Dean Koontz – Meer der Finsternis

Der Odd-Zyklus bislang:

1) Odd Thomas (2004, deutsch 2006 als „Die Anbetung“)
2) Forever Odd (2005, deutsch 2007 als „Seelenlos“)
3) Brother Odd (2006, deutsch 2008 als „Schattennacht“)
4) Odd Hours (2008, deutsch 2009 als „Meer der Finsternis“)
5) In Odd We Trust (Graphic Novel, Juli 2008)

Der Meister des mystischen Thrillers hat sich in den letzten Jahren noch einmal von seiner fleißigsten Seite gezeigt: Dean Koontz legt im aktuellen Jahrzehnt noch einmal ein enormes Pensum vor, hat sich unterdessen aber nicht mehr so häufig von der Unberechenbarkeit seiner Ideen treiben lassen. Mit Odd Thomas hat Koontz letztlich einen Charakter geformt, der immer mehr zu seinem persönlichen Helden geworden ist und inzwischen die wohl wichtigste Figur seiner Romane darstellt.

Diese Entwicklung wird unter Fans jedoch arg zwiespältig betrachtet, da Thomas in seinen bisherigen drei Abenteuern nicht immer diese Begeisterung auslösen konnte, den Koontz-Fans von ihrem schreibenden Lehrmeister stets erwarten durften und dürfen. Nicht zuletzt mit dem ziemlich schwachen „Schattennacht“, welches eher seelenlos und bieder inszeniert wurde, schien Thomas sich selbst langsam aber sicher aufs Abstellgleis zu manövrieren. Doch sollte es uns deshalb überraschen, dass der Autor im Anschluss an die kritischen Analysen erst recht an seinem Protagonisten festgehalten hat? Oder etwa, dass Koontz in seiner nachfolgenden Veröffentlichung „Meer der Finsternis“ genügend Argumente vorzuweisen weiß, die ihn in diesem Entschluss bestätigen …

Inhalt:

Nach seinem bedrückenden Ausflug ins Kloster hat sich Odd Thomas in das verschlafene Küstenstädtchen Magic Beach zurückgezogen, wo er bei der einstigen Schauspiellegende Hutch Hutchinson als Koch unterkommen konnte. Einen Monat lang gelingt es dem Geisterseher, auszuspannen und das Leben wieder zu genießen – bis er am lokalen Pier die hübsche Annamaria kennenlernt, deren Aura ihn sofort anzieht. Doch das Treffen ist nur von kurzer Dauer; ein grobschlächtiger Schläger und seine beiden Kompagnons überfallen Odd, und diesem gelingt es nur knapp, sich schützend in die Fluten zu stürzen.

Fortan ist Odd auf der Flucht vor dem bulligen Gauner, der nicht nur die Mitarbeiter der Hafenmeisterei, sondern auch die Polizei auf seiner Seite zu haben scheint. Viel mehr als dies beunruhigt Odd jedoch der kürze Körperkontakt mit dem Brutalo, der eine Traumvision Thomas‘ plötzlich wieder zum Leben erweckt. Nach und nach realisiert der Flüchtige, dass genau jener Traum in Bälde Wirklichkeit zu werden droht.

Die Uhren in der näheren Umgebung zeigen den Countdown an, und Thomas muss schließlich erkennen, dass selbst der örtliche Pfarrer Teil einer außergewöhnlichen Verschwörung ist. Wieder einmal ist Thomas gezwungen, über seinen moralischen Schatten zu springen und gegebenenfalls über Leichen zu gehen, um ein größeres Unglück zu verhindern – dabei ist Odd im Grunde seines Herzens ein friedfertiger Mensch …

Persönlicher Eindruck:

Witzig ist er, der neue Koontz, übermäßig ironisch und stellenweise sogar so skurril in seiner Wortwahl, dass sich die Frage stellt, ob der Bestseller-Garant sein neues Projekt überhaupt mit der nötigen Ernsthaftigkeit verfolgt hat. Doch diese Frage ist schnell beantwortet: Er hat, und mehr als dies noch; er setzt jede noch so humorvolle Anmerkung, jeden komischen Wink mit dem Zaunpfahl und selbst jede noch so seltsam anmutende Szene, die sein Protagonist durchläuft und durchlebt, gezielt ein und schafft dabei einige grandiose Kontraste, die zwischen den beklemmenden, teils auch wieder sehr bedrohlichen Szenen des Hauptplots ihre Wirkung entfalten.

Und dennoch: Phasenweise macht Koontz nicht gänzlich transparent, was nun der Kern seines neuen Romans ist. Sicherlich ist „Meer der Finsternis“ eine enorme Weiterentwicklung des tragenden Charakters Odd Thomas, und in keinem seiner bisherigen Abenteuer erfährt man so viel Gezieltes über diese eigenartige, aber stets sympathische Person. Doch je mehr Thomas sich aktiv in die Szenerie einbringen kann, desto merkwürdiger formt der Autor schließlich den mystischen Part seiner Story. Dass der Geist von Frank Sinatra als polternder Tunichtgut zwei von Thomas‘ neuen Feindbildern fast zu Tode richtet, mag hier noch sehr gut in Koontz‘ Konzept von schwarzem Humor passen. Dass der Protagonist jedoch in der äußersten Bedrohung noch in der Lage ist, mit galantem Wortwitz, einer Menge Charme und einer ebenso großen Anwandlung von Dreistigkeit Shakespeare zu zitieren und die Gegner, die sich in einer weitaus besseren Position zu befinden, zum Spielball ihrer eigenen Naivität zu machen, ist nicht zwingend typisch für den amerikanischen Horror-Superstar und für eingefleischte Fans womöglich auch gewöhnungsbedürftig. Aber letzten Endes ist es dieser düstere, abstrakte, an sich jedoch auch sehr feinsinnige Humor, der dieses Buch im Wesentlichen auszeichnet und es häufig genug schafft, die gute, wenn auch nicht immer überragende Thriller-Handlung zu überblenden.

Letztgenannte ist schließlich die andere Seite von „Meer der Finsternis“; brutal und fokussiert, zwar auch wieder in einer von Koontz‘ klassischen Nebellandschaften ausgebreitet, aber in ihrer Wirkung gerade in den heftigeren Szenen sehr intensiv und berauschend. Der Autor weiß um die Wirkung kurzer Schockszenen, nimmt dem Leser kurz den Atem, kontert dann mit einem erheiternden Einschub, um in der direkten Folge noch einen draufzusetzen – altes Schema, tausendmal erprobt, aber auch hier wieder sehr effektiv. Dass der Plot sich schließlich auf einen Wettlauf gegen die Uhr einlässt und relativ ‚gewöhnliche‘ Themen wie eine atomare Bedrohung aufgreift, nimmt der Sache zwar die übersinnlichen Werte, die durch den anfänglichen Traumtransfer noch suggeriert werden. Aber da in „Meer der Finsternis“ eher das Wechselspiel zwischen immenser Charakterentwicklung und der bedrohlichen Atmosphäre im Vordergrund steht, ist auch das zu verkraften.

Was verbirgt sich nun aber genau hinter diesem Roman? Nun, vor allem ein untypisch-typisches Manuskript, ein bizarres Verständnis von Humor, ein Sammelsurium eigenartiger Wendungen und am Ende eines der sicherlich unterhaltsamsten, vielleicht nicht spannendsten, aber dennoch lohnenswertesten Bücher, die der Autor in der letzten Dekade geschrieben hat. Die Empfehlung ist somit klar verdient, auch mit dem Hinweis, dass man mal wieder alles und nichts erwarten darf!

382 Seiten, gebunden
Originaltitel: Odd Hours
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
ISBN-13: 78-3-453-26613-1
www.deankoontz.com
www.heyne.de
www.dean-koontz.de