Rolf Schieder – Die Gewalt des einen Gottes

Ist Gott an allem schuld?

Jan Assmann hat mit Büchern wie Moses der Ägypter und Die mosaische Unterscheidung international Aufsehen erregt. Die Diskussion seiner Untersuchung der Wurzeln des Monotheismus – einer Untersuchung, die die Frage nach dem Preis des neuen Religionsverständnisses nicht aussparte – geriet schnell in bedenkliches Fahrwasser, zumal in Deutschland, wo sogar der Vorwurf eines mindestens latenten Antisemitismus erhoben wurde. Nicht ohne Einfluss auf derartige – alsbald massenmedial verzerrte und verstärkte – Bedenken war die Verschärfung von Assmanns Thesen durch den Philosophen Peter Sloterdijk. Der attestierte dem israelitischen Projekt des einen Gottes den Charakter der Volkwerdung durch totale Mitgliedschaft, die gekennzeichnet gewesen sei durch den hemmungslosen, gewaltsam durchgesetzten Willen zur Vergemeinschaftung intern und durch „Phobokratie“ extern.

Zur Entzerrung und, dies im besten Sinne gemeint, Verwissenschaftlichung der Debatte trug und trägt der Band Die Gewalt des einen Gottes. Die Monotheismus-Debatte zwischen Jan Assmann, Micha Brumlik, Rolf Schieder, Peter Sloterdijk und anderen bei. Der Eingangsbeitrag des Herausgebers Rolf Schieder macht die Hitzigkeit deutlich, mit der die Diskussion zu Anfang geführt wurde. Mitursächlich dafür war die Zusammensicht der Thesen Assmanns mit den Einlassungen Sloterdijks. Es ist jedoch erfreulich – und Schieder betont dies im Vorwort des Buches ausdrücklich -, wie unaufgeregt und immer zur sachlichen Klärung bereit Assmann auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe reagierte.

Grob missverständlich, so Assmann, sei etwa die Unterstellung, er halte Moses für eine reale geschichtliche Person. Wer solches äußert, hat Assmanns Konzept der Gedächtnisgeschichte nicht verstanden, innerhalb dessen er untersucht, wie Narrative sich ins kollektive Gedächtnis einschreiben. In seinem Buch Moses der Ägypter geht Assmann der Spur nach, die das Moses-Narrativ in der europäischen Geistesgeschichte hinterlassen hat, die Frage von Moses´ „wirklicher“ Existenz (die man mit guten Gründen verneinen muss) ist dabei ganz nebensächlich.

Woher aber die ursprüngliche Aufregung um Assmanns Thesen? Und was dürfen wir unter dem Moses-Narrativ oder auch Sinai-Narrativ verstehen? Alles, was Assmann tat, war, die Wende vom Kosmotheismus zum Monotheismus zu untersuchen, wobei er sich erlaubte, auch auf die Kosten dieser Wende einzugehen. Nie jedoch hat er – und dies betont er in dem hier zu rezensierenden Band ausdrücklich – einer Rückkehr zu ersterem das Wort geredet. Es war eben diese zu eilig hervorgebrachte Unterstellung, die ihn in die Nähe eines mehr als nur geschmacklosen Neuheidentums rückte. Dank Die Gewalt des einen Gottes sehen wir hier nun klarer.

Wir sehen auch, dass das Sinai-Narrativ eben verschiedener Lesarten fähig ist. Die kritischste Sicht auf dieses Narrativ äußert Peter Sloterdijk, der das von Moses angeordnete Gemetzel an den abgefallenen Kalb-Anbetern durch die Leviter in den Mittelpunkt rückt. Es fehlen in dem Band jedoch auch nicht die Gegenstimmen, die etwa darauf hinweisen, dass a.) dieser Teil der Sinai-Erzählung in späteren biblischen Büchern ausgespart wird, b.) es durchaus auch noch andere biblische Figuren gibt, die für die Konstitution des jüdischen Glaubens wichtig wurden und uns eine ganz andere Geschichte erzählen (so bspw. die Josefs-Geschichte) und c.) die jüdische Lesart der Bibel nicht mit der christlichen verwechselt werden dürfe. Moses ist anders als Jesus ein durchaus fehlbarer Mensch, dem Juden, der die Thora liest, sollte nicht christlicherseits unterstellt werden, er begreife das Gelesene als Weg zur Imitatio Moses.

Es dürfte nach Lesen von Die Gewalt des einen Gottes klar sein, dass die These, Monotheismus sei intrinsisch gewalttätig, Polytheismus dagegen intrinsisch friedfertig, unhaltbar ist. So macht Micha Brumlick , dabei auf Matthew Whites Buch Atrocitology – Humanities 100 deadliest Achievements verweisend, darauf aufmerksam, dass in dem grausigen Ranking dessen, was wir heute Verbrechen gegen die Menschlichkeit nennen, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg (66 Millionen Tote) schon die Feldzüge des Dschingis Khan (40 Millionen Tote) zu stehen kommen. Der aber war keineswegs Monotheist , sondern huldigte einer schamanistischen Religion.

Man kann viel lernen bei der Lektüre dieses Buches. Das geht bei der Relativierung des Begriffes des Polytheismus los, der uns heute leicht von den Lippen kommt, der aber in der antiken Welt noch ganz unbekannt war – nicht von ungefähr benutzt nicht nur Assmann stattdessen den Begriff Kosmotheismus; die entscheidende Wende sei nicht die von vielen Göttern zu einem gewesen, sondern die radikale Gegenüberstellung von Gott und Welt – und endet bei gelehrten Exkursen in Sachen Thora noch lange nicht.

Der Autor:

Rolf Schieder (* 1. August 1953 in Coburg) ist ein deutscher Theologe und seit 2002 Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Schieder war von 1994 bis 2002 Professor für Religionspädagogik und Religionsdidaktik an der Universität Koblenz-Landau.

Hardcover: 360 Seiten
Originaltitel: Die Gewalt des einen Gottes. Die Monotheismus-Debatte zwischen Jan Assmann, Micha Brumlick, Rolf Schieder, Peter Sloterdijk und anderen.

ISBN-13: 978-3-534-26444-5
www.verlagshaus-roemerweg.de/Berlin_University_Press

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