Meister, Derek – Knochenwald (Rungholt, Band 3)

[„Rungholts Ehre“ 4460
[„Rungholts Sünde“ 4767
[Unser Interview mit Derek Meister vom März 2008]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=88

Im Mittelalter gab es unzählige Reliquien, die in verschiedenen christlichen Wallfahrtsstätten oder Kirchen ausgestellt wurden. Ein Splitter vom Kreuze Jesu, ein Dorn des Rosenkranzes, mit dem Jesus gefoltert wurde, ein Knochen eines Heiligen usw. Das Sortiment an heiligen Reliquien war vielfältig, und Pilger aus aller Welt nahmen nicht selten unter Lebensgefahr die Strapazen auf sich, um vor solchen Heiligtümern zu beten, oder sie versprachen sich davon, ihre Sünden vor Gott begleichen zu können.

Für die Städte, in denen ein „Gnadenjahr“ veranstaltet wurde, wie z. B. in München im Jahre 1392, war es wirtschaftlich gesehen jeweils ein sehr gutes Jahr. Mit den Pilgern kam das Geld dieser Sünder in die Stadt, in die Wirtshäuser und Unterkünfte, besonders für die Kirche stellten diese zahlenden Pilger eine wahre Geldquelle dar. Ablassbriefe, persönlich unterzeichnet von der Obrigkeit Römisch-Katholischen Kirche durch einen Bischof oder sogar Kardinal, wurden genauso gerne verkauft wie Spendenkassen vor angeblich heiligen Reliquien aufgestellt.

Alles in allem war dies also ein sehr lukratives Geschäft für die Stadt und die Geschäftsleute, genau wie für die Kirche und ihre Fürsten. Nicht wenige Gemeinden oder gar Fürstentümer und Herrschaftshäuser sahen die Chance, hierbei an Geld, Macht und Ansehen zu gelangen. Alle Welt reiste zu diesen Wallfahrtsorten, egal ob nun Edelmann oder ein einfacher Kaufmann. Kranke versprachen sich Heilung, Ritter und Adelige vielleicht die Unterstützung für einen Feldzug Krieg gegen die Ungläubigen, Kaufmänner einen Aufschwung ihrer Geschäfte und die Vergebung ihrer Sünden, um gleich darauf ihre Konten mit Geld und dafür oder damit begangenen Sünden wieder auffüllen zu könnten. Die Absolution wurde gegen ein gewisses Entgelt immer gerne erteilt.

Und wenn einmal keine Reliquien zur Hand waren, so fälschte man diese halt. Wer konnte denn schon beweisen, dass dieser kleine Knochen nicht heilig war? Was daraus folgte, war ein reger Austausch und Handel mit Fälschungen von Reliquien jeglicher Art, und nicht selten war man auch bereit, dafür zu morden.

Derek Meister, der Autor von „Runholts Ehre“ und „Rungholts Sünde“, lässt diesmal seinen bärbeißigen Patrizier Rungholt im dritten Fall im fernen München auf Mörderjagd gehen.

_Die Geschichte_

Rungholt ist in seinen Vierzigern, und seit dem Tod seines Freundes und Mentors Winfried ist ihm der Tod bewusster geworden. Seine Sünden, die noch immer an ihm nagen und ihn innerlich nicht zur Ruhe kommen lassen, belasten den Lübecker Ratsherren und Kaufmann sehr. Schon von Kinderbeinen an ist der Tod ein ständiger Begleiter; seine Eltern und seine Schwester sind ertrunken, und dieses Trauma wiegt ebenso schwer wie seine eigenen Bluttaten und der Tod seiner geliebten Irena.

Auch in Lübeck kommt der Kaufmann nicht zur Ruhe und musste bei seinen beiden Mordfällen erneut töten, wenngleich dies in Notwehr geschah. Rungholt verspürt Angst vor dem Tod und Respekt vor der Hölle, die ihn vielleicht erwartet. Er will für sich endlich seinen Seelenfrieden finden.

Und gerade jetzt im Jahre 1392 findet im Wallfahrtsort München ein ‚Gnadenjahr‘ statt. So nimmt also der dickschädelige Hanser die weite Reise von Lübeck nach München auf sich. Zwei Wochen in einem Holzwagen lassen auch den Pilger Rungholt bei seiner Ankunft seinen wunden Hintern spüren, den er noch Tage später zu pflegen hat.

Die Zeit in München wird er zudem nutzen, um seine älteste Tochter Margot zu treffen, bei der er auch während seines Aufenthaltes wohnen wird. Doch es gibt Spannungen zwischen dem erfahrenen Patrizier und seiner Tochter, die nur einen ärmlichen Flößer geheiratet hat. Sein Schwiegersohn Utz ist Rungholt ein Dorn in Auge. Margot und Utz leben in bescheidenen, fast schon ärmlichen Verhältnissen, und auch des Schwiegersohnes Umgangsformen und dessen auch nur bescheiden anmutender Geist stimmen den Pilger und Sünder Rungholt sehr skeptisch.

Auf dem Weg zu den Kapellen, in denen die Reliquien ausgestellt sind, ereignet sich ein Zwischenfall, und Rungholt wird es verwehrt, die Kirche besuchen zu dürfen. Sein Seelenfrieden und seine Absolution rücken damit in weite Ferne. Hinzu kommt noch, dass ihn weitere Sorgen plagen, denn der Bau seiner Bierbrauerei ist ein finanzielles Desaster und der Handel in der Ostsee verläuft wegen Blockaden der Piraten mehr als nur schleppend.

Auf die drängende Bitte seiner Tochter hin, die davon berichtet, dass eine Freundin von ihr, die Frau eines Goldschmiedes, spurlos verschwunden ist, soll sich Rungholt auf die Suche nach der Vermissten machen. Sein Ruf als Ermittler scheint ihm vorausgeeilt zu sein. Rungholt, der nun vielleicht seine einzige Chance für die Vergebung seiner Sünden darin sieht, die vermisste Frau zu finden, nimmt die Ermittlungen auf. Diese führen den Patrizier in die dunklen, tiefen Wälder der Stadt, und er wird dort tatsächlich fündig. Mit der Hilfe von Torfstechern findet Rungholt zwei Leichen, die noch nicht lange tot, aber bereits tief im Moor und Schlamm versunken sind.

Die weiteren Ermittlungen verlaufen nur schleppend, und der Zunftmeister der Gilde der Goldschmiede ist nicht sehr kooperativ, ebenso wenig wie ein Kollege des Goldschmiedes. Unerwartet bekommt Rungholt dafür Unterstützung durch seinen dänischen Freund und Kapitän Marek. Dieser wurde von Alheyd, Rungholts Ehefrau, nach München geschickt. Rungholt und Marek müssen erneut in den unheimlichen Wald gehen, um mit den Ermittlungen voranzukommen. Sie werden jedoch zusammen mit dem Goldschmied, der Rungholt und Marek begleitet, in einen Hinterhalt gelockt und entkommen nur knapp und verletzt diesem Mordanschlag.

Als die Identität der beiden Toten aus dem „Knochenwald“ aufgeklärt ist, verdichten sich die Spuren um eine geheime Gesellschaft, die sich der Alchemie verschrieben hat. Was wusste die Goldschmiedin darüber, und hat dies etwas mit den wundertätigen Reliquien zu tun, die so viel Geld in die Stadt und die anliegenden Klöster bringen?

Zu spät stellt Rungholt fest, dass es um mehr geht als nur falschen Handel und seine Gegner in eine Verschwörung verstrickt sind, von der eine tödliche Gefahr ausgeht …

_Kritik_

Im dritten Teil um den bärbeißigen und dickköpfigen Rungholt lässt Derek Meister die Geschichte nicht in Lübeck, sondern ausgerechnet in München spielen. Ohne seinen regionalen Vorteil und sein Wissen um die Menschen vor Ort ist Rungholt bis auf die unerwartete Unterstützung seines Freundes Marek auf sich allein gestellt. Ein Hanser von der Ostsee, der inmitten eines Pilgerstromes im bayrischen, von Bergen umgrenzten München Spuren deuten und Mörder überführen soll, ist eine Herausforderung nicht nur für den Protagonisten, sondern ebenso für den Autor selbst.

„Knochenwald“ ist fast ebenso spannend wie seine beiden Vorgänger geworden. Inhaltlich gesehen, wird die Verschwörung bis auf einen kleinen Teil schon im Laufe der Handlung aufgeklärt, auch das Schicksal der Vermissten ist schon bald kein Rätsel mehr, so dass sich die Geschichte auf den jeweils laufenden Stand und das Fortschreiten der Ermittlungen von Rungholt konzentriert. Dem Autor geht es hier darum, dem Leser die Geschichte in kleinen Puzzleteilen zu präsentieren, um damit die Spannung langsam steigern zu können – natürlich werden die Verschwörung und die Motivation der Täter erst am Ende verraten.

Um es vorab zu verraten, ohne dass dies den Leser erstaunen wird: Die verschwundene Goldschmiedin lebt natürlich, und sie ist der Schlüssel zu dieser ganzen Geschichte – auch die geschilderte Situation aus ihrer Sicht ist übrigens fast schon spannender, als die Ermittlungen Rungholts es sind.

Rungholts Charakter wird hier ebenso dickköpfig und aufbrausend geschildert wie in den beiden vorherigen Romanen auch. Sein Verhältnis zu seiner ältesten Tochter Margot und ihrem einfachen Ehemann Utz ist integraler Bestandteil der Geschichte, und die beiden sind ebenso wie sein Freund Marek der einzige Rückhalt, auf den er bauen kann. Analysiert man den Charakter Margots, so lässt sich sagen: Die Tochter hat wirklich fast die gleichen Eigenschaften wie ihr jähzorniger Vater geerbt, und auch sie ermittelt auf ihre eigenen Weise.

„Knochenwald“ ist in seiner Kompisition ein historischer Krimi von erzählerischer Raffinesse, die Ihresgleichen sucht. Die Epoche des späten Mittelalters wird hier detailreich und getreu wiedergegeben, und dem Autor gelingt es vorbildlich, den historischen Hintergrund mit einer spannenden Kriminalgeschichte zu kombinieren.

Es wird vorkommen, dass der eine oder andere Leser die Stadt Lübeck und den einen oder anderen Charakter aus den beiden Romanen „Rungholts Ehre“ und „Rungholts Sünde“ vermissen wird, doch diese Expedition nach München war für den Charakter Rungholt durchaus auch nötig, um Abwechslung ins Spiel zu können.

Die Geschichte hat vielleicht nicht so viele verschiedene Handlungsstränge, wie es der Leser dieser Reihe bislang gewohnt ist, aber die kleineren Nebenschauplätze und die Verhältnisse der Charaktere untereinander machen dies schnell wieder wett.

Vermissen könnte man allerdings in dieser Geschichte die Chance, das mittelalterliche München dargestellt zu bekommen. Hier wird nicht viel über das tägliche Leben oder die zahlreichen Unterschiede im Vergleich zu einer Hansestadt aufgeschlüsselt, ebenso wenig werden die Reliquien und ihre Wichtigkeit für die Pilger und die Stadt München über Maß hervorgehoben.

_Fazit_

Eine historische Krimireihe mit den jeweils gleichen Charakteren im Zentrum der Geschehnisse unterliegt dem Gesetz des Fortschrittes. Die Figuren müssen dem Leser vertrauter und inhaltlich wie chronologisch glaubhaft aufgebaut werden. Genau hier liegt der Anspruch des Lesers, und dem wird der Autor Derek Meister absolut gerecht.

Ebenso muss das historische Ambiente fast schon lückenlos recherchiert sein; sicherlich bedarf es hier schriftstellerischer Freiheiten, doch es werden Alltagsgegenstände, Berufe und dergleichen zeitgemäß dargestellt. Lobend sei hier erwähnt, dass sich der Autor die Zeit nimmt, in einem Nachwort auf seine Geschichte einzugehen und auch die Hintergründe plausibel zu erklären. Auch eine Landkarte der Umgebung Münchens lässt es zu, dass der Leser die Touren Rungholts nachverfolgen kann. Ebenso hilfreich ist das kleine Glossar am Ende des Buches, in dem man Ausdrücke und Gegenstände des alltäglich mittelalterlichen Lebens erklärt bekommt.

„Knochenwald“ von Derek Meister ist wie seine Vorgänger ein dichter Krimi mit sehr gut ausgebauten Charakteren, die man schnell ins Herz schließt. Die Spannung baut sich verhältnismäßig schnell auf und der Autor ist bereit, auch mal unkonventionelle Wege zu beschreiten, die gleichsam für die Figuren und die Handlung unabdingbar sind, ansonsten würde dieser Krimireihe wie vielen anderen auch vielleicht die Luft ausgehen.

Prädikat: erneut sehr gut und auch noch beim dritten Mal absolut lesenswert. Freuen wir uns auf den vierten Teil, und dem Autor zufolge wird es dann auch ein Wiedersehen mit der schönen Stadt Lübeck und ihren Charakteren geben.

http://www.rungholt-das-buch.de

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