Spinrad, Norman – Transformation, Die

Eigentlich hat es den Künstleragenten Texas Jimmy Balaban nur in die tiefste Provinz verschlagen, weil er mit seiner neuesten Eroberung auf der Flucht vor dem Privatdetektiv seiner Noch-Ehefrau ist. Während der abgrundtief schlechten Talentshow des ortsansässigen Hotels bemerkt er den Komiker Ralf, der nicht nur durch einen sicheren Auftritt und gutes Timing aus der Masse hervorsticht – Ralf behauptet, er stamme aus der Zukunft, nur habe ihm sein Manager versprochen, ihn im Jahre 1969 in Woodstock aus der Zeitmaschine treten zu lassen.

Balaban nimt den seltsamen Kauz unter Vertrag, der sich bald zum Star mausert und mit „Ralfs Welt“ eine eigene TV-Show zur besten Sendezeit bekommt. Der Science-Fiction-Autor Dexter Lampkin lässt sich überreden, Texte für die Show zu schreiben. Er entwickelt die Details der düsteren Zukunft, aus der Ralf zu stammen behauptet.

Lampkin hat vor Jahren mit dem Roman „Die Transformation“ sein idealistisches Hauptwerk geschrieben, in welchem die Menschen Signale von einer unwesentlich weiter entwickelten extraterrestrischen Spezies empfangen, die ihre Probleme mit der Umweltzerstörung, Atomkraft und Gentechnik nicht in den Griff bekommen hat. Es scheint ein allgemeines Phänomen zu sein, dass Zivilisationen in einem gewissen Entwicklungsstadium sich selbst durch die eigene Unvernunft zerstören. Einige Wissenschaftler fassen da den Plan, der Menschheit dieses Schicksal zu ersparen und entwerfen eine falsche Aliengottheit, die der Allgemeinheit den Weg in die lichte Zukunft weisen soll. Der Roman war ein Verkaufsflop, aber Lampkin ist der Glaube geblieben, Science-Fiction könne die Welt verändern.

Zweite wichtige Person in der Kreativzone der Show ist Amanda Robin, eine New-Age-Anhängerin, die in Ralf eine Manifestation des Zeitgeistes sieht. Beide, Lampkin und Robin, meinen mit „Ralfs Welt“ Einfluss auf die Menschen nehmen zu können. Ralf selbst wirkt fast wie eine leere Leinwand, auf die sie ihre Vorstellungen projizieren können: Ralf ist ebenso sehr Abgesandter einer kaputten Zukunft, der die Menschheit auf den richtigen Weg führen will, wie auch Avatar des Zeitgeistes, ein neuer Messias, der x-te Versuch nach Prometheus, Jesus Christus und JFK – oder vielleicht auch nur ein durchgedrehter Provinzkomiker.

Richtig klar wird dies nie. Eine Zeitlang funktioniert die Sendung gut, erfüllt Ralf die unterschiedlichen in ihn gesetzten Erwartungen – bis er immer mehr über seine Rolle hinauswächst.

Spinrad hat mit „He walked among us“, so der Originaltitel, ein sehr ambitioniertes Werk verfasst, das weit mehr als andere Bücher, die dieses Etikett aufgeklebt bekommen haben, die Bezeichnung „Roman des neuen Jahrtausends“ verdient. Es ist ein großer Rundumschlag, den Stand der modernen Zivilisation betreffend. Die ökologischen und wirtschaftlichen Probleme sind ja schon oft thematisiert worden, Spinrad geht allerdings noch weiter, indem er hinterfragt, was für den Einzelnen überhaupt Realität ist.

Deshalb ist „Die Transformation“ auch wieder ein Medienroman – und ähnlich wie Spinrads letztes Werk dieser Art, „Bilder um 11“, ist er bei allen brillant gestalteten Szenen doch etwas anstrengend. Voraussetzung für das Lesen ist der Glaube, eine solche Einpersonensendung wie „Ralfs Welt“ könne wirklich eine größere Menge von Menschen bewegen. Spinrad packt eine Menge kluger und auch streitbarer Ideen in seinen sehr umfangreichen Roman, den man gern hier und da etwas kürzen dürfte. Gerade in der Phase, bevor sich Ralfs Wandel vom Komiker aus der Zukunft zu einer ernsthafteren und undurchschaubareren Person ganz vollzieht, ist „Die Transformation“ ziemlich zäh. Man kann Spinrad auch eine gewisse Selbstverliebtheit in seinem Roman nicht absprechen. Neben dem Gehalt an Ideen fällt überdies wieder einmal Spinrads Fähigkeit auf, glaubhafte und auch sehr unterschiedliche Charaktere zu schaffen.

Ein zweites großes Thema sind die Science-Fiction und ihr Fandom. Hier ist Spinrad richtiggehend gallig: Lampkin erträgt Cons, wie die meisten Autoren, nur in einer Mischung aus Bekifft- und Betrunkensein. Die meisten Fans sind zwar überdurchschnittlich intelligent, fallen aber sonst durch unglaubliche Körperfülle, eng beieinanderstehende Augen, seltsame Aufmachung und pure soziale Inkompetenz auf. Auf den Conventions kann ein Autor sich kaum vor Groupies retten. Andererseits glaubt auch ein Dexter Lampkin an die Macht der Literatur, glaubt er, mit seinen Büchern, mit Science-Fiction die Menschen nicht nur zum Nachdenken sondern auch zum Handeln zu bringen.

Das Buch ist nichts für Zartbesaitete: Gerade in der Nebenhandlung um Lotter Lotti, die von Crack abhängig wird und am Tiefpunkt ihrer Existenz im Gewirr der New Yorker U-Bahn-Tunnel eine Begegnung der dritten Art mit Ratten hat, geht es sowohl im Inhalt als auch im Stil äußerst heftig zur Sache.

Wer sich auf die Reise in „Ralfs Welt“ einlässt, kann etliche faszinierende Stunden mit Spinrads Roman verbringen. Man muß sich jedoch einige Erholungspausen gönnen; der Wiedereinstieg wird einem durch die etwas redundante Art des Erzählens, bei der etliche Einzelheiten an späterer Stelle noch einmal wiederholt werden, erleichtert. Und man sollte auch als Fan das Fandom nicht nur mit größtem Ernst betrachten können.

Übrigens ist „Die Transformation“ eine Originalausgabe – bis jetzt hat sich kein amerikanischer Verlag für das Manuskript finden lassen. In englischer Sprache wurde der Roman dann zwar 2003 veröffentlicht, aber auch nur im eBook-Format. Sehr lobenswert, dass der |Heyne|-Verlag sich nicht scheut, auch kontroverse und schwierige Romane zu veröffentlichen, denen aber wohl leider (wie Lampkins „Transformation“) ein breites Publikum versagt bleiben wird; bislang gab es auch, wie bei vielen Werken Spinrads, keine weiteren Auflagen des Romans.

_Andreas Hirn_ © 2002
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|