Conte, Domenico – Oswald Spengler. Eine Einführung

Ein kleines Rätsel zum Einstieg: Wann und von wem wurden folgende Sätze geschrieben?

„Die Diktatur der Parteihäupter stützt sich auf die Diktatur der Presse. Man sucht durch das Geld Leserscharen und ganze Völker der feindlichen Hörigkeit zu entreißen und unter die eigne Gedankenzucht zu bringen. Hier erfahren sie nur noch, was sie |sollen|, und ein höherer Wille gestaltet das Bild ihrer Welt. Man braucht nicht mehr, wie die Fürsten des Barock, die Untertanen zum Waffendienst zu verpflichten. Man peitscht ihre Geister auf, … bis sie Waffen |fordern| und ihre Führer zu einem Kampf zwingen, zu dem diese gezwungen sein |wollten|.“
Ein politischer Beobachter des Irak-Kriegs 2003?

„Auf dieser Stufe beginnt das … Stadium einer entsetzlichen Entvölkerung. … [Die Bevölkerung] wird von der Spitze herab abgebaut, zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich das Land […] Und trotzdem schwindet die Bevölkerung rasch und in Masse dahin, trotz der verzweifelten Ehe- und Kindergesetzgebung“
Ein Soziologe zur neuesten demographischen Studie der Bundesregierung?

Nein, diese Worte schrieb Oswald Spengler (1880-1936) in seinem 1918/22 erschienenen Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“. In diesem tausendseitigen Werk stellt er die Theorie auf, dass in einer normal regellosen Geschichte manchmal die Menschen eines bestimmten Großraums unter dem Eindruck der Landschaft plötzlich von einem einheitlichen Weltbild und Weltgefühl erfasst werden. Dann entsteht eine Hochkultur, in der dadurch alle kulturellen Äußerungen (Politik, Religion, Wissenschaft, Kunst) einen inneren Zusammenhang haben und die nun wie ein Organismus bestimmte schicksalhafte Stadien (Wachstum, Blüte, Reife, Alterung, Tod) durchläuft.

Der italienische Spengler-Experte Domenico Conte hat eine Einführung in das Denken dieses Kulturphilosophen vorgelegt. Nach einer kurzen Darlegung der Selbsteinschätzung Spenglers und biographischen Angaben aus der Zeit _Vor dem „Untergang“_ führt das erste große Kapitel in die Grundgedanken des Hauptwerks ein: Conte stellt zunächst kurz die Kapitel beider Bände von _“Untergang des Abendlandes“_ vor, um dann der Reihe nach die wichtigsten Grundgedanken dieses Buches wie den Zusammenhang von Kultur und Zivilisation oder den Gegensatz von Natur und Geschichte darzulegen. Die Reihenfolge, in der die Hauptgedanken behandelt werden, erscheint zunächst etwas regellos. Aber bald entdeckt man in Conte einen profunden Spengler-Kenner. Seine Ausführungen, insbesondere zur Seele als kulturstiftender Kraft oder zu Spenglers Ursymbolen, sind kurz und treffend, die angeführten Zitate sehr gut ausgewählt. Vielleicht hätte man hier noch etwas zur Bedeutung der Landschaft, ihrer Topographie und Vegetation, bei der Entstehung einer Hochkultur sagen können. Immer wieder kehrt Conte zu Spenglers Auffassung von Kulturen als Organismen zurück und widerlegt damit unsinnige, aber seit Jahrzehnten unausrottbare Fehlurteile, etwa die Vorwürfe des Pessimismus oder Defätismus gegen Spengler.

Es verwundert zunächst, dass zwischen der Einführung in Spenglers kulturgeschichtliches und derjenigen in sein politisches Denken das Kapitel über _Vordenker und geistige Väter_ eingefügt ist, dies wird bald aber klar durch die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse. Der erste Band von „Untergang des Abendlandes“ war auf der Stelle ein Verkaufsschlager und wurde bald Gegenstand der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion, die sich auch um die geistigen Vorläufer Spenglers drehte. Conte befasst sich zunächst natürlich mit Goethe und Nietzsche, auf die Oswald Spengler selber ausdrücklich verwiesen hatte. Hier zeigt der Autor knapp aber deutlich die Einflüsse der beiden großen Denker auf. Dann nennt er weitere Köpfe und Traditionen, von denen Spengler profitierte, von Hegel über verschiedene geschichtsmorphologische Konzepte aus dem 19. Jahrhundert bis zur Kunstgeschichte, deren Denkweise auf Spengler auch über den Bereich von Kunst und Kultur weit hinausreichte. Erstaunlich ist aber, dass der Althistoriker Eduard Meyer, der mit seiner neuen Interpretation der Antike sehr stark auf Spengler wirkte und vermutlich die am häufigsten zitierte Quelle im „Untergang“ sein dürfte, hier nicht erwähnt wird.

Danach wird also _Der politische Autor_ Oswald Spengler dargestellt. Natürlich stehen hier der Aufsatz „Preußentum und Sozialismus“ (1919) und sein Vermächtnis „Jahre der Entscheidung“ (1933) im Mittelpunkt. Es spricht wieder sehr für den Autor, dass er den schillernden und oft missverstandenen Spenglerschen Begriff |Sozialismus| auf Gedanken aus dem „Untergang“ zurückführt und damit aus tagespolitisch begründeten Missverständnissen zieht. Aus „Jahre der Entscheidung“, „das einzige unverkennbar regimekritische Werk“ (Frank Lisson) jener Zeit, werden einige Hauptgedanken referiert. Insgesamt bleibt dieses Kapitel aber eher schwach. Die politischen Thesen Spenglers werden sehr oft in eine enge Verbindung zu damaligen politischen Auseinandersetzungen gebracht. Dass Spenglers politisches Schreiben eher wirkungslos blieb, verleitet Conte gelegentlich zu einem ironischen Unterton. Dabei kommt der Bezug zu Spenglers Erkenntnissen aus dem „Untergang“ zu kurz. Für Spengler war Geschichtsmorphologie, d.h. die Lehre von der (typischen) Gestalt historischer Epochen, nie eine theoretische Spielerei im Elfenbeinturm, sondern sie sollte immer auch praktisch zu einer besseren Lageeinschätzung und damit Politikformulierung genutzt werden.

Seit Mitte der 20er Jahre widmete sich Spengler verstärkt Studien zu grundlegenden kulturphilosophischen Fragen. Seine Aufzeichnungen dazu wurden erst nach seinem Tode geordnet und schließlich in den 60er Jahren veröffentlicht. _Die postum erschienenen Werke_ behandelt das letzte Kapitel. Die „Frühzeit der Weltgeschichte“ ist wieder ein geschichtsmorphologisches Buch, das sich mit einer primitiveren Kulturstufe als den Hochkulturen aus dem „Untergang“ befasst. Auf diesem Gebiet ist Conte offenbar zu Hause. Wieder referiert er sicher und sehr dicht die Hauptthesen. Durch Querverweise auf verwandte Gedanken in kleinen Schriften und Redemanuskripten macht er die Bedeutung dieser neueren Erkenntnisse für Spengler deutlich. Sehr interessant sind auch die Ausführungen, inwieweit Thesen aus dem „Untergang des Abendlandes“ bestätigt, ergänzt oder zurückgenommen werden. Die „Urfragen“, eine „Metaphysik des Lebens“, entwickelt aufgrund der Gegenüberstellung von Pflanze und Tier eine Anthropologie, welche eine Grundlage für die übrigen geschichtsphilosophischen Thesen wird. Auch hier haben wir wieder eine klare, prägnante und verständliche Arbeit von Conte.

Nach einer mehrseitigen Zeittafel zu Leben und Werk folgt noch ein Anhang über _Die Geschichte der Spengler-Rezeption_. Hier wird chronologisch die Auseinandersetzung mit Spengler vorgestellt, von den ersten heftigen Kontroversen ab Erscheinen des ersten Bandes des „Untergangs“ bis zu neueren wissenschaftlichen Publikationen. Kurz wird die Aufnahme seiner Gedanken in unterschiedlichen Ländern und Fachbereichen geschildert. Arnold Toynbee, der mit „A Study of History“ ein ähnliches Werk schrieb, wird leider nur knapp angerissen. Überraschenderweise unterschlägt der Italiener Conte seinen Landsmann Julius Evola vollständig.

_Fazit_
Domenico Contes kurzer Band bietet eine knappe, kenntnisreiche Einführung in Spenglers Denken, mit den erwähnten Einschränkungen bei den politischen Schriften. Einem Spengler-Neuling kann das Buch unbedingt empfohlen werden. Aber auch dem etwas fortgeschritteneren Leser bietet es noch wertvolle Hinweise. Oswald Spengler erfährt in den letzten Jahren wieder ein stärkeres Interesse, besonders seitdem immer wieder ein Einfluss Spenglers auf aktuelle amerikanische politische Bücher (S. Huntington: „Kampf der Kulturen“, Z. Brzezinski: „Die einzige Weltmacht“) vermutet wird, die ihrerseits die gegenwärtige Politik der USA beeinflusst haben sollen. Insofern ist die Übersetzung von Contes Buch auch für den politisch Interessierten keinen Moment zu früh erschienen.