Interview mit Norbert Sternmut

_Buchwurm.info:_
Was machen Sie gerade? Sind Sie zu Hause? Fühlen Sie sich wohl in Ihrem Wohnort – wo ist das überhaupt?

_Norbert Sternmut:_
Zu Hause? Sicherlich in der Sprache, insgesamt, wie im Gedicht „Sprache als Heimat“ in „Seelenmaschine“ beschrieben. Aber auch zu Hause in Pflugfelden, in der Wohnung gegenüber der Haltestelle Bücherbus der Stadtbibliothek Ludwigsburg. Zu Hause: hoffentlich im Kopf, wo sich die Bilder über Heimat, Gefühle, Sicherheiten, Vorstellungen usw. bilden.

_Buchwurm.info:_
Sie sind mir seit den achtziger Jahren als Lyriker bekannt. Schon als ich noch bei der Stuttgarter Literaturzeitschrift Redakteur war, haben sie uns Ihre Lyrikbände zugeschickt. Ihr neuester Lyrikband erschien Anfang diesen Jahres: „Seelenmaschine“. Worum geht es darin – was sind die Themen diesmal?

_Norbert Sternmut:_
„Sprache als Heimat“. Liebe, Leidenschaft, Enthüllung, im Netzwerk. Über die Liebe gelangen wir zum Tod, zurück in die Historie, beispielsweise Buchenwald, Weimar. Die Frage nach „Menschlichkeit“ in heutiger Zeit wird gestellt, in der Vernetzung die Frage nach einer „Seelenneubestimmung“, einem „besseren Scheitern“ (nach Samuel Beckett). Auch hat die erneute Beschäftigung mit der Psychoanalyse ihren Niederschlag gefunden, werden Grüße gesandt an alte Poetenkollegen wie Krolow oder Celan, wird erneut ein Abstecher in die Malerei unternommen (Chagall, Matisse).

Insgesamt geht es um die Heimatlosigkeit am Puls der Zeit, in der Vernetzung, im Spiegel der Hormone, der Sprachverwirrung in „Schland“ (Deutschland). Dass sich am Ende von „Seelenmaschine“ die lyrische Sprache in einer Form der Auflösung selbst verwirrt, zeigt, wie sich hier das Scheitern am Wort ergibt, wenn die Worte, die bisherigen Worte und Wortmelodien nicht mehr ausreichen oder es gewissermaßen gleichgültig wird, wie sich die Buchstaben anordnen, aufgrund der inneren Zerrüttung der Außenwelt (der Innenwelt…), der gefühlten absurden Verlorenheit in den Dingen der Wahrnehmung, im Geworfensein. Dieses „Scheitern“ zeigt sich stets in den „berühmten drei Sternmut-Pünktchen“: „Verdichtet … nie wirklich … verduftet … / Wund … was Titel wird … es war.“

_Buchwurm.info:_
Was sind die Themen, die Sie mit Ihren Gedichten verarbeiten?

_Norbert Sternmut:_
Von „Sprachschatten“ bis zur Fotografie und zum „Maschinenöl“. Es gibt keine thematische Grenze. Liebe, Tod, eben die üblichen Dichterthemen, seit es Dichtung gibt. Hierzu gehört die Annäherung an das liebende Individuum, als einzige Möglichkeit der Versinnlichung von Existenz im weitesten Sinne. Liebe, als reinstes Muster des „Scheiterns“ an den Grenzen, aber auch hier eingebunden ins Denkmuster der Existenzphilosophie bis hin zu Beckett und dem Nihilismus.

Ein wiederkehrendes Thema ist seit „Sprachschatten“ (1989) die „Sprache hinter der Sprache“. Ausgehend von Wittgenstein und Sartres „Die Wörter“, verwirkliche ich dies vor allem in der Lyrik, beeinflusst von Celan als lyrischer Grunderfahrung. Man sieht dies in den drei Gedichten zu Buchenwald in „Seelenmaschine“.

Über den „Themen“ steht als „Thema“ aber auch die Musikalität von Wörtern, Zeilen, lyrischen Zusammenhängen, Gespinsten, ausgehend von Trakl, der musikalischen, malerischen Lyrik, der Übergriff der Lyrik auf andere Kunstmuster (Musik, Malerei).

_Buchwurm.info:_
Aber Sie schreiben auch Romane und Erzählungen, mitunter sogar phantastischen Inhalts. Inzwischen sind von Ihrer aktuellen Trilogie die Bände „Der Tote im Park“ und „Marlies“ erschienen, mit „Norman“ soll sie abgeschlossen werden. Was sind die Themen und Aussagen dieser Romane?

_Norbert Sternmut:_
Die Trilogie ist in einem Zeitraum von zehn Jahren entstanden. Es geht um Erstarrungslösung, Zeilenschichten, Veränderung, aus einer Beziehung in eine andere, durchgehend um Leidenschaft, Liebe, Eifersucht, die daraus entstehenden Fragen und Komplikationen. Es sind die Themen der Lyrik in eine andere Form gebracht.

Also geht es wie stets bei mir auch um das Instrument der Sprache, die Werkzeuge des Bewusstseins, die Aufbrechung von eingefahrenen Schemata, die Wahrlegung [sic!] innerer Abläufe in einem Menschen, also die Innerlichkeit, um eine psychologische, musikalische Spielwiese der Absurdität, die sich hier meist in Liebe und Leidenschaft offenbart.

Das wird im abschließenden Roman „Norman“, der im Sommer oder Herbst 2007 erscheinen wird, nicht anders. Auch hier hat es Norman, der Protagonist und Schriftsteller, mit Sehnsucht, Liebe, aber auch mit psychopathologischen Hintergründen (Norman-Bates-Psycho …) zu tun. Ob es eine endgültige Aufklärung der Ebenen, der Morde aus „Der Tote im Park“ und aus „Marlies“ gibt, möchte ich nicht verraten.

Aber es geht in „Norman“ auch um die Frage, ob ein Individuum in einer kranken Gesellschaft nicht krank werden muss, wenn es von gesunder Veranlagung ist (nach dem Grundsatz von Adorno: „es gibt kein richtiges Leben im falschen …“). Der Text stellt die Frage, ob Norman krank sei oder er die Vorstellung einer kranken Gesellschaft gibt, und so entlarvt er die heutigen idealtypischen Vorstellungen und Zielmuster der heutigen Epoche als krank machend.

Darüber hinaus geht es um keine Geschichte, geht es um Romane in Romanen, haben die Romane unterschiedliche Sprachebenen, geht es letztendlich um die Verwirrung eines menschlichen Protagonisten in der Zeit, in die er geworfen wurde, suchend, kaum erkennend, fragend nach dem Urgrund der Seele, wie er die unbewussten Denkmuster aufdecken und verstehen will und dabei doch stets an seine Grenzen stößt.

_Buchwurm.info:_
Wie haben Sie zum Schreiben gefunden?

_Norbert Sternmut:_
Über eine bestimmte Sozialisation in einer bestimmten Familie mit Brüdern und Schwestern, einem Vater, der starb, als ich elf Jahre alt war, einer Mutter, einem ganzen Umfeld. Es ist eine simple, hochinteressante Frage an einen Schriftsteller, weshalb er schreibt, wie er zum Schreiben gekommen ist, auch wenn die meisten Schriftsteller kaum etwas darüber sagen möchten, sagen können.

Insgesamt bin ich aus einem innerpsychischen Defizit zum Schreiben gekommen, einer Art Verlassenheit, wie Harry in „Steppenwolf“, den ich in meiner Jugend las und der mich zum Schreiben gebracht hat, zumindest als Auslöser. Im Roman „Die Couch“ (geplant für 2009) werde ich darüber schreiben, was in diesen Zusammenhängen psychologisch und was philosophisch begründet ist.

_Buchwurm.info:_
Wer sind Ihre schriftstellerischen Vorbilder, denen Sie nacheifern?

_Norbert Sternmut:_
Paul Celan war eine lyrische Grunderfahrung, als ich in Stuttgart die Technische Oberschule (TO) besuchte. Lyrik und Deutsch kam eher am Rande vor, wichtig waren vor allem Mathematik, Physik, Chemie. Dann im Deutschunterricht: „Die Todesfuge“! Ja, ich denke, hier wurde klar, dass ich nicht Maschinenbauingenieur werden wollte, sondern Dichter. Welch ein Unterschied. Ich hatte Werkzeugmacher gelernt und war auf dem Weg zum Maschinenkonstrukteur, da kam plötzlich Celan …

Celan – mit 18 Jahren habe ich ihn nicht verstanden, aber jedes unverstandene Wort hat mich gefesselt, als zentrale Erfahrung. Über das eigentliche Unverständnis war es eine „Denkstimmung“, ein Gefühl, dass hiermit mein „Nerv“ getroffen wurde, eine geistige Innerlichkeit. Aus dieser Erfahrung heraus frage ich nicht in erster Linie bei Lyrik nach „Verständlichkeit“. Lyrik „funktioniert“ nicht. Oder: Sie „funktioniert“ darüber hinaus. Darunter hindurch. Nach meiner Erfahrung muss Lyrik nicht verstanden werden, um zu wirken. Vielmehr soll sie Bereiche beschreiben, die wir eben nicht verstehen, die durchaus über unser ICH hinaus gehen, die uns vorausleiten, uns meinetwegen überfordern. Also Celan – diese tiefe, nebulöse, sensible Worterfahrung.

In der Lyrik gehören zu meinen Vorbildern: Celan, Trakl, Rimbaud, Verlaine, Baudelaire, Benn, Rilke und andere. In der Philosophie: Schopenhauer, Kierkegaard, Nietzsche, Sartre, Camus, Heidegger, Laotse und andere. In der Psychologie: Alfred Adler (Individualpsychologie), Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse (mit einer Diplomarbeit über „Suizid und Suizidversuch als notwendige Folge haltloser Existenz“).

_Buchwurm.info:_
Wie gelang es Ihnen, so viele Lyrikbände – es müssen inzwischen etwa zehn Stück sein – zu veröffentlichen? Haben Sie Sponsoren?

_Norbert Sternmut:_
Keine Sponsoren. Ich veröffentliche aus einer Freude an der Absurdität heraus. Aus meinem Hang, die „Sinnlosigkeit“ ins Handeln zu überführen, ins Schreiben zu zementieren. Stets hatte ich einen Hang, das zu tun, was keiner sehen wollte, das zu schreiben, was keiner hören wollte: Lyrik – es ist die Aussage zur Unabhängigkeit, Verrücktheit, wenn heute von einem „Lyriker“ gesprochen wird. Es heißt, er könne nicht (finanziell natürlich) von dem leben, was er tut. Was er schreibt, interessiert eigentlich niemanden. Lyrik? Heute? Diese Frage gibt es seit Jahrzehnten. Ich ignoriere sie, kenne sie, weiß, dass ich nicht aufhören werde, Lyrik zu schreiben, solange sie keiner lesen will.

Ich bewege mich gerne in absurden Bereichen, maroden Abläufen, Abbrucharbeiten des Seins, die keiner sehen will. Ich beweise mir gerne meine Freiheit, meine Unabhängigkeit, indem ich in meinem Sein, meinem Schreiben zum Sein nur mir selbst verpflichtet sein soll. Deshalb wird sich Sternmut (der Autor) niemals nach einem so genannten Trend richten. Er schreibt, was er schreibt. Dass ich kein Bestsellerautor werde, sollte in der Psychologie der Zusammenhänge niemanden wundern.

_Buchwurm.info:_
Gehen Sie noch anderen beruflichen Tätigkeiten nach?

_Norbert Sternmut:_
Natürlich lebe ich ausschließlich und zwar innerlich vom Schreiben. Ich bin das Schreiben. Sternmut lebt durch sein Schreiben. Er schreibt, indem er lebt. Bei aller Beschreibung der Hinausschiebung der Grenzen – ich werde nicht ewig von der Literatur leben können, genauso wenig wie die Kollegen Jelinek, Handke, Beckett. Ich arbeite teilzeitlich in der psycho-sozialen Betreuung von Jugendlichen, der psychologischen Einzelbetreuung, der Vermittlung in Therapie, der Einzelfallhilfe.

_Buchwurm.info:_
Mit welchen Projekten können wir in Zukunft von Ihnen rechnen?

_Norbert Sternmut:_
Mit dem Roman „Norman“, der Weltanhänger betrifft. Was ich sagen kann: Sternmut arbeitet und 2008 kommt der Lyrikband „Fadenwürde“ heraus und 2009 der Roman „Die Couch“. Für 2008 ist eine Ausstellung von Sternmuts Werken in der darstellenden Kunst vorgesehen, also von Radierungen und Ölbildern.

|Das schriftliche Interview führte Michael Matzer im Juni 2007.|

Der Autor

Norbert Sternmut
Norbert Sternmut

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Ludwigsburg und arbeitet als Sozialpädagoge. Der Theaterautor, Rezensent, Maler, Lyriker und Romanschreiber erhielt Stipendien vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Gerlingen. Er veröffentlichte zwanzig Einzeltitel seit 1980 und ist in über 50 Anthologien vertreten. Als Maler trat er mit 75 Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Der gelernte Werkzeugmacher wurde nach einem Studium zwischen 1982 und 87 Sozialpädagoge und ist seit 1993 in der Bildungsarbeit im Bildungszentrum Stuttgart tätig. Mehr Infos gibt’s auf seiner Website www.sternmut.de.

Seit 1980 hat Sternmut eine ganze Reihe von Lyrikbänden veröffentlicht, darunter die von mir vorgestellten Bücher „Photofinish“, „Triebwerk“ und „Absolut, du“. In dem Band „88 Rätsel zur Unendlichkeit“ arbeitete er mit dem Grafiker Volker Funke zusammen: Die Rebus-artigen Rätselgrafiken harmonierten mit den frei assoziierenden Gedichttexten Sternmuts. Eine Webseite ergänzte das multimediale Werk auf der Zeit angemessene Weise.

Auf der Prosaseite ist seine Romantrilogie hervorzuheben, zu der „Der Tote im Park“ (1999), „Marlies“ (2003) und sein Roman mit dem Titel „Norm@n“ gehören. Eine Reihe von z.T. phantastischen Erzählungen erschienen in dem Band „Das Zeitmesser“ (Rainar Nitzsche Verlag, Kaiserslautern, 1997).

_Norbert Sternmut auf |Buchwurm.info|:_

[„Triebwerk. Gedichte“ 3752
[„Marlies“ 1935
[„Der Tote im Park“ 3751