Laura Wohnlich – Sweet Rotation

Anna ist neunzehn Jahre alt und orientierungslos. Zahlreiche Teilzeitjobs hatte sie – alle waren nach wenigen Tagen oder Wochen langweilig. Vor Langeweile fürchtet sie sich ohnehin, aber Geld verdienen muss sie ja. Also beschließt Anna eines Tages, es im Escortgeschäft zu versuchen. Kurzerhand stellt sie sich bei „Sweet Rotation“ vor, schlüpft in die Rolle der Mira, wird fotografiert, ins Netz gestellt und trifft bald darauf ihren ersten Kunden. Dass der Tag, an dem sie ihren neuen Job antritt, ausgerechnet der Tag ist, an dem auch Annas Mutter plötzlich stirbt, ist Zufall, zieht sich aber wie ein roter Faden durchs ganze Buch.

Nach und nach lernt Anna verschiedene Männer und natürlich auch eine Frau kennen, die mal mehr und mal weniger unangenehm sind. Doch als Anna ihren ersten Umschlag mit Geld öffnet, erkennt sie plötzlich, wie schnell und im Grunde genommen einfach sie als Escortgirl Geld verdienen kann. Und bald darauf lernt sie dann auch noch einen faszinierenden Kunden kennen, der in einem riesigen und beeindruckenden Haus wohnt, im Geld schwimmt und darüber hinaus auch noch nett ist. Doch erst als Anna einen jungen Mann trifft, der eigentlich gar nicht das Geld hat, um sie zu buchen, es aber doch versuchen will, weil er von der Liebe enttäuscht ist, werden die Karten neu gemischt. Anna beginnt, darüber nachzudenken, was und wen (!) sie eigentlich will. Doch in welche Richtung will sie eigentlich gehen? Was will sie aus ihrem Leben machen?

Zickzackweg

Anna ist eigentlich eine typische Neunzehnjährige – im Grunde genommen steht ihr die ganze Welt offen, weil sie sich noch nicht für einen Weg entschieden hat. Doch genau das ist ja so schwierig – welchen der vielen Wege soll man denn einschlagen? In zahlreichen Rückblenden erfahren wir zwischen den Kapiteln einiges aus Annas Vergangenheit, wir erfahren, wie zerrüttet ihre Familie war, wie unsicher sich Anna gefühlt hat, dass sie stets an sich selbst gezweifelt und schließlich in die Essstörung geflüchtet hat.

Der Tod ihrer Mutter scheint sie mehr zu irritieren denn zu schockieren. Nie weint sie oder macht ihrer Trauer Luft. Stattdessen gibt sie später zu, dass sie den Weg ins Escortgeschäft nur gewählt hat, um von ihrer Mutter eine Reaktion zu provozieren. Dass diese nun zwangsläufig ausbleiben muss, macht Anna wütend – eine merkwürdige Reaktion für ein junges Mädchen nach dem Tod der Mutter.

Ohnehin kommt man nicht so recht an Anna ran, obwohl die ganze Geschichte aus ihrer Sicht in der Ich-Perspektive erzählt ist und man dadurch immer Zeuge ihrer Gedanken ist. Aber manchmal hat man das Gefühl, dass sie auch in diesen Gedanken nicht ehrlich zu sich selbst ist und man nicht die wahre Anna kennenlernt. Sie wird nicht so recht durchschaubar, denn es ist doch schwer nachvollziehbar, wie wenig ihr der neue Job ausmacht und wie selbstverständlich sie sich auf die verschiedenen Männer einlässt.

Schonungslos werden diese Kunden seziert, Anna kennt da nichts und präsentiert auch die letzten Details, die ihren derzeitigen Kunden kennzeichnen. Immer wieder kommen Telefonate mit ihrer Tante dazwischen, die Anna drängt, sich mit ihr über die Details der Beerdigung ihrer Mutter zu unterhalten. Doch diese Gespräche kommen nicht so recht voran und laufen auf nichts hinaus. Annas Mutter und auch ihr Vater tauchen ebenfalls immer wieder in der Geschichte und in Annas Gedanken auf. In den Rückblenden erfährt man immerhin soviel, dass man ziemlich gut versteht, dass Annas Kindheit nicht gerade die behütetste und liebevollste war. Deswegen aber der Weg, den sie jetzt einschlägt? Mir mag es nicht so recht einleuchten.

Männergeschichten

Neben Annas Vater spielen vor allem drei Männer in der Geschichte eine wichtige Rolle: ihr netter Kunde Enrique mit dem großen Haus, ihr Kunde Nelson, der sich ihre Gesellschaft eigentlich gar nicht leisten kann, und ihr bester Kumpel Rudy. Schon nach der ersten Begegnung mit Nelson ist Anna klar, dass sie ihn will, auch wenn Nelson noch seiner Exfreundin Amanda hinterher trauert, die inzwischen ein Kind hat und mit einem anderen Mann zusammenlebt. Nelson hat eine Reihe von Freunden, die in der Erzählung häufiger auftauchen und die alle irgendeinen Spleen haben. Einen wirklich durch und durch normalen Menschen habe ich im ganzen Buch nicht gefunden.

Die Beziehung zwischen Anna und Nelson entwickelt sich nach und nach, aber sie macht meist zwei Schritte vor und drei zurück. Dadurch dreht sie sich unweigerlich im Kreis und die Geschichte kommt einfach nicht voran. Das ganze Buch mäandert hin und her, ohne dass beim Lesen wirklich klar wird, worauf die Geschichte eigentlich hinaus laufen soll. Das irritiert schon etwas und führt nicht gerade dazu, dass man das Buch unbedingt in einem Rutsch durchlesen möchte.

Orientierungslosigkeit

Was aber wirklich überzeugend rüberkommt, ist Annas Orientierungslosigkeit. Die nimmt man ihr ab und die stellt Laura Wohnlich auch mehr als überzeugend dar. Ich selbst bin vermutlich zu weit weg Annas Alter und Annas Welt, als dass ich mich irgendwie in sie hineinversetzen könnte, aber ich verstehe, dass sie ihren Platz in der Welt sucht und einfach nicht findet und dann kurzerhand einfach Dinge probiert, um einfach etwas zu tun. Und schließlich gilt es auch, die Miete zu zahlen. Immerhin soweit übernimmt Anna auch bereits Verantwortung in ihrem jungen Alter.

Man kann es verstehen, dass ein junger Mensch in dem Alter sich selbst erst finden muss, dennoch ist mir am Ende nicht so wirklich klar geworden, ob Anna sich eigentlich gefunden hat?

Unter dem Strich…

.. überzeugt das Buch leider nicht durchweg. Die Idee finde ich gelungen und auch sehr witzig. Diese Idee trägt das Buch über weite Strecken, auch wenn sich die Geschichte genau wie Anna recht orientierungslos entwickelt. Interessant immerhin ist die Geschichte, wenn auch etwas lang und nicht immer zielgerichtet. Sagen wir so: Das Buch ist in Ansätzen echt gelungen, hat aber doch noch deutliches Upside-Potenzial.

Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
ISBN-13: 978-3492057929
www.piper.de

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