Schauplatz Ottawa: Schlacht gegen das Böse
Als Sara Kendell und Jamie Tamson im Nachlass eines Historikers scheinbar gewöhnliche Artefakte entdecken, spüren sie die Anziehungskraft eines fernen Ortes: eine Welt aus Nebel und Wäldern, uralter Magie, legendären Wesen – und eines rastlosen Bösen.
Sie ziehen ihrerseits Gefährten und Feinde in Kanadas Hauptstadt Ottawa an: Blue, den Biker; Kieran, den Folk-Musiker; einen Inspektor von der Royal Mounted Canadian Police; und den geheimnisvollen Tom Hengyr. Zusammen mit ihnen werden Sara und Jamie durch die Portale in Tamson House in die Anderwelt gezogen, wo sich ihr Schicksal entscheidet…
1984 veröffentlicht, wurde dieser Klassiker der Urban Fantasy erst 1994 neu wieder aufgelegt und ist bei uns nie übersetzt worden.
Der Autor
Der 1951 geborene Kanadier Charles de Lint publizierte bereits 1979 seine erste Fantasy-Story und hat sich seitdem als einer der fleißigsten Autoren profiliert. Dabei verfasste er nicht nur Fantasy, sondern auch einen Horrorroman („Angel of Darkness“, unter Pseudonym) und einen SF-Roman mit dem Titel „Svaha“. Bei uns ist er bislang durch seine zwei Romane für Philip J. Farmers „Dungeon“ und durch die Fantasy-Romane „Das kleine Volk“ und „Grünmantel“ (alle bei Heyne) bekannt geworden.
Es wäre zu wünschen, dass sich seine Fangemeinde vergrößert, um auch die anderen zauberhaften Romane „Into the Dream“, „Yarrow“, „Moonheart“, „Memory & Dream“ und „Spirit Walk“ zu entdecken. Ein De-Lint-Buch ist immer ein Erlebnis, denn hier ist eine eigenständige Welt zu erforschen. Inzwischen hat es De Lint zu seiner Spezialität gemacht, Kurzromane in Eigenherstellung und mit niedrigster Auflage zu hohen Sammlerpreisen anzubieten.
Werke auf Deutsch:
1) Grünmantel (1998)
2) Das kleine Land (1994):
Band 1: Das verborgene Volk
Band 2: Die vergessene Musik
3) Das Dungeon 3: Tal des Donners
4) Das Dungeon 5: Die verborgene Stadt
Handlung
Entdeckungen
Ottawa im Jahre 1980. Als Sara Kendell die Kartons des verstorbenen Historikers Aled Evans sichtet, der ihr und ihrem Onkel Jamie Tamson seinen Krempel hinterlassen hat, stößt sie auf ein paar interessante Stücke. Die könnte sie vielleicht in ihrem Laden für Antiquitäten und Kuriositäten verkaufen. Ihre Börse würde es ihr danken. Da ist zunächst ein interessantes kleines Gemälde, das zwei Männer zeigt. Auf der einen Seite sitzt ein indianischer Ureinwohner mit einer Friedenspfeife, ihm gegenüber hockt ein älterer weißer Musiker mit einer kleinen keltischen Harfe an seiner Seite.
Ein Schamane und ein Barde, wie ungewöhnlich. Die Detailtreue des Bildes ist erstaunlich, ebenso wie die Augenfarben: die des Indianers sind von strahlendem Blau, die des rothaarigen Weißen blitzen grün wie Saras eigene Augen. Unversehens fühlt sie sich in das Bild hineinversetzt. Kopfschüttelnd löst sie sich davon.
Dann stößt sie auf den kleinen Lederbeutel. Auch hier finden sich allerlei interessante Details: die Klaue eines Fuchses, getrocknete Maiskörner, ein Federbüschel, ein runder Kieselstein, eine keltisch geritzte Scheibe aus weißem Knochen – und ein Lehmbällchen. Als sie an diesem herumpolkt, kommt ein goldener Ring zum Vorschein. In ihn sind ebenfalls keltische Schlingenmuster eingeritzt. Der Ring passt perfekt auf ihren Ringfinger, doch Sara nimmt ihn gleich wieder ab.
Sie ist sehr abergläubisch und geht schwarzen Katzen und verzauberten Ringen möglichst aus dem Weg. Als die neugierige Mrs. Hathaway eintritt und den Ring entdeckt, weigert sich Sara dennoch, das Kleinod zu verkaufen. Sie wirft Mrs. Hathaway regelrecht hinaus. Dann geht sie mit ihren Entdeckungen nach Hause zu Jamie.
Tamson House
Tamson House ist groß wie ein Schloss, ebenso labyrinthisch wie verwunschen. Es scheint die Geräusche, die die Außenwelt erzeugt, regelrecht abzuwehren. Während draußen ein fleißiger Gärtner sich um alles Wachsende kümmert, wirtschaften drinnen der Biker Blue und seine Frau in der Küche. Jamie Kendell, der Hausherr, hat ausgesorgt und widmet sich seinen biologischen Privatstudien. Sein wacher Geist interessiert sich sofort für die Funde, die seine Nichte Sara anschleppt. „Kelten und Indianer? Recht ungewöhnlich“, findet auch er. Sara, die inzwischen den goldenen Ring trägt, hängt das Bild in ihrer Suite auf.
Der Traum
Nach einigen Partien Go mit Jamie und einer Flasche Wein geht sie rechtschaffen müde zu Bett. Doch kaum hat sie die Augen geschlossen, als der Traum beginnt. Sie sieht zuerst ein aufwändig gezeichnetes keltisches Kreuz, dann die zwei Männer, den Schamanen und den keltischen Barden. Nur dass sie diesmal jeweils einen Bärenkopf (Schamane) und einen Hirschkopf (Barde) tragen. Die beiden bemerken sie nicht, denn sie sind damit beschäftigt, die weißen Knochenscheiben auf das Kreuzmuster fallen zu lassen. Also dafür sind die da, denkt die Beobachterin.
Ein Gefühl des Fallens erfasst sie, ganz so, als wäre sie selbst eine Knochenscheibe. Braungrauer Nebel umgibt sie, in ihr wächst ein Gefühl übler Vorahnung. Auf einmal erscheint ein bärenähnlicher Kopf im Nebel, in dessen aufgerissenem Maul gelbe Reißzähne stecken. Das Maul schnappt nach ihrem Gesicht und die Zähne zerbrechen ihre dünnen Knochen… Sie erwacht mit einem erschrockenen Keuchen. Gefahren lauern dort in der Anderwelt der Träume, und sie hat gerade ihre erste Warnung erhalten.
Der Zauberlehrling
Der Folksänger Kieran Foy kehrt nach vier Jahren Abwesenheit an der kanadischen Ostküste in seine Heimatstadt Ottawa zurück. Jean-Paul, ein alter Freund aus Jugendtagen, holt ihn am Bahnhof ab und gibt ihm Obdach in seinem noblen Haus, das sich nicht weit von Tamson House am Central Park befindet. Jean-Paul weiß um Kierans seelischer Verbindung zu seinem alten Mentor Tom Hengwr und versteht deshalb Kierans Besorgnis, dass er das Gefühl hat, Tom sei verschwunden.
Aber Kieran verfügt durch Toms Ausbildung über den Tiefenblick, und der sagt ihm, dass Jean-Paul, ein Ministerialbürokrat, ihn anlügt. Als er sich nachts grußlos aus dem Haus schleicht, entdeckt er zudem einen Bundespolizisten von der RCMP, der das Haus beschattet. Genauer gesagt: der Kieran beschattet. Kieran setzt seinen bezwingenden Hexenblick ein, um dem Cop ein paar Antworten zu entlocken und ihn vergessen zu lassen, dass er ihn gerade gesehen hat. Dann macht er sich aus dem Staub. Er überlegt kurz, im Tamson House um Obdach zu bitten, doch über dem Haus scheint ein Fluidum des Bösen zu liegen, also geht er weiter. Aber die Frage lautet nun, wie er den verschwundenen Mentor ohne fremde Hilfe finden kann.
Die Jagd beginnt
Die Existenz und Aktivitäten von Tom Hengwr sind nicht unbemerkt geblieben, sondern haben die Aufmerksamkeit zweier Institutionen auf sich gezogen: Wissenschaft und Polizei. Diese haben sich zusammengetan und heraus kam die Forschungsabteilung für paranormale Phänomene der Royal Canadian Mounted Police RCMP.
Inspector John Tucker, 45, leitet nun die Arbeit, die Dr. Hogue an Subjekten wie Tom Hengwr verrichten will. Sehr zu seinem Leidwesen, wie er heute morgen feststellt. Denn der Lauschangriff auf Dr. Jean-Philippe Gagnon, einen hohen Beamten, ist ebenso aufgeflogen wie die Beschattung von Kieran Foy ein Schlag ins Wasser war. Foy sollte die Cops zu Hengwr führen, war der Plan, doch nun droht Gagnon Tucker damit, zu den Medien zu gehen und die Polizei bloßzustellen. Und alles bloß wegen ein paar unbewiesenen Theorien Hogues, die Hengwr zu einem Meisterverbrecher stempeln.
Gagnon ist sich seiner Schuld bewusst, seinen Freund Foy betrogen zu haben, indem er ihm die faule Geschichte der RCMP erzählte. Nur der verbale Kniefall Tuckers und die vollständige Offenlegung der Fakten halten ihn davon, zur Presse zu gehen. Außerdem nimmt er Tucker das Versprechen ab, zuerst mit Foy sprechen zu können, sobald man seinen Freund auf dessen Suche nach seinem Mentor wiederentdeckt hat. Wann und wo auch immer das sein mag. Und schließlich soll die Macht, über die die beiden verfügen, nicht in die Hände von Terroristen fallen, oder?
Der Angriff
Nachdem Tucker nicht nur Jamie wegen der Knochenscheibe verhört, sondern auch noch Sara nach dem Verbleib von Kieran Foy und Tom Hengwr (den sie bestens kennt) befragt hat, beginnt sich Sara für die Vorgänge zu interessieren. Sie erinnert sich an ihren schlimmen Traum und erwähnt ihn gegenüber Tucker. Etwas Unbekanntes und Unsichtbares nähert sich ihr, und sie will lieber vorbereitet sein. Deshalb sucht sie nach Kieran Foys früherer Band und deren Stammlokal „Faces“. Sie ahnt nicht, dass sie von Tuckers Cop Thompson beschattet wird, als sie in die Innenstadt geht.
Während sie in einem Bistro auf ein bestimmtes Bandmitglied wartet, taucht dort plötzlich Kieran Foy auf. Sie erkennt ihn sofort anhand des Fotos, das Tucker ihr gezeigt hat, und spricht ihn laut darauf an. Er ist wie erstarrt. Als wäre dies das Startsignal gewesen, springt Thompson mit gezogenem Revolver von seinem Sitz im Hintergrund des Lokals auf und brüllt: „Keine Bewegung!“
Doch Kieran reagiert völlig unerwartet auf diesen Angriff. Statt dem Befehl Folge zu leisten, hebt er die Arme und geht auf den Polizisten zu, schiebt Sara aus der Schusslinie und berührt Thompson. Was dann geschieht, verstehen die Restaurantbesucher, die schnellstens das Weite suchen ebensowenig wie der Besitzer des Lokals. „Ich hörte Trommeln und Gesang, und ein Blitz strömte aus Foys Händen, der in die Dunkelheit fuhr, die den Polizisten umgab….“
Inspector John Tucker kann nur den Kopf schütteln, als er die Zeugenaussagen liest. 24 Zeugen sagen das Gleiche aus: Dass Kieran Foy und Sara Kendell spurlos aus dem Lokal verschwunden seien…
Mein Eindruck
Neben der hiesigen, in Kanada angesiedelten Realitätsebene gilt es noch viele weitere zu entdecken: die Ebenen und Zeitschichten der Anderwelt. Dies machen Kieran und Sara auf ihren zunächst getrennten Wegen. Diese Weise unterscheiden sich, weil die beiden Geistwanderer unterschiedlichen Geschlechts sind.
Kieran, der Mann, wird von den einheimischen Göttern dieser Anderwelt gezwungen, eine Herausforderung zum Kampf anzunehmen. Dabei ist er als Harfner alles andere als ein Kämpfer. Er weiß gerade mal, wo bei einem Speer das spitze Ende ist. Dennoch muss er aufgrund eine Intrige einer Göttin gegen den Gott des Krieges antreten. Doch er hat eine mächtige Fürsprecherin: Ha’kan’ta gehört zu der indianischen Gemeinschaft, die den Göttern bislang beigestanden hat. Dieser Beistand wird nun aufgekündigt, weil Kieran ausgetrickst worden ist. So kommt es, dass Kieran mit Ha’kan’tas Stamm alleine den schwarzen Dämon angreift, der hinter allem steckt.
Sara Kendell erlebt ein völlig anderes Schicksal. Da auch sie Tom Hengwr kennt, lernt sie durch dieses geistige Band dessen Widersacher, den berühmten Barden Taliesin, kennen – und verliebt sich in diesen geistigen Mentor. Er ist die Bardengestalt auf dem Gemälde, das sie zu Beginn entdeckte, ein Rotbart mit großen magischen Fähigkeiten.
Dunkle Vorgeschichte
Was ihrer gemeinsamen Liebe und Kierans Schicksal zum Verhängnis wird, ist die tragische Vorgeschichte, die bis ins keltische Wales zurückreicht. Wie man aus Taliesins Gesang „Die Schlacht der Bäume“, abgedruckt in Robert Ranke-Graves‘ Klassiker „Die Weiße Göttin“ weiß, wurde der Meisterbarde vom König von Wales. Maelwyn, eingeladen, sich mit dessen Hofbarden zu messen. Doch er war ihnen haushoch überlegen, was dem König sehr missfiel. Er ließ Taliesin von seinem ersten Barden auf den Ozean jagen.
Dieser Oberbarde war kein anderer als Tomasin Hengwr t’Hap. Taliesin verwandelte ihn in einen stehenden Stein, der die Steilküste überragte. Doch der Zauber ließ wie alle Zauber im Laufe der Jahrtausende nach. Tom Hengwr kam frei, aber auch seine finstere Hälfte, der schwarze Dämon Mal’ek’a. Dieser erschuf die bärenhaften Monster der Tragg’a, die zunächst Kieran und Sara angegriffen, und nun das Tamson-Haus. Denn dorthin ist Tom Hengwr zurückgekehrt – und hat alle seine Bewohner in tödliche Gefahr gebracht.
Der Kampf in der Gegenwart
Während Sara und Kieran ihre Kämpfe und Liebesgeschichten über verschiedene zeitebenen hinweg erleben, spitzt sich die Lage im Tamson Haus von Stunde zu Stunde zu. Special Inspector John Tucker hat sich als einziger Cop Zutritt zum Haus verschaffen können. Der einzige Kämpfer dort ist der Indianer Blue, dessen Freundin Sally ihm zu helfen versucht. Sir Tamson selbst ist eher der Wissenschaftlertyp aus viktorianischen Zeit, hat aber nützliche Infos beizusteuern, so etwa über Taliesin, den Barden auf dem Gemälde, und dessen Streit mit dem magischen Barden Tom Hengwr. Über die Bekämpfung von monsterähnlichen Tragg’a oder gar einen Oberdämon mit Namen Mal’ek’a weiß aber auch Sir Tamsons Computerdatenbank nichts. Insgesamt hat das Haus also nur zwei Kämpfer gegen eine Armee von Monstern aufzubieten.
Spezielle Häuser
Zu allem Überfluss schläft auch der Urheber des ganzen Ungemachs nicht. Ein Medienmogul hat den Oberstaatsanwalt erpresst, die ganze Spezialabteilung ins Leben zu rufen, um die spirituellen Kräfte, die angeblich im Tamson Haus walten, zu untersuchen. Special Inspector Tucker richtet aber nichts aus, und deshalb schickt der Mogul seine weniger gesetztestreue Killertruppe vor. Ein Finsterling namens Gannon und seine Schlägertypen mit dem nervösen Zeigefinger können in Tamson Haus eindringen. Dort sehen sie sich aber einem kleinen relativistischen problem gegenüber: Innen sieht das Gebäude recht normal aus, draußen aber ist Ottawa durch eine bewaldete Wildnis abgelöst worden. Das ist das Problem mit Häusern, die auf zwei Realitätsebenen existieren…
Finale Schlacht
Das Heer der Tragg’a lässt nicht lange auf sich warten, und es lässt sich auch nur äußerst schwer aufhalten. Das finden sämtliche Kämpfer auf die harte Tour heraus. Es ist auch wenig hilfreich, dass sich Tucker und Gannon wenig vertrauen., hat Gannon doch den geheimen Auftrag, Tucker auszuschalten. Das verringert die Kampfkraft und gibt den Monstern Gelegenheit, ins Haus einzudringen…
Wie einst Sauron hebt sich der oberste Dämon seinen Auftritt für die Endphase auf. Er hat nur ein Ziel: Jeder, der sich ihm und Tom Hengwr stellt, muss sterben. Das gilt auch für die inzwischen beträchtlich an Zaubermacht zugewonnenen Kieran und Sara. Was kann gegen das ultimative Böse bestehen? Zum wachsenden Erstaunen des Lesers sammeln sich unerwartete Kräfte, um den unter einem Fluch stehenden Barden Tom zu verteidigen. Doch am Ende muss auch er ein großes Opfer bringen.
Die Beobachter aus der wackeren RCMP-Polizeitruppe von Ottawa sind mit einem Rätsel konfrontiert. Von außen sieht das Tamson Haus recht normal aus, von seiner enormen Größe mal abgesehen. Doch wenn durch die Fenster hineinschaut, ist drinnen nichts außer leeren Räumen zu sehen. Nur die unheimliche Lichterschau und der Kampfeslärm, die herausdringen, locken eine Menge von Gaffern und Cops an. Was ist da zu unternehmen?
Der Anhang
Ein gesonderter, recht umfangreicher Anhang beschreibt das vom Autor erfundene Spielsystem von „The Weirdin“, auf das Sara schon in der ersten Szene stößt. Der weiße Spielstein wird fürs Spielen von Weirdin benötigt. Wieviele Steine für einen Zug nötig sind und was sie bewirken, wird nicht ausgeführt, aber ein Spielfeld mit zahlreichen Feldern, die eine Kreuzform bilden wird detailliert erläutert. Hier wird die spirituelle Schlacht ausgetragen.
Textfehler
Die Textform ist durchaus verbesserungsfähig.
S. 125: „But how you so it?“ Statt „so“ sollte es „do“ heißen, damit der Satz einen Sinn ergibt.
S. 215: „Pocketing his eyes, he got out of the Buick…“ Ein Buick ist bekanntlich ein PKW und benötigt „keys“ statt „eyes“, um gestartet zu werden.
S. 254: „Before the echoed had died away, Blue was on his feet…“ Statt „echoed“ muss es „echoes“ heißen.
S. 329: „“Seems like one of the birds has flown the coup“, Gannon replied.“ Der Lektor hat hier mal wieder geschlafen. Ein Taubenschlag heißt nämlich nicht „coup“, sondern „coop“.
Unterm Strich
In „Moonheart“, das bei uns nie erschien, ist es dem Autor gelungen, die spirituelle Ebene mit ihren Gefahren und Verwandlungen halbwegs plausibel mit der Realität des Jahres 1980, in dem die Geschichte spielt, zu vereinen. Die Vorgängerromane spielten in einer reinen Fantasy-Welt oder einer vergangenen Epoche historischer Magie, sei es mit Hexen, sei es mit Barden.
Die Versetzung ins kanadische Ottawa hat dem Buch aber nicht geschadet, im Gegenteil: Der Autor führt eine kriminelle Handlung ein, die Hand und Fuß hat. Es handelt sich um die Intrige eines mächtigen Medienmoguls, wie es sie in Kanada durchaus gibt, und sie hat die Magie von Tamson House zum Ziel. Damit hat er sich einen Bissen vorgenommen, der für ihn eine Nummer zu groß ist. Die Konsequenzen dieses Einsatz erweisen sich als Querschläger, der sowohl den Mogul als auch seinen handlanger, den Oberstaatsanwalt bloßstellt. Diese Gesellschaftskritik ist sowohl unerwartet als auch sehr willkommen. Die Fantasy hat das Nimmerland verlassen.
Finale mit Joker
Die mehrsträngige Geschichte liest sich ebenso spannend wie unterhaltsam, mystisch und romantisch. Das Finale, das sich über das ganze letzte Drittel hinzieht, ist ungewöhnlich actionreich und endet sowohl tragisch als auch zufriedenstellend. Eine Joker-artige Figur namens Pukwudji, die Saras Freund geworden ist, spielt dabei eine Rolle, die für überraschende Wendungen sorgt. Auch die Geister der Anderwelt haben ein Schicksal und müssen sich verändern.
The Quest
Die beiden Hauptfiguren Kieran und Sara durchlaufen die üblichen Entwicklungsphasen, die aus Joseph Campbells Studie „The Hero of a Thousand Faces“ bekannt ist. Beide sind elternlos (Sir Tamson ist Saras Onkel, genau wie Bilbo der Onkel des elternlosen Frodo ist) und müssen ihren speziellen Lebensweg finden. Liebe und Kampf spielen je nach Geschlecht eine zentrale Rolle. Mindestens eine Todeserfahrung ist obligatorisch. Von der schlussendlich erreichten Entwicklungsposition aus sind die Figuren bereit, in den Kampf von Gut gegen Böse einzugreifen. Je nach ihrer Wahl kämpfen sie für das Gute oder nicht.
Ironie
Lange Zeit denkt der Leser, Tom Hengwr sei eine Figur des Guten. Jedenfalls indoktriniert er jeden, der es wissen will oder nicht, dass sein Gegner Taliesin vom Bösen besessen sei. Diese Irreführung stellt sich erst im laufe der zeit als solche heraus. Bis dahin fragen wir uns bange, ob sich Sara, als sie sich in Taliesin verliebt, nicht einen schrecklichen Fehler begeht und somit in Gefahr schwebt. Sehr raffiniert! Doch über oder lang kann Hengwr seiner Strafe nicht entgehen. Das erfolgt im tragischen Höhepunkt des langen Finales.
Anachronistisch?
Von Anfang hatte ich das Gefühl, in der falschen Welt gelandet zu sein. Kuriositätenläden wie der von Sara passen inzwischen, nach 35 Jahren, nur noch in Steampunk-Romane. In denen feiert die Nostalgie-Sehnsucht nach viktorianischen Verhältnissen fröhliche Urständ. Anno 1984 befand sich der Autor und sein Roman auf der Höhe der Zeit, denn „Das Silmarillion“ war 1977 veröffentlicht worden und die erste Verfilmung des „Herrn der Ringe“ war erst kürzlich in den Kinos gewesen. 1982 war Jahr von Fantasy, Horror und Science Fiction gewesen, wobei die Spezialeffekte bis dato nie Gesehenes möglich zu machen schienen.
Und die anglo-keltische Romantik war noch nicht abgeklungen, im Gegenteil: Sie fing gerade erst. Frauenfiguren konnten Heldinnen sein, und wussten mit solcher Romantik durchaus etwas anzufangen. „Die Nebel von Avalon“ würden bald wabern, Gillian Bradshaws Gawain-Trilogie Erfolge feiern und Patricia Keneally mit ihren Kelten eine Dauer-Serie starten. Fantasy startete durch. 35 Jahre später sieht die Welt anders aus, und nur noch die Magie des Waldes ist uns geblieben – als offenbar letztes Refugium der spirituellen Welt. Daher gefielen mir die Anderwelt-Kapitel auch viel besser als jene Szenen, die im Tamson-Haus spielen, obwohl sich die beiden Schauplätze ergänzen.
Die Erklärungen zum Weirdin-Spiel fand ich unzureichend, die Druckfehler des Originals – nicht etwa in der nonexistenten Übersetzung – fand ich bedauerlich. Das gibt Punktabzug.
Paperback: 447 Seiten
Originaltitel: Moonheart, 1984
ISBN-13: 9780312890049
Tor Books
Der Autor vergibt: