Lester Powell – Die Dame im Nebel (Hörspiel)

Dieses Hörspiel bietet den ersten Fall in der legendären „Damen-Krimi“-Reihe aus den 1950er Jahren. Philip Odell, Privatschnüffler und ehemaliger Mitarbeiter des Secret Service, wird von der charmanten Heather McMara gebeten, den Tod ihres Bruders Ricky zu untersuchen. Der war zwar auch ihrer Meinung nach „ein Lump oder Schlimmeres“, an Selbstmord kann sie jedoch nicht glauben.

Bald schon bekommen Heather und Philip eine Ahnung davon, dass Ricky vielleicht nur der Strohmann in einem gefährlichen Netz aus Intrigen, Eifersucht und schmutzigen Geschäften war. Und auch für die beiden Ermittler wird der Fall immer bedrohlicher … (Verlagsinfo) Diese Lady-Krimi wurde verfilmt.

_Der Autor_

Lester Powell war von 1935 bis 1938 Staff Writer für die Rock Film Studios, dann Reporter für diverse Zeitungen und die BBC Overseas Services. Von 1945 bis 1947 arbeitete er als Informationsoffizier der UNRRA in Deutschland und war seitdem als freier Autor tätig. Powell schrieb zahlreiche Drehbücher für Film und Fernsehen, Romane und mehr als 30 Hörspiele, darunter etwa etliche Folgen der „Damen-Krimis“ mit Philip Odell.

_Hintergrund: Die „Damen-Krimis“_

Privatdetektiv Philip Odell ist die Hauptperson der „Damen-Krimi„-Reihe. Ursprünglich aus Irland stammend, bleibt er im 1. Teil „Die Dame im Nebel“ in London hängen, weil sein Flugzeug wegen Nebels nicht starten kann. Daran, dass London auch in den nächsten Folgen Schauplatz seiner Fälle sein wird, ist vor allem seine charmante Partnerin Meather Mcmara nicht ganz unschuldig. Gemeinsam stolpern sie durch ihre kuriosen Fälle, ganz so, als wären sie von einem kreativen Krimiautor engagiert worden, seine verrückten Fälle zu lösen.

Die Vorlage schrieb Powell für das „Light Programme“ der BBC. In den 40er Jahren wurde dort die englische Version ausgestrahlt. Es handelt sich als nicht um Hörspiele, die nach einer Buchvorlage gestaltet wurden, sondern jeweils um ein Originalradiospiel. In den 50er Jahren setzte die Damen-Krimi-Reihe ihren Siegeszug in Deutschland, produziert vom Saarländischen Rundfunk, fort.

_Die Sprecher & die Inszenierung_

Der Saarländische Rundfunk produzierte dieses Kriminalhörspiel bereits im Jahr 1956. Regie führte Albert-Carl Weiland, die Musik steuerte Manfred Minnich bei.

Weiland spricht die Hauptfigur Philip Odell. Er erhielt seine Ausbildung am Reinhardt-Seminar in Wien. 1949 war er Produktionschef von Radio Saarbrücken und von 1954 bis 1988 Hauptabteilungsleiter des Bereichs „Unterhaltung“ des SR.

Brigitte Dryander spricht die weibliche Hauptrolle der charmanten Heather McMara. Sie war u. a. von 1946 bis 1984 am Saarländischen Staatstheater engagiert und wirkte auch in unzähligen Hörspielen mit. (Verlagsinfo)

_Handlung_

Privatdetektiv Philip Odell ist ein waschechter Ire und folglich ist die Bar am Londoner Platz Piccadilly Circus der beste Ort, an dem er auf eine Lady warten kann. Und da kommt sie auch hereinspaziert, exakt eine Dreiviertelstunde zu spät, wie es sich für Damen geziemt: rotes, wallendes Haar und grüne Augen und ein Fahrgestell – okay, genug davon. Und da Heather McMara die Direktrice der Parfum-Abteilung eines Kaufhauses ist, trägt sie stets das neueste, aufregendste und verführerischste Parfum, das mann sich nur vorstellen kann.

Vielleicht aber auch nur, weil sie eine Bitte hat. Eine große. Ihr Bruder Ricky sei aus der Themse gefischt worden. Aber da er sich als Bruder Leichtfuß mit „dunklen Existenzen“ eingelassen hatte und außerdem ein guter Schwimmer gewesen sei, sei sie überzeugt davon, er müsse ermordet worden sein. Ob der liebe Philip wohl mal ein wenig ermitteln könnte, um die Täter herauszufinden?

Der liebe Philip hat damit aber ein kleines Problem. Erstens: Er wollte sich mit der lieben Heather einen schönen Abend machen, bevor er am nächsten Tag nach Dublin weiterfliegt. Und außerdem sei er nie ein richtiger Spion gewesen, sondern bloß Attaché der Abwehr beim Secret Service. Okay, er habe ein paar Spione gejagt, aber das war wirklich keine große Sache. Es muss wohl Heathers Parfum „Indiscretion“ gewesen sein, das ihn letztlich überzeugt hat, ihre Bitte zu erfüllen.

Merkwürdig, dass Rickys Freundin Marilyn Peters keinesfalls zur Polizei gehen will. Das kommt Philip spanisch vor. Deshalb klaut er ihr Notizbuch. Zwei interessante Einträge: die Millionäre Christopher Hampton, Rennstallbesitzer, und Martin Sorroby, ein mächtiger Zeitungsverleger, stehen darin. Und Marilyn erzählt, wie an Rickys letztem Tag eine geheimnisvolle Dame im Nerz mit ihm gesprochen habe.

Nun kommt heftiger metaphorischer Nebel auf. Hampton und Sorroby streiten beide ab, Ricky je gekannt zu haben. Aber nach einem Besuch bei Rickys Arbeitgeber, einem Buchmacher an der Rennbahn, wird klar, von wem die Schecks, die Ricky einlöste, kamen: eben von den beiden Millionären. Hat er sie erpresst? Aber womit?

Bei seiner weiteren Recherche mit Heather wird Philip beinahe von einem großen schwarzen Wagen über den Haufen gefahren – eine deutliche Warnung. Ahnungsvoll stürmt er die nahe gelegene Wohnung von Marilyn Peters: Sie wurde erdrosselt. Während ihre Vermieterin untröstlich ob des absehbaren Verfalls des Mietpreises im Haus jammert, heftet sich jemand ganz anderes an Philips Fersen: Inspektor Rigby von Scotland Yard. Rigby hat die Weisheit mit Löffeln gefressen, als er auf die Polizeihochschule ging. Meint jedenfalls Sergeant Layton, ein alter Kumpel von Philip. Rigby verdächtigt Philip, der Würger zu sein.

Während also Rigby den Privatschnüffler lieber heute als morgen verhaften würde, stößt selbiger auf eine üble Geschichte, die fünfzehn Jahre zurückliegt. Darin verwickelt sind Hampton, Sorroby, ein Todesopfer namens George Maybrick (Hamptons Pferdetrainer) und eine gewisse Kitty Stapleton. Kitty war in eine rufschädigende Dreiecksaffäre hineingeschlittert. Nach Maybricks Tod verschwand sie im Ausland, behaupten die Millionäre.

Man kann nie vorsichtig genug sein, findet Philip heraus, als er Sorroby besuchen will. Noch mehr Nebel, und da taucht sie auf: die titelgebende Dame, der er auf der Spur ist – Rickys Dame im Nerz. Sie lädt ihn ein, in den wartenden Wagen einzusteigen, was Philip jedoch höflich dankend ablehnt. Zu dumm, dass sie einen Schläger dabeihat, der Philip den Gummiknüppel über den Schädel zieht. Die Schurken greifen eben immer zu schlagenden Argumenten …

_Mein Eindruck_

Nachdem so viele Krimihörspiele auf den Markt gekommen sind, die alle auf ein oder zwei CDs passen, erstaunt es schon ein wenig, wenn man feststellt, dass dieses Krimihörspiel nicht weniger als 230 Minuten, also knapp vier Stunden lang ist. Da fragt man sich doch, ob die Handlung dicht genug ist, um keine Längen entstehen zu lassen. Keine Bange, der Autor ist gewitzt genug, solche Längen durch Tricks aus dem Repertoire der Komödie zu überspielen. Und diese kennt er offensichtlich aus dem Effeff.

Natürlich sind seine Figuren nicht zur Gänze aus Fleisch und Blut und entsprechen althergebrachten Klischees. Philip Odell beispielsweise ist der draufgängerische junge Held, der es mit Ladys aller Klassen und Millionären gleichermaßen aufnimmt. Das Einzige, wovor er Respekt hat, ist seine abgöttisch verehrte Heather McMara, die er in jeder freien Minute – und die gibt es herzlich wenig – zu verführen sucht. Heather kennt aber ihre Pappenheimer und weiß, was Philip draufhaut – oder auch nicht. Dennoch liegen alle unsere Sympathien bei Odell. Kein Wunder, denn er erzählt in der ersten Person von sich.

Inspektor Rigby als Odells Nemesis ist ein Klugscheißer, wie er im Buche steht, borniert und gefühlskalt. Da ist uns sein Sergeant Layton schon lieber, ein Bobby der alten Schule, der Philip Odell noch aus seligen Kriegszeiten kennt. Da er kurz vor der Pensionierung steht, glaubt Layton, Rigby die Leviten lesen zu können, was seinen unsinnigen Verdacht Odell betreffend angeht. Von Philip und Heather, unserem eleganten Schnüfflerpaar, wird Rigby nach Strich und Faden veräppelt.

Auch die zwei Millionäre entsprechen unseren Erwartungen. Sie zittern wie Espenlaub, als Odell auftaucht und Rickys Namen wie ein Sesam-öffne-dich benutzt. Offensicht haben die beiden etwas zu verbergen, und da sie beide zum gleichen Psychoanalytiker gehen, liegen ihnen womöglich die fünfzehn Jahre (also um 1935) zurückliegenden Ereignisse auf der Seele.

Doch wer hat dann den armen Ricky und seine Freundin Marilyn Peters um die Ecke gebracht? Wollte sich einer der Erpressten den Erpresser vom Leibe schaffen? Wohl nicht, denn die Erpressungsversuche hörten nach Rickys Tod nicht auf. Die Lösung muss tiefer liegen, ahnt Odell. Wer ganz genau auf den Text achtet, kriegt die Lösung rechtzeitig mit. Dieser Krimi ist jedenfalls spannend.

|Die Screwball-Kömodie|

Wie schon angedeutet, spielen Philip und Heather das älteste aller Spiele: das zwischen Mann und Frau. Die Geschlechterkomödie ist ein elegant-charmantes Katz-und-Maus-Spiel, das zu zahlreichen witzigen und geschliffenen Dialogen Gelegenheit gibt. Obwohl Philip sie ständig als „Engel“ und „Schatz“ anhimmelt, ist sie es doch oft, die seinen Wünschen, was den Einsatz im Feld angeht, nachgibt. Süßholz raspeln half damals eben noch. Doch die Maus wird wütend, als ihr Philip nicht verheimlichen kann, dass er auch von der Konkurrenz, der Dame im Nerz, einen Kuss stibitzt hat. Liebe ist ein gar zweischneidig‘ Schwert: Es schneidet tief und stets nach beiden Seiten.

Schlichtweg genialer Slapstick ist hingegen die Episode in der Mitte, als Philip durch die Stadt torkelt. Er ist bis zum Stehkragen vollgepumpt mit Morphium, das man ihm in einer Irrenanstalt verabreichte, wo man ihn gefangen hielt. Das Morphium sollte ihn außer Gefecht setzen und gefügig machen, weil man Informationen wollte. Noch Stunden später ist kein vernünftiges Wort aus ihm herauszubekommen, sondern nur frivoles Zeug, das Inspektor Rigby auf die Palme bringt.

|Die Inszenierung|

Zunächst einmal muss sich das Ohr an die geringe Lautstärke und die Stereo-Wiedergabe des Tons gewöhnen, die wie Mono klingt. Das klingt schlimmer, als es ist. Die Toningenieure des Jahres 1956 wussten auch 30 Jahre nach Erfindung des Radiospiels, was sie taten. So nahmen sie im Studio die Sprecher räumlich auf, also in unterschiedlicher, variabler Lautstärke. So hört man bei Szenen in geschlossenen Räumen die Sprecher „näher kommen“ oder in verschiedenen Entfernungen vom „Hörerstandpunkt“, dem zentralen Mikrofon, stehen. Die Wirkung ist die eines dreidimensionalen Raumes, die nur durch das Gehör erzielt werden kann. Die Sprecher könnten genauso gut Schauspieler auf einer Bühne sein. Und in den klassischen Screwball-Komödien Hollywoods waren sie das ja oftmals auch.

|Die Sprecher|

Mit hörbar großem Vergnügen ergehen sich die beiden Hauptdarsteller Albert-Carl Weiland (als Philip) und Brigitte Dryander (als Heather) in ihren Rollen als charmantes Schnüfflerpaar in London. Sie ist jederzeit in der Lage, seinem draufgängerischen Voranstürmen Paroli zu bieten, eben mit den Waffen der Frau, denen er nur zu gern erliegt (ich sage nur: „Indiscretion“!). Dabei wird Heather jedoch keineswegs als mondäne Schickse dargestellt, sondern es stellt sich heraus, dass sie im wenige Jahre zurückliegenden Krieg in den Luftschutzkellern London gelernt hat, mit anzupacken.

Wichtig sind aber auch die Rollen der beiden Millionäre, von denen einer verdächtiger als der andere ist, und der beiden Polizisten Rigby und Layton. Man sieht also: lauter Paare. Das ist insofern wichtig, weil die dynamischen Duos Stoff zu witzigen bzw. verräterischen Dialogen liefern. Sogar die Dame im Nerz tritt fast nie ohne Begleitung auf. (Es dürfte dem Krimikenner klar sein, um wen es sich handelt.)

Diese Zentralgestirne umschwirren eine ganze Menge von Nebenfiguren, von denen mir allerdings nur Mr. Hamptons merkwürdiger Diener Parkin im Gedächtnis geblieben ist. Parkin ist die personifizierte Pflichterfüllung und lacht niemals. Dennoch oder gerade deshalb fiel zeitweilig mein Verdacht auf ihn.

|Musik und Geräusche|

Die vielfältigen Geräusche sind es, die das Hörspiel zum Kino für die Ohren machen. Stets existiert eine Geräuschkulisse wie bei einem Theaterstück, wenn die Szene in einem Zimmer spielt: Schritte, Telefone, Uhrenticken, wenig Hall. Draußen auf den Straßen befinden sich die Figuren häufig in irgendwelchen Autos, deren Motorgeräusch eine Fahrt suggeriert. Ansonsten, so ist anzunehmen, dämpft der penetrante Londoner Nebel sämtliche Geräusche.

Die Musik ist ein Kapitel für sich. Sie dient nicht der Untermalung, sondern als Pausenfüller. Sie setzt Akzente und trennt Szenen auf. Manfred Minnich gestaltete die kürzeren Pausenfüller mal neutönerisch à la Schönberg, mal als romantisches Geigenschmalz, aber die schmissigen Intros zu den größeren Akten als unterhaltsame Jazz-Kompositionen. Sein Glanzstück kommt ganz am Schluss: triumphaler Swing vom Feinsten. Damit kann der Zuhörer wieder gut gelaunt in den Alltag zurückkehren.

_Unterm Strich_

Alles in allem ist diese „Dame im Nebel“ eine runde Sache. Unterhaltung im Stil der Screwball-Komödie paart sich mit spannender Action aus der britischen Krimitradition. Die Kulisse des nebligen London entspricht genau den Rätseln und Geheimnissen, die den Tod von Ricky McMara umgeben. Die Sprecher sind ebenso professionell und begeistert bei der Sache wie die Musiker des Rundfunkorchesters. Die realistischen Geräusche versetzen den Zuhörer direkt in die jeweilige Szene, ohne jedoch die geschliffenen Dialoge zu überdecken. Da heißt es, genau zuhören. Die Lösung ist schon eine ganze Weile vor dem Ende in Sicht, wenn man genau hinhört.

Mir hat das spannende Hörspiel einen unterhaltsamen Nachmittag beschert. Am liebsten würde ich gleich das nächste „Damen“-Hörspiel genießen.

230 Minuten auf 4 CDs
Originaltitel: Lady in the Fog, 1947
Aus dem Englischen von Marianne de Barde