Interview mit Norbert Sternmut zum unveröffentlichten Gedichtband „Abschied vom Feuer“

BUCHWURM: Der Titel Ihres neuen Gedichtbandes lautet „Abschied vom Feuer“. Das würden die Menschen in der Ukraine, denen es an Strom und Gas mangelt, die ihnen Wärme, Licht und Energie spenden, als eher negativ interpretieren. Was verstehen Sie also unter dem Begriff „Feuer“?

Norbert Sternmut

Sternmut: Zunächst ist „Feuer“ weder gut noch schlecht, und so wie jeder andere Begriff und jedes andere Element allein durch die menschliche Bestimmung und Definition eine Zuordnung in bestimmte Kategorien bekommt. Ebenso steht auch der Begriff „Abschied“ zunächst ohne Zuordnung, und allein durch die subjektive oder objeZektive Zuweisung einer Bedeutung kann der Begriff übersetzt und betrachtet und zum sprachlichen Austausch verwendet werden.

Wie in vielen vorangegangenen Büchern wie etwa „Sprachschatten“ (1989) oder „Schattenpalaver“ (2011) bleibt auch hier die Sprache an sich in ihrer Semantik, Verwendung und Verwendbarkeit ein grundlegender Teil der Auseinandersetzung in den Gedichten, auch wenn im Unterschied zu früheren Bänden die Metaphorik eher in den Hintergrund tritt und eher eine eindeutig verständliche Sprache als Transportmittel des Inhalts in den Vordergrund gerückt wird.

Bleisatz / Im Setzkasten, Handsatz, schwer / wiegt jedes Wort, im Winkelhaken / wie ein langes Sterben, gesetzt / von Krankheit und solchen Worten, / Zwiebelfisch, Schusterjunge, / …

Sternmut: Der Begriff „Feuer“ umfasst insgesamt und auch für mich eine große Palette möglicher Deutungsformen. Nicht zuletzt auch deshalb wollte ich mich nun einmal näher mit diesem Begriff auseinandersetzen, nachdem in meinen bisherigen Büchern der Begriff „Feuer“ eher unterrepräsentiert war. Selbst in den Liebesgedichten wird eher auf den Begriff verzichtet. Hier wird nun der Begriff in all seinen Facetten durchleuchtet und hinterfragt. Im Chemieunterricht damals an der Technischen Oberschule war „Feuer“ allein als eine chemische Reaktion zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff zu verstehen. Ein naturwissenschaftlicher Ansatz ist in meinem Denken insgesamt sicherlich weiterhin erkennbar.

Also wird in diesem Buch das „Feuer“ naturwissenschaftlich, aber auch geschichtlich in seiner Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit, wie auch philosophisch und psychologisch betrachtet. Es wird in seiner grundlegenden Bedeutung für die Industrielle Revolution dargelegt, in seinen Wirkungen beschrieben, die wir seit Jahrzehnten auf äußerst kritische Weise im Wandel des Klimas feststellen können. In erster Linie ist nun auf diesem Hintergrund der Begriff für mich mit der Notwendigkeit eines Umdenkens und Neudenkens verbunden, wenn wir nicht als Art unsere eigene Lebensgrundlage vernichten wollen und die Lebensgrundlage aller bekannten Arten dazu.

Als ich den Teil „Rauchzeichen“ des neuen Buches über die Bedeutung des Feuers in Verbindung mit Krieg und Vernichtung weitgehend abgeschlossen hatte, begann der Krieg Russlands gegen die Ukraine und zeigte, wie aktuell das Thema in der Geschichte des Menschen immer war und weiterhin ist.

Und wenn die Menschen nun in der Ukraine hungern und frieren und froh sind, wenn sie sich überhaupt noch irgendwie wärmen können, so muss auch gesagt werden, dass es ohne das Feuer in der Kriegsführung nicht zum Krieg gekommen wäre. Ohne Feuer und dem Grundbaustein Kohlenstoff, also ohne Öl oder Gas würde kein Panzer fahren und seine tödliche Fracht abfeuern können, könnte kein Kriegsschiff auf den Weltmeeren unterwegs sein und kein Kampfflugzeug den Himmel unsicher machen.

„Trauerhaus / Schwarz umrandet steht das Haus / zur Andacht in Flammen, / fliegt ein Vogel über die Ruine / hinüber über die Grenze flieht / der Strom der Menschen…

Buchwurm: Kann sich Feuer auch im zwischenmenschlichen, seelischen und emotionalen Bereich entzünden? Ich denke an Ondaatjes Behauptung „Das Herz ist ein Organ aus Feuer“ in „Der englische Patient„.

Metaphorisch entzündet sich „Feuer“ tatsächlich nicht selten vor allem in Gedichten im zwischenmenschlichen, seelischen, emotionalen Bereich. Auch wenn ich bisher in meinen eigenen Gedichtbänden eher sparsam mit dem Begriff „Feuer“ umgegangen bin, so kommt es auch beispielsweise in „Nachbrenner“ (2013) zu manch leidenschaftlichen, gefühlsmäßigen „Entzündungen“.

Beispielsweise in „Nachbrenner“ im Gedicht „Aschenhell“ :

…bruchstimmig blutet das Wort ins Feuer / brennt der Buchstab / fliegt Verzweiflung aus der Asche / fließt das Blut ins Wort.“

Oder in „Pfeilschrift“ (2015) – im Gedicht „Feuerspan“:

„…entflammbar das Stroh der Stunde / brennt am Rosenhang der Schwur / im flammenden Flug / die Asche im Wind.“

Und „Abschied vom Feuer“ beginnt mit dem ersten Gedicht unter dem Titel „Erste Liebe“. Wie sollte Poesie auch ohne Gefühle und deren Beschreibung auskommen! Vor allem im ersten Teil des Buches, „Glutnester“, wird der Begriff des Feuers in Verbindung mit dem Gefühl der Liebe, der Sehnsucht aber auch der Trauer oder der Angst beschrieben.

Im letzten Teil, „Brandwunden“, geht es um eine Verarbeitung oder Aufarbeitung der eigenen individuellen Lebenssituation aus dem Bewusstsein der frühen Kindheit heraus, also um eine gefühlsmäßige, persönliche Rückerinnerung eigener Lebensumstände bis hin zum letzten Zyklus des Buches unter dem Titel „Anhang“.

Buchwurm: Feuer und v.a. Brände breiten sich auf Erden im Zuge des Klimawandels immer stärker aus. Sie erzeugen umweltschädliche Emissionen, vernichten Lebensraum und töten Lebewesen. Spielt dieser Aspekt in Ihrem neuen Gedichtband eine Rolle?

Der Mensch ist das einzige Wesen, das Feuer machen kann und dem verdankt er seinen Reichtum und seine Lebensqualität, ist aber auch wie alle anderen Kreaturen auf der Erde den vernichtenden und tötenden Wirkungen dieses Könnens ausgesetzt. Das spielt selbstverständlich in meinem neuen Gedichtband eine zentrale Rolle. Auch wenn das Feuer an sich weder gut noch böse ist, so wissen wir als Menschheit inzwischen, dass es uns als Art in höchstem Ausmaß schadet und selbst die Gefahr besteht, dass sich die menschliche Art durch ihr eigenes Verhalten die eigene Lebensgrundlage nimmt. Dies ist auch kein Diskussionsthema mehr, sondern eine wissenschaftliche Tatsache. Wenn diese Entwicklung nicht gestoppt und in andere Bahnen gelenkt wird, dann wird das, was einst Prometheus in der griechischen Mythologie den Göttern stahl, uns als menschliche Art und allen anderen lebenden Arten die Lebensgrundlage entziehen.

In „Abschied vom Feuer“ geht es grundsätzlich um einen „Abschied“, also um einen Neubeginn, damit der Weg in eine Zukunft überhaupt möglich bleibt. Ergo geht es um die Menschen und jeden einzelnen dieser Art. Letztendlich ist nicht das Feuer schuld an der Misere des Menschen, ist nicht das Feuer als Fluch zu betrachten, ist allein der Mensch der Grund der Misere, allein durch seinen kriegerischen, selbstzerstörerischen Umgang mit den Elementen, wie mit der Natur und also mit sich selbst und seinen Artgenossen.

Buchwurm: Denken Sie dialektisch! Feuer wird mit Wasser bekämpft. Feuer bekämpft seinen Gegenspieler und verwandelt ihn in Dampf.
Welche Rolle lässt sich dem Widerspiel von Feuer und Wasser in einer dialektischen Sichtweise zuweisen bzw. abgewinnen, um zu einer Synthese zu gelangen?

Ich denke schon dialektisch, soweit es mir eben gedanklich angebracht erscheint. Jedenfalls habe ich noch einige Schulaufsätze vom „Fluch oder Segen“ in Erinnerung und also von These, Antithese und Synthese. Aber diese Schule war eher naturwissenschaftlich ausgerichtet, also ging es meist nicht um einen Diskurs, eine Abwägung oder Diskussion, sondern rein logisch um Fakten, Ursache und Wirkung und eine einzige Lösung auf eine gestellte Aufgabe und nicht ein „sowohl als auch“. Auch ging es hier zumeist nicht um Emotionen oder Gefühle.

Übrigens wird Feuer leider in Kriegen meist nicht mit Wasser bekämpft, sondern mit weiterem Feuer. Aber die dialektische Sichtweise ist sicherlich in vielerlei Hinsicht berechtigt. Kein Ende ohne Anfang, Licht ohne Dunkelheit usw. Auch in der Transformation auf die psychologische Ebene hat diese Sichtweise sehr oft ihre Berechtigung. Keine Trauer ohne Freude und eben auch kein Fluch ohne Segen und umgekehrt. Im Gedicht „Zeitspanne“ wird von Satz und Gegensatz gesprochen, allerdings wird dieser Zusammenhang nicht in einem grundsätzlich kausalen Zusammenhang gesehen, nicht zum Naturgesetz erhoben.

Es geht auch nicht um Kants transzendentale Dialektik der „Kritik der reinen Vernunft“, geht nicht um Erfahrung, sondern „wirklich“ und allein um formale Logik, auch wenn möglicherweise nach Kant durchaus zu bedenken wäre, dass es sich auch hier um eine „Logik des Scheins“ handelt und wir somit wieder beim Diskurs angelangt wären. Allerdings gehe ich nicht davon aus, auch wenn es tatsächlich auch in der Naturwissenschaft – etwa in der Quantenphysik – Zusammenhänge und Erscheinungen gibt, die logischerweise nicht oder noch nicht bewiesen und nachvollzogen werden können. Auch darüber gibt es in „Abschied vom Feuer“ einige lyrische Zeilen.

„Wurmloch / In der Ferne ein untiefes Loch… / … fällt in sich zusammen, schwarz, / schweigt das geschaufelte Ende / der Erkenntnis, schweigt / sich Unsagbares aus, bohrt / sich der Stachel der Wunde / in die Tiefe, das Undenkbare, / Unschlagbare der Leere, / unbelehrbare Wurmloch.“

Die Kausalität nach Gesetzen kann nicht allein zur Erklärung der Welt hergeleitet werden. Und hier bekommt auch Kant wieder seinen Stellenwert, zumal letztendlich auch das Denken an sich nicht zweifelsfrei bewiesen werden kann, also jedes „gedachte Objekt“ letztendlich immer fraglich bleiben wird, wie Begriffe wie „Wahrheit“ oder „Wirklichkeit“ niemals abschließend zweifelsfrei „erklärt“ oder „gedacht“ werden können, wie auch jede philosophische Ableitung diese „Lücke des Objekts“ nicht besetzen oder ausfüllen und diese grundsätzliche Fragwürdigkeit auflösen kann.

Glauben statt Wissen

Hier kommt der Begriff des „Glaubens“ ins Spiel, der allein durch diese „Lücke“ und in dieser „Lücke“ entstehen und wirken kann, um sich immerhin einen „Reim“ darauf zu machen, auch wenn er nur aus einer Art Wunschdenken bestehen kann. Dabei ist es vollkommen offen und im Grunde gleichgültig, aus welchen Inhalten dieser „Glaube“ besteht, zumal niemals Gewissheit oder Verständnis daraus wird.

Es ist also einiges denkbar, aber nicht alles. Physikalisch betrachtet geht ein Großteil der Theorien davon aus, dass nicht alles seinen Gegenspieler hat, dass vor dem angenommenen „Urknall“ selbst „Das Nichts“ vermutet werden muss, das weder Raum noch Zeit besitzt oder besaß, also im Grunde undenkbar ist und in keiner Weise dargestellt werden kann. Das „Nichts“ lässt also keinerlei Denkweise, also auch keine Denkweise einer Dialektik zu, zumal es in jeder Hinsicht weder „Satz“ noch „Gegensatz“ beinhaltet, weder „Materie“ noch „Antimaterie“. Es kann auch nicht „gedacht“ werden, wie es möglich sein sollte, dass aus „Nichts“ etwas anderes als „Nichts“, also etwa ein Universum, wie wir es zu kennen glauben, entstehen könnte.
In den neuen Gedichten wie „Urknall“ oder „Sternenstaub“ wird darauf eingegangen:

„Nähe und Ferne / Licht und Materie, du, ungebeugt, / mit der Kaffeetasse in der Hand, / dem Wort, das wir uns gaben./ … Ursuppe und Gedächtnis, du, ungebrochen, / mit einem Lächeln im Kernschmelz / deiner Leuchtaugen, die brennen/ …lichterloh, du, mit deinen Haaren, / deinem Kussmund, kamst / aus der Ferne, bist in der Nähe./

Buchwurm: Asche ist einer der Rückstände von Feuer. Gibt es auch emotionale Asche, etwa in einer Trauerzeit, und was könnte daran positiv sein?

Es könnte alles daran „positiv“ sein! Wenn wir es als Ausnahme der Dialektik von „Positiv versus Negativ“ sehen. „Asche“ ist wie „Feuer“ nur das, sei es „positiv“ oder „negativ“, was wir dem Begriff zuschreiben, was wir über ihn denken oder fühlen.

Die Frage der „emotionalen Asche“ kann allein im Bereich der Psychologie angesiedelt werden. Im Unterschied zur Naturwissenschaft oder zur Philosophie sind wir als Menschen in unseren Empfindungen und Denkmustern auch hauptsächlich von diesem Bereich bestimmt. In meinem Text „Suizid und Suizidversuch als notwendige Folge haltloser Existenz“ (1987) ((LINK nötig)) wird dieser Aspekt in Bezug auf das menschliche Individuum herausgearbeitet, auch speziell auf die Fragestellung ausgerichtet, aus welchen Gründen das menschliche Individuum seine Existenz als „traurig“ oder „glücklich“ beschreibt, als „sinnlos“ oder „sinnvoll“ oder es gar in „notwendiger Folge“ („notwendig“ in der Kantschen Begriffsbestimmung) zum Suizid oder Suizidversuch kommen muss.

Vor allem in „Brandwunden“ geht es um diese „emotionale Asche“, um eine Rückschau nach vorne, durchaus auch um eine Art der „Trauerarbeit“. Was daran positiv ist liegt zunächst allein in meinem Bewusstsein, in meiner eigenen Wahrnehmung und Empfindung und auch subjektiven Bewertung von dem, was ich „Wirklichkeit“ oder „Wahrheit“ oder „Existenz“ nenne und wie ich dies in „eigenen Worten“ im neuen Gedichtband „Abschied vom Feuer“ beschreibe.

„Zum Abschied / Aus deinem Auge fließt / eine Träne herab, dein Mund / nähert sich zum Abschied / einem letzten Kuss. /… Noch einmal taucht die Stunde / in dein müdes Haar, / ins Dunkel deiner Locken / flattert das letzte Band. / … Der atemlose Mund bewegt / ein letztes Wort, ein Flüstern / zu Lebzeiten, ein letztes Winken / fällt von der einsamen Hand./

Zu guter Letzt geht es auch um den Abschied vom Begriff des Feuers oder des Abschieds in seiner gesamten und vollkommenen Betrachtung, also um den Abschied vom Abschied am Ende vom Ende. Was nun der Leser, die Leserin hier „positiv“ oder „negativ“ sieht oder empfindet, liegt nun bei ihm oder ihr, nicht mehr bei mir.

Das Interview führte Michael Matzer Ende Januar 2023. Zu diesem Zeitpunkt war der Gedichtband noch nicht veröffentlicht.