Rolf & Alexandra Becker / Peter M. Preissler – Gestatten, mein Name ist Cox: Mord ist strafbar (Hörspiel)

Na, fein: Verbrecherjagd mit Verwirrspiel

Rechtsanwalt Herbert Wallings liegt sehr tot in seinem Büro, und diesmal sitzt Detektiv Paul Cox tief in der Patsche: Erstens steht er zufällig in der Duschkabine des Toten, und zweitens gehört ihm auch noch das Messer, das aus Wallings‘ Rücken ragt. Und da könnte doch der eine oder andere Polizist auf den dummen Gedanken kommen, er habe etwas mit dem Mord zu tun … Was natürlich mitnichten der Fall ist!

Dies ist Paul Cox‘ erster Fall. Die Fortsetzung trägt den Titel „Eben war die Leiche noch da„.

Die Autoren

Rolf Becker, der das heitere Kriminalhörspiel mit seiner Frau Alexandra (1925-1990) schrieb, wurde 1923 in London geboren. Nach dem Krieg hatte er erste Kontakte zum NDR, Engagements bei der BBC als Rundfunkregisseur und -autor, ab 1953 arbeitete er mit seiner deutschen Ehefrau, einer Schauspielerin, als freier Schriftsteller. Zu den Hörspielreihen der Beckers gehören „Gestatten, mein Name ist Cox“, „Dickie Dick Dickens“, „Die Experten“ u. v. a. Die Cox-Fälle wurden mit Günter Pfitzmann fürs Fernsehen verfilmt.

Weitere Cox-Fälle:

Eben war die Leiche noch da
Tod auf Gepäckschein
Die kleine Hexe
Trommeln gehört zum Handwerk
Mord ist strafbar

Die Sprecher

Ausgewählte Rollen und ihre Sprecher:

Paul Cox: Reiner Schöne
Thomas „Richie“ Richardson: Michael Degen
Inspektor Carter: Harald Leipnitz
Sgt. Collins: Rüdiger Bahr
Margit Simmons: Heidelinde Weis
Dirigent: Alexander Malachovsky
Wachtmeister: Achim „Gandalf“ Höppner
u. v. a.

Regie führte bei dieser Produktion des Bayerischen Rundfunks Peter M. Preissler, die Musik lieferte Frank Duval. Die Aufnahmeleitung lag in den Händen von Alexander Malachovsky, die Technik bedienten Gerhart Frei und Erhard Klimpt. Die Aufnahme entstand 1977.

Reiner Schöne lebte lange in Hollywood und drehte dort mit Filmgrößen wie Clint Eastwood und Lee van Cleef. Der Schauspieler, Synchronsprecher und Sänger mit der tiefen, markanten Stimme trägt die passende raue Note bei. (abgewandelte Verlagsinfo)

Handlung

Die Hausmeisterin Mrs. Chataway findet Rechtsanwalt Herbert Wallings tot auf und holt die Polizei. Inspektor Carters Mannen brauchen nicht lange, um von dem Messer, das in Wallings‘ Rücken steckt, auf die Todesursache zu schließen. Wesentlich länger brauchen sie, um den ersten Tatverdächtigen ausfindig zu machen. Mrs. Chataway berichtet von drei Besuchern des Rechtsanwalts. Da war eine Dame, dann ein Mann mit Aktentasche und schließlich ein Mann, dessen Weggehen sie gar nicht bemerkt hat. Carter lässt die Wohnung durchsuchen und stößt im Badezimmer auf besagten Herrn. Es ist kein anderer als Paul Cox, seines Zeichens Gelegenheitsdetektiv mit einer Schwäche für das schöne Geschlecht.

Mit einem simplen Trick gelingt es Cox, der keine Lust auf vergitterte Luft verspürt, Carter & Co. einzusperren und sich zu verdünnisieren. In seiner Wohnung bemerkt er zu seinem Verdruss, dass seine Verlobte Margit Simmons einen Vorstadt-Playboy namens Henry Montague bewirtet. Er wirft Montague hochkant hinaus und erfreut sich an dem schönen Pianospiel, das sein Nachbar Mr. Fitzgerald, ein Konzertpianist, erklingen lässt. Die zwei Briefe, die er bei dem Erpresser Wallings gesucht hat, konnte er leider nicht finden, und das macht Margit ebenso nervös wie das einst verlorene Taschenmesser, das nun unheilvoll in Wallings‘ Rücken steckt. Wie konnte es nur dorthin gelangen, fragt sich Cox.

Als Inspektor Carter, von einem anonymen Anrufer informiert, in Cox‘ Wohnung eintrifft, ist der Gesuchte unauffindbar. Kaum ist er weg, kehrt Cox zurück, doch Margit will angeblich bei Carter aussagen, um Cox zu entlasten, und fährt mit Cox‘ Auto weg. Sogleich tritt der Sohn des Pianisten ein. Pit weiß, wo das Taschenmesser, das Cox verloren hat, geblieben ist. Schließlich hat er selbst es gefunden, nur um es dann Miss Simmons zu übergeben. Für Cox steht die Welt still: Margit hat ihn hintergangen? Kaum zu glauben! Ein Kontrollanruf bei Carter bestätigt, dass sie nie beim Scotland Yard eingetroffen ist.

Cox vertraut sich Mr. Fitzgerald an, der gerade für sein erstes Pianokonzert probt. Am Abend kommt Fitzgerald zu ihm, in der Hand einen Zettel, auf dem steht, dass er nicht zur Polizei gehen solle, wenn er seinen Sohn Pit wiedersehen wolle. Während sich noch Cox die Schuld an der Kindesentführung gibt, ruft eine Frauenstimme bei Fitzgerald an, die diesen zu einer Villa nach Purley bestellt. Es ist Margit Simmons!

Mein Eindruck

Ein Ermordeter, eine Erpressung und eine untreue Verlobte – das fängt ja schon gut, muss sich Paul Cox denken. Hinzu kommen dann noch ein entführtes Kind, ein verkappter Gangster und eine verführerische Halbweltdame. Ob es wohl noch ein Licht am Ende des Tunnels für Cox geben wird? Selbstverständlich, aber erst nach etlichen Episoden, die alle so um die 20-25 Minuten lang sind. In dieser Länge wurde sie ursprünglich ausgestrahlt, denn danach erklingt stets eine längere Musikpassage von Frank Duval.

Offiziell ist das Hörspiel in vier Kapitel eingeteilt, wovon das erste den wunderbar altmodischen Titel „Abenteuerliche Irrfahrten eines Taschenmessers“ trägt. Die erste CD ist 68 Minuten lang, die zweite immerhin 78 Minuten (inklusive Abspann). Es würde sich lohnen, nach jeder dieser Episoden eine kleine Pause einzulegen und das Gehörte erstmal sacken zu lassen, bevor man bereit ist, Neues aufzunehmen. Denn Neues bietet dieses professionell geschriebene und inszenierte Hörspiel am laufenden Band.

Der Held

Die Hauptfigur des Gelegenheitsdetektivs, der sonst nichts Besseres zu tun hat, als ein putatives Erbe zu verpulvern, gibt Rätsel auf, wirkt sie doch anachronistisch. Da gab es doch Mitte/Ende der fünfziger Jahre einen gewissen Lester Powell, seines Zeichens Vielschreiber von Radio-Krimis, dessen Detektiv Philip Odell ebenfalls freizeitmäßig auf den Spuren diverser Bösewichte unterwegs war. Allerdings war Philip Odell fest mit einer reizenden Lady namens Heather McMara liiert und arbeitete zuvor sogar handfest für den britischen Geheimdienst. Das verlieh ihm mehr Autorität und Glaubwürdigkeit.

Der Gegner

Im Vergleich dazu stellt Paul Cox eine Parodie des Klassikers dar. Obwohl er dem Wahren, Guten und Schönen stets zum Sieg verhelfen will, beschuldigt ihn die Polizei, verkörpert durch den völlig vernagelten Inspektor Carter, stets, der Täter selbst zu sein. Der Inspektor hat lediglich zwei Eigenschaften: Er sagt ständig „na, fein“, und wenn andere dies auch mal sagen, muss er sich erstmal entrüstet räuspern. Außerdem scheint er an die Heilkraft von Pfirsichen zu glauben und futtert oder offeriert ständig welche. Als Mann aus dem einfachen Volk verrät ihn sein Ausdruck „totgehen“ statt „sterben“. Bei diesem ungewöhnlichen Wort, das ich noch nie benutzt gehört habe, ist auch sein Gegenüber erst einmal baff.

Der Helfer

Falsche Identitäten, entführte Kinder und anonyme Telefonanrufe setzen die Bullen nur allzu leicht auf die falsche Spur. Man kann nicht sagen, dass das Leben von Cox sonderlich langweilig wäre, denn sowohl das Böse als auch das Gesetz halten ihn gehörig auf Trab. Ohne es richtig zu ahnen, hat Cox einen eifrigen Helfer, der ihm die Bälle und Infos nur so zuwirft. Dieser feine Bursche, den er gar nicht engagiert hat, ist als Taxifahrer getarnt und nennt sich Richardson. Wenigstens heißt der Kerl tatsächlich so – und entpuppt sich ebenfalls als Privatdetektiv.

Dass Cox einen Partner hat, macht ihn zu einem Nachfahren des dynamischen Duos Sherlock Holmes und Dr. John Watson. Doch mit umgekehrten Vorzeichen. Cox ist der überkandidelte und stets zu schnoddrigen Sprüchen aufgelegte Hansdampf-in-allen-Gassen, während sein Partner, der stets ernste und verlässliche Thomas Richardson, ihn keineswegs bewundert, sondern vielmehr aus den ärgsten Notlagen heraushaut oder vor ebensolchen bewahrt. Dass wir weiter nichts über das Privatleben eines solchen Helden erfahren, verwundert nicht. Er ist zwar nur ein Steigbügelhalter für die Heldentaten des Mr. Cox, lässt diesen aber manchmal ganz schön alt aussehen.

Die Gegenseite

Obwohl dies ein starkes Gespann ist, fährt die Gegenseite, deren Drahtzieher sich zu verbergen scheint, auch schweres Geschütz auf: eine Frau nach der anderen. Da ist zunächst die ach so schmählich untreue Margit Simmons, die ein trauriges Ende nimmt. Da wäre aber auch ihre Komplizin mit dem alles sagenden Namen Alora Crawfield, die sozusagen die Verführung in Person darstellt. Man ist an „Jedermanns“ Buhle gemahnt.

Doch wo ist der Drahtzieher, der all diese Puppen zum tanzen bringt? Der tumbe Muskelmann Henry oder Nat wird’s wohl kaum sein. Nein, es muss ein schlauer Kopf dahinterstecken. Wüsste Cox vor lauter Hektik mal seinen Kopf zu gebrauchen, so würde ihm einiges merkwürdig erscheinen, was sich die ganze Zeit direkt vor seiner Nase befindet …

Die Inszenierung

Die Sprecher

Reiner Schöne als Paul Cox bringt die nötige Coolness mit und löst damit Günther Ungeheuer kompetent ab. Zusammen mit Michael Degens Thomas Richardson – sein Vorname wird in den abgedruckten Verlagsinfos fälschlicherweise als „Charles“ angegeben – und den beiden oben erwähnten Damen bilden sie den ernst zu nehmenden Kern der Sprecherriege. Besonders beeindruckte mich die Stimme Eva Bertholds, die tief und samtweich ist, aber auch unvermittelt hart und autoritär werden kann. Auch Hans Caninenberg, Hans Quest und Karl Maldek sind exzellente Sprecher.

Der Rest der Sprecher agiert an der Grenze zur Lachhaftigkeit, aber nicht aus Inkompetenz, sondern wegen der Dramaturgie. Statt auf Knalleffekte alter Schule zu setzen, baut sie nun auf den Lacher als gewünschte Wirkung. Diesen liefert die Polizei mit ihren Witzfiguren in Hülle und Fülle. Dazu gehört leider auch der Sprecher des Wachtmeisters, der später als „Gandalf“ so verdienstvoll gewordene Achim Höppner: Er hat nur ein, zwei Sätze zu sagen. Immerhin ist der Klamauk nicht so schlimm wie in der Fortsetzung „Eben war die Leiche noch da“.

Geräusche

Der Einsatz der Geräusche ist nicht mehr wie neun Jahre zuvor auf Dramatik abgestellt, sondern zielt auf die realistische Nachahmung von Ereignissen ab. Statt der früheren Theatertaktik ist nun Film angesagt. Das bedeutet eine viel breitere Palette von Geräuschen, was aber für den Schnitt einen erheblichen Mehraufwand bedeutet haben muss. Dazu gehören natürlich die vom Zuhörer erwarteten Schüsse, aber auch zahllose Schritt- und Trittgeräusche sowie jede Menge Außen- und Interieurgeräusche wie quakende Frösche, zwitschernde Vögel und penetrant tickende Standuhren.

Die Musik

… stammt von Frank Duval, der sich als Produzent der Playback-Combo „Milli Vanilli“ unsterblichen Ruhm erworben hat. 1977/78 war er aber noch am Anfang seiner Karriere und komponierte und arrangierte die Musik noch selbst. Diesmal tritt also Paul Cox mit einem zünftigen Disco-Beat auf, doch leider dürfen wir seinen weißen Anzug aus „Saturday Night“ nicht bewundern, denn er heißt nicht John Travolta. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit werden die Muzak-Schnipsel Duvals (Muzak: seichte Hintergrundmusik im Lift, Supermarkt oder Kaufhaus) eingestreut, und bei einem größeren Szenenwechsel auch mal der Disco-Sound.

Ein musikalisch-stimmungsvoller Höhepunkt dieses Hörspiels ist stets das romantisch-stilvolle Klavierspiel des Mr. Fitzgerald. Wenn er dann auch noch in die Orchesterprobe geht und Cox ihn dort besucht, erklingt das ganze restliche Ensemble, bis schließlich ein orchestraler Sound den Zuhörer einhüllt. Das ist purer Genuss für Klassik-Liebhaber, und die wirkungsvolle Art, wie die Musik mit dem Dialog zusammengeschnitten ist, ohne diesen zu beeinträchtigen, verrät eine hohe Kunstfertigkeit in der Aufnahmetechnik.

Unterm Strich

Die Handlung dieses ersten Cox-Falles ist von einem rasanten Tempo bestimmt und führt den Hörer durch überraschende Wendungen quasi an der Nase herum, so dass die Story bis zum Schluss spannend bleibt. Wer der Drahtzieher ist, kann sich der erfahrene Krimifreund schon nach fünf Minuten ausrechnen, doch der Laie wird sich mit Paul Cox fast 140 Minuten lang mit dieser Frage herumplagen. Unterhaltung ist in jeder Hinsicht garantiert, weshalb ich dafür gerne eine Höchstwertung vergebe.

Die Figur des Privatdetektivs Paul Cox mag für die damalige Zeit, also Ende der siebziger Jahre (man glaubt es kaum), noch akzeptabel gewesen sein, doch schon damals war er die Parodie von Helden wie Philip Marlowe und Philip Odell, von Sherlock Holmes ganz zu schweigen. Der Plot besteht aus dem üblichen Verwirrspiel mit falschen Identitäten, verwickelten Beziehungen und überraschendem Auf- und Untertauchen – wer ist der Drahtzieher und wer ist der geheimnisvolle Taxifahrer?

Man kommt sich vor wie in einem labyrinthisch ausgetüftelten Szenenbild, wo alle naslang eine Überraschung den Zuschauer narrt. Allerdings ist die Handlung diesmal übersichtlicher als noch acht Jahre zuvor in „Heißen Dank fürs kalte Büffet“ (auch so ein blödsinniger Titel) und es fällt nicht schwer, dem Fortgang der Handlung zu folgen, da sie sich völlig auf die Hauptfigur konzentriert. Die Auflösung der Geschichte ist denn auch recht actionorientiert – mit einer amourösen Pointe.

Die Discomusikbegleitung lässt die Handlung angestaubt wirken, zumal der Plot auf die Zeit um 1977 keinerlei Referenzen gibt und dies die Musik relativ unmotiviert und ersetzbar wirken lässt. Genauso gut hätte man auch den Jazz einsetzen können, der offenbar bei Kriminalhörspielen obligatorisch ist – von den fünfziger Jahren noch die ganzen Sechziger hindurch.

146 Minuten auf 2 CDs
ISBN-13: 978-3-86717-091-8
|
http://www.hoerverlag.de