Dean Koontz – Die Anbetung (Odd Thomas 1)


Die schwarze Kammer des Bösen

Odd Thomas, ein Koch in einer Frittenbude in Südkalifornien, hat eine einzigartige Fähigkeit: Er kann die Toten sehen. Nur sehr wenige Mitmenschen wissen davon, darunter seine Freundin Stormy, eine Eisverkäuferin, und Sheriff Porter. Ein merkwürdiger Fremder taucht in Pico Mundo auf, und wegen seines Aussehens nennt Odd ihn den Pilzmann.

Den Pilzmann umgeben hyänenartige Schattenwesen, die Odd als Vorboten und Zuschauer eines fürchterlichen Todes kennt. Odd muss nicht nur seinen übernatürlichen Spürsinn einsetzen, sondern auch sein Köpfchen, denn er hat Angst vor Waffen. Kann er die sich anbahnende Katastrophe verhindern?

_Der Autor_

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren, musste in seiner Jugend hungern, schrieb Schundromane für einen Hungerlohn, lernte seine Frau Gerda kennen und konnte schließlich mit ihr nach Kalifornien ziehen, wo das Ehepaar seither stets mit einem Golden Retriever zusammenlebt. Es gibt kein einziges Koontz-Buch der letzten Jahre – etwa seit „Geschöpfe der Nacht“ -, in dem nicht mindestens ein Loblied auf diese Hunderasse angestimmt wird.

Die zahlreichen Thriller und Horror-Romane des schärfsten Konkurrenten von Stephen King wurden sämtlich zu Bestsellern und in über 30 Sprachen übersetzt. Weltweit hat Koontz laut Verlag über 325 Millionen Exemplare verkauft. Leider wurden bislang nur wenige von Koontz‘ Büchern verfilmt. Die beste Verfilmung ist meiner Meinung nach „Intensity“, aber der Film strapaziert die Nerven derart, dass er höchst selten gezeigt wird.

Der |Odd|-Zyklus bislang:

1) Odd Thomas (2004, deutsch 2006 als „Die Anbetung“)
2) Forever Odd (2005, deutsch 2008 als „Seelenlos“)
3) Brother Odd (2006)
4) Odd Hours (Mai 2008)
5) Odd Passenger: mehrere Web-Episoden (Webisoden) online (auf YouTube)
6) In Odd We Trust (Juli 2008, Graphic Novel)

|Dean Koontz auf Buchwurm.info:|

[„Seelenlos“ 4825
[„Irrsinn“ 4317
[„Todesregen“ 3840
[„Frankenstein: Das Gesicht“ 3303
[„Die Anbetung“ 3066
[„Kalt“ 1443
[„Der Wächter“ 1145
[„Der Geblendete“ 1629
[„Nacht der Zaubertiere“ 4145
[„Stimmen der Angst“ 1639
[„Phantom – »Unheil über der Stadt«“ 455
[„Nackte Angst / Phantom“ 728
[„Schattenfeuer“ 67
[„Eiszeit“ 1674
[„Geisterbahn“ 2125
[„Die zweite Haut“ 2648

_Handlung_

Odd Thomas lebt in Pico Mundo, einer 40.000-Seelen-Stadt irgendwo in Südkalifornien unweit einer Luftwaffenbasis, und arbeitet hier in einer besseren Frittenbude als Garkoch. Eines Tages musste er sehr zu seinem Leidwesen feststellen, dass er die Fähigkeit besitzt, die Toten zu sehen. Jedenfalls diejenigen, die sich noch an irdische Dinge klammern, so etwa Elvis Presley, der ständig flennt. Aber er sieht auch hyänenartige Schattenwesen, die nach einem englischen Ausdruck „Bodachs“ nennt. Sie erscheinen dort, wo der Tod bald seine Arbeit verrichten wird.

Er sieht sie wieder, als sie eines Morgens in das Grillrestaurant eindringen, in dem er arbeitet, und sich die Gäste ansehen. Besonders einen umschwärmen sie: einen Weißen mit einem käsigen, schwammigen Gesicht. Odd nennt ihn bei sich den „Pilzmann“. Er spürt, dass von ihm Unheil droht. Er sieht ihn wieder, als Odd seine Freundin Stormy Llewellyn besucht, die in der Einkaufspassage Eis verkauft. Daraufhin folgt er ihm, nachdem er Chief Porter Bescheid gegeben hat. Der Sheriff ist wie ein Vater für ihn.

Vor dem Haus des Pilzmannes wartet er, bis dieser das Haus wieder verlässt. Das Eindringen ist kinderleicht. Seltsamerweise scheint die Wohnung zwei gegensätzliche Persönlichkeiten widerzuspiegeln, die eine schlampig, die andere pedantisch. Letztere zeigt sich im Büro des Pilzmannes: ein penibel geführtes Archiv von Massen- und Serienmördern. An der Wand hängen Poster von Charles Manson und Mohammed Atta, dem Anführer der Al-Kaida-Attentäter vom 11. September.

Das Allerseltsamste ist jedoch ein Raum, in dem schwarzes Nichts jedes Licht verschluckt. Nur ganz hinten scheinen zwei rote Lichter böse zu brennen. Mutig begibt sich Odd hinein und stellt fest, dass es sich nicht nur um eine andere Dimension handelt, sondern auch um eine Zeitmaschine. Er kehrt ein paar Minuten vor dem Zeitpunkt zurück, zu dem er sie betreten hat und kann sein früheres Ich sehen, wie es die Kammer betritt. Äußerst merkwürdig. Indem er ein zweites Mal hineingeht, schließt er die Kammer. Sie wird zu einem ganz normalen Raum: dem Archiv des Bösen. Und Odds Kopie verschwindet ebenfalls. Stattdessen dringen aus der Kammer weitere Bodachs hervor …

Jetzt ist Odd klar, dass seiner Stadt und all den geliebten Menschen darin schlimmstes Unheil droht. Ein prophetischer Albtraum, den er Stormy und Porter erzählt, zeigt ihm ermordete Menschen, doch wo das ist, kann er nicht erkennen. Er weiß nur, wann es passiert: Im Tageskalender des Pilzmannes ist der 15. August angestrichen, und das ist bereits am nächsten Tag.

Odd ist sicher, dass ihm weniger als 24 Stunden bleiben, um Pico Mundos Menschen vor der bevorstehenden Katastrophe zu bewahren. Doch der Gegner, mit dem er es zu tun hat, hat erkannt, dass er erkannt worden ist, und bereitet einen Gegenschlag vor …

_Mein Eindruck_

„Odd“ bedeutet im Englischen „ungleich, schräg, sonderbar“. Doch das ist das Letzte, das Odd Thomas sein will. Denn es bedeutet, einsam zu sein und jede Hoffnung zu verlieren. Er ist auf seine Freunde angewiesen, und seine Freundin Stormy liebt er innig, auch wenn sie ihn ständig triezt. Aber wie sich im Laufe der Handlung herausstellt, ist Odd um einiges normaler und menschlicher als so mancher seiner Zeitgenossen.

Das gilt natürlich für die durchgeknallten Typen, die den Anschlag vorbereiten, sowieso. Aber auch Odds Besuche bei seinem Vater, einem sorglos lebenden Sexprotz mit jungen Gespielinnen, und seiner Mutter, die partout keine Verantwortung übernehmen will und ihn mit einem Revolver verjagt, machen deutlich, dass es Schlimmeres gibt als mit Odds Gabe versehen zu sein.

|Die Gabe|

Odd selbst kann sich nicht entscheiden, ob die Gabe, Totengeister und Bodachs – sie erinnern an die „Besucher“ in „The Gathering“ – sehen zu können, ein Segen oder ein Fluch ist. Doch mit dem Helden in der Christopher-Snow-Trilogie hat Odd gemein, dass er zwar außerhalb der Gesellschaft der Normalos steht, ihr aber zu Hilfe und Beistand verpflichtet ist. Denn nur dort findet er jene menschliche Wärme, die ihm Vater und Mutter verweigerten. Dass ihn dies zu einer Art Samariter oder klassischem |Marvel|-Comics-Supermenschen macht, ist klar, ihm aber nicht bewusst. Und wenn man Odds Weg ein paar Stunden lang gefolgt ist, dann will man garantiert nicht mehr mit ihm tauschen.

|No guns!|

Wird es einmal so spannend, dass der Leser an den Nägeln zu kauen beginnt, dann legt der Ich-Erzähler wieder einmal eine seiner Denkpausen ein – und macht als nächstes etwas ganz anderes als das, was man erwartet hat. Weil seine Mutter ihn regelmäßig mit einer Pistole bedrohte, hat Odd Angst vor Waffen aller Art und benutzt Schusswaffen nur im äußersten Notfall. Er muss sich häufig mit einer alternativen Strategie aus der Patsche helfen.

Das fand ich sehr sympathisch, denn es zeigt Waffenfetischisten (von denen es in Koontz‘ Heimat jede Menge gibt), dass man sich auch auf andere Weise verteidigen kann. Überhaupt ist Odd bzw. Koontz in der Lage, die Amerikaner auch von außen in ihren Eigenarten anzusehen, was bei einem amerikanischen Unterhaltungsschriftsteller ein seltenes Phänomen ist. Vielleicht hat ja seine deutsche Frau Gerda dazu beigetragen.

|Selbstironie|

Odd ist ein Ausbund an Selbstironie. So entschuldigt er sich einmal, dass er nicht der Ritter sei, den den schrecklichen Jabberwock erlegt. Das ist ein Hinweis auf das gleichnamige Nonsensgedicht „Jabberwocky“ von Lewis Carroll, dem Schöpfer von Alice im Wunderland (es steht im zweiten Band). Warum sollte sich ein junger Mann mit einem Ritter vergleichen, den sowieso niemand ernst nehmen kann? Das ist ja gerade der Witz.

|Elvis|

Auch die Begegnungen mit Elvis „The King“ sind einerseits ironisch, andererseits von echtem Mitgefühl geprägt. Odd hat wie der King seine Mutter verloren und kann nachfühlen, wie es Elvis geht. Wie jeder, der Elvis‘ Biografie gelesen hat, liebte dieser seine Mutter Gladys über alles, doch sie starb, bevor er noch den Gipfel seines Ruhm erklommen hatte, und er geriet – wie sie gesagt hätte – auf Abwege, indem er Drogen missbrauchte und von Medikamenten abhängig wurde. Daher starb er bereits mit 42 Jahren. Der Geist des toten Elvis kann nicht von der Erde lassen, weil er hofft, durch Odd noch einmal seine Mutter sehen zu können – oder weil er fürchtet, was seine Mutter zu ihm als Tadel sagen würde, würde er ihr in die jenseitige Welt folgen. Dem Lesepublikum des Autors dürfte diese Geschichte ganz besonders nahegehen.

|Der Auftrag|

Wie in vielen von Koontz‘ Romanen kommt auch hier ein Schriftsteller vor. Zu allem Überfluss ist der fettleibige Ozzie Boone auch noch ein Autor von Krimis (die im Englischen „Mystery“ heißen, aber nichts mit Mysterien zu tun haben). Mit Odd versteht sich Ozzie ausgezeichnet, und die Unterhaltung, die sie an Ozzies Tisch führen, ist eine der vergnüglichsten, schrägsten Lektüren, die ich in den letzten Jahren genießen durfte. Nur Ozzies Kater „Terrible Chester“ bereitet Odd wirklich Sorgen, weil er ihn unverwandt anstarrt und ihm hin und wieder auf die Schuhe pinkelt. Es ist Ozzie, der Odd den Auftrag gegeben hat, über seine ungewöhnlichen Erlebnisse vor der Katastrophe am 15. August zu ein Buch zu schreiben.

|Spannung der Diskrepanz|

Dieses Buch ist durchaus spannend zu lesen, und zwar nicht bloß wegen des Attentats auf Chief Porter oder der drohenden Katastrophe, sondern weil es der Autor/Erzähler versteht, eine Art psychologische Dauerspannung zu erzeugen, indem er durch den Kontrast „Normalleben“ und „Odd-Leben“ eine Diskrepanz aufzeigt, die einen ständigen Widerspruch erzeugt, der niemals aufzulösen ist.

Und selbst dann, als Odd, der Ich-Erzähler – und mit ihm der Leser – meint, jetzt sei alles überstanden und in Butter, kann dieser Widerspruch doch nicht aufgelöst werden, ohne dass Odd verrückt wird. Daher gibt es am Schluss noch einen überraschenden Schlenker, der den Leser unvorbereitet trifft und ihn deshalb umso treffsicherer schockieren wird.

|Die Übersetzung|

Bernhard Kleinschmidt hat sehr gut übersetzt, und zwar häufig genau so, wie man sich in Deutschland ausdrücken würde, also beispielsweise mit „Denkste!“ und dergleichen. Die meisten Fehler, die ich fand, sind banale Druckfehler, so etwa auf Seite 383 „Bewohnter“ statt „Bewohner“. Auf Seite 465 fragte ich mich aber, ob das Wort „Entzückung“ nicht besser durch das geläufigere „Entzücken“ ersetzt werden sollte. Gemeint ist ja das Gleiche, aber „Entzücken“ scheint mir korrekt zu sein.

_Unterm Strich_

Wie danach in [„Seelenlos“ 4825 geht es auch in „Die Anbetung“ um das, was eine teuflische Sekte in einer (mehr oder weniger) friedlichen Stadt anstellen kann. Diesmal sind die Satanisten am Werk, im Folgeband ist es eine Sektenführerin. Die Satanisten scheinen aber sehr viel destruktiveres Potenzial zu besitzen. Sie sind geradezu eine Kombination aus Charles Manson, Timothy McVeigh (der das Verwaltungsgebäude von Oklahoma City in die Luft jagte) und Mohammed Atta.

Die Spannung rührt vor allem von der Frage her, ob es Odd, diesem seltsamen Garkoch, gelingt, die Stadt binnen 24 Stunden vor der schlimmsten Katastrophe ihrer Geschichte zu bewahren. Aber auch die Kluft zwischen Odds Leben und dem seiner Mitmenschen erzeugt eine psychologische Spannung. Es ist eine weitere Dimension der Wahrnehmung, eine Weltsicht, die so manchem Angst einjagen würde.

Odds Freundin Stormy sieht die Welt anders: Das erste Leben ist das Ausbildungslager für das nächste, das dem „Dienst“ gewidmet ist. Doch der Lohn für den Dienst erfolgt erst im dritten Leben. Nicht nur Odd zweifelt daran, ob dieser Belohnungsaufschub inklusive Sublimierung die richtige Einstellung ist, aber hey: Stormy ist damit zufrieden. Und diese Religion ist wesentlich weniger schädlich als die Teufels-Anbetung, wie sie Pico Mundo hinwegzufegen droht. Merke: Die Welt ist das, was wir aus ihr machen – Himmel oder Hölle.

Dieses fast schon philosophische Konzept zieht sich durch alle Odd-Thomas-Romane und viele andere Werke Koontz‘. Es ist erstaunlich, auf welch vielfältige Weise es ihm gelingt, das Gute oder was man landläufig dafür ausgibt, auf die Probe zu stellen. [„Irrsinn“ 4317 ist beispielsweise solch ein Roman. Und wie immer ist das sehr spannend zu lesen.

|479 Seiten (Taschenbuchausgabe)
Aus dem US-Englischen von Bernhard Kleinschmidt
ISBN der Taschenbuchausgabe August 2007: [978-3-453-43244-4]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453432444/powermetalde-21 |
http://www.heyne.de

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