Richards, Curtis – Halloween

Haddonfield, ein kleines Städtchen im US-Staat Illinois, Heimstatt braver Bürger, die das Schicksal in dieser Halloween-Nacht des Jahres 1978 auf eine harte Probe stellt. Sie werden dieses Mal endgültig begreifen, dass es den Schwarzen Mann wirklich gibt, nachdem er hier schon einmal eine Kostprobe seines Könnens geliefert hat: Am 31. Oktober 1963 war das Böse in den sechsjährigen Michael Myers gefahren. Stimmen hatte er schon vorher gehört, die ihn zu üblen Taten verleiten wollten, aber erst in dieser seltsamen Nacht, in der die Toten ihre Gräber und böse Geister die Hölle verlassen dürfen, übernahm ein uralter, aus Nordirland angereister keltischer Geist das Kommando über sein Hirn und ließ ihn die große Schwester meucheln. Sie hatte es aber verdient, denn sie war ein böses Mädchen, das mit dem nichtsnutzigen Freund Schlüpfriges trieb, statt brav zu bleiben und sich für den zukünftigen Ehemann aufzusparen.

Sein dämonischer Auftrag, das US-Kleinbürgertum von verdorbenen Elementen zu reinigen, sowie das Wissen darum, dass dies mit einem großen Tranchiermesser am eindrucksvollsten gelingt, hilft Michael über die langen, öden Jahre hinweg, die er in Smith’s Grove, der Anstalt für geisteskranke Kriminelle, schmachten muss. Er entwickelt sich zum Schrecken der übrigen Insassen – und zum Lebensinhalt des Psychiaters Sam Loomis, der bis auf den Grund von Michaels Seele schaut und dort unten Satan winken sieht. Zukünftig fühlt sich der Doktor berufen, seinen Lieblingspatienten von der Welt fernzuhalten. Auf Lebenszeit will er Michael in Smith’s Grove eingesperrt wissen, doch leider findet der einsame Rufer in der Wüste kaum Unterstützung, was auch daran liegen mag, dass Dr. Loomis selbst kein besonders einnehmendes Wesen ist, sondern ein ungehobelter Fanatiker, der den Behörden ob seiner ständigen Eingaben und Warnungen vor dem angeblich vom Teufel besessenen Michael Myers mehr oder weniger als Querulant gilt. Derweil entwickelt sich Michael recht unbehelligt zu einem schweigsam brütenden jungen Mann mit erstaunlichen Körperkräften, aber ohne Moral und Mitgefühl. Nicht lange nach seinem 21. Geburtstag bricht er aus und macht sich daran, Haddonfield einen Besuch abzustatten.

Noch schneller als der berüchtigste Sohn der Stadt ist allerdings Dr. Loomis, der sogleich ahnt, wohin es Michael zieht. Den typisch begriffsstutzigen Kleinstadt-Sheriff nur widerwillig an der Seite, streift er mit gezückter Waffe durch das nächtliche Haddonfield, wo ein inzwischen leider maskierter Irrer zwischen den allgegenwärtigen Halloween-Gauklern gar nicht mehr auffällt. Dessen Auge ist inzwischen mit mordlüsternem Wohlgefallen auf Laurie Strode, süße 17, und ihre jugendlichen Freunde gefallen. Auch diese denken leider immer nur an das Eine und müssen daher bestraft werden – eine Aufgabe, der sich Michael Myers mit der ihm eigenen Kompromisslosigkeit zu widmen beginnt …

„Halloween“, der Horrorfilm von 1978, gehört zu den großen Erfolgen der Kinogeschichte. Seit einem Vierteljahrhundert spült er viel Geld in diverse Kassen, ist zeitlos spannend und kann mit Fug und Recht als Kultklassiker seines Genres gelten. Dafür ist weniger die schon damals nicht gerade originelle Geschichte vom blutrünstigen Buhmann, der nicht zu stoppen ist, verantwortlich, sondern ein John Carpenter auf der Höhe seiner Fähigkeiten, dem es als Drehbuchautor gelang, die Story virtuos auf das Wesentliche zu beschränken, während er als Regisseur alle Register des Filmhandwerks zog. Was weiter wurde, wissen wir nur zu gut. Maskierte Munkelmänner schwärmten in Legionsstärke aus, um ansehnlichen Teenagern mehr oder weniger einfallsreich das Lebenslicht auszublasen. Auch Michael Myers wurde zum cineastischen Wiedergänger, der inzwischen zum achten Male eine ganz neue Generation von Gruselfans heimsuchte.

Die enorme (aber im Gegensatz zu den Aufgüssen verdiente) Popularität des ersten „Halloween“-Streifens scheint das eigene Studio überrascht zu haben. Wie sonst lässt sich erklären, dass das unvermeidliche „Buch zum Film“ letzterem erst mit einjähriger Verspätung folgte? Geschrieben hat es Curtis Richards aber offensichtlich sehr viel früher, denn es beinhaltet Szenen aus Drehbuchfassungen, die den Weg in das endgültige Script nicht fanden. Hinzu kommen Episoden, die er sich selbstständig aus dem Hirn gewrungen hat, um der wie gesagt simplen Story Tiefe zu verleihen.

Freilich ist dieser Curtis Richards ein jämmerlicher Schriftsteller oder besser Schreiberling, der es sich förmlich zur Aufgabe gemacht hat, gegen sämtliche Regeln zu verstoßen, die eine logische oder wenigstens spannende Geschichte entstehen lassen könnten. So ist es zwar verständlich, wenn er Michael Myers als Individuum zeichnet und mit einer Vergangenheit ausstattet, doch er vergisst darüber, dass diese Figur überhaupt nur funktioniert, solange sie dem Zuschauer oder Leser fremd und rätselhaft und dadurch unheimlich bleibt. Nun zu lesen, wie Michael sich in seiner Zelle angeregt mit Dr. Loomis unterhält (!) und diesem enthüllt, dass einst der Geist eines pubertierenden Druiden-Jünglings (!!) Gewalt über ihn gewann, zerstört nachhaltig den Eindruck des untoten Bösen, das einfach nur ist und Unheil über die Welt bringt. Wieso setzte Carpenter seinem Film-Michael wohl eine Maske auf und ließ ihn nie ein Wort verlieren? Auf diese Weise wurde die letzte Verbindung zum Menschen Michael Myers gekappt, der sich in eine Unperson verwandelte. Richards scheut dagegen nicht einmal davor zurück, immer wieder hinter diese Maske zu blicken, uns Michaels Gedanken und Gefühle zu schildern und ihn als Ausgeburt der Hölle gründlich zu entzaubern.

„Halloween“ lebt vom Reiz des nicht Erklärten. In Haddonfield haben sich tatsächlich die Pforten der Hölle geöffnet. Die Konsequenzen sind schlicht und ergreifend furchtbar – und im Film kommt dies auch wunderbar über. Bewegung, Licht und Schatten und die geniale Musik (noch einmal Carpenter) lassen vergessen, dass „Halloween“ nichts als eine Hetzjagd über Tisch und Bänke ist. Insofern hatte Richards natürlich einen schweren Stand, denn auf dem Papier wird diese Eindimensionalität gnadenlos offengelegt. Michael Myers darf keine Persönlichkeit besitzen, und seine Gegner und Opfer benötigen sie nicht.

Aber halt, in einem Punkt weichen Carpenter und – auf den Spuren des Meisters – notgedrungen auch Richards von diesem Muster ab. Schon die zeitgenössische Kritik war bass erstaunt, welchen konservativen bis reaktionären Ton „Halloween“ anschlägt. Vom „New Cinema“ der 70er Jahre keine Spur; stattdessen müssen wir Wertvorstellungen erkennen, die ungefiltert den Geist der Fünfziger atmen. Michael Myers jagt und tötet stets die „schlechten“ Jungs und vor allem Mädels – jene, die nicht auf ihre Eltern, die Lehrer, den Pfarrer, den Sheriff hören, sondern gegen die Regeln verstoßen, ungehorsam sind, nicht fleißig lernen, sich aufreizend kleiden, schminken, rauchen, haschen oder dem Sex vor der Ehe frönen und – das schlimmste Verbrechen – womöglich Vergnügen daran finden: |“Während Lauries Reize bescheiden unter unauffälligen Kleidern und einer eigentlich biederen Frisur versteckt waren, trug Linda hautenge Jeans und Pullover, bunte Bänder im Haar und schrie mit ihrem gesamten Erscheinungsbild praktisch jedem, der es sehen wollte, ‚Hier gibt’s Sex!‘ zu.“| (S. 76) Das ist anscheinend ein todeswürdiges Verbrechen in Haddonfield. Die angepassten, vernünftigen, langweiligen Kids kommen dagegen durch, um ihre freudlose Existenz fortsetzen zu können.

Tritt uns die hölzerne Laurie Strode nicht in Gestalt der fabelhaften Jamie Lee Curtis, sondern als literarische Figur des Curtis Richards entgegen, ist sie einfach nur unerträglich in ihrem selbstgefälligen Puritanismus. Sie überlebt letztlich, weil sie mit dem Höschen auch das Hirn frei hält und ihr daher im entscheidenden Moment einfällt, wie der aufrechte Amerikaner dem Bösen entgegentritt: schwer bewaffnet und noch brutaler als der Gegner nämlich. Sollte Carpenter dies alles ironisch gemeint haben (wofür allerdings keine Indizien sprechen), hat sich dieser Ansatz im „Buch zum Film“ in Luft aufgelöst.

Doch selbst dort, wo Richards sich darauf beschränkt, die Filmstory nachzuerzählen, erleidet er kläglich Schiffbruch. Ihm gelingt es, jegliche Spannung zu töten und die wunderbare, gleichermaßen morbide wie kitschige Halloween-Kulisse links liegen zu lassen. Allerdings wird er dabei hierzulande kräftig unterstützt von einem geradezu kriminell unfähigen Übersetzer, der nie auch nur das geringste Gespür für den Text erkennen lässt, den er anscheinend Wort für Wort in eine dem Deutschen ähnliche Sprache übertragen hat. Eine schauerliches Lese-Erlebnis fürwahr, aber keines, das für den gewünschten Gruselspaß sorgen könnte!