Richard Matheson – Echoes: Stimmen aus der Zwischenwelt

Das geschieht:

Es beginnt als Spiel unter Nachbarn und Freunden, die eine lahme Party in Gang bringen möchten: Tom Wallace, Mitarbeiter einer Werbeagentur, erklärt sich bereit, das Versuchskaninchen für Philip, den jüngeren Bruder seiner Ehefrau Anne, zu spielen. Der junge Psychologiestudent möchte seinen Schwager hypnotisieren. Wider Erwarten gelingt das Experiment, und Tom macht sich zur Belustigung der Gäste durch allerlei suggerierte Mätzchen lächerlich.

Tom hat längst vergessen, dass sein Großvater als Medium bekannt und gefürchtet war. Nun tritt der Enkel unfreiwillig in seine Fußstapfen und entwickelt sich zum Gedankenleser, was nicht nur Anne oder Söhnchen Richard missfällt. Tom leidet unter seiner Gabe, denn wer möchte schon wissen, was seine Mitmenschen wirklich denken; besonders, wenn diese in der Nachbarschaft wohnen und unsympathisch wirken wie Harry Sentas, der grobschlächtige Hausvermieter, oder Frank Wannamaker, der seine Ehefrau Elizabeth nicht nur betrügt, sondern wahrscheinlich auch schlägt.

Als die Gedankenleserei in echtes Hellsehen umschlägt, erscheint Tom des Nachts der Geist einer unbekannten Frau, der in ihm das lange ersehnte Instrument sieht, zu Lebzeiten erlittenes Unrecht zu sühnen. Weil die Verbindung zwischen Jenseits und Diesseits traditionell schlecht ist, versteht Tom nicht, was von ihm verlangt wird. Während seine Mitmenschen ihn allmählich argwöhnisch betrachten und auf den Besuch eines Psychiaters drängen, beginnt Tom zu ermitteln. Wer ist oder war die Unbekannte, die ihn quält?

Es könnte sich um Helen Driscoll, Harry Sentas‘ Schwägerin, handeln, die vor den Wallaces in ihrem Haus gewohnt hat. Aber Helen ist vor über einem Jahr in den Osten gezogen. Seltsam, dass niemand sie seither gesehen hat; nicht einmal die eigene Schwester … Tom bohrt weiter – und muss die Erfahrung machen, dass auch ein hellsichtiger Amateur-Detektiv gewaltig auf Abwege geraten kann. Als er selbst in Lebensgefahr gerät, wird ihm zu spät klar, dass der Tod den Menschen nicht unbedingt schlauer werden lässt …

Unverhofft kommt manchmal doch

Hier halte ich ein, um denen, die neugierig geworden sind, nicht den Spaß an der Lektüre zu verderben, indem ich die Pointe verrate. Nicht, dass man sich diese deshalb sparen könnte: „Echoes“ ist trotz des bescheuerten ‚deutschen‘ Titels ein echtes Schmuckstück, das auf jeden Fall über die gesamte Distanz zu fesseln versteht.

Hierzulande wäre uns Freunden des Unheimlichen dieses Buch womöglich nie übersetzt unter die Augen gekommen, wäre nicht in den letzten Jahren des vergangenen Jahrtausends ein Hollywood-Regisseur namens David Koepp (den Namen müssen wir uns nicht merken) auf den damals bereits vier Jahrzehnte alten, halb vergessenen Gruselthriller „A Stir of Echoes“ des Schriftsteller-Veteranen Richard Matheson aufmerksam geworden.

1999 setzte Koepp, der die Vorlage höchstpersönlich in ein Drehbuch umgegossen hatte, den gleichnamigen Film in Szene; ein B-Movie mit mittelgroßem Budget und ebensolchen Schauspielern. Ersteres bereitete keine Schwierigkeiten, weil sich der Horror von „Echoes“ hauptsächlich im Kopf abspielt, was teure Spezialeffekte überflüssig werden lässt. Letzteres fiel nicht weiter auf, obwohl außer Kevin Bacon nur No-Names mitwirken, die ihren Job aber ordentlich erfüllen.

Problematischer waren Koepps Bemühungen, „“Echoes“ zu ‚modernisieren‘. Keine gute Idee, wenn der Ehrgeiz das Talent deutlich übersteigt. Der Film fiel an den Kinokassen ziemlich durch. Geplant war aber mindestens ein kleiner Blockbuster, wie der flankierende PR-Rummel deutlich macht. Neben dem üblichen überflüssigen Sammler-Tand verdanken wir den Werbetrommlern immerhin die Neuveröffentlichung des Original-Romans. Dafür dürfen wir sie, die wir sonst mit Fußtritten von unserer Türschwelle vertreiben müssen, ausnahmsweise preisen!

Besser spät als nie erschienen

Denn „Echoes“, das Buch, hat sich erstaunlich gut gehalten. Es ist schwer zu sagen, ob dies so ist, weil Richard Matheson seinen Roman womöglich 1986 überarbeitete, weil er damals neu aufgelegt wurde. Wenn man sein Werk kennt, wird dieser Verdacht allerdings schwächer. Matheson hat es stets verstanden, als Horror- wie als Science Fiction-Schriftsteller das phantastische Genre und sein Publikum ernst zu nehmen. Seine Romane und Kurzgeschichten haben nicht nur die minderen Eingeweide, sondern Herz, seine Figuren leben und erwecken Anteilnahme, statt nur der nächste Posten auf der Speisekarte des Monsters der Stunde zu sein.

Wenn er dann kommt, der echte Horror, dann ist er gut vorbereitet und wird dosiert eingesetzt. „Echoes“ ist nie die bis zum Überdruss ausgewalzte Schauermär vom rächenden Gespenst, das seine Peiniger züchtigt und dabei möglichst blutrote Sauereien anrichtet. Mathesons Geist ist außerdem weder allmächtig noch allwissend; sein Gespenst gehört sichtlich derselben amerikanischen Vorstadt-Mittelklasse an wie die (noch) lebendigen Figuren.

Die kleine Welt des bürgerlichen, hart arbeitenden und wacker konsumierenden Mittelstandes stellte viele Jahre einen grundsoliden Eckpfeiler der US-amerikanischen Gesellschaft dar. Matheson lässt seine Geschichte in derselben Umgebung spielen, in die sich auch der frühe Steven Spielberg zu Haus fühlte. Wohl nicht von ungefähr kommt einem sehr schnell „Poltergeist“ in den Sinn, der 1981 eine ähnliche Story wie „Echoes“ erzählte: Richard Mathesons Name hat einen sehr guten Klang in der Unterhaltungsindustrie.

Hart am Rande einer harten Realität

Oft wurden und werden solche Geschichten verwässert und publikumskonform auf den größten gemeinsamen Nenner gebracht. Dagegen singt Matheson mit „Echoes“ keineswegs das notorisch-neurotische Loblied auf das patriotische US-Salz der Erde. Tom und besonders seine Anne sind nicht Rock Hudson und Doris Day. Von ihren Nachbarn und angeblichen Freunden kann man dies erst recht nicht behaupten. Matheson zerstört ebenso glaubhaft wie gekonnt das Blendwerk der großen, glücklichen Freund-Familie, in der alle fröhlich beieinander sitzen. Er zeichnet ein realistischeres Bild. Im Horror-Genre, das nach Ansicht derer, die an ihm verdienten, angeblich den geistig schlichteren Naturen vorbehalten blieb, war das 1958 nicht gerade üblich.

Besonders die Figur der Anne ist vielschichtiger angelegt, als man es zunächst bemerkt. Matheson scheint sogar mit ihrer Hilfe sacht aber sardonisch Kritik am American Way of Live zu äußern. Anne, Hausfrau und Mutter (damals noch aus freien Stücken und nicht zwangsläufig Schandmal der Unterdrückung) und gerade wieder schwanger, ist die beste Ehefrau von allen, solange Tom ihre heile, kleine Welt nach innen und außen zusammenhält. Als er dann ohne Verschulden aus der Bahn getragen wird, tritt Anne nicht an seine Seite, um ihm beizustehen.

Stattdessen reagiert sie erst verständnislos, dann misstrauisch, und bald wird ihr Drängen immer energischer, Tom möge doch bitte einen Seelendoktor aufsuchen, der mit ein paar Spritzen und Pillen dafür sorgen wird, dass ihr Mann, der Herr (und Hund) des Hauses, umgehend wieder korrekt funktioniert. Erst zum Finale ändert sich das wieder, und siehe da: Der Wandel erscheint völlig logisch, wie Matheson ihn schildert. Anne fängt sich und treibt ihren Tom nicht mehr in unfreiwilliger Personalunion mit dem Geist in den Wahnsinn

Gerade regelmäßige Grusel-Leser sollten deshalb zugreifen, bevor dieses Buch auch antiquarisch nicht mehr greifbar ist. Allzu oft erscheinen Romane wie „Echoes“ in Deutschland nicht (mehr) – jedenfalls nicht, wenn sie schon etwas älter sind, weil dem wackelpuddingweichen Zeitgeist ‚alt‘ und ‚schlecht‘ als Synonyme gelten.

Autor

Richard Burton Matheson wurde am 20. Februar 1926 in Allendale (US-Staat New Jersey) geboren. Er studierte Journalismus an der University of Missouri, arbeitete jedoch hauptberuflich als Schriftsteller. Die nach dem II. Weltkrieg erneut boomende Magazin-Szene bot einem schnellen und professionellen Autoren kein üppiges aber ein ausreichendes Auskommen. Matheson lernte rasch, sich diesem Markt anzupassen. Schon 1950 gelang ihm mit der Story „Born of Man and Woman“ (dt. „Menschenkind“), veröffentlicht im „Magazine of Fantasy & Science Fiction“, der Durchbruch. Matheson machte sich einen Namen durch das Geschick, mit dem er die Genres SF und Horror miteinander kombinierte. Sein Romanerstling wurde 1953 jedoch ein Krimi („Fury on Friday“). Auch diverse Western-Storys hat Matheson veröffentlicht.

1954 erschien „I Am Legend“ (dt. „Ich, der letzte Mensch“ bzw. „Ich bin Legende“), 1956 „The Shrinking Man“ (dt. „Die seltsame Geschichte des Mr. C.“), 1958 „A Stir of Echoes“ (dt. „Echos“). Mit diesen drei Romanen zementierte Matheson seinen Ruf. Sie wurden sämtlich verfilmt. Zu „The Shrinking Man“ schrieb er selbst das Drehbuch und fasste auf diese Weise in Hollywood Fuß. In den nächsten Jahrzehnten bereicherte er die Kino- und Fernsehwelt mit innovativen Drehbüchern, für die er zahlreiche Preise einheimsen konnte.

In den 1990er Jahren konzentrierte sich Matheson wieder stärker auf seine schriftstellerische Arbeit. Seit 1951 lebte er in Kalifornien. Dort ist er am 23. Juni 2013 im Alter von 87 Jahren gestorben.

Taschenbuch: 254 Seiten
Originaltitel: A Stir of Echoes (New York : J. B. Lippincott & Co. 1958)
Übersetzung: Bettina Zeller
http://www.randomhouse.de/heyne

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)