May, Karl / Sudhoff, Dieter (Hrsg.) – Zwischen Himmel und Hölle. Karl May und die Religionen

Das Thema Religion zieht sich durch das Gesamtwerk Karl Mays wie ein roter Faden, wobei dies in der Vergangenheit sehr wenig thematisiert wurde. Der |Karl May|-Verlag beginnt mit diesem Band nun allerdings diese Rezeption auf eine umfassende und innovative Art, die erst den Anfang für eine neue Herangehensweise an den bedeutenden deutschen Literaten bildet, der, wie in der Einleitung vermerkt, noch weitere Forschungen folgen werden.

Zwar ist bekannt, dass May seine Reisen erfunden hatte und die fernen Länder gar nicht kannte, allerdings zeigt die vorliegende Sammlung, dass er um so mehr das zu seiner Zeit vorliegende Material zu Religionsgeschichte der Völker aufs Gründlichste studiert hatte. Er selbst war Christ, aber kein Kirchenchrist und in seinem Werk lehnte er die Missionierungen des Christentums aufs Entschiedenste ab. Liest man seine Bücher, springt einem stattdessen eine tiefe theologische Auseinandersetzung mit „fremden“ Religionen förmlich entgegen, die sich in den Dialogen seiner literarischen Figuren spiegelt. Schon in seinem Frühwerk diskutiert das Christliche als „Kara Ben Nemsi“ mit „Hadschi Halef Omar“ oder „Old Shatterhand“ mit „Winnetou“. Natürlich bleibt May immer Christ, aber die Toleranz, die er anderen Religionen entgegenbringt, war für seine Zeit Aufsehen erregend.

Ähnlich vielleicht wie Lessing in seinem „Nathan der Weise“, sieht er die Gemeinsamkeit der Sprache des Herzens und der inneren Spiritualität, auf welcher Religionen in ihrer Essenz beruhen. Sicherlich hatte auch das reformerische Denken der |Theosophischen Gesellschaft| sehr viel für seine Sichtweise beigetragen. Millionen Deutsche bezogen rein über die Abenteuergeschichten Karl Mays ihr Wissen über andere Religionen. Er hat die heute vorhandene Ökumene schon lange vor ihrer Zeit gepredigt und darf als einer der Väter des ökumenischen Denkens gesehen werden.

Auch in politischer Hinsicht hat sein Werk nach wie vor aktuelle Bezüge. Die Glaubenskriege zwischen Islam und Christentum sind seit dem Golfkrieg wieder so prekär wie damals. Und Karl May war politisch. Er wandte sich, gegen den damaligen Trend, in seinen Romanen scharf gegen den internationalen Kolonialismus und Imperialismus. Es geht ihm um den Frieden der Völker, den Verzicht auf Gewalt und in diesem Zusammenhang um den Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums und dessen Beziehungen zu anderen Religionen. Wurde sein Frühwerk noch in katholischen Zeitungen in Fortsetzungen veröffentlicht, war das mit seinem Spätwerk nicht mehr der Fall. Diese Titel wie „Frieden auf Erden“, „Winnetous Erben“ oder sein literarisches Meisterwerk „Ardistan und Dschinnistan“ kam gar auf den Index der Inquisitionsbehörde des Vatikans. In diesen Büchern entwickelte er seine eklektische philosophische Spiritualität mit ihrer neuen Geistes- und Seelentheorie auf hohem religiösen Niveau, immer aber auch psychologisch, sozial und politisch motiviert. Solange der Mensch sich mit anderen um Gott und Gottes Liebe streitet, sah er das Göttliche bei diesen verloren. Wer seinen Feind hasst, verzichtete seiner Ansicht nach auf die beste Waffe, diesen zu besiegen.

Dem Vatikan war er gefährlich geworden, denn er wies in seinen Dialogen – in welchem er zwar das Christentum vertrat – immer darauf hin, dass dort, wo die Christen regieren, historisch mehr Blut geflossen ist als in den Ländern anderer Religionen. Einem jugendlichen jüdischen Leser, der ihm schrieb, zum christlichen Glauben aufgrund Mays Bücher überwechseln zu wollen, riet er, besser einmal erst den jüdischen Glauben richtig zu studieren („Ich sage dir als aufrichtiger und gewissenhafter Christ: der Glaube deiner Väter ist heilig, ist groß, edel und erhaben. Man muss ihn nur kennen und verstehen. Seinen Glauben wechselt man nicht einiger Bücher wegen“). Neben dieser unverhohlenen Positionierung sah die katholische Inquisition in Karl May aber noch mehr einen modernen Ketzer, der den Spiritismus, Pantheismus und Monismus als Irrlehre verbreitete.

Dem Leser dieser Zusammenstellung bietet sich eine Einführung in die Grundzüge der Religionen – der indianischen Naturreligion, des Islams in all seinen Facetten (den Yezididen war May z. B. sehr verbunden), aber auch der polynesischen, südamerikanischen und asiatischen Kulturen. Wobei sein Wissen über die chinesischen Religionen wie Daoismus, Konfuzianismus und Buddhismus nicht an die Kenntnisse der indianischen und islamischen Kultur heranreicht. Belegt sind seine Ansichten durch reichhaltige Auszüge aus seinem Gesamtwerk und es bereitet besondere Freude, sie unter neuem Blickwinkel erneut im Zusammenhang zu lesen. Für mich war es als einem, der Karl May in der Jugend verschlungen hatte, sehr reizvoll, ihn nun im Alter noch einmal auf ganz neue Weise wiederzuentdecken. Aber auch der nicht mit Karl May vertraute Leser müsste aus religionsgeschichtlichem Interesse mit dem im vorliegenden Buch Gebotenen durchaus zufrieden sein.

Informationen über Karl May bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl__May (mit weiterführenden Verlinkungen ins Netz)