Patrick Dunne – Die Keltennadel [Jane Wayde 1]

Pfarrer Lavelle aus Irland findet in seiner Kirche eine ‚geopferte‘ Frau. Als Spezialist für moderne Kulte (und Tatverdächtiger) beginnt er in eigener Sache zu ermitteln, wobei ihm ein freundlicher Polizist und eine Kunstexpertin helfen. Man kommt einer pseudoreligiösen Verschwörung auf die Spur, die einen neuen Kreuzzug plant, um diese sündige Welt zu ‚reinigen‘ … – Debütautor Dunne schert sich wenig um Handlungslogik oder Figurentiefe, sondern serviert, was das Genre seit Dan Brown dominiert: Kirchen-Geheimnisse und saftige Morde: Munkel-Thriller von der Stange.

Das geschieht:

In seiner Kirche in Kilbrick, eine kleinen irischen Gemeinde westlich von Dublin, macht Pfarrer Liam Lavelle eine grausige Entdeckung: auf dem Altar liegt die nackte Leiche einer jungen Frau; grausam gefoltert, verstümmelt, ausgeblutet. In einer Wange steckt die Nachbildung einer keltischen Gewandnadel. Lavelle vermutet sogleich einen rituellen Opfermord in der Tat. Er hat in den Vereinigten Staaten lange für „Cultwatch“ gearbeitet, eine Organisation, die sich ausgiebig mit dem modernen Sektenwesen beschäftigt.

Detective Inspector Kevin Dempsey ist durchaus geneigt, Lavelles Theorien zu folgen, doch der mit auf den Fall angesetzte Detective Sergeant Jack Taaffe hält wenig von allzu komplizierten Erklärungen. In guter, alter Polizeimanier ist in seinen Augen derjenige der Hauptverdächtige, der eine Leiche entdeckt.

Dempsey hält seine schützende Hand über Lavelle, der unerwartet weitere Hilfe erhält. Die junge Kunstkritikerin Jane Wayde macht sich Sorgen um ihre Schwester Hazel. Diese hatte sich einer obskuren Glaubensgemeinschaft angeschlossen und ist spurlos verschwunden. Rasch kristallisiert sich heraus, dass es ungeahnte Verbindungen zu einer langen Reihe ungeklärter Gewalttaten und Morden gibt, die nicht nur die irischen Ermittlungsbeamten vor Rätsel stellen. Dahinter steckt eine mysteriöse Sekte namens „Zehnter Kreuzzug“, die weltweit militant die asketischen Werte der frühen irischen Kirche sowie die Religion der Kelten propagiert.

Lavelle ist alarmiert, denn dem „Zehnten Kreuzzug“ steht Michael Roberts, den er aus seiner Zeit auf dem Priesterseminar kennt. Der charismatische, aber psychisch gestörte Mann fiel durch bizarre religiöse Praktiken auf und musste das Seminar verlassen. Nun hat er ein Schattenimperium errichtet und setzt fort, was ihm als Vision vor Augen steht. Die Untaten in Irland sind nur Teil eines wahnwitzigen Plans Roberts plant nichts Geringeres als die buchstäbliche Sprengung einer Friedenskonferenz, die von den großen Kirchen dieser Welt auf historischem Boden abgehalten werden soll: in Bethlehem …

Glauben heißt leiden – oder umgekehrt

„Die Keltennadel“ ist das literarische Debut des irischen Schriftstellers Patrick John Dunne. In Dublin geboren, studierte er Literatur und Philosophie, wurde dann Musiker und schrieb schließlich ein Musical, das sich auf die keltischen Wurzeln seiner Inselheimat stützte. Er arbeitete als Regisseur und Produzent beim irischen Rundfunk, wo er zwei Jahrzehnte später sein Wissen in einen ersten Roman einfließen ließ.

Ein Debütroman weist in der Regel spezifische Eigenschaften auf – im Guten wie im Bösen. „Die Keltennadel“ macht da keine Ausnahme. Positiv anzumerken ist die Sorgfalt, mit der Dunne eine komplexe Geschichte entwickelt. Die verwickelte religiöse und kulturelle Vergangenheit Irlands weiß er gut herauszustellen. Sie ist beileibe nicht abgeschlossen. Gerade im religiösen Bereich gilt Irland als Wahlheimat zahlreicher moderner Kulte und Sekten.

Wer weiß heute noch, dass in Irland eine der Wiegen des frühen (oder besser frühmittelalterlichen) Christentums stand? Anders als auf dem europäischen Kontinent verkündeten asketisch lebende Mönche das Wort Christi. Die in der Regel karge, in ihrer Strenge aus heutiger Sicht geradezu menschenunwürdige Lebensweise ist es, die sie zu allen Zeiten für ‚Glaubenserneuerer‘ vorbildlich erscheinen ließ: Nicht nur aus christlicher Sicht taugt eine Religion für viele Gläubige nur dann etwas, wenn sie ihren Anhängern möglichst große Entbehrungen abfordert.

Glauben, was einfach sein SOLL

Die eher ‚heidnisch‘ ausgerichtete Fraktion moderner Heilssucher zieht die ‚ursprünglichere‘ Religionswelt der Kelten magisch an. Allerlei mystische Rätsel werden dieser untergegangenen bzw. vom sowieso für ignorant gehaltenen Christentum vom Erdboden getilgten und damit automatisch zu höchsten Weihen aufgestiegenen Kultur unterstellt. Dass die historische Realität eher prosaisch aussah – auch Druiden waren letztlich nur Menschen -, ignorieren die Heiden von heute ebenso geflissentlich wie die Einsprüche lästiger Wissenschaftler, die der keltischen Kultur durchaus erfolgreich aus der munkelhaften Nacht der Geschichte helfen konnten.

Das dumpfe Gebräu nur halb verstandener oder gleich ganz erfundener, immer wieder ‚ergänzter‘ und vermischter Glaubensvorstellungen weiß Dunne plausibel in seine Geschichte zu integrieren. Gerade vor dem Hintergrund realer Wahnsinnstaten fanatisierter Fundamentalisten und Sektierer gewinnt „Die Keltennadel“ traurige Überzeugungskraft.

Dunne wählt für seinen Roman Irland als Ort des Geschehens. Das macht bei der Lektüre zunächst nervös, weil man immer damit rechnet, dass der Autor fröhliche, rothaarige Trunkenbolde, Kobolde oder wild um sich schießende IRA-Terroristen auftreten lässt: Dafür steht Irland nämlich in Wort, Bild und Film seit langer Zeit, und diese Klischees nerven. Aber Dunne stellt Irland als Ort da, an dem ganz normale Menschen ein meist ganz normales Leben führen.

Spannend oder dämlich?

Einige weniger erfreuliche Aspekte der „Keltennadel“ dürfen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Sie resultieren hauptsächlich aus dem Übereifer eines frischgebackenen Autors, der das Thriller-Rad neu erfinden möchte. So weist der Handlungsfaden an vielen Stellen eindeutig einige Knoten zu viel auf. Dunne misslingt es, die aufwendig vorbereitete Auflösung durch einen entsprechenden Höhepunkt zu krönen. Sobald die Geschichte Irland verlässt, wird sie leicht lächerlich. Das trifft besonders auf das dramatische Schlusskapitel in Bethlehem zu – Dunne schäumt Weltgeschichte so auf, wie der kleine Max sie sich vorstellt.

Auch die Demaskierung der sorgfältig aufgebauten Bösewichte des „Zehnten Kreuzzugs“ enttäuscht. Diesen dummes Zeug faselnden, geistig definitiv minderbemittelten Gestalten soll es gelungen sein, die ganze Welt in Atem zu halten? So ist es wohl kaum eine Überraschung, dass Dunne auf den letzten Seiten in bewährter „Akte-X“-Manier die ‚wahren‘ Verschwörer aus dem Hut zaubert, die den gerade malerisch in Jenseits beförderten Schurken als Strohmann vorgeschoben haben und nun ihre düsteren Pläne weiterverfolgen – ein Hintertürchen für eine mögliche Fortsetzung.

Zu erwähnen sind außerdem Schwächen in der Figurenzeichnung. Sie folgt allzu sehr bekannten Klischees folgt: Da haben wir die unermüdliche, unerschrockene Journalistin und den attraktiven, mit seinem Glauben ringenden Priester (die hier sogar zueinander finden dürfen), den ‚guten‘ Bulle und seinen treuen, aber ständig auf dem Holzweg befindlichen und dem echten Täter dadurch in die Hand spielenden Gefährten, den genial-satanischen Bösewicht, der souverän an den Fäden seines weltumspannenden Imperiums des Abscheulichen zieht (in denen er sich freilich sofort verheddert, sobald der Held ihm auf die Schliche kommt) und natürlich seine treu ergebenen, zu jeder Schandtat bereiten Helfershelfer, die durch ausgeprägte Schusseligkeit ihren Teil dazu beitragen müssen, den apokalyptischen Plan des Bösen scheitern zu lassen.

Start mit Schwierigkeiten

Insofern wartet auf den Leser ganz gewiss nicht „ein neuer Super-Schocker des neuen ‚King of Crime‘ aus Irland“, wie ein (klugerweise ungenannt bleibender) Fürsprecher auf der Rückseite des Covers ebenso lautstark wie dümmlich dröhnt, sondern nur ein leidlich unterhaltsamer Thriller, der auf der Dan-Brown-Woge reitet.

Übrigens dürfte genau dieser Autor Patrick Dunne den Weg bereitet haben. 2000 veröffentlichte der Lübbe-Verlag „Angels & Demons“ (dt. „Illuminati“) – einer jener dicken Bestseller-Fische, die man nur alle Jubeljahre aus einem Meer beliebiger Unterhaltungsromane fischt. In den folgenden Jahren schossen ähnliche Kirchen-Munkeleien wie (Gift-) Pilze aus dem Boden – eine typische Praxis, für die sich auch der genannte Verlag nicht zu schade war.

„Die Keltennadel“ hätte der Startschuss für ein neues, womöglich ähnlich oder wenigstens annähernd so erfolgreiches = einträgliches Franchise werden können, weshalb Dunnes Manuskript den Weg über den Ärmelkanal nach Deutschland nahm, um hier erstmals veröffentlicht zu werden; in seiner angelsächsischen Heimat dauerte es noch eine Weile, bis man Dunne als Verfasser wahrnahm. Seither hat er mehrere simpel gestrickte Mystery-Thriller veröffentlicht – und selbstverständlich (aber spät) seinen Erstling fortgesetzt.

Taschenbuch: 430 Seiten
Originaltitel: Days of Wrath [keine englischsprachige Originalausgabe]
Übersetzung: Fred Kinzel
http://www.luebbe.de

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