Cueni, Claude – große Spiel, Das

Geld regiert die Welt – schlecht ist nur, wenn man keines hat, weil es nicht genügend Metall gibt, aus dem man die Münzen fertigen könnte. Der schottische John Law of Lauriston war seiner Zeit damals weit voraus, denn während England und Frankreich noch an ihrem Münzgeld festhielten, hatte er bereits die Vision einer Bank, die Geldnoten aus Papier verteilt und ihre Rücklagen über Grundstücke versichert. Doch obwohl einige europäische Länder am Anfang des 18. Jahrhunderts bereits Papiergeld verwendet haben, stieß er in besagten beiden Ländern mit seinen Ideen auf Granit. Diese wahre Geschichte ist es, die Claude Cueni in seinem großen Historienroman erzählt …

Zunächst begegnen wir Johns Vater William, der sich einer gefährlichen Operation unterziehen muss, bei der die Wahrscheinlichkeit erschreckend hoch ist, dass er diese nicht überleben wird. Und wirklich stirbt er bei dieser Operation und vermacht seinen Besitz seiner Frau und seinem ältesten Sohn – John. Doch William hat bereits vorausgeahnt, dass sein zu der Zeit zwölfjähriger Sohn noch nicht reif genug ist, um diese Verantwortung zu tragen, und hat deshalb testamentarisch veranlasst, dass John auf ein Internat geschickt wird, das ihm Zucht und Ordnung beibringen soll. Jedoch erfüllen sich Williams Hoffnungen nicht; zwar hat John zunächst keine Gelegenheit, sein Erbe zu verspielen, doch Zucht und Ordnung lernt er leider nicht. Ganz im Gegenteil: Im Internat macht er sich einen Todfeind – George -, mit dem er sich duelliert und gegen ihn gewinnt. Doch ist dieser Kampf noch nicht vorbei, George wird ihm immer folgen und sinnt in den nächsten Jahren weiterhin auf Rache.

Zurück auf seinem Anwesen, dem Schloss Lauriston, begegnet John seinem jüngeren Bruder William, der vom Neid geplagt wird. Er neidet seinem Bruder das Erbe, seinen Intellekt und auch seinen Erfolg bei Frauen, denn John ist nicht nur ein grandioser Glücksspieler, der blitzschnell alle Wahrscheinlichkeiten beim Kartenspiel berechnen kann, er ist darüber hinaus kultiviert und ein absoluter Frauenschwarm. Als John im Suff allerdings seinen Teil des Anwesens verspielt, hilft seine gebrochene Mutter ihm finanziell aus, schickt ihn aber fort.

In London angekommen, macht John sich neue Feinde. Bei allen Glücksspielen ist er dabei und darf auch die Bank führen. Er gewinnt und gewinnt, einmal Geld und einmal das Herz der schönsten Frauen. Doch sein Herz gehört (fast) allein Catherine Knollys, die zwar bereits verheiratet ist, John aber dennoch verfällt, weil ihr Gatte das Land und damit auch sie verlassen hat. Die beiden werden ein Paar, doch währt das Glück nicht lange. Eines Tages duelliert John sich auf Befehl des Königs, wie er meint, mit einem seiner Widersacher und ersticht ihn bei dem Duell. John wird direkt nach dem Duell gefasst und da auf das Duellieren die Todesstrafe steht, blüht ihm das Gefängnis und am Ende auch der Galgen. Aber John hat nicht nur viele Feinde, sondern auch einige Unterstützer, die ihm schließlich zur Flucht aus dem Gefängnis verhelfen. So versucht John sein Glück in Frankreich, während ihm in England weiterhin die Todesstrafe droht.

In Frankreich versucht er, sich in die vornehmen Kreise einzuschleusen, da er dem König seinen Plan mit der Bank vorstellen will, aber auch in Frankreich hat John Law zunächst wenig Glück, da er sich schneller neue Feinde machen kann, als er dem König näher kommt. So muss John wieder ins Ausland fliehen und dort auf seine Chance warten. Diese kommt, doch ahnt John noch nicht, dass ihm damit großes Unglück ins Haus steht …

Claude Cueni hat sich für seinen Historienschmöker eine beachtliche Figur herausgepickt, nämlich John Law of Lauriston, der nicht Cuenis Fantasie entsprungen ist, sondern tatsächlich Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts gelebt und gewirkt hat. John Law war ein brillanter Mathematiker, der seine Gabe am liebsten im Kartenspiel ausgenutzt hat. Da er allerdings meist gewonnen hat, gab es viele Zweifel, ob sein Kartenglück tatsächlich seinem blitzgescheiten Verstand zuzuschreiben war oder nicht doch eher einer gewitzten Betrügerei. So ist er immer wieder aus einem Land verjagt worden, um in einem neuen sein Glück zu versuchen. Law war seiner Zeit weit voraus. Zwar gab es in einigen europäischen Ländern bereits Geld aus Papier, doch ging seine Vision noch viel weiter; er wollte eine Bank erschaffen, die ihr Vermögen nicht nur auf Münzen aus Metall gründet, sondern auch Grundstücke als Deckung für die im Umlauf befindlichen Geldnoten verwendet. Seine Idee war grandios, doch leider hatte er bereits zu viele Feinde, als er schließlich die Chance bekommen hat, seine Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. Seine Widersacher haben immer wieder versucht, ihm zu schaden. Der finale Schachzug gegen Law wurde dann allerdings von einem ganz anderen Mann geführt …

John Law steht im Zentrum der gesamten Geschichte. Als wir ihn das erste Mal treffen, vergnügt er sich als zwölfjähriger Junge gerade mit dem zwanzigjährigen Hausmädchen Janine im Turmzimmer. John hat viele Talente, doch weiß er sie nicht immer geschickt einzusetzen. In vielen Situationen ist er allen anderen überlegen, was er seine Mitmenschen auch nur zu gerne spüren lässt. So sammelt John Law nicht nur Sympathiepunkte, es gibt vielmehr das eine oder andere Duell, wo man ihm von Herzen wünscht, dass er endlich scheitern möge, damit er auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht wird. Doch zunächst wird der Wunsch des Lesers hier nicht erfüllt. Erst als sich praktisch die gesamte Handlung nur um ihn dreht und er zu Unrecht der Betrügerei beschuldigt wird, trifft er auf Feinde, die ihm die eine oder andere Niederlage beibringen können. Doch zu dieser Zeit ist John Law bereits so wichtig geworden, dass der Leser ihm schlussendlich doch Erfolg wünscht.

Claude Cueni zeichnet John Law of Lauriston mit viel Liebe zum Detail. Wir lernen viele seiner Eigenarten kennen, erleben ihn in schwachen wie in starken Momenten, erleben ihn bei Duellen mit seinen Feinden und in Stunden mit seiner Liebsten. Und nicht nur in der Finanzwelt war er seinen Mitmenschen voraus, auch als Kunstexperte hat er schon damals den Wert der großen Maler erkannt. Er wirkt fast schon fanatisch, denn nie lässt er sich von seinen Plänen abbringen, in Frankreich eine Bank zu gründen, immer hat er nur die Verwirklichung seiner Visionen im Sinn – koste es, was es wolle. Für die Umsetzung seiner Ideen geht er praktisch über Leichen, alles andere scheint ihm gleichgültig. Viele seiner Handlungen kann man deswegen nur schwer nachvollziehen, denn manchmal ist er einfach ein Trampeltier, das sich wie ein Elefant im Porzellanladen benimmt; etwas mehr Feingefühl hätte ihm sicher nicht geschadet. Nichtsdestotrotz ist Cueni die Zeichnung dieser historischen Figur blendend gelungen.

Umso blasser erscheinen allerdings Laws Widersacher, von denen es wirklich genügend gibt. Aber vor allem sein Jugendfeind George erscheint blass und auch ziemlich unmotiviert. Zwar treffen wir ihn im späteren Verlauf der Geschichte noch einige Male wieder, doch nie entfaltet er so viel Persönlichkeit, dass man ihm wirklich Erfolg wünschen würde. Er wird von Cueni zu einer Randfigur degradiert, was ich schade finde, da George bereits sehr früh auftaucht und sich zu einer wirklich gefährlichen Figur hätte entwickeln können.

Was Claude Cueni sehr gut gelingt, ist die Ausgestaltung der historischen Schauplätze. In wahrlich meisterhafter und fast schon ekelerregender Manier beschreibt er die Straßen der europäischen Hauptstädte zur Zeit des John Law. Damals gab es keine Kanalisation, sodass die Menschen ihre Notdurft in Nachttöpfen verrichtet und diese dann auf der Straße ausgekippt haben. Förmlich steigt einem der unglaubliche Mief beim Lesen in die Nase und auch am königlichen Hof war es nicht viel besser, wenn man bedenkt, dass die morgendliche Toilette des Königs ein großes Schauspiel war und ein naher Verwandter dafür Geld zahlen musste, dass er sich um den gefüllten Nachttopf des Monarchen kümmern durfte. Der historische Rahmen gefällt – auch wenn es einem oft genug schaudert bei Cuenis realistischen Ausführungen – ausgesprochen gut. Auch die Schauplätze der Handlung sind gut gewählt, wir reisen durch einige europäische Hauptstäde wie London, Edinburgh, Paris und Amsterdam und erleben diese Städte im ausklingenden 17. Jahrhundert bzw. im beginnenden 18. Jahrhundert; besonders die Zeichnung Paris‘ und Londons gelingt Claude Cueni so realistisch, sodass man sich in die damalige Zeit hineinversetzt fühlt.

Was mich nicht überzeugen konnte, ist der Aufbau der Geschichte. Zu viele Zeitsprünge durchkreuzen sie, manchmal ist es nur ein winziger Abschnitt, der sich einem bestimmten Jahr widmet, während Cueni gleich darauf wieder einige Jahre in die Zukunft springt. Dadurch muss man sich häufig neu zurechtfinden und mutmaßen, was wohl in der Zwischenzeit geschehen sein mag. Eventuell wäre es nicht schlecht gewesen, sich nur auf John Laws späte Jahre zu beschränken und auch dort eine gewisse Auswahl zu treffen; so hat es eher den Eindruck, dass Cueni zu jedem Jahr, zu dem er eine historische Quelle über John Law gefunden hat, auch etwas schreiben wollte. Die Erzählung wirkt dadurch aber ein wenig abgehackt und gestückelt. Schade, denn der historische Rahmen ist absolut grandios und auch die Figur des John Law of Lauriston gibt definitiv genug her für einen großen Historienschmöker. Etwas schwer nachzuvollziehen sind darüber hinaus manchmal John Laws Visionen, wenn man keine Grundkenntnisse seiner Theorie von Geld und Handel mitbringt. Manchmal muss man sich hier über längere Passagen hinweglesen, die etwas zu abgehoben sind, aber in Gründzügen kann man Claude Cuenis Gedankengängen schließlich doch stets folgen.

So bleibt am Ende ein positiver Eindruck zurück. Claude Cueni widmet sich in seinem farbenreichen und schillernden Historienroman einer faszinierenden historischen Persönlichkeit, nämlich John Law of Lauriston, der damals das europäische Finanzwesen revolutionieren wollte. Ganz nebenbei trifft er auf andere bekannte Figuren wie Daniel Defoe, über den es hier noch einige interessante Details zu erfahren gibt, oder auch den Sonnenkönig, den Law von seinen Ideen überzeugen wollte. So entfaltet „Das große Spiel“ eine unglaubliche Faszination und unterhält über weite Strecken ausgesprochen gut, nur die vielen Zeitsprünge trüben ein klein wenig den Lesegenuss.

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