Wieland Freund – Wecke niemals einen Schrat!

Verfolgungswahn

Elfenkinder müssen zum Abschluss der Sommerschule die Gefahrenprüfung ablegen, denn im Wald leben allerhand Tiere – und Schlimmeres – die es auf das Leben der kleinen, flinken Baumbewohner abgesehen haben. Nur Rumtreiber Jannis macht die ganze Paukerei überhaupt keinen Spaß, weswegen er auch ständig schwänzt und daher nicht einmal die Grundlagen aus dem schlauen BUCH ÜBER ALLES zusammenbekommt. Er hasst das klugscheißerische Lehrbuch gar. Kein Wunder, dass er die Abschlussprüfung in Bausch und Bogen versemmelt – selbst die tatkräftige Unterstützung seiner Freundin, und klassenbesten Schülerin, Motte, kann ihn davor bewahren. Frustriert und verärgert darüber, dass er die Sommerschule wiederholen muss, lässt Jannis seine Wut an einem vermeintlichen Pilz aus. Allerdings entpuppt sich dieser als schlafender Schrat, den er nun erweckt hat.

Auch wenn er sonst nicht viel gelernt hat, bei einem Punkt ist der er vollkommen sicher: Schrate bringen Unglück. Sie folgen einem hartnäckig egal wohin man auch geht. Flucht ist zwecklos. So will es das Schrat-Gesetz. Das macht Wendel – so der Name des ulkigen Wesens – ihm auch unmissverständlich klar. Einen Schrat zu wecken bedeutet überdies Verbannung! Als dann auch noch der böse Zauberer Holunder den Elfenwald mit einem verheerenden Sturm überzieht, bei dem unter anderem Motte verweht wird, macht sich Jannis Vorwürfe das üble Schicksal für sein Volk, mittels der wie Pech an ihm hängenden Nervensäge, erst heraufbeschworen zu haben. Gemeinsam mit Wendel geht der verstoßene Jung-Elf auf die gefährliche Suche nach seiner Freundin und den anderen Vermissten, wild entschlossen diese nötigenfalls sogar aus den Klauen Holunders zu befreien.

Eindrücke

Schon auf den ersten Blick und Griff fällt die schöne wie wertige Verarbeitung des Buches auf. Bereits das Cover macht Lust sich mit der quirligen Geschichte Wieland Freunds zu befassen, die Zeichnerin Joelle Tourlonias zudem auch immer wieder treffend mit netten, stimmungsvollen Illustrationen auflockert. Kleine textliche Einklinkungen auf Laubblättern geben passende – meist ironisch angehauchte – Randnotizen wieder, welche für das Verständnis der Story nicht zwingend notwendig sind, zumindest jedoch für Erwachsene das Lesevergnügen und Tiefe noch steigern. Sollte man als solcher auf die (höchst empfehlenswerte) Idee kommen, Kindern das Buch vorzulesen, kann man diese, auf Handschrift getrimmten, Informationen getrost außen vor lassen. Wie gesagt, für das eigentliche Gerüst der Geschichte sind diese nicht notwendig. Doch um was und worum geht es dort eigentlich?

Die Hauptprotagonisten sind sicherlich die Elfen, die allerdings dankenswerterweise nicht Disney-like mit Flügeln unterwegs sind, sondern ganz rustikal und vorzugsweise von Baum zu Baum klettern. Das wundert nicht, denn sie weisen, nicht nur optisch, sehr große Ähnlichkeit mit Eichhörnchen auf. Auch Zauberkräfte wohnen ihnen nicht inne, sie sind harmlose, meist freundliche Waldbewohner, die friedlich in den Kobeln ihres kleinen Königreichs leben. Zu ihren größten Feinden zählen neben den hiesigen Raubtieren, die spinnenartigen “Tanteln” sowie eben der fiese Zauberer Holunder und dessen Erfüllungsgehilfe, der Uhu Siegbert. Der erbitterte Zwist besteht schon sehr lange, er wird im Buch allerdings nicht hinreichend erklärt. Hierbei erinnert das Setup gelegentlich sogar an Peyos altehrwürdige “Schlümpfe” und deren Fehde mit Gargamel und seinem Kater Azrael.

Und dann ist da natürlich noch Wendel, der angeblich Unglück bringende, pflaumenfarbende Schrat. Wendel sieht nicht nur seltsam aus, er verhält sich auch so. Beinahe jeden seiner sorgenvoll, oft ängstlich-jammernd vorgetragenen (Halb-)Sätze schmückt er mit jeder Menge “Oha!” – in sämtlichen Betonungen – aus. Selbstverständlich bezieht das Buch sehr viel seines Humors aus dieser schrägen, sympathischen Figur. Damit steht er im starken Kontrast zum eher hemdsärmeligen und rebellischen Jannis, der bemerkenswerterweise als einziger Elf übrigens einen “richtigen” Namen erhalten hat. Sonst tragen die Charaktere solche wie: “Amsel Salamander”, “Wacholder”, “Motte”, “Buschbaronin von Hagebutte”, “Titania” oder “Oberon”. Also fast allesamt Begriffe aus der Natur im weitesten Sinne. Die Figuren- und Storyzeichnung ist dabei liebevoll und wirkt nur vordergründig einfach und kindlich. Tatsächlich schlummert zwischen den Zeilen eine Menge interessantes (Wald-)Wissen – und so einige andere (Lebens-)Weisheit mehr. Und oft genug ist Wendel Sprachrohr derselbigen.

Fazit

Der große Erfolg des Buches, welches es sich redlich verdient hat sich vom Geheimtipp zum Klassiker zu entwickeln, sorgte unlängst dafür, dass es einen Nachfolger bzw. einen zweiten Teil mit dem Titel “Träume niemals von der wilden Jagd!” spendiert bekam. Man mag es zunächst kaum glauben, dass die anfangs so niedlich-nette Geschichte irgendwann ab der Mitte so richtig Fahrt gewinnt und die eine oder andere turbulente Überraschung bereithält. Kurzum: Hat man sich einmal richtig eingelesen, legt man da gute Stück nicht mehr aus der Hand. das gilt für Groß und Klein übrigens gleichermaßen. Die achtjährige Hilfsrezensentin war jedenfalls schlichtweg begeistert und “Oha!” gehört inzwischen zum Alltagsjargon der Familie. Die vorlesenden Eltern sind sich ebenfalls einig, dass Wieland Freund hier sprachgewandt und augenzwinkernd ein modernes, kindgerechtes Märchen erzählt, dem man sich kaum entziehen kann – oder will. Schön illustriert und sehr wertig verarbeitet ist das Buch aus dem Haus Beltz & Gelberg obendrein. Der pelzige Rezensentendaumen weist eindeutig zu den Wipfeln der Königsesche.

232 Seiten, Hardcover
Illustration: Joelle Tourlonias
Beltz & Gelberg, Dezember 2013
ISBN 9783407820178

www.beltz.de

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