Joris Luykendijk – Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt

Das kann nicht wahr sein: der Planet der Bankiers

Welches Bild haben Banker von sich selbst und vom Rest der Gesellschaft? Luyendijks Buch brilliert mit seinem unbestechlichen anthropologischen Blick und bringt dadurch auf beispiellose Weise Licht in ein undurchsichtiges System. Dafür hat er umfangreiche Recherchen betrieben und unter anderem Hunderte Interviews mit Investmentbankern, Angestellten aus Rechts- und Risikoabteilungen, Rating-Agenturen, IT und HR sowie mit Kontrolleuren, Headhuntern und Therapeuten geführt.

So erzielt er das, was oft eingeklagt, aber selten eingelöst wird: Transparenz in einem System, das eine Blaupause für kurzsichtiges Denken, schnellen Profit, Missbrauch und lukrative Verantwortungslosigkeit ist. Doch, so Luyendijks These, nicht der Mensch Banker ist verkommen, sondern das System. (Verlagsinfo)

Der Autor

Joris Luykendijk, geboren 1971, studierte Arabistik und Politik in Amsterdam. Er arbeitet als Journalist und Sachbuchautor. 2011 zog Joris Luykendijk nach London, von wo er für die Tageszeitung „The Guardian“ aus der Innenwelt des Bankwesens berichtete: http://www.guardiannews.com/jlbankingblog . Zuletzt erschien sein viel beachtetes Buch „Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges“. (ergänzte Verlagsinfo)

Von Sommer 2011 bis zum Herbst 2013 sprach er mit etwa 200 Arbeitnehmern und ehemaligen Arbeitnehmern in der Londoner City (= Finanzdistrikt). In der „City“ arbeiten eine Viertelmillion Menschen, so dass seine Interviewpartner lediglich 0,3% aller dort Beschäftigten ausmachen. Er selbst weist darauf in der „editorischen Nachbemerkung“ darauf hin, dass man seine Befunde nicht auf die Goldwaage legen sollte – und dass es einen blinden Fleck gibt. Unten mehr dazu.

Der Finanzsektor beschäftigt im Vereinigten Königreich ungefähr eine Million Menschen. In London befindet sich also ein Viertel dieses Marktes – es ist mithin nicht nur das britische, sondern auch das europäische Finanzzentrum.

Inhalt

I) Was ist das Problem?

Der Autor hat in vier Hauptabschnitte eingeteilt, in denen er insgesamt 13 Kapitel unterbringt – ohne Einleitung und Nachbemerkungen. Im ersten Teil geht er wie ein Volkskundler vor, der herausfinden möchte, was für ein „Volk“ eigentlich diese als Gierhälse und Monster verschrienen Banker eigentlich sind, als die sie seit dem Crash von 2008 bezeichnet werden.

Schon bald stößt er auf zwei erhebliche Probleme: Erstens gibt es „den Banker“ überhaupt nicht und zweitens versperrt ein Gesetz des Schweigens (Code of silence) den Zugang zu der zu untersuchenden Spezies. Wer den Code bricht, fliegt raus – so einfach und brutal ist das Gesetz des Überlebens in der „City“, dem Finanzdistrikt von Londons (und im übrigen auf der ganzen Welt). Denn das schlimmste Verbrechen besteht darin, den guten Ruf der eigenen Bank zu beschädigen. Nestbeschmutzer stehen auf der gleichen Stufe wie Whistleblower.

Indem er den Interviewpartnern absolute Anonymität zusicherte und niemals ihren Arbeitgeber nannte, konnte er 200 aktuelle und ehemalige Mitarbeiter der „City“ dazu bewegen, von sich und ihrer Tätigkeit sowie ihrer „Welt“ zu erzählen. So gelang es ihm, mindestens ein Dutzend von Kategorien herauszuarbeiten. Viel hängt davon, in welchem Bereich der jeweilige Gesprächspartner arbeitet

II) Das Problem

Es gibt – ganz grob vereinfachend – drei Bereiche, die den Betrieb einer Universalbank aufrechterhalten. Eine Universalbank (wie etwa die Deutsche Bank) umfasst sowohl Investmentbanking als Privatkundengeschäft, also Vermögensverwaltung. In dieser Verquickung völlig unterschiedlicher Banking-Methoden zeigt sich schon das erste problem: Die Investmentbanker gehen hohe Risiken mit dem Geld ein, das ihnen private Kunden anvertraut haben. Aber nur hohes Risiko bringt hohe Rendite, und nur Rendite zählt.

a) Das Back Office

Weit entfernt von den alltäglichen Interaktionen mit den Kunden werden Vermögen verwaltet, die der Kunden wie auch das eigene der Bank. Hier sitzt die Buchhaltung, die Personalverwaltung und vieles mehr. Diese Mitarbeiter bekommen Besuch von den Wirtschaftsprüfern und den Finanzregulierungs- bzw. -aufsichtsbehörden.

b) Das Front Office

Hier läuft die alltägliche Interaktion mit den Kunden, den Börsen usw. ab. Verschiedene Spezies teilen sich diesen umkämpften Bereich: die „Händler / Trader“, von denen bisweilen mehrere Hundert auf einem einzigen Stockwerk zusammengepfercht sind. Wer kann, strampelt sich ab, um ein eigenes Büro zu bekommen und wenigstens „Vice President“ zu werden.

Eine große Universalbank kann rund tausend Vice Presidents haben, aus denen dann wieder mindestens zehn „Managing Directors“ aufsteigen. Jeder MD hat seinen spezifischen Aufgabenbereich, etwa Fusionen und Ankäufe (Mergers and Acquisitions, M&A) in der Öl- und Gasindustrie, Middle East (Naher Osten). Üb er den MDs kommt die Vorstandsebene: der Vorstandssprecher und seine Direktoren für Finanzen, Betrieb, IT und so weiter.

c) Das Middle Office

Hier sitzen die firmeninterne Aufsicht, die Innenrevision sowie die Abteilung für Risiko-Management und Compliance. Compliance ist die Konformität mit innerbetrieblichen (auch Governance genannt) und gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien. Wie der Autor herausfand, haben die Mitarbeiter des Middle Office die nicht beneidenswerte Aufgabe, erstens neue Finanzprodukte zu begreifen als auch die Arbeitsweise ihrer eigenen Trader. Wie bei einer Senatsanhörung in USA herauskam, verstehen manche Mitarbeiter des Middle Office die Tätigkeit der eigenen Trader nicht, denen sie auf die Finger schauen sollen.

d) Die Quants

Eine ganz eigene Spezies sind die Quants. Das sind die Nerds: oft junge Mathematiker, deren Aufgabe darin besteht, neue Finanzprodukte auszutüfteln. Obwohl sie eigentlich nur mit Zahlen und Berechnungsmethoden umgehen, haben sie mit dem Handel so viel zu tun wie eine Kuh mit dem Fliegen. Aber es waren ihre riskanten Produkte, wie etwa die Derivate von Schuldobligationen (CDOs), die den Crash von 2008 einleiteten. Sie sind also nicht ganz unwichtig.

Der Code hinter dem Code

Nachdem es dem Autor gelungen war, diese grundlegenden Unterscheidungen zu machen und seine Interviewpartner entsprechend einzusortieren, fragte er sie, warum sie überhaupt anno 2008 zum Problem geworden waren, wenn sie doch alle nur ihren Job gemacht hatten. Schon bald zeigte sich, dass die meisten lediglich den Gesetzen des Planeten Finance gehorchten.

In der City gibt es beispielsweise keinen Kündigungsschutz. Es gilt das Gesetz des „hire and fire“, anders als etwa in Deutschland. Regelmäßig finden Entlassungswellen statt, um Personalkosten zu sparen und so die Rendite zu erhöhen. Diese Entlassungswellen treffen als erste die Frauen in der Mutterschaftspause, dann Krankgeschriebene und schließlich die „underachievers“, also diejenigen, die ihr Budget an eingefahrenem Profit nicht erreicht haben. Da draußen warten Tausende darauf, ihren Platz einzunehmen.

Dieses permanente Damoklesschwert hat mehrere Konsequenzen: Entweder wird man zum Einzelkämpfer, der sich selbst bis zum Gehtnichtmehr ausbeutet, oder zum radikalen Teamplayer, der nur mit seinen Kumpels überlebt. Diese Kumpels, die er wahrscheinlich noch vom gleichen Elite-College kennt, sind natürlich eine verschworene Gemeinschaft, deren ehernes Gesetz lautet: „Wenn du keiner von uns bist, dann bist du der Feind.“ Dass sowohl die eine wie auch die andere Haltung die Amoralität fördert und fordert, ergibt sich aus der Maxime: „Friss oder stirb“ beziehungsweise: „Wer mit dem Teufel tanzen will, muss ihm erst seine Seele (lies: moralische Einsichtsfähigkeit) verkaufen.“

Amoralität unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse, sondern kennt diese Kategorien überhaupt nicht. Nur die Bank und der eigene Erfolg zählen. Banker, die das in einem Rentenfonds angelegte Geld ihrer Eltern verzocken oder Händler, die am 11.9.2001 zuerst an die Bank denken und dann erst an die Kollegen, die in den einstürzenden Twin Towers ums Leben kommen, gehören zu den bemerkenswertesten Gesprächspartnern des Autors.

Hier zeigen sich am deutlichsten zwei weitere Codes: „Jeder kämpft für sich und den Bonus“ und „Caveat emptor“ – der Käufer sei gewarnt. Wenn der Käufer, etwa eine deutsche Landesbank, naiv und ahnungslos daherkommt, wird er gnadenlos über den Tisch gezogen. Egal mit wem er spricht, stößt der Autor bei den Beschäftigten, die noch einen Job bei so einer Universalbank haben, stets auf die gleichen Gesetze.

Apropos BONUS: Um die Boni der Banker haben sich bereits viele Debatten gedreht, und Gesetze sollten diesen „falschen Anreiz“ (der zu amoralischem Verhalten verlockt) eindämmen, Das kann man sich alles ins Haar schmieren. Letzten Endes sind es die Bonuszahlungen, die sich ein Trader im Schweiße seines Angesichts erarbeitet hat, die ihn reich machen und bei der Stange halten. Bietet eine andere Bank bessere Bonusbedingungen, liegt der Wechsel nahe. Der Haken bei den Boni: Es wird innerhalb der eigenen Wolfsmeute ausgehandelt, wie hoch diese Bonuszahlung jeweils ausfällt. Man kann also auch leer ausgehen – eine Demütigung.

Ein weiteres Gesetz lautet: „Wer mit den Wölfen rennt, muss mit ihnen heulen.“ Und wer in Jeans und Turnschuhen herumläuft, obwohl er MONATLICH das Geld für einen Maserati verdient, muss sich zweifelnde Blicke gefallen lassen, ob er nicht auf dem falschen Dampfer unterwegs ist.

III) Werden sie das Problem lösen?

Dies ist wohl der menschlich interessanteste Abschnitt des Buches. Denn hier spielen die Tätigkeitsbereiche der drei oben genannten Offices keine Rolle, sondern lediglich die jeweils individuelle Einstellung zum „Problem“, nämlich der unkritischen Mitwirkung im System des Planeten Finance.

Da gibt es die Zähneknirscher, die kapiert haben, was falsch läuft, aber eine hohe Hypothek oder eine andere Verpflichtung eingegangen sind. So können etwa die Privatschulgebühren für zwei oder drei Kinder monatlich eine deutliche Delle ins Budget machen. Dass es sich um eine Privatschule handeln muss, ist meist eh klar – man muss mit den Wölfen heulen, um dazuzugehören. Nur bei den Quant gilt diese Regel nicht: Sie spielen in einer eigenen Liga, und zwar solange, bis sie ausgebrannt sind.

Die „Neutralen“ halten sich aus allem raus und versuchen, der nächsten Entlassungswelle zu entgehen. Die „Masters of the Universe“ sind der King und stolz drauf: Händler von maximalem Einkommen. Der deutsche Ex-Bankier Rainer Voss, den der Autor mehrfach zitiert, tritt in dem Interviewfilm „Master of the Universe“ als Nestbeschmutzer auf, also ist er schon längst draußen.

Dass sich die „City“ geistig wie moralisch abgekoppelt hat, belegen Statements von Freunden und Exfreunden. Wer in der Seifenblase der City lebt, verhält sich anders, sondern interagiert auf einer globalen Ebene mit Schicksalsgenossen. Man spricht seine eigene Sprache, trägt die gleichen Designerklamotten und Statussymbole, um zur Elite dazuzugehören – und entfremdet sich im Handumdrehen von den ehemaligen Schulfreunden oder Kommilitonen, die nur einen Bruchteil des eigenen Gehalts verdienen.

Wahn-Banker glauben, sie machen alles richtig und haben Erfolg, dabei peilen sie schon längst nicht mehr, was sie eigentlich anrichten, nicht zuletzt im eigenen Leben. Schließlich gibt es noch die Abgebrühten, die genau wissen, was sie mit ihren kalkulierten Deals anrichten, aber in ihrer Amoralität nur mit der Schulter zucken können, wenn man mit dem Finger auf sie zeigt.

IV) Werden wir das Problem lösen?

Dieser nicht ganz unwichtigen Frage ist nur ein einziges Kapitel gewidmet. Es trägt die desillusionierende Überschrift „Das leere Cockpit“. Die ernüchternde Einsicht nach all den Statements mit den verschiedensten Seiten – außer der Vorstandsebene der Banken – lautet: Die Innenrevision und das Middle Office verstehen oft nicht, was im Front Office abgeht. Im Back Office lassen die Wirtschaftsprüfer – es gibt ja nur noch vier große Gesellschaften – schon mal Fünfe gerade sein, da sie selbst für die gerade zu prüfende Bank als Berater ein stattliches Honorar einsacken.

Aufsicht? Welche Aufsicht?

Im Front Office weiß man von jeher, wie eine neue gesetzliche Regulierung zu umgehen ist und schert sich einen feuchten Dreck darum. Die Aufsichtsbehörde sollte eigentlich von den Parteien die Vorgabe erhalten, den Banken auf die Finger zu klopfen. Doch was sollen 5000 Regulierer schon gegen 250.000 Bankmitarbeiter ausrichten? Zudem sind die Banken zunehmend lediglich das Sprungbrett für eine Karriere innerhalb der „City“ – wozu sich also die Karriere verbauen oder versauen, indem man die Hürden dafür höher baut? Tony Blair verdient heute zehnmal mehr als Bankberater als zu seiner Zeit als Regierungschef.

Weltregierung, ja, bitte

Man kann auch keine Beschränkungen auferlegen, wenn die so bedrohte Bank darauf nur entgegnet, dass sie dann in ein anderes Land ziehen werde. Das aber kostet Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, also „Wachstum“, und das ist bekanntlich eine heilige Kuh. Es bleibt also lediglich übrig, das globale Problem der global agierenden Universalbanken auf weltweiter Ebene anzupacken. Hat jemand schon die neue Weltregierung gesichtet?

Frauen

Ganz am Schluss geht der Autor kurz explizit auf die Frauen ein, obwohl er doch schon etliche Frauen zitiert hat. Sein ernüchternde Erkenntnis: Die junge Frauen wollen weder Quote noch Schonbehandlung, und die älteren Frauen kommen eh nicht auf die Vorstandsebene hinauf. Aber immerhin hat die derzeitige Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, ein nachdenklich machendes Bonmot beigesteuert: „Was, wenn es [2008] Lehman Sisters gewesen wäre?“ Hätte dann auch nur ein Hahn nach dem Bankhaus gekräht?

Mein Eindruck

Der Leser sollte sich stets vor Augen halten, dass alle diese Ansichten, Befunde und Erkenntnisse regelmäßig auf den Blogseiten den GUARDIAN veröffentlicht wurden. Leser konnten sie kommentieren und so eine Debatte anstoßen. Das erfolgte auch in immer angeregterem Maße, über achtzehn Monate hinweg. Somit trug dieser Blog wohl in erheblichem Maße dazu bei, dass der Beinahe-Crash von 2008 nicht nur verarbeitet wurde, sondern dass auch die angeblich daran Schuldigen mal zu Wort kamen. Immer nur mit dem Finger auf die Banker zu zeigen, trägt ja nicht gerade zur Aufarbeitung des Geschehenen bei.

Weltbeschreibung

Ich erhielt durch die erklärenden Vorarbeiten in den Teilen I und II des Buches einen leicht verständlichen und nachvollziehbaren Einblick in das kleine Universum bzw. die Seifenblase, die sich „Bank“ nennt. Die Bezeichnungen Front- und Back Office sind in der englischsprachigen Welt Standard und häufig auch in den Beschreibungen für Einsatzbereiche von Informationstechnologie (IT) zu finden.

Das Middle Office taucht nur mit den wichtig gewordenen Bezeichnungen Governance, Risk and Compliance (GRC) unter IT-Anbietern auf. Leute, die sich außerhalb der Betriebswirtschaft und IT bewegen, kommen mit diesen Begriffen meist gar nicht in Berührung. Deshalb habe ich sie oben so eingehend beschrieben. Auch mein Anliegen ist nicht Anklage, sondern tieferes Verständnis. Der Autor legt als Arabist die Kenntnisse eines Ethnologen an den Tag und versuchte sie anzuwenden. Aber reichen Beschreibungen aus, um Erklärungen zu liefern?

Voraussetzungen

Zum Verständnis mancher Vorgänge, Strukturen und Ereignisse setzt der Autor aber die entsprechenden Kenntnisse durchaus voraus. Er bezieht sich beispielsweise auf den Libor-Skandal, in den auch die Deutsche Bank verwickelt ist, und den Forex-Skandal, über den ich mich selbst einmal kundig machen müsste. Merke: So sehr sich der Autor (und die Übersetzerin mit ihm) bemüht, die Verhältnisse verständlich zu erklären, so kann er doch nicht bei Adam und Eva anfangen, sondern muss einen Grundstock an Allgemeinwissen voraussetzen.

Sachlich

Hierbei helfen dem Leser jedoch die zahlreichen Buchtipps, die der Autor weitergibt. Ich habe mir nicht weniger als acht Stellen notiert, an denen er Bücher zitiert bzw. empfiehlt. Hinzukommt der vielfach erwähnte Dokufilm „Master of the Universe“. Seit 2008 erschienen allein in UK mehr als 300 Bücher zum Thema des Crashs. Dennoch beschränkt sich der Autor auf die hilfreichsten. Sein Buch ist übrigens das einzige, das direkt auf Aussagen der mittelbar und unmittelbar Betroffenen basiert und es bei den Fakten belässt. Hier wird nicht fiktionalisiert; es gibt keine längeren Szenen, geschweige denn Handlungsstränge. Diese Geschichten sind anderen Büchern wie etwa „CityBoy“ vorbehalten.

Blinder Fleck

Der Autor gibt offen zu, dass es einen blinden Fleck in seinem Buch gibt: Die Vorstandetage kommt nie zu Wort. Das liegt nicht Unfähigkeit, sondern am „Code of Silence“. Jeder Vorstandsangehörige, der sich hier zu Wort gemeldet hätte, wäre ziemlich leicht zu identifizieren gewesen. Sobald er den Mund aufgemacht hätte, wäre er zum Ausgestoßenen geworden und hätte eine lukrative Einnahmequelle verloren. Denn einmal draußen, immer draußen – er hätte nirgendwo im globalen Club der Universalbanken noch eine Stelle erhalten.

Ein weiteres Faktum, das der Autor wohlweislich nicht berücksichtigen konnte, ist der immer wieder bestätigte Umstand, dass sich jede Universalbank von der anderen bis zur Kenntlichkeit unterscheidet. Auch hier verhinderte der „Code of Silence“ und der Zwang zur Anonymität, dass die Namen von Banken genannt wurden. Als kuriose Folge daraus las ich vom „Rock’n’Roll-Händler“, vom „Millionen-Pfund-Investmentbanker“, von der „Recruiterin“ und so weiter, aber nur in einem einzigen Fall einen Namen. Dieser Name gehört einem Whistleblower, der natürlich sein eigenes Süppchen kochte.

Die Übersetzung

Die Übersetzerin Anne Middelhoek hat hervorragende Arbeit geleistet. Ihr Deutsch liest sich wie natürliche Umgangssprache, flüssig und flott. Obwohl der Text von Fachjargon und Fachausdrücken, die manchmal im englischen O-Ton belassen wurden, nur so wimmelt, hat sich jedoch keine Fußnoten angelegt, geschweige denn ein Glossar oder einen Index. Alle Erklärungen wurden in den Fließtext eingebaut.

S. 50: „nicht um einen Komplott gegen den Rest der Welt“: Der DUDEN definiert „Komplott“ nicht als männlich, sondern sächlich. Es müsste also „ein Komplott“ heißen.

S. 133: „Die Unterschiede zwischen [von] Quants mit und ohne Asperger sollten sich auch in vielen anderen Interviews offenbaren…“ Das Wörtchen „von“ ist überflüssig.

S. 19 und 129: Underground-Station Bank: Obwohl sie weit weg von den neuen Banktürmen am Canary Wharf liegt, existiert sie wirklich – gleich neben der St. Paul’s Cathedral, also mitten in der Innenstadt.

Unterm Strich

Der Autor bewegte sich in seinen persönlichen Reaktionen auf die erhaltenen Interviewaussagen von Neugier über Ungläubigkeit bis zur Wut. Daher bewundere ich sein durchgehendes Bemühen um eine objektive Haltung und die Behandlung der angeblich so kriminellen Banker mit Unvoreingenommenheit.

Die Banker, so lernte ich, kann man nicht alle über einen Kamm scheren, sondern lassen sich rund ein Dutzend Subspezies unterteilen. Manche arbeiten als Samurai-Krieger im Front Office, andere suchen sich im Middle Office über Wasser und auf dem Laufenden zu halten. Manche sind kalt berechnende Haie, für die „Caveat emptor“ auf der Türmatte steht, wieder andere leben damit, dass ein Damoklesschwert über ihrem Kopf schwebt, auf dem „Entlassungswelle“ und „hire and fire“ steht. Wieder andere leben als Quants auf einem anderen Planeten, der nur aus Zahlen und Algorithmen besteht.

Was ist das Problem dabei? Das Problem ist natürlich, dass es die abgesonderte, schwer zugängliche Welt ist, die das Vermögen der westlichen Welt verwaltet – und 2008 zu einem großen Teil auch vernichtet hat. Das Problem ist, dass alles im Wesentlichen seitdem beim Alten geblieben ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass gerade in diesem Moment ein neues Finanzprodukt von einem genialen Quant ausgetüftelt wird, das die nächste Kettenreaktion von Katastrophen einläutet. Mit anderen Worten: Der nächste Crash kommt bestimmt.

Das ist keine wirklich beruhigende Botschaft dieses Buches. Aber vielleicht sieht man sich seinen persönlichen Bankberater beim nächsten Besuch mal genauer an oder nimmt eine der geschönten Bankbilanzen – „keine Sorge, wir haben alles unter Kontrolle!“ – mal genauer unter die Lupe.

In jedem Fall bildete das Buch für zwei Tage ebenso erhellende wie spannende Lektüre. Man hätte es noch erweitern können – siehe unter „Übersetzung“ – aber das hätte sicher den Preis erhöht. Und was nicht in seinem Buch steht, kann man ja vom Autor selbst erfragen, wenn er demnächst auf Lesereise durch deutsche Lande geht.

Gebunden: 320 Seiten
Originaltitel: Dit kann nit waar zijn. Onder bankiers, 2015
Aus dem Niederländischen von Anne Middelhoek
ISBN-13: 978-3608503388

www.klett-cotta.de/buecher/tropen

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