Stephen Baxter – Vakuum-Diagramme (Xeelee-Zyklus)

Wenn man Baxters Buch verstehen will, muss man die Quantenmechanik verstanden haben – so möchte ich einmal einen Satz aus dem Buch selbst abwandeln (s.S. 316). Ich glaube, die wenigsten Leser verfügen jedoch über das nötige Hintergrundwissen, um wirklich zu verstehen, wovon der Autor hier fast ununterbrochen schreibt: Esoterische (real existierende) Physik und höhere Mathematik, durchmischt von offenbar spekulativen Abwandlungen und Extrapolationen oder gar völlig erdachten Weiterungen unserer heutigen Kenntnisse von der Natur des Universums. Da zu meinem Studium die theoretische Physik gehörte, konnte ich zumindest mit dem Begriffsapparat etwas anfangen. Andere dürfte Baxter aber schnell weit hinter sich lassen auf seinen Höhenflügen. Ob ihm das eine dankbare Leserschaft einbringt?

Kein anderes Buch hätte den Untertitel „Der ewige Krieg“ mehr verdient als dieses, beschreibt es doch in Episoden den zehn Millionen Jahre andauernden Entwicklungsweg der Menschheit, der untrennbar verknüpft ist mit dem Krieg gegen die Superrasse der Xeelee. Das Buch ist eigentlich kein Roman, sondern eine Sammlung von Geschichten, die durch eine Rahmenhandlung und ein paar wiederkehrende Personen lose verknüpft sind. Es stellt jedoch durch seine Form so etwas wie einen Schlüssel zum Xeelee-Zyklus des Autors dar, der außerdem vor allem aus den Romanen „Das Floß“, „Das Geflecht der Unendlichkeit“, „Ring“ und „Flux“ besteht.

Die Menschheit entwickelt sich im Laufe der Zeit – unterbrochen durch mehrfache Versklavung durch außerirdische Rassen – zur führenden Zivilisation des Universums, jedenfalls gleich nach den Xeelee. Im Vergleich zu Letzteren bleiben die Menschen spielende Kinder im Staub zu Füßen eines Riesen. Meist beachten die Xeelee sie gar nicht, nur wenn sie zu lästig und aufdringlich werden, finden sich die Menschen beiseite geschoben. In ihrer ewig währenden Borniertheit, ihrer Machtgier und nicht zuletzt ihrem Neid greifen die Menschen die Xeelee immer wieder an… Ohne zu erkennen, dass diese Superrasse etwas viel Wichtigeres zu tun hat als sich um sie zu kümmern. Seit Anbeginn des Universums kämpft sie nämlich gegen die Lebewesen aus Dunkelmaterie, die Photino-Vögel, die das baryonische – sichtbare – Universum mit ihren Aktivitäten unbewohnbar machen. Dafür haben die Photinos gute Gründe, und es interessiert sie gar nicht, dass sie das andersartige Leben auslöschen, wenn sie die Sterne vorzeitig und sämtlich altern lassen.

Es gibt kein Happy End in diesem Zyklus. Die Xeelee geben schließlich auf und verlassen das Universum durch den von ihnen geschaffenen Ring, die degenerierten Reste der Menschheit warten hilflos auf den Untergang, das Ende der Zeit.

Niemals wird nach Verständigung gesucht, es gibt nur immer wieder die Konfrontation. Mehr als einmal benutzt Baxter den Vergleich mit Motten, die zum Licht gezogen werden, und tatsächlich mutet das Verhalten auch der schon jahrmillionenalten Menschheit genauso hirnlos dumpf an. Die Xeelee dagegen scheinen so weit über anderen Rassen angesiedelt, dass sie sich niemals auch nur die Mühe eines Versuches machen, ihre Beweggründe zu offenbaren und vielleicht mit den anderen in eine Koexistenz oder gar zur Zusammenarbeit zu finden.

Hinter dem überwältigenden Kaleidoskop an Ideen, den überaus gigantischen Raum- und Zeitmaßstäben, die Baxter vor dem mystifizierten Leser ausbreitet, erscheint der Mensch bei all seinen Errungenschaften seltsamerweise als immer gleiches, unbedeutendes Gewürm in den Falten der Zeit. Wenn überhaupt, dann vermittelt das Buch letztlich eine deprimierende Botschaft. Für mich war jedenfalls nicht das ungebrochene Streben der Menschheit maßgebend, die Vielfalt des Lebens und der Möglichkeiten, welche diese Zivilisation sich erschließt, sondern nur der ungeheure Irrtum hinter allem. All diese Anstrengungen, der ewige Wettstreit, das Ringen darum, die Besten und Größten zu werden – nur Hybris, Größenwahn und Verblendung ohne eine Chance auf Einsicht?

Die wechselnden Schauplätze und Personen machen das Buch ebenso wie die Häufung an wissenschaftlichen Erklärungen recht schwierig, und auch der Übersetzer stieß merklich an die Grenzen seines Fachwissens. Für Leser des Zyklus und Hardcore-SF-Fans ist es natürlich unverzichtbar; wen eine derartige Ladung von Physik in einem Buch eher langweilt, den wird es sicher nicht begeistern.

Taschenbuch: 655 Seiten
www.heyne.de

Wilko Müller jr. © 2001
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