Madeleine Roux – Sie kommen! Ein Blog vom Ende der Welt

Das geschieht:

In einer Stadt irgendwo im US-Staat Minnesota erlebt Buchhändlerin Allison Hewitt den Untergang der Zivilisation: Eine unbekannte Seuche lässt Menschen wie Fliegen sterben – und wieder auferstehen: als hirnlose, menschenfleischfressende Zombies, deren Biss den Untod zuverlässig weiterverbreitet!

Mit einigen Kollegen verbarrikadiert sich Allison zunächst in einem Lagerraum des Buchladens. Noch hofft man auf Rettung und ein rasches Ende der Krise. Aber nach einigen Tagen ist klar, dass niemand kommen wird. Immerhin stellt Allison fest, dass ein Notfall-Internetsystem des Militärs noch sporadisch funktioniert. Sie beginnt einen Blog, in dem sie über ihre Erlebnisse und Ängste schreibt und über den sie andere Überlebende erreicht.

Als die Vorräte zur Neige gehen, müssen die Eingeschlossenen den Ausbruch versuchen. Sie kämpfen sich in die oberen Etagen durch, die sie von Zombies ‚säubern‘ und in denen sie sich einrichten. Die Lage bleibt heikel, denn nicht nur die Untoten, sondern auch gut bewaffnete Plünderer, selbsternannte ‚Milizionäre‘ und Verrückte durchstreifen die Straßen.

Ein Radiosignal verheißt Hoffnung: Auf dem nahen Universitätscampus wurde ein geschütztes Lager organisiert. Dorthin schlägt sich die Gruppe durch, doch die Schwierigkeiten folgen ihnen: Die Flüchtlinge nehmen an Zahl ständig zu und sind untereinander uneins. Als die Versorgung zusammenzubrechen droht, kommt es zur Katastrophe.

Mit wenigen Gefährten beginnt für Allison eine Flucht ohne Ende. Überall lauern die Zombies. Bald merkt Allison, dass dieser Krieg sie prägt und zeichnet: Aus der kleinen Verkäuferin wird eine Kämpferin, die lernt, harte Entscheidungen zu treffen …

Die Allgegenwart des (Un-) Todes

Sie kommen einfach immer wieder, obwohl sie uns nichts zu sagen haben und verhältnismäßig eindimensional in ihrem Handeln bleiben: Zombies sind die idealen Katalysatoren für eine Geschichte, die früher durch einen Meteoritensturz auf die Erde, den III. Weltkrieg oder die Explosion eines Atomkraftwerks ausgelöst wurde: Die Zivilisation geht unter, und in ihren Resten beginnen die wenigen Überlebenden zu raufen – mit den lebenden Leichen, vor allem aber mit sich selbst, denn die Konfrontation mit dem Untod ist stets auch und vor allem eine Prüfung, die den seiner Kultur entkleideten Menschen auf sich selbst zurückwirft: Ohne sozialen Puffer stellt sich stets heraus, dass unter einer dünnen Tünche der alte Höhlenmensch lauert, der primär den eigenen Vorteil sucht und bereit ist, dabei buchstäblich über Leichen zu gehen.

Auf diesen Aspekt der Apokalypse mag auch Madeleine Roux nicht verzichten. Zwar bemüht sie sich, den moralabtrünnigen Strolchen gewisse Motivationsnuancen zuzubilligen. Unterm Strich dominieren jedoch die üblichen Warlords, die sich in militärische Tarnkleidung gewanden und großkalibrige Waffen schwenken, die im Weltuntergangs-Milieu nie nur Mangelware gehören. Als moderne Sammler & Jäger lauern sie selbst dort, wo es Lagerhäuser und Magazine genug gibt, harmlosen Überlebenden auf, denn sie lieben es zu rauben, zu vergewaltigen und zu versklaven; dazu werden markige Sprüche gedrechselt, die dem vom Verfasser erwünschten Effekt komplettieren: Die Zombies sind gruselig aber hirnlos, die Strolche etwas schlauer, weshalb man sie hassen kann und nur nach Vorplanung ausrotten kann.

Faktisch bietet diese Verdoppelung des Feindes keine Verdoppelung des Lesevergnügens, denn die Palette der Möglichkeiten, sich durch die Ruinen einer untergegangenen Vergangenheit zu jagen, ist begrenzt. Roux greift nach den üblichen Strohhalmen und stellt den Plünderbolden fundamentalistische und in Erwartung des Weltendes übergeschnappte Fanatiker zu Seite, die sogar noch schmalspuriger agieren als die Zombies.

Prüfe dich selbst!

Auf diese Weise muss die Handlung in ihrer zweiten Hälfte quasi automatisch einen Teil jenes Schwungs verlieren, mit dem sie gestartet ist. Generell ist der Ausbruch des Untods der spannendste Teil eines Zombie-Garns. Wer als Normalsterblicher unter den Routinen des Alltags stöhnt und glaubt, es könne nicht schlimmer werden, kann eines Schlechteren belehrt werden, wenn Knochenfinger an Sargdeckeln kratzen.

Allison Hewitt ist ein mustergültiges Exemplar ihrer mindestlohngeknechteten Klasse. Sie packt Bücher in Regale und ist ein Rädchen einer Welt, die ihre Existenz nur marginal zur Kenntnis nimmt. Die eigentliche Spannung dieses Romans liegt in der Entwicklung, die Roux ihrer Figur angedeihen lässt: Als die Zombies kommen, mag Allison anfänglich gefangen sein, wie es der Originaltitel suggeriert. Das ändert sich – und weil Roux es schafft, diesen Wandel glaubwürdig zu gestalten, gewinnt ihr Roman eine Qualität, die ihn über die Mehrheit der unzähligen Zombie-Romane erhebt, die derzeit inhaltlich wie formal wahrhaft untot über die entsetzten Horrorfans kommen!

Natürlich ist auch das keine neue Erkenntnis: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ So brachte es u. a. der Philosoph Friedrich Nietzsche 1886 in seinem Werk „Jenseits von Gut und Böse“ als „Aphorismus Nr. 146“ auf den Punkt. Noch die trivialste Unterhaltung – sei sie nun gedruckt oder verfilmt – greift gern darauf zurück. Die Dramatik liegt in der Tatsache begründet, dass explizit unser Alter Ego vor die Entscheidung gestellt wird, den Weg in die neue Barbarei mitzugehen, wenn die ‚Alternativen‘ Untergang und Tod heißen. Wie weit wird Allison Hewitt gehen? Findet sie den „point of no return“? Oder gleitet sie unmerklich von (notwendiger) Untat und Untat in das Lager der ‚Bösen‘ hinüber?

Das wird Folgen haben!

Nicht die körperlich starken oder stellungshohen Zeitgenossen überleben. In der Krise werden alle Überlebenden auf den Prüfstand gestellt und auf ihre Basisstabilität getestet. Dazu müssen gesetzliche, soziale und moralische Standards hinterfragt und notfalls radikal geändert werden. Solche Prüfungen hinterlassen bei den Kandidaten Spuren. Allison merkt selbst, dass sie moralisch ins Rutschen gerät. Wenn sie nicht gerade Zombieschädel spaltet oder Milizionäre austilgt, beschäftigt sie sich ausgiebig mit dieser Frage. Was leicht zur Predigt ausarten könnte, behält Autorin Roux erstaunlich gut unter Kontrolle – besser jedenfalls als Allisons Liebesleben, das sie dem Geschehen auch anflanschen zu müssen glaubt und dabei unbeholfene Klischees fabriziert, bevor sie glücklicherweise den „Chick-Lit“-Sumpf wieder hinter sich lässt.

Die Blog-Gestalt der Handlung unterstützt die Geschichte, wie Roux sie erzählen möchte. Aus den einzelnen Einträgen werden Momentaufnahmen einer radikal veränderten Zukunft. Allison kommt oft nur in Abständen zu einem neuen Eintrag. Für Roux erleichterte der Quasi-Blog die Arbeit: „Sie kommen!“ bietet keine dichte Handlung, sondern bietet eine chronologische, absichtlich lückenhafte Handlung, die keiner formalen Raffinesse bedarf: Allisons Blog-Einträge entstehen unter Zeitdruck.

Meist enden die einzelnen Kapitel mit kargen Blog-Antworten. Sie ermöglichen die Gewissheit, dass die Zombies die gesamte Erde terrorisieren, künden aber auch von Entschlossenheit und Überlebenswillen. Melden sich anfänglich noch viele Blog-Teilnehmer hoffnungslos und endgültig ab, lassen spätere Einträge erkennen, dass sich die Überlebenden hinter Barrikaden organisieren: Noch ist die Menschenwelt nicht verloren! Eine endgültige Bestätigung bieten ein Pro- und ein Epilog. Aus dem Jahr 2108 blickt eine längst wieder zombiefreie Welt auf die Jahrzehnte der Krise zurück.

Hier lässt Roux eine feine Ironie durchblicken, die ihrem sonst eher robusten Werk abgeht: Es ist ‚Machern‘ wie Allison Hewitt zu verdanken, dass die Zivilisation wieder auf die Füße kam. ‚Normale‘ Menschen wie sie haben Opfer gebracht und sich dabei die Finger schmutzig bzw. blutig gemacht – eine Tatsache, die sie 2108 als Helden des Widerstandes und Wiederaufbaus disqualifiziert: Während die Untoten verschwunden sind, haben alte, überholte Werte in ihrer Nische überlebt und feiern fröhliche Urständ: schöne aber nur bedingt neue Welt!

Autorin

Madeleine Roux wurde am 12. Juni 1985 in Minnesota geboren. Sie studierte Kreatives Schreiben und Schauspiel am Beloit College im US-Staat Wisconsin. Mit ihrem Abschluss 2008 qualifizierte sich Roux für ein Förderstudium. In diesem Jahr 2009 entstand ein (bisher unveröffentlichter) Historienroman.

Außerdem begann Roux mit dem fiktiven Blog der Allison Hewitt, die in einer von Zombies überrannten Welt das Überleben und den Neuanfang versucht. „Allison Hewitt Is Trapped“ erschien als „work in progress“ im Internet und erregte dort die Aufmerksamkeit eines zahlenstarken Publikums, was eine Veröffentlichung als gedrucktes Buch 2010 erleichterte. Mit „Sadie Walker Is Stranded“ blieb Roux 2012 in der von ihr geschaffenen postapokalyptischen Welt. 2013 erschien der erste Band der „Asylum“-Serie, die sich an ein jüngeres Leserpublikum richtet.

Madeleine Roux lebt heute in Louisiana. Über ihr Werk informiert sie auf einer Website, die allerdings völlig veraltet ist: Letzte Einträge datieren von 2011!

Paperback: 371 Seiten
Originaltitel: Allison Hewitt Is Trapped (New York : St. Martin’s Press 2011)
Übersetzung: René Satzer
www.egmont-lyx.de

eBook: 637 KB
ISBN-13: 978-3-8025-9147-1
http://www.egmont-lyx.de

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