Daphne du Maurier / Regina Ahrem – Wenn die Gondeln Trauer tragen (Filmhörspiel)

Unheimlicher Thriller: Vorausgesagter Tod in Venedig

Nach dem tragischen Unfalltod ihrer kleinen Tochter fahren John und Laura Morrison nach Venedig, um etwas Abstand zu gewinnen. Kaum angelangt, deuten jedoch mysteriöse Vorfälle und Zeichen darauf hin, dass der Albtraum noch nicht zu Ende ist. Ein psychopathischer Mörder versetzt die Stadt in Angst und Schrecken …

Die Autorin

Daphne du Maurier wurde 1907 in London geboren und starb 1989 in Cornwall mit dem Titel „Dame of the British Empire“. Sie wuchs in einer kultivierten Künstlerfamilie auf und begann bereits früh mit dem Schreiben eigener Kurzgeschichten. Als Neunzehnjährige ließ sie sich im elterlichen Ferienhaus in Cornwall nieder, wo sie ihren ersten Roman „Der Geist von Plyn“ schrieb, der 1928 veröffentlicht wurde. Mit ihrem Mann Frederick Browning bezog sie den düsteren Landsitz Menabilly an der stürmischen Küste, dem sie 1938 als „Schloss Manderley“ ihren von Hitchcock verfilmten Roman „Rebecca“ ein Denkmal setzte. Von der Kritik eher geschmäht, lebte sie fern der Empfänge und Interviews mit ihrer Familie und ihren Hunden in Cornwall.

Neue Aufmerksamkeit erfuhr du Mauriers Schaffen seitens der Frauenbewegung, als nach ihrem Tod bekannt wurde, dass sie zeitlebens gegen ihre versteckten lesbischen Neigungen angekämpft hatte und sich selbst als „Junge in der Schachtel“ bezeichnete. Sie veröffentlichte fünfzig Jahre lang Romane, Theaterstücke, Erzählungen und Biographien.

Bekannt sind auch ihre Vorlagen zu Hitchcocks Filmen „Riffpiraten“ (Jamaica Inn, 1936) und „Die Vögel“ (The Birds, 1952). „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (Don’t look now) wurde 1973 von Nicolas Roeg kongenial mit Donald Sutherland und Julie Christie in den Hauptrollen verfilmt.

Die Inszenierung

Das Hörspiel produzierte Radio Berlin Brandenburg (RBB) im Jahr 2007. Hörspielbearbeitung, Dramaturgie und Regie lagen in den Händen von Regina Ahrem. Für den Ton war Kaspar Wollheim verantwortlich. Die Musik komponierte Michael Rodach.

ACHTUNG: In Buch und Booklet heißt das Ehepaar „Baxter“, doch im Hörspieltext „Morrison“. Ich folge dem Text.

Die Rollen und ihre Sprecher:

Erzähler, Mann: Matthias Scherwenikas
John Morrison: Stefan Kurt
Laura Morrison: Sascha Icks (Claire Danes in „Betty und ihre Schwestern“)
Betsy: Christine Osterlein
Rose: Carmen-Maja Antoni
Mrs. Hill: Elfriede Irrall
Sowie Jockel Tschiersch, Friedhelm Ptok, Michael Rotschopf, Adriana Altaras und Lili Zahavi.

Handlung

Laura und John Morrison haben kürzlich ihre kleine Tochter Christine bei einem Unfall verloren, als sie ertrank. Nun sind sie nach Venedig gekommen, um Abstand zu gewinnen. Das Kindermädchen Mrs. Hill passt daheim auf ihren Sohn auf. Als sie auf dem Markusplatz sitzen, bemerken sie zwei ältere Damen, deren Identität sie zu enträtseln suchen. John erkennt, dass eine von ihnen blind sein muss, doch diese hat das Zweite Gesicht. Sie sagt, dass Christine noch da sei, sei gar nicht tot. Während Laura darüber glücklich ist, fühlt sich John ein wenig veralbert. Er glaubt nicht an übersinnliche Wahrnehmung.

In der Kathedrale zündet Laura eine Kerze für ihre Tochter an. Draußen hat die Polizei den Kanal gesperrt, denn ein Mord ist geschehen. Ein verrückter Mörder geht um, erfahren sie, ein Psychopath, der sinnlos zuschlägt. Sie gehen zusammen in einen Stadtteil, den sie noch nicht besucht haben. Ein Schrei wie von einem Mann schreckt sie auf, Laura geht weg, wenig später sieht John eine kleine Gestalt in einem Kapuzenmantel: Ist es ein Kind? Als es verschwunden ist, finden sie den Weg wieder – aber auch die beiden Schwestern. John geht.

Als Laura die Schwestern Betsy und Rose ohne ihn trifft, erfährt sie von Betsy, der Seherin, dass John das Zweite Gesicht habe, es aber nicht wisse. Als Laura sich verwundert erinnert, was sich beim Unfall Christines ereignete, bestätigt sie dies: John eilte aus dem Haus, um Christine zu retten, obwohl er doch gar nicht wissen konnte, was passieren würde. Betsy warnt Laura, dass John in Gefahr sei. Als Laura ihm dies sagt, wehrt er ab und weigert sich abzureisen. Doch als sie durch einen Anruf von Mrs Hill erfahren, dass ihr Sohn erkrankt sei, beschließt Laura, nach Hause zurückzukehren, John will per Zug nachkommen.

John ist allein in einem leeren Hotelzimmer. Als er mit dem Motorboot abreist, sieht er jedoch zu seiner größten Verwunderung ein schwarzes Boot, in dem seine Frau vor einem Sarg steht, und neben ihr die beiden Schwestern, alle in Schwarz, als trügen sie Trauer. Und wer mag wohl in dem Sarg liegen? Doch nicht etwa – er selbst? Sofort kehrt John um.

Mit Befremden muss er feststellen, dass seine Frau nicht ins Hotel zurückgekehrt ist. Er beginnt eine Suche in der Stadt, die ihn auf verhängnisvolle Pfade führt. Denn Laura ist sicher in England angekommen …

Mein Eindruck

Venedig ist eine Welt für sich selbst wie eine Perle in einer Auster. Jeder Krimi von Donna Leon belegt diese Erkenntnis und diese Empfindung aufs Neue. Die Serenissima liegt seit dem Untergang vergangener Größe – siehe Thomas Manns „Der Tod in Venedig“ wie in einem Dornröschenschlaf. Kein Wunder, dass Flitterwöchner sich hierher verirren: Sie besuchen einen Traum, als wäre es ein europäisches Disneyland.

Aber das ist Venedig nur zum Teil. Hier leben noch Menschen, und zwar ganz eigentümliche. Sie tragen Masken, gehören Bünden an, folgen unbekannten Gesetzen. Venedig ist nicht nur Traumland, sondern auch gefährliches Territorium. Die Geschichte von Daphne du Maurier macht dies sehr deutlich. Der Mörder, der zwischen Palazzi und Canali sein Unwesen treibt, ist völlig real. Doch es ist die Art und Weise, wie wahrgenommen wird, die verzerrt ist. Insbesondere die von John Morrison.

Wie in Kubricks „Shining“ (1980) und Shyamalans „The Sixth Sense“ (1999) drückt sich bei John das Übersinnliche in der Verzerrung der zeitlichen Wahrnehmung aus. Zum Problem wird dies für ihn erst, als er sich nicht bewusst wird, dass er über das Zweite Gesicht, wie dieses Phänomen landläufig genannt wird, verfügt. Unaufhörlich oszilliert Johns Bewusstsein zwischen den Zeitebenen, aber er bekommt es nicht mit. Seine „Gegenwart“ ist durchsetzt mit Zukunftssplittern. Man muss sich fragen, wie viel John eigentlich von seinem Zusammensein mit Laura, die ebenfalls in ihrer eigenen, durch den Kindsverlust verdüsterten Welt lebt, mitbekommt. (In der Verfilmung wird sein Liebesakt mit Laura asynchron mit Bildern des Wiederankleidens montiert.)

Zum Verhängnis wird ihm schließlich die Vision jenes schwarzen Trauerbootes, das nicht nur Laura und die beiden Schwestern, sondern auch seinen eigenen Sarg trägt. Er kann dieses Bild, indem er der Vernunft folgt, nur als faktische Gegenwart bewerten und dementsprechend handeln. Zwar macht er sich bei Mitbürgern und Polizei dadurch etwas lächerlich, aber wenn etwas Ernstes vorläge, würde man sich ja auch darum kümmern, nicht wahr? Niemand hält ihm seine rational erscheinende Handlungsweise vor, obwohl sie irrational begründet ist. Aber es gibt Warnungen, Vorahnungen – der Tod wartet um die nächste Ecke!

Gefangen in seinem Irrtum, einer Art Zeitkristall, ist John machtlos gegen das drohende Schicksal. Und als er schließlich eine Vision seiner Tochter wieder und wieder in Venedig spuken sieht, lässt er schließlich alle Vorsicht fallen. Das Motiv des roten Kapuzenmantels, den seine Tochter bei ihrem Tod trug, verkehrt sich von einem Hoffnungsbild in das des Todes, als der zwergenhafte Mörder sein wahres Gesicht zeigt. In dem fast ironisch – oder tragisch, je nach Disposition – anmutenden Finale fällt John der einzigen realen Gefahr zum Opfer, die er in seinem Zeitkristall völlig falsch interpretiert hat.

Sicher kann man fordern, dass John sich hätte vernünftiger verhalten müssen. Er hätte dieses und jenes tun müssen. Doch er ist zwischen Vorahnungen, Ängsten und Hoffnungen sowie Visionen wie in einem emotionalen und zeitlichen Labyrinth gefangen, so dass seine Vernunft keine Chance hatte, etwas gegen dieses Chaos aus Fehlinformationen auszurichten.

Die Inszenierung führt die verschiedenen Handlungsstränge wirkungsvoll auf diesen einen Augenblick der klaren, aber verspäteten Erkenntnis hin. Draußen donnern die Polizisten an die verschlossene Tür, doch drinnen spielt sich ein tödliches Drama ab. Es ist, als würde John wie seine Tochter vor ihm in einem Meer des Schreckens versinken. Er ist schon lange vorher gestorben, wandelte aber nur wie ein Untoter auf Erden, in einer Stadt wie aus einem Traum, haltlos driftend, bis ihn eine Klinge abholte.

Selbsterfüllende Prophezeiung? Oder ein metaphysisches Konzept von Opfertod und Wiedergeburt? Der Hörer / Leser / Filmzuschauer muss sich in allen drei Medien sein eigenes Urteil über den Sinn der Geschichte bilden, denn die Story an sich ist offen für vielerlei Deutungen. In den Anmerkungen zu Nicolas Roegs Film schreibt die SZ-Cinemathek, er habe sich von der Tarot-Karte „Der Gehängte“ inspirieren lassen. Diese steht für Opfer, Tod, aber auch für Wiedergeburt. Die Autorin selbst hatte mit Übersinnlichem überhaupt nichts am Hut. Sagte sie jedenfalls.

Die Inszenierung

Die Hörspielbearbeitung durch Regisseurin Regine Ahrem wagt sich nicht jenseits des bekannten Films hinaus. In 52 Minuten ist auch nicht viel Zeit dazu, denn der Film nimmt sich immerhin 103 Minuten Zeit für seine Geschichte. Entsprechend komprimiert ist der Plot im Hörspiel. Nie vergeht eine Szene, ohne die Handlung weiterzubringen. Dementsprechend spannend hört sich die Handlung an, die durch Vorahnungen und Warnungen auf ein schlimmes Ende vorausweist.

Die Sprecher müssen sowohl ihre eigene Figur charakterisieren als auch die jeweilige Situation, in der sich diese befindet. So ruft Laura mehrmals aufgeregt John, und Betsy, die Seherin keucht aufgeregt und jammert, weil sie Tod voraussieht. John wiederum reagiert entweder verärgert oder erstaunt, eben mehr wie ein vernünftiger Mann, jedoch gegen Schluss immer emotionaler.

Den akustischen Joker in diesem realistischen Stimmgewebe bildet der psychopathische Mörder. Er tritt vor dem Finale nie auf, ist aber mehrmals durch ein irres Lachen oder den Schrei seines Opfers präsent.

Geräusche und Musik

Die Geräusche liefern Andeutungen von Realität, sind aber mitunter dramaturgisch bedeutsam hervorgehoben. So klappert beispielsweise eine Schreibmaschine, als John seine Vermisstenanzeige aufgibt, um die Szene einzuleiten, aber auch als Zäsur. Motoren erklingen, Tassen klappern, ab und zu sind Stimmen im Hintergrund zu vernehmen, einmal tickt eine Standuhr, und eine Tischglocke erklingt. Für italienisch-venezianische Verhältnisse sind dies äußerst wenige Geräusche, so etwa fehlen die allgegenwärtigen Kirchturmglocken und die Möwenschreie.

Die Musik besteht aus zwei Ebenen. Die erste Ebene ist die normale Musik, die sich jeder für Venedig vorstellt: ein romantisches Piano, begleitet von verträumten Streichern. Bei der Séance erklingt eine Harfe, im leeren Hotelzimmer eine klagende Violine, im Finale hämmern und dröhnen Trommeln und ein sehr tiefes Piano. Den Ausklang bestreiten melancholische Streicher.

Die zweite Ebene bilden quasi Soundeffekte. Sie können durchaus elektronisch erzeugt sein. Denn in der Regel handelt es sich um sehr tiefe Bässe an der unteren Hörgrenze. Sie erzeugen unweigerlich ein Gefühl der Bedrohung und Gefahr, ohne dies jedoch festmachen zu können.

Das Booklet

… liefert Informationen zur Autorin, zu der Stadt Venedig, zu der Verfilmung und den zwei Hauptsprechern. Außerdem bietet Marei Gerken einen Interpretationsansatz an, auf den ich zurückgegriffen habe. Im Packungskarton findet sich die Liste der Mitwirkenden.

Unterm Strich

Die Geschichte ist ein Krimi mit übersinnlichen Elementen, wie man ihn selten so verhängnisvoll und erschreckend erzählt findet. Steht das Verbrechen in den meisten Krimis am Anfang, so ist es hier umgekehrt. Sowohl die Protagonisten als auch der Hörer wissen bzw. ahnen, dass etwas Schreckliches passieren wird, doch offenbar kann keine Macht der Erde das nahende Verhängnis aufhalten. Schon gar nicht, wenn die Gesetze der Zeit und der Kausalität aufgehoben sind – durch einen simplen Blick in die Zukunft.

Während die Seherin Betsy die Kassandra spielt und natürlich nicht erhört wird, spielt John einen Getriebenen, der sich nach seinem Kind sehnt, höchstwahrscheinlich deshalb, weil er sich schuldig an dessen Tod fühlt. Als der Tod dann schließlich wie vorhergesehen kommt, ist er zwar unerwartet, aber dennoch willkommen. John löst seine Schuld, wie er glaubt, durch sein Opfer ein. Der Mörder, klein wie ein Kind, grausam wie der Schnitter, spielt die Rolle des blinden Schicksals.

Insgesamt ist die akustische Inszenierung, die Regine Ahrem arrangiert hat, ein auf mehreren Schichten angesiedeltes Gewebe aus Dialog, Geräusch, Musik und Soundeffekt. Der Eindruck dieser dichten Tondramaturgie trägt nicht wenig zur emotionalen Wucht dieses Thrillers bei, so dass sich der Hörer noch lange daran erinnern dürfte.

Schade, dass das so sorgfältig produzierte Hörbuch, das im Booklet eine Fülle von Informationen liefert, einen so hohen Preis von 16 Euro hat (bei amazon wie immer gut 10 % günstiger).

Originaltitel: Don’t look now, 1971
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Schönfeld
52 Minuten auf 1 CD
Besprochene Auflage: September 2007
www.der-audio-verlag.de