Preyer, J. J. – Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung

_Holmes oder nicht Holmes_

Der Meisterdetektiv Sherlock Holmes hat sich in ein kleines Hotel in Sussex zurückgezogen. Er hat die 70 überschritten und ist so wohlhabend, dass er sein Hotelzimmer, weite Reisen und seine Wohnung in der Baker Street problemlos finanzieren kann. Zu seinen Freunden zählen neben Doktor Watson auch Stephen Moriarty, der Sohn eines seiner größten Widersacher.

Sherlock Holmes‘ beschauliches Leben als Hotelgast und Wahlonkel für den fünfjährigen Rory wird jedoch unterbrochen, als ihn der englische Geheimdienst wegen eigentümlicher Morde in der Shakespeare-Geburtsstadt Stratford-upon-Avon – die in Josef Preyers Roman „Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung“ als „Stratford-on-Avon“ (so der Name des zugehörigen Verwaltungsdistriktes) bezeichnet wird – konsultiert.

Dort wurde Literaturprofessor Jonathan Hall ermordet und zudem im wörtlichen Sinne mit einem Shakespeare-Zitat gebrandmarkt aufgefunden. Während Sherlock Holmes, Dr. Watson und Stephen Moriarty die Spur des Täters aufnehmen, die sie über Shakespeares Grab, London und Rom schließlich in eine Geheimkammer in den alten Königspalast nach Edinburg führt, werden noch mehr Morde dieser Art verübt, um das lange gehütete Geheimnis der wahren Identität von William Shakespeare zu bewahren.

J. J. Preyer reiht sich mit seiner wilden Mixtur aus Indianer Jones‘ Kristallschädeln, Dan Browns reißerischen Verschwörungstheorien und Shakespeare-Zitaten in eine Vielzahl von Sherlock-Holmes-Pastiches ein, welche Sir Arthur Conan Doyles Detektiv seit dem Wegfall des Urheberrechts in alle möglichen Länder der Welt, in den Weltraum und sogar in verschiedene Zeiten verschlagen hat. Der Autor kam über eine Trilogie von Freimaurer-Romanen auf den Stoff seines ersten Sherlock-Holmes-Romans „Holmes und die Freimaurer“ (2006). Mit „Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung“ betritt er ein literaturwissenschaftliches Feld voller Spekulationen und wählt mit dem Hauptbezug zu Shakespeares „Titus Andronicus“ ein Jugendwerk, das aufgrund seiner für Shakespeare untypisch flachen Charaktere, der bizarren Handlung und der unglaublichen Brutalität immer wieder Zweifel an der Urheberschaft hervorgerufen haben.

Referenzen auf „Titus Andronicus“ sind für einen Krimi durchaus geeignet, da das Stück praktisch nur aus Morden und anderen Gräueltaten besteht. Doch abgesehen davon wird seit dem 18. Jahrhundert zu beweisen versucht, dass William Shakespeare nicht der Autor der ihm zugeschriebenen Werke ist. Einige Thesen wie die unterschiedliche Schreibweise des eigenen Namens bei Unterschriften und die Tatsache, dass kein einziges handschriftliches Original erhalten geblieben ist, greift Preyer in seinem Roman auf. Doch entgegen der Tradition der Anti-Stratfordianer, deren Spekulationen über Francis Bacon und Christopher Marlowe bis hin zu Königin Elisabeth reichen, entwickelt Preyer eine neue spannende Idee, die durchaus schlüssig erscheint, wenn man sich mit dieser Problematik bisher nicht beschäftigt hat.

Der Autor schickt nun also Sherlock Holmes in das Rennen um die Auflösung der wahren Identität William Shakespeares und natürlich des Rätsels um den Mörder mit der offensichtlichen Affinität zu Shakespeares Werken. Neben Holmes gibt es weitere Ermittler: Dr. Watson ist in Stratford vor Ort. Stephen Moriarty und die Literaturwissenschaftlerin Myra Hall, deren Familie selbst von den Morden betroffen ist, reisen in Sherlock Holmes‘ Namen einer Spur der Shakespeare-Verschwörung nach Italien und Schottland hinterher. Des Weiteren ist ein zwielichtiger Archäologe namens Dan Symmons mit von der Partie. Auch in der starken Reisetätigkeit und dem daraus resultierenden Tempo erinnert der Roman eher an Thriller oder Spionagewerke.

Die Geschichte wird nicht traditionell von Dr. Watson, sondern von Stephen Moriarty erzählt. Somit muss der Autor sich zwar nicht mit einer Anlehnung an Doyles Erzählstil belasten, büßt jedoch einen Großteil Atmosphäre ein. Moriarty ist kein ehrfürchtiger Bewunderer des Detektivs, der wenigstens Bruchteile von dessen Glanztaten an die Öffentlichkeit übermitteln möchte, sondern schreibt aus psychologischen Gründen, die sich dem Leser jedoch nicht völlig erschließen, weil sie nur damit erklärt werden, dass er ein Problem mit seiner Abstammung vom „Napoleon des Verbrechens“ (Professor Moriarty) hat.

Obwohl Preyer sowohl mit Verweisen auf die Unsterblichkeit der Personen von Shakespeares Stücken als auch mit der Übertragung dessen auf die Unsterblichkeit von Sherlock Holmes sowie Erwähnungen von gewissen exzentrischen Marotten des großen Detektivs nicht geizt, gelingt es ihm nicht, seinen Holmes überzeugend darzustellen. Im Grunde hätte es hier auch jeder andere Name sein können, was jedoch weniger verkaufsfördernd gewesen wäre. Zudem arbeitet der Autor mit kurzen Szenen, abrupten Übergängen und wenigen Beschreibungen, so dass der Leser allein auf seine eigenen Vorstellungsfähigkeiten zu bauen gezwungen ist. Preyer setzt dabei entweder auf die Wirkung archetypischer Orte wie Grabkammern, traditionelle Theaterbauten und Hotelzimmer oder altbekannter Orte wie die Bakerstreet 221B. Was jedoch in einer Shortstory legitim ist, wirkt in diesem Roman eher, als mangle es dem Autor an literarischen Fertigkeiten. Sherlock-Holmes-Fans werden daher von „Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung“ weniger angetan sein als die Freunde von Verschwörungstheorien und temporeich verpackten Bildungshäppchen.

|Criminalbibliothek, Band 2
256 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-89840-278-1|
http://www.BLITZ-Verlag.de

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