Erwin Grosche – Der falsche Priester [Maikötter 1]

Im westfälischen Paderborn treibt ein Serienmörder sein Unwesen. Privatdetektiv Maikötter, der sich gern als Priester verkleidet, beschattet zwar eigentlich einen untreuen Ehegatten, wird aber wider Willen in die Ermittlungen hineingezogen … – Was sich als Krimi tarnt, ist eine Sammlung satirischer Betrachtungen des Lebens in der westfälischen Großstadt-Provinz, mit der eine Liebesgeschichte verquickt wurde. Die Story plätschert im Einklang mit den 200 Quellen der Pader dahin, und wie dieser kürzeste Fluss Deutschlands verliert sie sich spurlos in fremden Gewässern. Zumindest der Krimi-Leser mag dem bald nicht mehr folgen.

Das geschieht:

Friedrich Maikötter arbeitet als Privatdetektiv in der ostwestfälischen Mini-Metropole Paderborn. In dieser Stadt, die stolz auf ihren Konservatismus sowie den noch heute beeindruckenden Anteil katholischgläubiger Bewohner ist, arbeitet er gern in der Maske eines Priesters, dem sich Zeugen und potenzielle Verdächtige gleichermaßen anvertrauen.

Der aktuelle Auftrag Maikötters besteht darin, im Auftrag der misstrauischen Gattin Edeltraud den möglicherweise untreuen Bestattungsunternehmers Peter Block zu beschatten. Dabei assistiert ihm sein Neffe Gregor Deckel, der mangels beruflicher Zukunftspläne zum Detektiv ausgebildet werden soll.

Die Überwachung Blocks endet vorläufig im Hinterhof eines Fitnessstudios, wo Maikötter und Deckel die tief gefrorene Leiche der US-amerikanischen Studentin Susan Millwork finden; sie wurde erdrosselt. Hauptkommissar Gökke, ein Intimfeind Maikötters, ermittelt nicht nur in diesem Fall. Seit einiger Zeit tauchen verstärkt gekühlte Leichen in der Paderstadt auf. Der Kommissar ist ratlos und steht zunehmend unter Druck. Als kurz darauf sogar ein Doppelmord nach bekanntem Muster entdeckt wird, zwingt er Maikötter ihn zu unterstützen. Der Detektiv lässt sich den Fall durch den Kopf gehen und kommt einer ebenso einmaligen wie für Paderborn typischen Verschwörung auf die Spur …

Wo ist es regionaler als in Paderborn?

Der deutsche Regionalkrimi hat sich als Subgenre trotz offensichtlicher Schwächen – dazu später ausführlich mehr – seine eigene Nische erobern und halten können. In zahlreichen großen und kleinen Städten und gern auf dem platten Land gehen inzwischen Polizisten und Detektive nicht nur ihrem Job nach, sondern schwelgen in Lokalkolorit und leisten stellvertretend für örtliche Fremden- oder Verkehrsvereine touristische Aufklärungsdienste.

Der Regionalkrimi lebt vom Name Dropping und von der intimen Kenntnis der dargestellten Schauplätze. Oft scheint dies sogar wichtiger zu sein als die eigentliche Kriminalgeschichte, die deshalb nicht selten platt und langweilig daherkommt. Seltsamerweise lassen die Leser dies mit sich geschehen; sie schätzen die sorgfältig ausgestellten regionalen Eigenheiten oder stammen womöglich aus der Gegend, in der besagter Krimi spielt, und sind entzückt, wenn sie auf die Namen bekannter, womöglich selbst begangener oder frequentierter Straßen, Gaststätten oder anderer Lokalitäten stoßen.

Paderborn ist für den Regionalkrimi ein noch recht unbekanntes Pflaster. Die kleine Großstadt in Ostwestfalen arbeitet schon seit Jahren mächtig an einem Image, das diverse Vorurteile objektivieren und eine moderne Stadt mit reicher Geschichte widerspiegeln soll. Dass die Vorurteile nicht immer ohne Grund existieren, stechen einem klugen Mann wie Erwin Grosche, der ein begabter Kabarettist und Schriftsteller ist, als Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität natürlich inspirierend ins Auge. Auf der Bühne und auch schriftlich hat Grosche daraus schon viele komödiantische und nachdenklich stimmende Funken geschlagen.

Mit der Kirche ums Dorf: Kolorit mit Krimi

Nun versucht er dies mit einem Krimi. Dahinter steht sicherlich die – sehr richtige – Überlegung, über diese Schiene ein neues Publikum zu erschließen. Krimis werden gern gelesen, „Der falsche Priester“ allerdings nur mit Einschränkungen, denn wieder einmal bedient sich ein Autor des scheinbar ‚einfachen‘ Genres. Ein Privatdetektiv gerät in einen Mordfall, ermittelt auf eigene Faust, bekommt dabei Ärger und lässt sich dennoch nicht aufhalten, bis er der perplexen Polizei und seinen Lesern eine (hoffentlich) unerwartete Lösung präsentieren kann. Gleichzeitig lässt der Fall Raum für Gesellschaftskritik, falls diese vom Verfasser geübt werden möchte. Das funktioniert, wenn es sauber geplottet und plausibel entwickelt ist.

Davon kann hier keine Rede sein. „Der falsche Priester“ ist eine Sammlung größtenteils gut beobachteter und von Grosche satirisch kommentierter Szenen und Bilder aus dem Paderborner Alltag, um die sich eine Liebesgeschichte und diverse kriminalistische Episoden ranken. Genau die sind furchtbar schlecht geraten. Nicht nur die absurde Auflösung deutet darauf hin, dass der Krimi-Aspekt dem Verfasser eher als Vorwand dient. Seine Aperçus vermag er jedenfalls besser zu setzen.

Störend wirkt Grosches Drang, seinen Lesern quasi einzuhämmern, dass sie sich in Paderborn befinden. Viel zu ausführlich und ohne es ins eigentliche Geschehen zu integrieren, schwelgt er in Details. Es reicht ihm nicht zu schreiben, dass ein Lastwagen an Maikötters Beschattungsposten vorbeifährt – nein, es muss ein „Lastwagen von Vetter & Engels“ sein, einer in Paderborn bekannten Firma für Sanitär- und Installationsbedarf. Die kennt außerhalb dieser Stadt kein Mensch, und darüber hinaus hat dieser Lastwagen keine Bedeutung für die Geschichte, sondern ist nur Requisit, das die Authentizität des Schauplatzes unterstreichen soll – ein Schauplatz, der viel wichtiger als die Geschichte genommen wird, was den Spaß an der Lektüre nachhaltig verdirbt. (Es sei denn, man liest gern krimiähnlich aufbereitete Stadtpläne und Tourismusbroschüren.) Der Krimi ist für die Reflexion des Alltäglichen womöglich nicht das geeignete Genre, selbst wenn er vor allem als literarisches Transportmittel dient.

Feinsinn und Verpuff-Humor

Stilistisch wird „Der falsche Priester“ in täuschend einfachen Worten erzählt – täuschend deshalb, weil manche Spitze so harmlos klingt, dass es etwas dauert, bis beim Leser das 10-Cent-Stück fällt. Im Zeitalter der brachialen „Comedians“ u. a. Fratzenschneider sind Hintersinn und sprachliche Feinarbeit im humoristischen Sektor eine Seltenheit geworden. Man lernt sie daher zu schätzen, wenn man mit ihnen konfrontiert wird.

Wie ein Schriftsteller sein Garn spinnt, ist seine Sache. Der Rezensent kann gewisse Entscheidungen nur kommentieren. Hier sei angemerkt, dass mich persönlich es stört, die eingeschobenen Erinnerungen an eine komplizierte Liebe durchweg im Plusquamperfekt lesen zu müssen: Er hatte gefragt, und sie hatte geantwortet, und dann hatten sie gelacht, bevor sie irgendetwas anderes getan hatten. Grammatikalisch mag dies korrekt sein, aber es liest sich sperrig.

Nicht nur aber vor allem im Regionalkrimi ist der Ermittler ein Original mit diversen Macken, die ihn (oder sie) liebenswert, unkonventionell und unverwechselbar wirken lassen. In einer ‚katholischen‘ Stadt wie Paderborn legt sich Maikötter gern einen Priesterkragen um und erzielt damit als Ermittler gute Erfolge. Zu seiner Idee kann man ihm gratulieren, denn von der Arbeit eines Detektivs hat er kaum eine Ahnung, wenn auch stets einen klugen Spruch auf der Zunge.

Komische Leute, irgendwie nett

Darin liegt ein weiteres Problem dieses ‚Krimis‘: Maikötter fungiert in gewisser Weise als Sprachrohr seines Autors, der mit leidlich spitzer Feder diverse Seltsamkeiten des Paderborner Stadtlebens aufspießt und vor die Leseraugen bringt. „Der falsche Priester“ stützt sich dabei auf frühere Werke Grosches, die dieser in seinem Nachwort auflistet. Die Diskrepanz zwischen diesen geistreichen Passagen und den holprigen Krimi-Einlagen fällt ungünstig auf.

So eigen wie ihre Stadt sind offenbar auch die Paderborner – so muss man Grosches Figurenzeichnungen wohl interpretieren. Natürlich ist es schwierig, den schmalen Grad zwischen freundlicher Karikatur und plattem Parodie zu finden, zumal dieser individuell definiert wird. Grosche überzeichnet seine Personen. Interessanterweise gelingt ihm der Drahtseilakt mit dem jungen Deckel am besten, während Maikötter, ansonsten ein angenehm sperriger Charakter, mit seinem Priester-Tick ein Stück zu weit geht.

Hauptkommissar Gökke ist nicht Karikatur sondern Klamotte. Im letzten Drittel versucht sich Maikötter als Psychologe und deutet dessen grobschlächtige Art als Methode, das Schlechte in seinem Gegenüber zu provozieren und so zu erkennen – in gewisser Weise hat Gökke wie Maikötter also seinen eigenen Trick entwickelt, den Menschen in Kopf und/oder Seele zu blicken. Das dürfte in dieser Einfalt nur in Grosches Paderborn funktionieren …

Überhaupt spielt der Verfasser ein wenig zu eifrig die Klischeekarte vom exzentrischen Provinz-Ei, das sich gern wichtig macht und in paderbornspezifischer Nabelschau ergeht. Das trifft in erschreckend vielen Fällen den Nagel auf den Kopf, sollte aber nicht so übertrieben werden wie beispielsweise in der humoristisch plump gezeichneten Figur des Kuchen-Kriegers Benson.

Persönliches Schlusswort

Diese Besprechung beschäftigt sich mit dem Buch „Der falsche Priester“ unter seinem Etikett „Krimi“, was ihm insgesamt womöglich nicht gerecht wird. Als Krimi wird es jedoch vermarktet, und so muss es sich als solcher besprechen lassen.

Die Rezension mir fiel schwer, denn ich bin in gewisser Weise befangen, da selbst in Paderborn geboren und dort wieder ansässig. Die Verhältnisse vor Ort sind mir bekannt; sie geben Spielraum genug für die satirische Darstellung, rechtfertigen aber keinen weiteren jener Pseudo-Krimis, unter denen das Genre wahrlich genug zu leiden hat, selbst wenn man seine Grenzen als durchlässig und seine Regeln nur als Leitlinien betrachtet.

Autor

Erwin Grosche, geboren 1955 im westfälischen Anröchte bei Soest, bildet seit Jahrzehnten als Kabarettist und Kleinkünstler ein prominentes Element der Paderborner Kulturszene. Längst ist er auch überregional bekannt, wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und tritt nicht nur auf die Bühne, sondern als Schauspieler auch vor die Film- und Fernsehkamera.

Die Bibliografie des Schriftstellers Erwin Grosche ist ebenfalls von eindrucksvoller Länge. Den Schwerpunkt bilden mehr als 50 Kinder- und Jugendromane, doch ist damit sein literarisches Spektrum längst nicht ausgeschöpft. Ein erster Kriminalroman („Alle Gabelstaplerfahrer stapeln hoch“) erschien 1993.

Taschenbuch: 208 Seiten
Originalausgabe = dt. Erstausgabe
http://www.pendragon.de
http:www.erwingrosche.de

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