Hoffmann, Arne – Lexikon der Tabubrüche, Das

Der sehr erfolgreiche Journalist Arne Hoffmann, der schon in vorherigen Büchern mit besonders Grenzen aufbrechenden Themen wie Sadomasochismus oder gar dem Sexismus durch Frauen Aufsehen erregte, legte 2003 ein Lexikon der zeitgenössischen Tabus vor. Wenn man sich die scheinbare sexuelle Freizügigkeit in den Medien unserer Gesellschaft ansieht, denken viele sicherlich, wir lebten eigentlich schon heute in „Sodom und Gomorra“ – aber dabei ist auch unsere jetzige Welt alles andere als tabulos, wie uns „Das Lexikon der Tabubrüche“ unterrichtet.

In seiner Einführung erklärt Hoffmann, was ein Tabu ist und woher der Begriff überhaupt stammt, welche Tabus es bei uns gab und wie sie sich immer mehr verschoben haben. Danach beginnt das spannende Lexikon von A – Z, wobei auch immens viele Fernsehserien und Filme aufgelistet werden. Vieles ist – um ein solches Lexikon zu füllen – natürlich eigentlich eher unwesentlich und harmlos. Erstaunlich finde ich, wie viel Aufmerksamkeit auf jede Andeutung von Homosexualität und lesbische Liebe in überzogen wirkender akribischer Weise in Film und Fernsehserie gelegt wird.

Wirklich interessant dagegen sind die vielen Verschiebungen gesellschaftlicher Ansichten, z. B. bei Sex mit Minderjährigen und Pädophilie, die in den 70er Jahren durchaus ausgewogen diskutiert werden konnten, als eine breite Bevölkerungsschicht noch für die völlige Abschaffung der Altersbegrenzungen eintrat, wogegen heute deutlich die Mehrheit Sex mit Kindern völlig verachtet. Im Großen und Ganzen wird Sex in jeder Art ansonsten fast komplett toleriert, auch extreme Gewaltdarstellungen im Kino. Die Realität solcher Behörden wie FSK und Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften – eine bundesdeutsche Absurdität, welche sich durch völlige Unqualifiziertheit und Zufallsbewertungen äußerst blamabel zu künstlerischer Freiheit und Verstümmelungen hervortut – wird letztlich zu Recht in Frage gestellt und ihre endgültige Abschaffung gefordert.

Aufschlussreich sind die Tabus, die heutzutage zu politischen Themen stattfinden. Angefangen mit dem Irak-Krieg und dem Anti-Amerikanismus bis hin zu den immer stärker auftretenden Distanzierungen und Skandalen wegen angeblichen Antisemitismus‘, wo z. B. die Möllemann-Affaire mit dessen Freitod endete und sein Widersacher, der in Frauenhandel und Prostitution verstrickte Michel Friedman, relativ ungeschoren aus den Skandalen herausgelangen konnte. Einige solcher Fälle mehr werden ausgiebig dargestellt. Sogar eine politische Diskussion wie eine mögliche rot-rote SPD-PDS-Regierung zählte zu den absoluten Tabus unserer Gesellschaft.

Natürlich haben auch Satanismus (und sein medienbekanntestes Beispiel, die Rudas), Vampirismus, Zoophilie, Kannibalismus (der Kannibalenmord per Internet) und Nekrophilie größere Beiträge innerhalb des Lexikons. Kannibalismus gibt es eigentlich kaum und wird kulturgeschichtlich relativ neutral bewertet, ohne völlig verurteilt zu werden. Auf mich persönlich schockierender wirken interessanterweise die beiden Beiträge zu Nekrophilie und zu Zoophilie, weil beide Artikel sich lesen wie eine praktische Anleitung zum Nachvollziehen. Ausführlich wird erklärt, wie man Leichenwürmer vermeidet – Nekrophilie geschieht viel häufiger als man annehmen würde – und auch eine ganze Reihe sodomistischer Ratschläge wird sehr konkret gegeben, welche Tiere auf welche Art zu nutzen sind und worauf genau geachtet werden müsste.

Das sind dann auch tatsächliche Highlights, wobei es verwundert, dass diese zu beschreiben erlaubt ist und das Tabubuch deswegen nicht schon selber indiziert wird. Aber das kann ja noch kommen. Natürlich ist die Auswahl, die ich in dieser Besprechung jetzt traf, sehr subjektiv hervorgehoben. Selbstverständlich wird jeder Leser seine eigenen ihn besonders interessierenden Beiträge finden. Ich bin der Ansicht, dass dies ein lohnenswertes Buch ist, in das man immer wieder hineinschauen wird und aus dem man sich sicherlich auch dieses Buch oder jenen Film, die dort erwähnt werden, unbedingt mal besorgen wird.

Verlagsinformation zum Autor: |Tabubrüche sind ein Leitmotiv in den bisherigen Veröffentlichungen Arne Hoffmanns. Sie finden sich sowohl in SM-Erotika wie »FOX« (Marterpfahl-Verlag 2002) als auch in Sachbüchern wie dem »Lexikon des Sadomasochismus« sowie dem jetzt schon berühmt-berüchtigten »Sind Frauen bessere Menschen?«, in dem er sich mit häuslicher und sexueller Gewalt durch weibliche Täter auseinandersetzte und den Feminismus demontierte (Schwarzkopf & Schwarzkopf und Lexikon Imprint Verlag, 2001).
Hoffmann ist nicht-praktizierender Bisexueller und wandte sich im Herbst 2001 einer Schauspielerkarriere zu, als deren erster Höhepunkt er im Dorftheater seines Heimatortes die Titelrolle in »Warten auf Godot« verkörpern durfte. Wenige Monate später begann er seine Arbeit an einer Novelle, die zentrale Elemente von Shakespeares »Cardenio« sowie Büchners »Pietro Arentino« aufgreifen wird. Ostern 2002 ernannte sich Arne Hoffmann ex cathedra zum evangelischen Papst und gilt seitdem als unfehlbar. Versuchen Sie mal, ihn davon abzubringen … |

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