Orson Scott Card – Der siebente Sohn (Die Legende von Alvin, dem Schmied 1)


Kind des Teufels: Alvin, der junge Magier

In seinem mehrteiligen Alvin-Zyklus schildert Card ein Amerika, das es nie gegeben hat: Der Unabhängigkeitskrieg hat – noch – nicht stattgefunden. Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts existieren so unterschiedliche Staaten wie die der kolonialen Engländer, der Franzosen in Kanada, der Irrakwa-Indianer (Irokesen) und der unabhängigen Siedler im Westen der Appalachen-Berge. Um die Zersplitterung komplett zu machen, sind die Kolonien der Engländer in königstreue Gebiete und in Länder des Lord-Protektors Oliver Cromwell aufgeteilt.

Im Startband „Der siebente Sohn“ kommt daher Benjamin Franklins Erfindung des Begriffs „Amerikaner“ und „Amerikanische Nation“ einer Revolution gleich. Und Franklins Freund und Dichterkumpel William Blake trägt diese Idee zu den Siedlern im Westen. Dort trifft er unvermutet Alvin Miller, den jungen Magier, dem in den folgenden Ereignissen eine Schlüsselrolle zufällt. Dessen Feind ist der Unschöpfer, die dunkle Macht des Zerstörers vom Anbeginn der Welt…

Hinweis:

Dieser Card-Roman hat nichts mit dem vor kurzem realisierten Horror-Fantasy-Spielfilm gleichen Titels zu tun. Jener basiert auf den SPOOK-Romanen von Joseph Delaney.

Der Autor

Orson Scott Card wurde 1951 in Richland, Washington, geboren. Er erlangte einen legendären Ruf im Science Fiction-Genre, als er mit den ersten beiden Bänden der ENDER-Serie zweimal hintereinander den Hugo- und den Nebula-Award gewann.

Er hat bislang über 60 Romane geschrieben, etliche Kurzgeschichten, ein Dutzend Theaterstücke, ein Musical, hunderte von Hörspielen und mehrere Drehbücher für Videospiele. Sein umfangreiches Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, er selbst kommt des Öfteren zu Conventions in Europa. Und er hat, wie man hört, es geschafft, dass Andreas Eschbachs Roman „Die Haarteppichknüpfer“ im April 2005 in den USA erscheint – im Hardcover.

Er ist Vater von sechs Kindern , von denen eines an Zerebralparese starb. Heute lebt er mit seiner Frau Kristine und seiner jüngsten Tochter in Greensboro, North Carolina. Zwischenzeitlich stand er der „Kirche der Heiligen der Letzten Tage“ (vulgo: Mormonen) nahe, hat sich aber inzwischen von ihr abgewandt. Aber es erklärt, warum er sich mit allen, selbst den obskursten Büchern der Bibel (Neues und Altes Testament sowie die Apokryphen) hervorragend auskennt.

Der Alvin-Zyklus:

• Seventh Son (1987), deutscher Titel: Der Siebente Sohn, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach, 1988, ISBN 3-404-20115-9
• Red Prophet (1988), deutscher Titel: Der Rote Prophet, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach, 1989, ISBN 3-404-20123-X
• Prentice Alvin (1989), deutscher Titel: Der Magische Pflug, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach, 1990, ISBN 3-404-20141-8
• Alvin Journeyman (1995), deutscher Titel: Der Reisende, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach, 1997, ISBN 3-404-20305-4
• Heartfire (1998), ISBN 978-0-8125-0924-3
• The Crystal City (2003), ISBN 978-0-8125-6462-4

Handlung

Die Millers sind auf ihrer Flucht vor den Banken und ihren Anwälten bis ins Tal des Hio gekommen und weitergezogen. Alvin und Faith haben inzwischen sieben Töchter und sechs Söhne, und das siebte Kind ist kurz davor, geboren zu werden: Alvin junior. Doch während Faith an den christlichen Gott glaubt, praktiziert Miller einen weit älteren, eher an Magie orientierten Glauben. Und dieser Glaube kennt einen Widersacher, den Entwirker – im Original Unmaker genannt. Der Unmaker wirkt in allen Dingen, am meisten aber durch das Element Wasser, und immer will er Gefüge und Werke auflösen, entwirken. Der Unmaker überschattet Alvins Geburt.

Hatrack River

Bei der Durchquerung des Hatrack River kommt es daher zu einer Tragödie, bei der sich Miller die ewige Feindschaft des Unmaker zuzieht. Der zunächst friedlich aussehende Fluss schwillt plötzlich an und reißt Vigor, den ältesten Sohn mit sich. Nachdem ein Baumstamm seinen Leib zerschmettert hat, klammert sich Vigor jedoch noch so lange ans Leben, bis seine Mutter in Sicherheit gebracht ist. Bevor der Fluss auch den Wagen mitreißen kann, in dem sie in den Wehen liegt, eilen Siedler herbei, die die Millers – bis auf Vigor – retten können. Im Haus dieser Siedler bringt Faith den kleinen Alvin zur Welt, doch gibt es eine Komplikation, die der Unmaker verursacht. Alvin wäre erstickt, hätte nicht eine kleine Seherin namens Peggy den hilfreichen Tipp gegeben. Fortan ist Peggy Alvins Schutzengel, und sie hat etwas, das, wenn es zu ihm zurückfände, seinen Tod durch den Unmaker ermöglichen würde – aber so….

Der junge Magier

Aber so entsteht das blühende Millersche Anwesen im Wobbish (= Wabash) Territorium, geschützt von zahlreichen Abwehrzaubern, und mittendrin der junge Alvin. Viele der Nachbarn und seine Familie sowieso betrachten ihn als etwas Besonderes: Dem siebenten Sohn eines siebenten Sohn werden besondere Eigenschaften und Kräfte zugesprochen. Er mag zwar seine Schwestern triezen und sogar die Kakerlaken beherrschen, aber er entgeht mehrmals auf unnatürliche Weise dem Tod. Und immer ist bei diesen Ereignissen Wasser im Spiel.

Luzifer

Seine Mutter zwingt ihn, in die Schule zu gehen und sonntags in den Gottesdienst, doch die Lehren des schottischen Pastors entbehren für Alvin jeglicher Logik, und so stellt er sie nicht nur in Frage, sondern gibt sie sogar der Lächerlichkeit preis. In seinem Zorn auf Alvin verbündet sich der Pastor in seinem Glaubenseifer mit einem Engel, der ihm befiehlt, Alvin zu töten. Doch wie jeder weiß, war auch Luzifer ein Engel, und es ist lange Zeit nicht klar, von welcher Seite dieser Engel gesandt wurde.

William Blake

Das Eintreffen von William Blake führt dazu, dass sich diese unheilvolle Lage dramatisch zuspitzt. Blake ist ein Geschichtentauscher: Er sammelt Geschichten und gibt dafür selbst Geschichten und/oder bezahlt mit seiner Hände Arbeit. In seinem Buch stehen viele Geschichten, und einfache Siedler tragen hier ihr wichtigstes Erlebnis oder einen Wunsch ein. Peggys Eintrag prophezeite ihm die Ankunfts eines „Makers“, und ihn Alvin junior scheint er ihn gefunden zu haben, denn Alvin macht aus gewöhnlichem Gras andere Dinge, etwa Nester. Alvin ist auch der einzige, der einen Mühlstein aus dem gewachsenen Fels heraushauen kann, ohne sich anzustrengen.

Der Entwirker

Blake verhilft Alvin zur Erkenntnis, dass es eine Kraft namens Unmaker gibt und dass Alvin dessen Gegenspieler ist. Alvin ist selbst zu der Überzeugung gelangt, dass er seine Kräfte nur zum Nutzen anderer einsetzen darf. Als ein Unfall mit dem neuen Mühlstein für die Mühle seines Vaters sein Bein zerschmettert, muss Blake ihn erst dazu überreden, sich selbst zu heilen.

Ein Kind des Teufels?

Doch der Pastor, als Werkzeug des Unmakers, sieht seine Chance gekommen und versucht Alvin zum rechten, dem christlichen Glauben zu bekehren – er bietet sich zudem als Chirurg an, um Alvins Bein endgültig zu heilen. Es folgen einige sehr komische Szenen, in denen Alvins Abwehrzauber den Pastor ständig seine Chirurgenwerkzeuge Säge und Messer vergessen lässt.

Schließlich reißt Miller der Geduldsfaden und wirft den Pastor hochkant hinaus. Doch er selbst will die Operation nicht durchführen, und so muss Alvins ältester Bruder sägen und schneiden. Bald kann Alvin wieder gehen. Das überzeugt den Freund des Pastors, den Krämer und möglichen Gouverneurskandidaten, dass Alvin ein Kind des Teufels ist. Doch er muss schmerzlich herausfinden, wo der Teufel wirklich wohnt…

Mein Eindruck

Diese fabelhafte Geschichte ist so lebendig und spannend erzählt, dass ich das Buch fast vollständig auf einem Transatlantikflug ausgelesen habe, also binnen 20 Stunden. Ein wichtiges Mittel, die Welt Alvins zum Leben zu erwecken, ist die Sprache.

Ich habe nur sehr wenige Bücher aus dem angelsächsischen Sprachraum gefunden, die so kunstvoll und gewandt die Rede- und Erzählweise einer kleinen provinziellen Gruppe wiedergegeben haben. Jede Figur ist hier durch ihre Sprache gekennzeichnet. Und die Sprache spiegelt die Begriffe wider, in der sie denkt und empfindet. So wird schon bald klar, dass zwischen Alvin und dem Pastor Welten liegen.

Diese Spannung trägt viel zu einer feinen Ironie bei, mit der der Autor viele Figuren und Ereignisse beleuchtet und die wesentlich zum Lesevergnügen beiträgt, so etwa auch die Idee der Entstehung eines modernen amerikanischen Vielvölkerstaates aus dem Geist der Magie.

Die Welt hinter der Welt

Die Weltsicht, die Card für Alvin, Peggy und ihre engsten Freunde erfindet, geht weit tiefer als wir Heutigen dies von Religion oder Wissenschaft ermöglicht bekommen. Da ist beispielsweise die Rede von „Herzfeuern“, die die kleine Peggy als einzige sehen kann: die Lebensenergie eines Menschen, gepaart mit seinem Schicksal.

Viele weitere Beispiele für positive heidnische Magie werden vorgebracht, die die aus England vertriebenen Siedler in die Neue mitgebracht haben. Erst die heutige neuheidnische Wicca-Bewegung erkennt diese Prinzipien und Kräfte wieder an und unterstützt sie nach Kräften. Leider gehören ihr bislang vor allem Frauen an, so etwa die bekannte Fantasy-Autorin Diana L. Paxson, die Mitarbeiterin von Marion Zimmer Bradley.

Die kritische Haltung Cards gegenüber den Lehren des Christentums, wie es besonders die schottischen „Pech-und-Schwefel“-Prediger verbreiteten, rührt von Cards eigener Zugehörigkeit zur Mormonenkirche her. Im Grunde ist Alvins Werdegang und Lebensgeschichte eine poetische Neuerzählung des Lebens von Joseph Smith (1805-44), dem Gründer der Kirche der Heiligen der Letzten Tage, die nach dem Buch Mormon bezeichnet wird. Ich habe in Salt Lake City den Mormonentempel gesehen: Er ist ein ebenso prächtiges Bauwerk wie jede europäische Kathedrale.

Die Mormonen werden immer wieder für ihre Polygamie kritisiert, die ihnen offiziell verboten ist, aber heimlich praktiziert wird. Ich kann nur sagen: Wenn früher Frauen wie Faith Miller vierzehn Kinder zur Welt bringen mussten, um das Überleben ihrer Familie zu sichern, so ist es besser, wenn diese risikoreiche und erschöpfende Aufgabe auf mehrere Personen verteilt wird. Man kann einwenden, dass diese Zeiten vorbei sind, doch die Leute in Utah und Nevada schätzen sich immer noch glücklich, wenn sie mit vielen Kindern gesegnet sind.

Taschenbuch: 269 Seiten
Originaltitel: Seventh Son, 1987
ISBN-13: 978-3404201150

www.luebbe.de

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