Peter Watts – Mahlstrom

Um einen gefährlichen Mikroorganismus auszutilgen, zündet ein Großkonzern eine Atombombe. Die Tat kostet Millionen Menschen das Leben und wird vertuscht. Eine Überlebende rächt sich, indem sie den Erreger über die gesamte Erde streut … – Der grundsätzlich simple Plot wird mit stimmigen und stimmungsvollen Beschreibungen einer nahen, düsteren Zukunft unterfüttert, die mit dem Blick auf Fakten naturwissenschaftliche und soziale Zu- und Missstände extrapolieren. „Mahlstrom“ ist Mittelstück einer Trilogie; der Roman beginnt und endet offen und fordert Aufmerksamkeit: kein Meisterwerk aber deutlich besser als das übliche SF-Lesefutter.

Das geschieht:

Anno 2051 ist der technische Fortschritt mindestens soweit fortgeschritten wie die Zerstörung der Erde. Die weiterhin maßlosen Eingriffe auch in heikle, nicht wirklich verstandene oder um des Profits willen ignorierte Prozesse haben weltweite Naturkatastrophen wie Stürme, Erdbeben und Tsunamis alltäglich werden lassen. Internationale Konzerne haben das Sagen, aus dem Internet wurde das Arpanet, das wegen seiner unermesslichen, nicht mehr zu kontrollierenden und sich teilweise verselbstständigenden Datenflut auch als „Mahlstrom“ bezeichnet wird.

Die Energiekrise, die Anfang des Jahrtausends als Menetekel heraufbeschworen wurde, blieb aus, nachdem es gelang, geothermale Quellen anzuzapfen, die Hitze und damit Energie aus dem Inneren des Planeten an die Oberfläche transportieren. Allerdings gelingt dies nur auf dem Grund der Ozeane, wo die Erdkruste dünn ist. Um die Quellen kontrollieren zu können, wurden die „Rifter“ geschaffen – Menschen, die durch Körperimplantate in der Lage sind, ohne Taucheranzüge oder Sauerstoffzufuhr im Wasser und in der Tiefsee zu leben.

Lenie Clarke gehört zu den Riftern, die für das N‘AmPaz-Unternehmen die Channer-Quelle auf dem Juan-de-Fuca-Meeresrücken vor der Westküste Nordamerikas warten. Als dort auf dem Meeresgrund das gefährliche βehemoth-Bakterium entdeckt wird, lässt der Konzern die Quelle kurzerhand durch eine Atombombe zerstört. Außer Clarke kommen alle Rifter um; sie galten als infiziert und wurden nicht gewarnt. Clarke schwört Rache. Tatsächlich infiziert sowie psychisch aus dem Gleichgewicht gebracht, plant sie βehemoth über den Globus zu bringen. Clarke wird zum Schrecken derer, die sich zu Herren der Erde aufgeschwungen haben – und zur Legende bei denen, die von den Konzernen unterdrückt und ausgebeutet werden. Doch ohne ihr Wissen greift βehemoth auf das Arpanet über und schafft sich eine digitale und intelligente Inkarnation, die noch gefährlicher ist als das ursprüngliche Bakterium. Die Apokalypse naht, und sie ist auf Lenie Clarke nicht mehr angewiesen …

Gar nicht schöne, neue Welt

Die Welt der nahen Zukunft so zu schildern, dass sie den Leser von Heute überzeugt, ist eine Herausforderung für Science-Fiction-Autoren. Sie haben es leichter, wenn sie die Gegenwart möglichst weit hinter sich lassen, weil sie dann frei fabulieren können, während sie wie hier Watts sorgfältig darauf achten müssen, Realität und Fiktion in Deckungsnähe zu bringen. 2051 ist ein Jahr, das viele Leser von „Mahlstrom“ noch erleben dürften. Da gilt es die Fantasie in Bahnen zu lenken bzw. sie zu formen: Sie wird zur Extrapolation von Entwicklungen, die sich bereits abzeichnen.

Das bezieht sich hier vor allem auf Folgen einer nie wirklich in den Griff bekommenen Umweltzerstörung, die Hand in Hand mit der intensiven Nutzung natürlichen Ressourcen geht. Die unersättliche Gier nach Energie ließ den Menschen inzwischen bis in die Tiefsee vordringen. Was er dabei vernichtet, aus dem Gleichgewicht bringt oder versehentlich zutage fördert, gilt als Kollateralschaden.

Die Moral ist kontinuierlich weiter aus dem politischen, gesellschaftlichen wirtschaftlichen Alltag verschwunden. Watts postuliert eine Erde, in der sich die Kluft zwischen Reich und Arm bzw. zwischen denen, die führen, und denen, die folgen müssen, erheblich verbreitert hat. Die Definition der Menschenrechte hat sich geändert; der Staat tritt buchstäblich als Gewalt auf. Er hält sich die wachsende Zahl derjenigen, die von Wohlstand und Sicherheit abgekoppelt wurden, vom Leib, indem er Beruhigungsmittel unter die ausgegebene Billignahrung mischt. Gewaltige Konzernkonglomerate haben auch politisch das Sagen. Die Vernichtung der Channer-Quelle wird als Akt „präventiver Eindämmung“ beschönigt.

Information und Adaption

Zur Willkür gehört Kontrolle, und die garantiert das Arpanet, ein Internet, das seinen Teilnehmern zwar globale Omnipräsenz ermöglicht, sich andererseits jedoch zur künstlichen Naturgewalt entwickelt hat. Aus Viren und Würmern wurden quasibiologische Systeme, die auf dem Sprung zur künstlichen Intelligenz stehen. Wie sie sich zum Menschen stellen werden, steht in den Sternen. Schon jetzt bricht das Netz in Teilen immer wieder und mit katastrophalen Folgen zusammen. Schadensbegrenzung muss Ursachenforschung ersetzen – ein Versäumnis, das sich in nicht ferner Zukunft rächen wird. ßehemoth wird das Arpanet endgültig in einen Mahlstrom verwandeln, der die Menschheit, wie man sie kennt, in den Abgrund ziehen kann.

Noch echte Zukunftsmusik ist eine biomechanische Manipulation, wie Watts sie den Rifters zugrundelegt. Sie bilden eine Subkultur, die durch das Leben unter Wasser vorgegeben wird. Ihren ‚Herren‘ gelten sie als Arbeitsinstrumente, die flexibler als Roboter einsetzbar sind. Die Rifters werden nicht nur medizinisch aufgerüstet. Ihr Gehirn wird von den Konzernen, für die sie tätig sind, manipuliert und ferngesteuert; ein guter Teil des Zorns, der Lenie Clarke in den Widerstand treibt, resultiert aus der Erkenntnis, dass ihre gesamten Jugenderinnerungen gefälscht wurden, um ihr eine fügsame und lenkbare Persönlichkeit zu formen.

Die Menschen entwickeln aber sie ändern sich nicht

Watts wirft den Leser recht unvermittelt ins kalte Wasser. Die Handlung startet sofort, eine Einleitung im eigentlichen Sinn gibt es nicht. „Mahlstrom“ ist der zweite Teil einer mehrbändigen Serie, die mit „Starfish“ (dt. „Abgrund“) startete. Hier wurde die Welt des späteren 21. Jahrhunderts vorgestellt. Die Rifters und Lenie Clarke traten bereits auf, und wichtige Ereignisse fanden statt, deren Kenntnis dem Leser hilft, den Lektürefaden wieder aufzunehmen.

Allerdings legt sich die anfängliche Verwirrung bald. Watts ist kein Autor, der rasant vorwärts schreitende Ereignisse liebt. Immer wieder hält er ein und schwelgt in ausgiebigen Beschreibungen. Da er zu schreiben versteht (und „Mahlstrom“ einer guten Übersetzerin anvertraut wurde), lesen sich diese Passagen, die Science Fiction in Reinkultur sind, immer interessant. Auf der anderen Seite nehmen sie das Tempo aus der Geschichte. Nicht immer vermag der Verfasser seine Imagination zu zügeln, die sich deshalb schwer über die Handlung legt.

Er hat viel recherchiert; seine Quellen legt Watts in einem ausführlichen Nachwort offen. Unter dem Mantel elegant geschilderter Naturwissenschaft und scharfer, aber nicht aufdringlicher Gesellschaftskritik lugt trotzdem manches Klischee hervor. Mancher Kritiker lobt Watts für die Konsequenz seiner in der Tat dystoptischen Zukunftsvisionen. Die wärmen indes viele bekannte SF-Vorbilder auf. Watts kreiert weniger als dass er adaptiert.

Der „Rifters“-Zyklus endete mit dem monumentalen (im Original in zwei Bänden veröffentlichten) „Behemoth“ (dt. „Wellen“), dessen Handlung fünf Jahre nach „Mahlstrom“ und auf einer von ßehemoth radikal veränderten Erde einsetzte.

Autor

Über sich und sein Werk informiert der kanadische Meeresbiologe und Autor Peter Watts (geb. 1958) auf dieser Website.

Taschenbuch: 511 Seiten
Originaltitel: Maelstrom (New York : Tor Books 2001)
Übersetzung: Sara Riffel
http://www.randomhouse.de/heyne

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