Perry, Anne – Feinde der Krone

Die Inspektor-Pitt-Reihe von Anne Perry nimmt mittlerweile schon recht voluminöse Ausmaße an. „Feinde der Krone“ ist der 22. Band der Reihe und schließt sich direkt an die finalen Ereignisse des Vorgängerbandes [„Die Verschwörung von Whitechapel“ 1175 an. Vorkenntnisse sind also durchaus empfehlenswert, auch wenn Perry gelegentlich auf Vorangegangenes zurückgreift, um den roten Faden herzustellen.

Eines der Grundelemente der Inspektor-Pitt-Reihe ist eine Verschwörergruppe namens „Der innere Kreis“. Gut getarnt, sitzen Vertreter dieser Gruppe in den allen Bereichen von Verwaltung, Justiz und Gesellschaft und streben als oberstes Ziel eine Beseitigung der Monarchie an, um sich selbst zur regierenden Macht des britischen Empires aufzuschwingen. Der Titel des vorliegenden Bandes „Feinde der Krone“ deutet schon an, dass diesem Thema auch hier wieder eine tragende Rolle zukommt.

In „Die Verschwörung von Whitechapel“ gelang es Inspektor Pitt, das Bestreben des Inneren Kreises, die Krone zu stürzen, zu vereiteln. Am Ende wurde der vermutlich wichtigste Mann der Verschwörergruppe, Charles Voisey, in den Adelsstand erhoben – eine bittere Pille für jemanden, der so vehement gegen die Monarchie arbeitet. Für Pitt war es die einzige Möglichkeit, Voisey unschädlich zu machen.

Doch der holt nun mit seinem frisch erworbenen Adelstitel zum Gegenschlag aus. Er kandidiert für die Unterhauswahl und will nun auf diesem Wege die Ziele des Inneren Kreises verwirklichen. Pitt wird im Auftrag des Sicherheitsdienstes darauf angesetzt, Voisey im Auge zu behalten und zu verhindern, dass dieser mit Hilfe krimineller Machenschaften und Intrigen die Abstimmung vor seinem Gegenkandidaten, dem Liberalen Aubrey Serracold, gewinnt.

Als dann die berühmte Spiritistin Maude Lamont ermordet aufgefunden wird, ist es wiederum Pitt, der mit den Ermittlungen betraut wird. Als Pitt herausfindet, wer die Gäste von Lamonts letzter Séance waren, vermutet er gleich einen Zusammenhang zu Charles Voisey und dem Inneren Kreis, denn die letzten Gäste waren Rose Serracold, die Gattin von Voiseys Gegenkandidat und General Kingsley, der in Leserbriefen ein glühender Verfechter von Voiseys Anliegen zu sein scheint. Doch wer war der dritte Gast an diesem Abend, der in Maude Lamonts Notizbuch nur durch ein Symbol verewigt ist? Pitt versucht es herauszufinden und kommt dabei einem Skandal auf die Spur. Doch seine Zeit wird knapp, denn mit jeden Tag rücken die Unterhauswahlen ein Stückchen näher …

Wieder einmal nimmt Anne Perry sich in ihrem Roman zwei Themenkomplexe vor, die innerhalb der Handlung in einem Zusammenhang stehen. Die Verschwörung um den Inneren Kreis, die sie mit Fortschreiten der Romanreihe immer weiter ausbaut, und einen Mordfall, in dem Pitt ermittelt und der innerhalb des Buches abgeschlossen wird. Der Innere Kreise ist, ebenso wie die in jedem Band wieder auftauchenden Hauptfiguren, der rote Faden der Reihe. War der Zusammenhang zwischen den beiden thematischen Ebenen Kriminalfall und Verschwörung in „Die Verschwörung von Whitechapel“ noch ein recht nachvollziehbarer, deutlicher und ausgewogener, so wird er in „Feinde der Krone“ zunehmend abstrakter und dadurch leider auch nicht unbedingt überzeugender.

Pitt stellt sofort einen Zusammenhang zwischen dem Mord an der Spiritistin und Charles Voiseys Bestrebungen, einen Unterhaussitz zu ergattern, her. Für den Leser wird dies nicht unbedingt bis ins letzte Glied nachvollziehbar erklärt. Der Zusammenhang bleibt recht diffus und Pitts Erklärungsversuch weitestgehend spekulativ und abstrakt. So kommen auch die Ermittlungen in der Mordsache nicht so recht voran. Perry wendet sich zwischendurch immer wieder anderen Handlungsfäden und Personengruppen zu. Sie berichtet von Dinners der feinen Gesellschaft, die im Vorfeld der Wahlen von eben diesem Thema beherrscht werden. Damit gibt sie zwar sehr nachvollziehbar die politische Stimmung Englands zur damaligen Zeit wieder und macht ihren Roman gerade auch aus historischer Sicht interessant, dennoch gerät der Kriminalfall neben diesen Ausführungen manchmal schon ein wenig ins Hintertreffen.

Mit fortschreitenden Ermittlungen konzentriert Perry sich zunehmend auf den etwas mühsam bemühten Zusammenhang zwischen dem Mordfall und dem Inneren Kreis. Der Innere Kreis beginnt die Handlung zu dominieren. Alles läuft auf ein Duell zwischen Pitt und Voisey hinaus, der nach seiner Niederlage in „Die Verschwörung von Whitechapel“ darauf aus ist, es Pitt heimzuzahlen. Der Mord an der Spiritistin wird dabei schon fast ein wenig nebenbei aufgeklärt. Nachdem es Kapitel für Kapitel zunächst kaum voranging, nehmen die Dinge zum Ende hin einen recht rasanten Verlauf. Der anfangs noch etwas schleppende Spannungsbogen kommt dann ganz ordentlich in Fahrt, so dass die Lektüre zumindest im letzten Buchdrittel doch noch recht fesselnd verläuft.

Doch das macht den etwas schleppenden Start nicht vergessen. So abrupt wie „Die Verschwörung von Whitechapel“ endete, so abrupt beginnt „Feinde der Krone“. Die beiden Bände scheinen in der Tat darauf ausgelegt zu sein, dass man sie direkt nacheinander liest. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass Annes Perry das Niveau des Vorgängerromans nicht zu halten vermag. Hier wirken die verschiedenen Handlungsebenen etwas unausgewogen, so dass auch der Spannungsbogen sich nicht so kontinuierlich aufstrebend entwickelt, wie man es beim Vorgängerroman erlebt hat.

Ein Grund dafür ist auch der etwas farblos bleibende Erzählstrang um Pitts Familie. Vor allem Pitts Frau ist in der Inspektor-Pitt-Reihe immer eine wichtige Zutat gewesen. Sie trug auf ihre Art zu den Ermittlungen bei, hatte sie doch Zugang zu gesellschaftlichen Bereichen, die Pitt selbst verschlossen blieben. In „Feinde der Krone“ tritt sie zusammen mit den beiden Kindern und dem Hausmädchen Gracie alleine die Urlaubsreise nach Devon an, auf die auch Pitt eigentlich mitkommen sollte. Nur gelegentlich blendet Perry diesen Handlungsstrang ein, und so richtig zu Ende geführt wird er gar nicht erst. Die Figuren rund um Inspektor Pitt – in „Die Verschwörung von Whitechapel“ noch ein echter Pluspunkt – verschenken hier ein Menge Potenzial, indem sie kaum zum Tragen kommen.

Das erweckt den Eindruck, als müsse Anne Perry ähnlich wie andere nicht minder aktive Vielschreiber auch, der Vielzahl ihrer Romane allmählich Tribut zollen. Bei dem Tempo, in dem Perrys Romane auf den Markt drängen, ist es kein Wunder, dass irgendwann auch in Sachen Qualität Einbußen zu erwarten sind. Sie scheint durchaus ehrgeizige Ziele zu haben, indem sie Kriminalfall, Verschwörung sowie gesellschaftliche und politische Zeitstudie vermischt, aber in diesem Fall fehlt der Mischung einfach die Ausgewogenheit.

Was die Lektüre immerhin noch ganz angenehm macht und dafür sorgt, dass man das Buch dennoch ohne Mühe zu Ende bringt, ist neben der einfließenden Zeitstudie auch Perrys Schreibstil. Perry kommt weitestgehend ohne Action aus und hält den Leser dank ihrer routinierten Erzählweise auch so bei der Stange. Ihr Stil ist nicht sonderlich ausschmückend, aber auch nicht zu nüchtern. Schlichte Kost, die sich leicht und flüssig konsumieren lässt. Sicherlich nichts Herausragendes, aber dennoch äußerst solide Unterhaltungsliteratur.

Alles in allem kann „Feinde der Krone“ nicht so ganz die Erwartungen erfüllen, die der Vorgängerroman „Die Verschwörung von Whitechapel“ geweckt hat. Etwas unausgewogene Erzählebenen und ein Kriminalfall, der im Laufe der Handlung ein wenig ins Hintertreffen zu geraten droht, trüben genauso die Freude wie liebgewonnene Hauptfiguren, deren Anteil an der Handlung einfach zu mager und zu wenig überzeugend ausfällt. Zwar durchaus solide Kost für Freunde historischer Krimis, da eben auch die historischen Schilderungen des viktorianischen Zeitalters sehr lesenswert sind, aber man hat von Anne Perry eben auch schon Besseres gelesen.