Hickman, Leo – Fast nackt. Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben

Ist es möglich, ein Leben ohne schlechtes Gewissen zu führen? Der in London lebende Journalist Leo Hickman hat den Selbstversuch gemacht. Was ursprünglich nur als Stoff für eine fortlaufende Kolumne für den |Guardian| gedacht war, füllt inzwischen ein ganzes Buch: „Fast nackt. Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben.“ Bei |Radioropa Hörbuch| liegt der Titel nun auch als Hörbuch vor. Ethisch höchst vorbildlich, denn so musste kein Baum sterben, um als Buch zu enden – obwohl das Produzieren und Abspielen einer mp3-CD natürlich auch Energie kostet und damit gewissermaßen zum Klimawandel beiträgt. Man merkt schon, das mit dem konsequent ethisch korrekten Leben ist gar nicht so einfach …

Genau diese Erfahrung macht auch Leo Hickman. Er geht sein Projekt recht unbedarft und naiv an, und da er weiß, dass er selbst sicherlich nicht die nötige Kompetenz hat zu beurteilen, was ethisch korrekt ist und was nicht, sucht er sich drei Berater, die in Umwelt-, Ernährungs- und Globalisierungsfragen bestens Bescheid wissen. Er lädt die drei ein, ihn und seine Frau Jane in ihrem kleinen Londoner Reihenhaus zu besuchen, um möglichst kritisch unter die Lupe zu nehmen, wie sie mit ihrer kleinen Tochter leben.

Und so wird alles kritisch beäugt: die Lebensmitteln im Kühlschrank, die Putzmittel unter der Spüle, die Kosmetika im Badezimmer, die verwendeten Materialien im Wohnraum, der Kleiderschrank, das Bankkonto, das Kinderzimmer und der handtuchgroße Garten. Schon bald fragen sich Leo und Jane, was sie sich damit angetan haben, denn die Berater finden praktisch überall etwas zu mosern.

Doch Leo hat das Projekt natürlich gestartet, um auch tatsächlich etwas zu verändern, und so versuchen er und seine Frau Jane brav, möglichst viele Tipps der Berater umzusetzen: Eine Gemüse-Abo-Kiste wird bestellt, Küchenabfälle werden im Wurm-Komposter entsorgt, Pampers werden durch auswaschbare Windeln ersetzt und geputzt wird mit Waschsoda und halbierten Zitronen.

Lassen sich manche Anregungen noch relativ leicht umsetzen, so erfordern andere schon eine gehörige Portion Standhaftigkeit und Idealismus. So z. B. der auto- und flugzeugfreie Wanderurlaub in Italien mit dem kleinen Töchterchen. Die Hickmans machen es sich nicht immer leicht und versuchen tatsächlich, ihr Experiment bis an die Grenzen auszureizen, auch wenn dabei so manches Mal der Haussegen schiefhängt …

Resultat dieses Selbstversuchs ist ein Buch bzw. Hörbuch, das gleichermaßen unterhaltsam wie informativ ist. „Fast nackt“ ist eine wunderbare Anregung, die eigenen Lebensgewohnheiten kritisch zu hinterfragen. Dabei stehen eigene Realität und die Tipps der Berater teilweise in krassem Gegensatz. Die Hickmans sind eine ganz normale Durchschnittsfamilie, mit ganz normalen Konsum- und Lebensgewohnheiten, in denen sich so ziemlich jeder ein Stück weit wiederfinden dürfte.

Was die Berater ihnen dann teilweise an Tipps für ein ethischeres Leben mit auf den Weg geben, ist durchtränkt von Idealismus. Manchmal erscheinen sie geradezu kindlich-naiv, wenn sie z. B. Leo davon überzeugen wollen, dass er durch Briefe an seinen Supermarkt seinen Unmut über Teile ihres unethischen Sortiments äußern und durch konstruktiv angebrachte Verbesserungsvorschläge etwas daran ändern sollte.

Auch die völlige Verteufelung des Autos lässt sich nicht aus jeder Lebensperspektive nachvollziehen. Mag der Autoverzicht für den in London lebenden Öko-Single noch toll und befreiend sein, so fällt es mir als Selbstständige im ländlichen Raum mit weit verzweigtem Kundenkreis schon äußerst schwer, in einem Auto das Teufelswerkzeug zu sehen, als das Leos Berater es einstufen.

Und so kann man manchmal über die naive Sichtweise der Berater nur schmunzeln, während Leos Frau Jane in solchen Momenten vorzugsweise mit den Augen rollt. Sehr sympathisch ist eben auch, dass die Hickmans, obwohl sie nicht mit allem etwas anfangen können, was die Berater ihnen empfehlen, doch stets für sich selbst herausfinden wollen, was es mit einer Sache auf sich hat – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

Wenn drei Berater einer Familie zu einer rundum ethisch korrekten Lebensweise verhelfen wollen, dann wird da zwangsläufig auch einiges vereinfacht. Dass Kühe z. B. Mastitis (Euterentzündung) bekommen, weil sie von ihren Kälbern getrennt werden, ist ausgemachter Unfug. Das mag jetzt im ersten Moment etwas negativ klingen, dennoch hat mir „Fast nackt“ ausgesprochen gut gefallen. Auch wenn man viele der grundlegenden Fakten als halbwegs informierter und kritischer Verbraucher kennt, so ist „Fast nackt“ dennoch ein schöner Rundumschlag, der einen immer wieder dazu ermuntert, die eigenen Verhaltensweisen kritisch zu betrachten.

Vieles von dem, was auch die Hickmans in ihrem Selbstversuch erfolgreich umsetzen (z. B. auf „Lebensmittelkilometer“ achten, „Chemiekeulen“ aus dem Haushalt verbannen, Kräuter aus dem eigenen Garten ernten, Abfall vermeiden, etc.), lässt sich relativ leicht umsetzen. Die Sichtweise der Berater mahnt, als Konsument stets hinter die Fassade zu schauen. Alles, was man kauft, wurde irgendwann einmal unter Umständen energieaufwändig und ressourcenverschleißend produziert und transportiert. Sich als Konsument zunehmend kritischer auf die Finger zu schauen, kann also nicht schaden.

Eine besondere Würze von „Fast nackt“ sind die Zuschriften, die Leo Hickman zu seinem Selbstversuch und seiner begleitenden |Guardian|-Kolumne aus aller Welt bekommen hat. Darin erntet er viel Zuspruch und Ermunterungen, mit seinem Projekt fortzufahren, aber ein besonderer Leckerbissen sind die skurrilen Auswüchse ethisch hyperkorrekten Lebens, auf die man einen Blick erhaschen kann. Zumindest kannte ich vorher noch niemanden, der in einem Meditationskurs schon mal einen Spüllappen gehäkelt hat. Auch die Praxis selbstgebastelter Damenbinden war mir bislang noch fremd.

Und so offenbart „Fast nackt“ eben ganz nebenbei auch eine höchst unterhaltsame Komponente. Die hyperkorrekten Tipps der Berater zur ethisch korrekten Lebensweise werden durch den Praxistest einer Otto-Normalverbraucher-Familie wie den Hickmans immer wieder ins rechte Verhältnis gerückt. Und so kommt „Fast nackt“ eben erfrischenderweise ohne mahnend erhobenen Zeigefinger aus. Ethisch korrekt zu leben, ist halt schön und gut, aber deswegen darf das Leben trotzdem noch Spaß machen. Die Hickmans zeigen sehr schön, dass man nicht zum Eremiten werden muss, um sein Leben bewusster und nachhaltiger zu gestalten. Oft genügt es schon, an ein paar kleinen Schrauben zu drehen, um seinen Beitrag zu leisten.

Und so bleibt unterm Strich eben trotz so mancher idealismusdurchtränkter Tipps der Berater ein sehr positiver Eindruck zurück. „Fast nackt“ zeigt auf wunderbar unterhaltsame Art und Weise, wie man mit teils wirklich sehr einfachen Maßnahmen sein Leben ethischer gestalten kann. Die Lesung von Markus Born ist dabei eine gute Alternative zum Buch, wenngleich sie den Nachteil hat, dass man die vielen genannten Internetadressen später schlecht noch mal nachschlagen kann. Alles in allem kann man „Fast nackt“ eigentlich nur jedem ans Herz legen, denn das Thema geht uns schließlich alle an. Man muss ja nicht gleich anfangen, sich seine Spüllappen selber zu häkeln …

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