Hanif Kureishi – Das schwarze Album

_Die Geschichte eines anderen Londons_

|Auf dem Flur seines abgewrackten Londoner Wohnheims begegnet der unbedarfte Literaturstudent Shahid dem Anführer einer militanten Moslemgruppe und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Kureishis zweiter Roman zeigt unter anderem, wie subtil und willkürlich die Veränderungen sind, die einen Kleinstadtjungen zu einem Terroristen werden lassen.|

Bekannt ist „Das schwarze Album“ vor allem für Kureishis Verarbeitung der Fatwa gegen Salman Rushdi, dessen „Satanische Verse“ (1988) bis heute nicht nur eine schwer verdauliche Lesekost sind, sondern dessen sehr freie Darstellung des frühen Lebens des Propheten Mohammed zudem unter Muslimen zu einer Protestbewegung mit wochenlangen Demonstrationen und Ausschreitungen gegen den Autor geführt hatte. Obwohl sich Rushdi Ende 1990 öffentlich von seinem Roman distanzierte und zum Islam bekannte, blieb die Fatwa mit einem Kopfgeld in Millionenhöhe bis 1998 bestehen. Der damalige iranische Präsident Khatami erklärte zu diesem Zeitpunkt den Fall Rushdi für erledigt, extreme Moslemgruppen wie die „Stiftung 15. Chordad“ meldeten sich jedoch bald zu Wort und bekräftigten das Todesurteil, so dass der Autor sich bis heute nicht völlig sicher fühlen kann.

Den Höhepunkt von Kureishis Roman bildet eine von Shahids militanten Freunden organisierte öffentlich Verbrennung eben dieses Buches von Rushdi, an der Shahid widerwillig aber vom Verlangen nach Zugehörigkeit gedrängt teilnimmt („Ich will doch nicht immer Außenseiter sein.“). Die Diskussion um das Wesen von Literatur wird zu einer Diskussion um Individualität und Meinungsfreiheit, denn während der Bücherverbrennung erfolgt die innerliche Trennung Shahids von der Gruppe. Der schriftstellerisch ambitionierte Shahid erkennt die Widersprüche zwischen den Erfahrungen in der Gruppe, die aus Angst vor Verwestlichung und dem Verlust der islamischen Identität den alten Traditionen und der Religion zugewandt ist, und der Realität seines eigenen Lebens.

Das eigentliche Leben Shahids sieht weniger politisch orientiert aus, denn wenn er sich einmal nicht wie selbstverständlich von der Gruppe vereinnahmen lässt, ist er unterwegs zwischen Hörsaal und der Wohnung, in der er sich mit seiner Dozentin Deedee Osgood trifft. Dabei zeichnet Kureishi wie schon in [„The Buddha of Suburbia“ 1216 (dt. „Der Buddha aus der Vorstadt“) ein dichtes Bild von einem London – in diesem Fall der späten 80er Jahre – aus Rassismus, Gewalt, Drogen, von den heruntergekommensten Stadtteilen, in denen sich Shahids Bruder Chili und dessen Dealer Strapper gewöhnlich aufhalten, bis zu der noblen Wohngegend seiner Schwägerin Zulma.

London tritt in Kureishis Roman nicht nur als Setting auf, sondern als eine Metapher für eine neue nationale Identität aus Assimilation und Separation der sich überlagernden Gemeinschaften. Die Stadt wird zu einem Mikrokosmos der heutigen globalen Gesellschaft. In diesem Mikrokosmos kann und muss Shahid sich mit unterschiedlichen Daseinsformen auseinandersetzten, bis er seinen eigenen Weg findet. Dazu gehört auch das Verhältnis zu der sexuell erfahrenen und verheirateten Deedee, die am liebsten eine „literarische Wichsliste“ für ihre Studenten zusammenstellen würde und mit dem bisher wenig erfahrenen Shahid ihre erotischen Wünsche umsetzen kann. Erscheint diese Beziehung zunächst nur geprägt zu sein von dem absolut ungezwungenen Umgang mit Sexualität (Sex in verschiedenen Formen und an verschiedenen Orten), tritt bei Shahids Irrweg durch die Stadt zurück zur Wohnung oder beim gemeinsamen Kochen auch Romantik auf. Kureishi schilderte die sexuellen Abenteuer seiner Protagonisten oft in so drastischen Worten wie: |“Dann riß sie ein Kondom auf, rollte sich den Gummi über den Finger und rieb es mit Vaseline ein. (…) Sie forderte ihn auf zuzusehen, wie sie ein Bein hob und sich den Finger bis zum Anschlag in den Hintern schob. (…) Mit gespreizten Fingern zeigte sie ihm ihre Möse. Er nahm die Kerze, hielt sie dicht davor und schaute hinein. Er war glücklich. (…) Berauscht hielt er den Atem an, als Deedee eine Deodorantflasche nahm und sich den Verschluß in ihre Möse steckte.“| Was dabei auf einer Seite als Pornographie erscheint, verdeutlicht auf der anderen Seite Kureishis Ehrlichkeit im Umgang mit seinen Charakteren. Er scheut sich nicht, auch die Dinge zwischen den Menschen anzusprechen, die einem unerfahrenen Kureishi-Leser schnell das Blut in die Wangen treiben können.

Völlig wertungsfrei leben sich die Charaktere nicht nur in ihrer Sexualität aus – auch ihre Drogenexzesse werden ohne einen moralischen Zeigefinger geschildert. Ebenso moralisch wertungsfrei werden die Bücherverbrennung und ein terroristischer Anschlag auf einen Buchladen erzählt. Kureishis ironischer bis sarkastischer Humor ist es, der das alles legitimiert, wenn der solchermaßen ins Sexualleben eingeführte Shahid plötzlich nur noch Sex um sich herum sieht oder wenn die Charaktere vorgeführt werden, wie sie lächerlich-verzweifelt auf der Suche nach der nächsten Droge sind, oder sich einer der Terroristen bei dem Buchladenanschlag selbst verletzt.

Grotesk erscheint auch die Geschichte um eine „heilige Aubergine“ in deren Auftreten blinder Fanatismus, fehlende Objektivität und mangelnder Realismus kulminieren. Die moderne Politik wird dabei als bloßer Wählerfang entlarvt. Ein Politiker bedient sich der fanatischen Moslems und macht diese dabei doppelt lächerlich, indem sie eine Aubergine heiligen lässt und sich diesen Glauben zunutze macht, während er sich hinter vorgehaltener Hand vor Lachen ausschüttet („Offenbarungen sind natürlich eine Verirrung des Glaubens, bieten höchstens eine gewisse Belustigung.“).

Zusammengefasst, schildert „Das schwarze Album“ die Suche eines jungen Menschen nach seinem Weg im Leben und seiner Identität. In einer rassistischen, durch Gewalt geprägten Umwelt muss er sich mit verschiedenen Lebensvorstellungen auseinandersetzen, die unter anderem durch die Einstellung zur Religion, zum Erfolg (Vater propagierte den Erfolg durch harte Arbeit und den Aufbau eines Geschäftes; Shahid selbst möchte erfolgreicher Schriftsteller werden) und zum Stellenwert der Sexualität und Liebe determiniert werden. Das alles geschieht in einer Zeit, in der die Widersprüche des Lebens untergehen im Glück, Karten für ein Prince-Konzert (das „Schwarze Album“ ist ein Album eben dieses Künstlers) bekommen zu haben. Prince steht dabei gerade für den dynamischen Prozess, mit dem sich die Identität eines Menschen im Laufe des Lebens immer weiter entwickelt und verändert. Kureishis Humor und die Tatsache, dass er nie versucht, dem Leser eine Meinung aufzuzwingen, machen das Buch über eine Welt, die dem Durchschnittsleser sonst nicht zugänglich ist, zu einem Lesevergnügen.

Broschiert: 396 Seiten
www.droemer-knaur.de

Eine englische Ausgabe ist von Faber and Faber erhältlich.