Botting, Douglas – große Zeppelin, Der

Der Traum ist – so lautet eine der zahllosen Definitionen – ein Ventil, das unser Hirn benötigt, um in der Nacht kreativen Überdruck abzulassen, der in der grauen Realität des Tages meist fehl am Platze ist, denn dort haben Krämerseelen, Erbsenzähler oder Notstandsverwalter das Sagen. Nur manchmal geschieht es, dass die sonst vergeudete Energie, statt im Nichts zu verpuffen, den Weg ins Hier & Heute findet, um dort jenen komplexen Mechanismus aus Versuch & Irrtum anzutreiben, dem wir Menschen es verdanken, dass wir als Adresse nicht mehr die Höhle Nr. Sicher angeben müssen.

Was haben die raren Zeitgenossen, die von uns weniger Klugen oder Mutigen als „Spinner“ verlacht werden, bis wir sie nach wider Erwarten sich einstellendem Erfolg zum „Genie“ befördern, nicht zu erdulden, während sie unbeirrt ihrem seltsamen Drang folgen, der Welt etwas zu schenken, was diese zwar selten verdient, aber oft genug gut gebrauchen kann! Die Geschichte dieser erfindungsreichen Geister ist mit der des Zeppelins praktisch deckungsgleich. Im Nachhinein gibt es natürlich viele kluge Antworten auf die Frage, wieso das Luftschiff gerade um 1900 erfunden wurde, aber wie Douglas Botting so informativ wie unterhaltsam darzulegen weiß, ist die historische Wahrheit nur die Hälfte der Geschichte.

Luftschiffe sind keine Objekte nüchterner Betrachtung; das sind sie höchstens für Regierungen und Konzerne, die sie bezahlen müssen. Ansonsten stellen sie Objekte der Bewunderung und Projektionsflächen für die Träume der normalsterblichen Bodenbewohner dar. Weil Zeppeline üblicherweise recht voluminöse Gebilde sind, verbinden sich mit ihren entsprechend große oder großartige Träume. „Dr. Eckeners Traum-Maschine“ nennt denn auch der Verfasser sehr viel treffender, als der prosaische deutsche Titel dies auszudrücken vermag, sein Werk. Was er damit meint, führt er uns sogleich überzeugend vor Augen, als er mit der Chronologie seiner Zeppelin-Historie bricht und die Ehrfurcht gebietenden Riesen der Lüfte in den Stunden ihrer größten Triumphe zeigt. Die sagenhafte Erdumkreisung des „Grafen Zeppelin“ von 1929 führt dem Leser aber exemplarisch auch vor Augen, dass eine der ganz großen technischen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte enden musste wie sie begann: großartig, aber tragisch.

Dr. Hugo Eckener (1868-1954) ist für beides der ideale Hauptdarsteller. Ein nüchterner, auf Sicherheit und Zuverlässigkeit schwörender, genialer, sturer, schroffer, selbstbewusster, hoch verehrter, verschlossener, überlebensgroßer Mann, alles andere als ein trauriger Held, sondern eine Persönlichkeit mit Visionen und der Kraft, diese allen Widrigkeiten zum Trotz umzusetzen. Wohl nur Eckener konnte quasi im Alleingang die Luftschifffahrt Wirklichkeit werden lassen, weiß Botting deutlich zu machen, und was den Unterschied ausmacht, erklärt er uns, indem er Eckener den legendären Grafen Ferdinand von Zeppelin gegenüber stellt, der als eigentlicher Erfinder der (starren) Luftschiffe gilt, doch als solcher eigentlich ein Geschöpf der Medien war und sogar von Eckener, der sich als Journalist und Sachbuch-Autor mit der Materie auskannte, als solches erschaffen wurde. Graf Zeppelin war allerdings „nur“ der Mann mit der richtigen Idee, der mit dieser geistig nicht Schritt halten konnte und schließlich von ihr vereinnahmt wurde, Eckener dagegen ein Visionär auf dem Boden nackter Tatsachen, der stets bereit und fähig war dazuzulernen.

Er war zudem eine Führergestalt im positiven Sinne. Da der direkte Vergleich historisch möglich ist, zieht Botting ihn. Anders als Hitler besteht Eckener diesen Test, denn die Beweise sagen eindeutig, dass die Nazis mit ihrem genialen Luftschiffer gar nicht glücklich wurden. Mit seltener, durchaus tollkühner Eindeutigkeit hat sich Eckener gegen Hitler und sein Regime ausgesprochen. Nur sein Prominentenstatus als Liebling des deutschen Volkes, dem anders als sein „Führer“ die Zeppeline wert & teuer waren, rettete Eckener die Freiheit und womöglich das Leben. Seine scharfe Zunge kostete ihn freilich die über Jahrzehnte hart erarbeitete Vormachtstellung im deutschen Luftschiff-Bau: Als er d a s Meisterwerk der Zeppelin-Kunst, die „Hindenburg“, verwirklicht sehen wollte, musste er doch manche braune Kröte schlucken, um nicht kaltgestellt zu werden.

Die Geschichte der „Hindenburg“ bildet den zweiten Teil dieses Buches. Sie scheint hinlänglich bekannt, konzentriert sich aber tatsächlich meist auf jenen explosiven Moment, als dieses Schiff 1937 über dem Landefeld von Lakehurst havarierte und damit das Ende einer Epoche besiegelte. Botting macht deutlich, dass dies zu kurz gedacht ist. Die „Hindenburg“ symbolisiert einerseits das Ende einer grandiosen Sackgasse der Luftfahrt: Das Flugzeug hatte schon damals den Zeppelin eingeholt und überflügelt. Andererseits stellt die „Hindenburg“ noch heute eine technische Glanzleistung dar. Nach mehr als zwei Jahrzehnten grüner Verteufelung aller nicht auf Bäumen gewachsener Schöpfungen menschlichen Erfindergeistes ist es etwas aus der Mode gekommen, solche zur Kenntnis zu nehmen. Zudem wäre es falsch, die Katastrophe von Lakehurst mit dem Ende der Luftschifffahrt gleichzusetzen: Schließlich gab es noch einen heute fast vergessenen „Graf Zeppelin II“, der dem unglücklichen Schwesterschiff an Größe nicht nachstand. Erst der II. Weltkrieg machte Dr. Eckeners Traum-Maschine endgültig den Garaus.

Aber der Traum als solcher lebt: Douglas Botting bekennt sich selbst zu ihm und lässt dabei exakt dasselbe Maß an Selbsttäuschung erkennen, das auch Eckener und seine Gasschiff-Jünger einst an den Tag legten. Zum Zeitpunkt der Niederschrift von „Der große Zeppelin“ schien es, als ob die alte Pracht und Herrlichkeit in Deutschland wieder erstehen würde. „CargoLifter“ hieß die „Hindenburg“ der Gegenwart; ein Projekt, auf das Botting in einem Schlusskapitel voller Zuversicht und Hoffnung nicht nur hinweist, sondern – wohl ohne es selbst zu bemerken – von dem er enthusiastisch schwärmt. Wieder sah auf dem Papier alles glänzend aus: Nicht als Passagierschiff, sondern als fliegender Kran und Transporter für gewaltige, sperrige Fracht war der „CargoLifter“ konzipiert; in der Vergangenheitsform muss man inzwischen über ihn sprechen, denn Bottings Vision von der Wiederkehr der ruhigen Riesen zerstob ebenso wie die Hoffnung der „CargoLifter“-Aktionäre auf eine fette Rendite. Bei eindrucksvollen Computer-Simulationen ist es bisher geblieben, während die Kosten noch spektakulärer explodierten als einst die „Hindenburg“. Schlagzeilen macht der „CargoLifter“ höchstens als Pleitegeier. Eine gigantische Werfthalle nahe Berlin, die größte ihrer Art in der Welt, in deren lichter Kuppel sich echte Wolken bilden, und die heute als exotische Freizeitanlage genutzt wird, legen Zeugnis darüber ab, dass Luftschiffe heute mehr denn je Traum-Maschinen sind.

So bleibt einmal mehr nur der Blick zurück in eine schier unglaubliche Epoche. Die Bilder, die Botting zusammengetragen hat, lassen völlig ungeachtet des Wissens, wie dieser Traum endete, beim Betrachter den unbändigen Wunsch aufsteigen, selbst sofort mitzufliegen. (Sie leiden freilich unter ihrem zu geringen Format – wie immer und überall beansprucht so ein Zeppelin auch als Abbildung eine Menge Raum!) Kluge Köpfe wurden über der Frage zerbrochen, wieso dies so war, ist und immer sein wird. Kaffeesatz-Psychologen wiesen gern auf die frivole Form der Luftschiffe hin, und tatsächlich lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass Deutschland einst auf dieser Welt den Längsten hatte. Botting mag sich dieser simplen Interpretation nicht anschließen, und er hat wohl Recht: Primär ist es wohl die Kombination von Größe und Schwerelosigkeit, die dem Luftschiff seinen Nimbus verleiht. Immer wieder schwärmen Zeugen von der Freiheit, die in einem Zeppelin über den Wolken tatsächlich grenzenlos war. Das erschließt sich dem heutigen Leser so mühelos, dass daran wohl etwas dran sein muss.

Schreibe einen Kommentar