herausgebers Franz Rottensteiner und seines Verlags. Am ehesten kommt dafür noch „Eine Art Kunst“ infrage, in der der Held eine inzestuöse Beziehung zu seiner Mutter hat.

Humor hingegen blitzt immer wieder durch, am deutlichsten in den allerersten Storys „Wer kann den Menschen ersetzen?“ und „Eine Ewigkeit nicht so“. Die Novelle „Verhandlungsbasis“ hingegen lässt den Leser vermuten, dass Aldiss durchaus auch einen Spionageroman à la Ian Flemings Superagent „James Bond“ (der Ende der fünfziger Jahre immens erfolgreich war, lange bevor der erste Film entstand) hätte schreiben können. In „Tod im Staub“, „Der entfesselte Frankenstein“ und „Dr. Moreaus neue Insel“ finden militärische Auseinandersetzungen statt, die bis in die letzten Winkel der Erde spürbar sind. Man merkt eben, dass Aldiss selbst Soldat war und ihm militärisch-politische Hierarchien alles andere als fremd sind. Ich würde zu gerne mal seine Autobiografie lesen.

Für einen Einstieg in das Kurzgeschichtenwerk eines der wichtigsten britischen SF-Autoren eignet sich der Band durchaus. Aber später hat Aldiss ambitionierter und erfolgreicher geschrieben, so etwa eine „Future History“ und eine Weltkonstruktion wie Helliconia.

Taschenbuch: 313 Seiten
Brian W. Aldiss. Best Science Fiction Stories, 1965;
Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein
www.suhrkamp.de

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