Stott, Rebecca – Und Blut soll dich verfolgen

Isaac Newton ist einer der bekanntesten Wissenschaftler, selbst Laien kennen die Geschichte von dem Apfel, der Newton angeblich auf den Kopf gefallen sein soll und der dann zur Idee der Gravitation geführt hat. Aber Newton umranken noch andere Geschichten; so fand sein Aufstieg am Trinity College in Cambridge unter mysteriösen Umständen statt. Was ist damals wirklich passiert und hatte Newton womöglich seine Finger im Spiel in der Reihe ungeklärter Todesfälle, die seine Berufung erst ermöglichten? Rebecca Stott geht in ihrem Erstlingswerk „Und Blut soll dich verfolgen“ dieser Frage nach.

_Wenn die Vergangenheit dich einholt_

Die bekannte Elizabeth Vogelsang wird tot aufgefunden, leblos treibt sie im Wasser und niemand kann sich ihren Tod erklären. Hat sie etwa Selbstmord begangen? Doch dies ist kaum vorstellbar, hat Elizabeth doch gerade an ihrem größten Werk gearbeitet – einer Biografie über Isaac Newton, welche die gesamte Wissenschaftswelt auf den Kopf stellen sollte. Nur ein einziges Kapitel fehlte noch, und dieses sollte sich Newtons Berufung als Fellow an das Trinity College widmen. Diese Berufung kam damals mehr als überraschend, denn Newton stand nicht wirklich weit oben in der Wunschliste damaliger Wissenschaftler. Eine Reihe ungeklärter Todesfälle am Trinity College hatte den Weg freigemacht für Newton. Hatte er etwa seine Finger im Spiel? Elizabeth Vogelsang hat es herausgefunden, denn sie war die Erste, die auch das letzte Geheimdossier Newtons entschlüsseln konnte.

Ihr Sohn Cameron Brown vertraut die Arbeit an Elizabeth‘ Opus Magnum der Schriftstellerin Lydia Brooke an, mit der er einst eine Affäre hatte. Lydia ist Expertin für das 17. Jahrhundert und stürzt sich sogleich in die Arbeit, da sie eine tiefe Freundschaft mit Elizabeth Vogelsang verbindet und sie die Person Newton ebenfalls reizt. Zunächst kämpft sie sich durch Elizabeth‘ bisherige Kapitel, die sich Newtons Forschung widmen und von seinen Experimenten mit dem Prisma erzählen. Diese Passagen berichten detailreich, wie Newton sich eine Nadel ins Auge geschoben hat, um Farberscheinungen zu untersuchen. Je weiter Lydia vordringt in die Geschichte, umso mehr unerklärliche Dinge geschehen um sie herum. Elizabeth‘ Aufzeichnungen scheinen verschwunden zu sein, auch sieht Lydia immer wieder eine Gestalt in roter Robe. Wer verfolgt sie in Cambridge?

Auch Cameron Brown wird verfolgt und bedroht. Er experimentiert mit Tieren und sieht sich bedroht von einer Tierschutzorganisation mit dem merkwürdigen Namen NABED. Selbst die Haustiere seiner Kinder sind nicht mehr sicher, eines muss sein Leben lassen, was Camerons Frau dazu bewegt, sich mit den gemeinsamen Kindern in Sicherheit zu bringen. Doch NABED ist nicht nur der Name der Tierschutzorganisation, dieses Wort taucht auch in Newtons verschlüsselten Schriften auf. Was verbirgt sich dahinter? Und wer will verhindern, dass Elizabeth Vogelsangs Newton-Biografie veröffentlicht wird? Irgendwann wird Lydia es herausfinden, aber vielleicht ist es dann schon zu spät für sie …

_Dieses Buch wird dich nicht weiter verfolgen_

Rebecca Stott, die als Professorin für Englische Literatur an der Universität tätig ist, hat sich für ihren ersten Roman eine faszinierende historische Figur herausgegriffen. Isaac Newton kennen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch wissenschaftlich Interessierte; seine Person umgibt ein großes Geheimnis, dem Stott hier auf die Spur kommen möchte. Im Anhang macht sie schließlich auch deutlich, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit in ihrem Roman liegen, was reine Spekulation ist und wo wir die historischen Fakten finden.

Hauptfigur im Roman ist Lydia Brooke, die Elizabeth Vogelsangs Opus Magnum redigieren und vervollständigen soll. Mit viel Eifer und Neugierde stürzt sie sich in die Arbeit, pendelt zwischen Bibliothek und Elizabeth‘ Haus, wo sie die Biografie beenden möchte. Doch schnell merkt sie, dass es eine Macht gibt, welche die Veröffentlichung des Buches verhindern möchte. Elizabeth‘ Haustier wird ebenso brutal ermordet wie das Haustier von Cameron Browns Kindern, doch um Cameron diesen weiteren Verlust zu ersparen, verschweigt Lydia ihm, was wirklich vorgefallen ist. Auch als sie selbst Opfer eines Angriffs wird, erzählt sie ihm nichts davon. Dass dies ein großer Fehler ist, der ihre Feinde schützt, merkt sie allerdings zu spät.

Wer wirklich zu den Guten und wer zu den Bösen gehört, das lässt Rebecca Stott lange Zeit im Dunkeln. Sie sät Misstrauen und beleuchtet ihre Charaktere von unterschiedlichen Seiten, doch erst spät offenbart sie ihren Lesern die wahren Zusammenhänge.

_Brieftagebuch_

Schon früh deutet Stott an, dass unheimliche Mächte am Werkeln sind, dass Lydia und Elizabeth mächtige Gegner haben, welche die Veröffentlichung der Biografie verhindern wollen, und früh wird auch klar, dass Cameron Brown dieses Buch nicht überleben wird. Denn das gesamte Buch ist in einer Art Briefform aus Sicht Lydias geschrieben. Sie erzählt in der Ich-Form von ihren Erlebnissen, von den mysteriösen Erscheinungen in Elizabeth Vogelsangs Haus und von ihren Ängsten, die sie anfangs noch versucht zu unterdrücken.

Rebecca Stotts Schreibstil ist gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig, da das Buch einem Brieftagebuch von Lydia an Cameron gleicht. Alles ist in der Vergangenheitsform geschrieben, was darauf hindeutet, dass zumindest Lydia die Gefahren offensichtlich überstehen wird. Auch ist wörtliche Rede nicht so häufig zu finden, da Lydia die Gespräche oftmals in der Passivform wiedergibt. Hinzu kommt Rebecca Stotts bemüht poetischer und ausschmückender Schreibstil, der die wahren Geschehnisse oftmals in einer Flut von Adjektiven und Umschreibungen verschwinden lässt. Ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel:

S. 235: |“Ich stellte mir vor, wie du deine SMS an mich poliertest, sie auf der Zunge schmecktest, den Text löschtest und noch einmal von vorn anfingst. Die Kurzmitteilungen gingen zwischen uns hin und her, durchzogen die Tage und Nächte. Assoziationen, Fragmente, Verszeilen. Ob auch du in diesem heiklen Austausch das Mahlen der Steine, die Auflösung von Stein zu Pulver hörtest, die Anfänge jenes über Jahrhunderte in den heißen italienischen Glashütten betriebenen, immer weiter verfeinerten, vervollkommneten Verfahrens spürtest? Ich meinte, das weiße Pulver an den Händen zu fühlen, Soda und Quarzsand zu riechen, als ich in jener Nacht, in den vielen langen Nächten danach zu dir ins Bett kam.“|

Derartig lange Sätze und schwülstige Beschreibungen sind im vorliegenden Buch an der Tagesordnung. Hinzu kommen die permanenten Andeutungen von Beginn an, dass etwas Schlimmes passieren würde. Bis es tatsächlich aber mal so weit kommt, dass außer den Angriffen der Tierschützer etwas passiert, dauert es (zu) lange.

_Gepflegte Langeweile_

Über rund 400 Seiten zieht sich Rebecca Stotts Newton-Thriller, der stets krampfhaft bemüht ist, ein wenig Spannung aufzubauen. Wahrscheinlich aus diesem Grund schreibt Lydia von Anfang an, dass sie durch ihr Handeln das Böse erst beschworen hat, dass sie durch ihr Schweigen Schlimmeres ermöglicht hat und dass sie all dies hätte verhindern können. Doch was sie hätte verhindern können, welches Blut sie verfolgt und wer der Mann in der roten Robe ist, von dem Lydia sich verfolgt fühlt, das erfahren wir erst sehr spät. Rebecca Stott belässt es lange Zeit bei inhaltslosen Ankündigungen, sie wirft uns auch kaum Hinweise hin, die zu eigenen Spekulationen hätten animieren können. Über mehr als 300 Seiten tappen wir im Dunkeln und verheddern uns in Stotts überfrachteten Wortkonstrukten. Von Spannungsbogen kann hier keine Rede sein, zumindest mich konnte Rebecca Stott kaum bei der Stange halten.

Nur um endlich zu erfahren, wie die Geschichte ausgeht, ob Newton wirklich an den mysteriösen Todesfällen beteiligt war und welche gefährliche Macht hinter Elizabeth her war und nun Lydia verfolgt, habe ich mich durch 400 schwerfällig zu lesende Seiten gekämpft. Doch am Ende blieb Ernüchterung, Stotts Finale verpufft und hinterlässt gähnende Leere. Natürlich hat sie keine erschütternden neuen Erkenntnisse über Isaac Newton zutage gefördert und natürlich blieb der große Knall am Ende aus. Auch die Geisterbeschwörung und das Auftauchen einer mysteriösen Gestalt aus Newtons Zeit trugen nicht gerade dazu bei, mir das Buch schmackhaft zu machen.

Rebecca Stotts Debütroman ist eine misslungene Mischung aus Historien- und Mysterythriller, die zwar beide Genres bedient, aber historisch wenig Neues zu berichten hat, kaum Spannung aufbaut und insbesondere sprachlich absolut fehlgeschlagen ist.

http://www.blessing-verlag.de

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