John Fowles – Die Grille. Historischer Krimi

Schwarze Magie mit Erstkontakt

Im April 1736 verschwindet in einer entlegenen englischen Grafschaft unter mysteriösen Umständen eine Reisegruppe hochgestellter Persönlichkeiten. Was als spannender historischer Kriminalfall beginnt, entpuppt sich bald als vielschichtige Parabel der europäischen Geistes- und Sozialgeschichte.

Dieser berühmte Roman des englischen Romanciers tarnt sich als Kriminalfall, bei dem mehrere Todesfälle mit religiösen Erscheinungen in Verbindung gebracht werden. Doch wer sind die mysteriösen Fremden in diesem Stück? Etwa Leute von einem anderen Stern?

Der Autor

John Robert Fowles (* 31. März 1926 in Leigh-on-Sea bei London; † 5. November 2005 in Lyme Regis) war ein englischer Erzähler, Dichter und Essayist, der als einer der ersten postmodernen Autoren die Literatur des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst hat. (Wikipedia.de)

Werke

1963: The Collector; Roman; revidierte Ausgabe 1979; dt.: Der Sammler, 1964
1964: The Aristos – A Self-Portrait in Ideas; philosophischer Traktat in Anlehnung an Ludwig Wittgenstein; revidierte Ausgabe 1980
1965: The Magus; Roman; revidierte, letztgültige Ausgabe 1977; dt.: Der Magus, 1969/1980
1969: The French Lieutenant’s Woman; Roman; dt.: Die Geliebte des französischen Leutnants, 1970
1973: Poems; Gedichte
1974: The Ebony Tower; Erzählungen; dt.: Der Ebenholzturm, 1975
1974: Shipwreck; Fotoband; dt. Schiffbruch, 1976
1977: Daniel Martin; Roman; dt. Daniel Martin, 1980
1978: Islands; Fotoband (Scilly-Inseln)
1979: The Tree; Essay über die Natur, die Kunst und das Schreiben; illustrierte Neuausgabe 2016
1980: The Enigma of Stonehenge; Fotoband
1982: Mantissa; Roman; dt. Mantissa, 1984
1982: A short history of Lyme Regis
1983: Lyme Regis: Three Town Walks; revidierte Ausgabe 2003
1985: A Maggot; Roman; dt. Die Grille, 1987
1985: Land; Fotoband (engl. Landschaften)
1990: Lyme Regis Camera; Bildband mit historischen Aufnahmen von Lyme Regis
1998: Wormholes – Essays and Occasional Writings
2003: The Journals – Volume 1; Tagebücher 1949 – 1965
2006: The Journals – Volume 2; Tagebücher 1965 – 1990
2012: Selected Poems mit zahlreichen bis dahin unveröffentlichten Gedichten

Verfilmungen

1965: The Collector, Regie: William Wyler; dt.: Der Fänger
1968: The Magus mit Anthony Quinn, Michael Caine, Anna Karina, Candice Bergen; dt.: Teuflische Spiele
1974: The Last Chapter (nach einer unveröffentlichten Kurzgeschichte des Autors)
1980: The Enigma (nach der gleichnamigen Erzählung aus The Ebony Tower)
1981: The French Lieutenant’s Woman, Regie: Karel Reisz; mit Meryl Streep, Jeremy Irons; dt.: Die Geliebte des französischen Leutnants
1984: The Ebony Tower mit Laurence Olivier, Greta Scacchi; dt.: Der Elfenbeinturm

Handlung

Am letzten Aprilabend (Walpurgisnacht) des Jahres 1736 übernachten zwei Adelige in Begleitung ihrer Diener und einer Magd in einem Dorf im rauhen Südwesten Englands, in Devonshire. Der eine Diener ist ein großspuriger Raufbold, der andere ein schwachsinniger Taubstummer von eindrucksvoller Schönheit.

Bald nach der Abreise der Gruppe wird der Taubstumme erhängt im Wald gefunden, einen symbolträchtigen Strauß Veilchen im Mund. Die anderen Reisenden sind verschwunden. Der Rechtsanwalt Ayscough stellt im Auftrag einer inkognito bleibenden Persönlichkeit aus dem Hochadel Untersuchungen über den mysteriösen Mordfall an.

Seine Verhöre, die in historisch genauer Diktion wiedergegeben (und dementsprechend schwer zu lesen) sind, zeichnen ein zunächst verwirrendes, dann jedoch zunehmend erstaunlicheres Bild der Vorkommnisse jener Nacht. Die Verhörten, einfache Leute, erklären seltsame Erscheinungen im Gefolge der Reisegruppe im Stil ihrer Zeit mit schwarzer Magie, pervertierter Sexualität und religiösen Offenbarungen.

In den Aussagen der einfachen Leute regt sich bereits auch der moderne Geist der Rebellion gegen die Unmenschlichkeit des 18. Jahrhunderts. Wenig später kommt Ann Lee zur Welt, eine Revolutionärin des Glaubens, die auch in den Vereinigten Staaten für Furore sorgte. Doch wer ist ihr Vater?

Und wer sich nun fragt, was denn nun des Pudels Kern sei, dem sei so viel verraten: Es geht um einen Erstkontakt mit einer außerirdischen Zivilisation.

Mein Eindruck

Was als Kriminalerzählung beginnt, nimmt bald Untertöne eines philosophischen Traktats an. Der kunstvollen Verflechtung unterschiedlicher Weltsichten in Fowles‘ Buch entspricht eine Vielfalt von Erzähltechniken – wozu auch fiktive Zeitungsausschnitte gehören, die originalgetreu übersetzt und reproduziert sind. Diese entziehen das Buch jeder Zuordnung zu einer bestimmten Literaturgattung, es sei denn der einer „Grille“ im alten Wortsinn (auch im Englischen), eines launenhaften und phantastischen Einfalls.

Historisch peinlich genau und, wie gesagt, in der Diktion der Zeit – was den deutschen Leser an den „Simplicissimus“ erinnert – zeichnet Fowles mit seinem Kriminalfall ein Porträt der anbrechenden Moderne. Es ist ein engagiertes Traktat über die Moral, über die soziale Bedingtheit von Verbrechen und Strafe, von Gut und Böse, und nicht zuletzt eine Hommage an die Tugend des Zweifelns.

Als Erstkontakt-Roman steht „Die Grille“ gleichwertig neben „Sarah Canary“ von Karen Joy Fowler (welche Ähnlichkeit der Namen!). An Virtuosität der Darbietung und Leidenschaft in der Aussage ist es aber kaum zu übertreffen.

Taschenbuch: 576 Seiten
Originaltitel: A Maggot, 1985
Aus dem Englischen übertragen von Hans Wolf
ISBN-13: 9783499126925

www.rowohlt.de

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