Guthrie, Allan – Post Mortem

_Das geschieht:_

Robin Greaves, wenig erfolgreicher Kleinkrimineller im schottischen Edinburgh, ist beim aktuellen Coup, dem Überfall auf ein Postamt, stark abgelenkt: Sein Partner und bester Freund Eddie Soutar hat ihm Hörner aufgesetzt. Greaves will sich rächen, Eddie und die untreue Carol umbringen und die Beute für sich allein behalten.

Allerdings könnte es sein, dass Eddie und Carol umgekehrt ähnliche Pläne hegen. Man belauert einander, aber die Lage eskaliert an anderer Stelle, als der nervöse Greaves während des Postraubs eine Angestellte tötet: Aus dem (übrigens erfolgreichen Überfall) wurde Mord, der die Polizei sehr viel eifriger fahnden lässt.

Sein eigentliches Problem kennt das verkrachte Trio indes noch gar nicht: Die so unglücklich geendete Angestellte wurde abgöttisch von ihrem Sohn geliebt. Gordon Pearce ist ein schweigsamer Mensch, der seine Gefühle vor allem gewalttätig zeigt. Er hat wegen Mordes zehn Jahre gesessen und ist zurzeit als Schuldeneintreiber und Knochenbrecher für den Kredithai Cooper tätig. Kurz: Pearce ist niemand, den man sich zum Feind machen sollte.

Greaves ahnt nicht, dass Pearce eifrig nach ihm sucht. Er hat außerdem keine Ahnung, dass die beiden erfolglosen Privatdetektive Gray und Kennedy zufällig Wind vom Raub bekommen haben und planen, den Räubern das Geld abzulisten. Zu schlechter Letzt erscheint ein mordgieriger Psychopath auf der Szene. Es kommt, wie es kommen musste: Irgendwann kreuzen sich die Wege der Beteiligten mit ungemein ungesunden Folgen für Leib und Leben …

_Ein Trip nach Edinburgh … oder in die Hölle_

„Post Mortem“ – das ist ein spannender, rasanter, schwarzhumoriger Gangsterkrimi sowie eine perfekte Lektion für Pessimisten: Das Leben kann gar nicht so schlecht sein, dass es nicht noch schlimmer werden könnte. In dieser Hinsicht ist Autor Guthrie ungemein einfallsreich. Ihm fällt immer ein unerwarteter Haken ein, den die Handlung schlagen kann. Wer glaubt, dass die obige Inhaltsangabe zu viel verrät, sei beruhigt: Die richtig absurden Querschläge blieben unerwähnt …

Gangster bleiben unter sich; die ’normale‘ Welt haben sie nie kennengelernt, oft wurden sie bereits in ihr Milieu hineingeboren. Kriminell zu sein, ist kein moralisches Problem, sondern die typische Lebensform. Haftstrafen sind natürlich unbeliebt, werden aber einkalkuliert. Die Furcht vor dem Gesetz trifft sich mit dessen Gleichgültigkeit in einer breiten Grauzone. Längst hat die Polizei kapituliert. Wer es mit seinen Missetaten nicht übertreibt, bleibt in der Regel ungeschoren. Die Abspaltung einer ‚Unterschicht‘, die mit dem Rest der Gesellschaft nur mehr denselben Planeten teilt, ist für Guthrie offensichtlich eine feste Größe. Cooper, Pearce, Greaves und die anderen Figuren im „Post Mortem“-Trauer- und Schauerspiel existieren in ihrer Parallelwelt, in der die Rechte des Stärkeren und die ‚Regeln‘ des organisierten Verbrechens gelten.

_Pech ist eine feste Größe_

Verlierer sind Verlierer, und lehnen sie sich gegen ihr Schicksal auf, geraten sie erst recht in Bedrängnis: Die Welt des Allan Guthrie ist kein erfreulicher Ort. Verbrechen lohnt sich hier nur für den schlauen, rücksichtslosen Cooper, der seine ebenso kriminellen aber weniger gut aufgestellten Zeitgenossen über den Tisch zieht und ausbeutet.

Sie erwarten freilich gar nichts anderes und fügen sich in ein System, das sie entweder ignoriert oder als nutzlosen Menschenballast aussortiert, was Guthrie zu interessanten, aber erschreckenden Figurenzeichnungen inspiriert. Pearce sehnt sich verzweifelt nach Zuneigung. In der Trübsal, die seine Alltagswelt darstellt, hat er sich einen bizarren persönlichen Ehrenkodex erhalten, der die Unterstützung der Schwachen ebenso vorsieht wie blutige Rache für Muttermord. Pearce hat nie gelernt zu differenzieren; auf Herausforderungen reagiert er stets heftig. Die Folgen sind entsprechend spektakulär: |“Hinter den Scheiben im Café im Erdgeschoss saßen kleine Gruppen um Tisch. Sie aßen, tranken, plauderten und lachten. Sorglos, unbekümmert, zufrieden … Am liebsten wäre Pearce vom Bus gesprungen und hätte durch das Glas Backsteine auf die grinsenden Wichser geschmissen, ihr behagliches Leben mit etwas Schrecken versetzt, die hauchdünne Membran zwischen Freude und Schmerz zerfetzt.“| (S. 183)

Greaves ist, obwohl intellektuell ein wenig besser gestellt als Pearce, das bösartige Gegenstück zu diesem. Seine ganze Liebe galt einst der klassischen Musik, denn Greaves stand am Beginn einer großen Karriere als Pianist, bis eine Krankheit ihm buchstäblich die Hände lähmte. Ohne Stütze durch die Familie, ist er immer tiefer gerutscht – wie tief, das enthüllt uns Guthrie in einem brillanten Schlusstwist, der zwar ziemlich abgehoben ist, aber zur angenehmen Abwechslung endlich einmal wirklich überraschen kann.

_Unglück kann unterhaltsam sein_

Das könnte alles sehr trübsinnig stimmen und auch im entsprechenden Mollton geschrieben sein, ist es erfreulicherweise aber nicht. „Post Mortem“ ist reich an einem derart staubtrockenen Humor, dass man sich oft fragt, ob die entsprechende Passage komisch sein sollte: |“Während Roy [ein Gastwirt] auf Antwort wartete, sagte er: ‚Nur so interessehalber, ihr seid nicht zufällig daran interessiert, einen lebenden Hummer zu kaufen? … Kumpel von mir hat’n Dutzend Hummer, die er verticken will … Ich hab gesagt, ich hör mich mal um.'“| (S. 221)

Pearce balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Irrwitz und Irrsinn, wenn er sich blind und taub für gesellschaftliche Regeln oder Gesetze seinen Weg bahnt. Als Greaves zum Mörder wird, geschieht dies unter so bizarren Umständen, dass man sich das Lachen kaum verbeißen kann. Eddie Soutar, der scheinbar schamlose Ehebrecher, muss zu seinem Verdruss die schöne Carol als durchtriebenes Psycho-Wrack mit panischer Sexfurcht entdecken. Im ohnehin zunehmend von der Tücke des Objekts bestimmten Spiel mischen auch noch zwei Privatdetektive mit, die in jeder Beziehung keine Zierden ihres im Krimi-Genre meist hoch gelobten Berufsstands sind.

_Klingt das nicht recht vertraut?_

„Post Mortem“ – was soll eigentlich dieser nichtssagend ‚übersetzte‘ Titel, der sich mit dem Inhalt nur über viele Ecken gedacht halbwegs in Einklang bringen lässt? – liest sich ausgesprochen unterhaltsam. Dennoch stellt sich im Laufe der Lektüre eine gewisse Irritation ein: Dieser Roman liest sich über weite Strecken wie eine Variation von Guthries [„Abschied ohne Küsse“ 5086 („Kiss Her Goodbye“), der indes erst ein Jahr später als „Post Mortem“ und nur in Deutschland vor dem Vorgänger erschien.

Es liegt nicht nur daran, dass beide Krimis in der gleichen Welt spielen. Pearce wirkt wie ein etwas ‚zivilisierterer‘ Bruder von Joe Hope („Abschied“); Ailsa Lillie spiegelt sich in Tina, der Nutte mit dem gusseisernen Herzen (bzw. umgekehrt); Wucherer Cooper tritt sowohl in „Post Mortem“ als auch in „Abschied“ auf.

Man könnte argumentieren, dass sich in der privaten, isolierten Edinburgher Unterwelt, die sowohl Pearce als auch Joe Hope ‚beheimatet‘, die Ereignisse quasi wiederholen müssen. Möchte man das trotzdem zweimal lesen? Ja, möchte man, denn im letzten Drittel gewinnt „Post Mortem“ ein eigenes Profil.

Letztlich ist Guthries Erstling der ‚bessere‘ Roman. Obwohl ihre diversen Stränge lange nebeneinander herlaufen, ist die Handlung dichter, und sie fügt sich zu einer perfekten Geschichte. Der Autor ignoriert den auch im modernen Krimi leider üblich gewordenen Hang zum Wortschwall und ist – der Kalauer sei gestattet – im Ausdruck geizig wie ein Schotte, trifft aber immer präzise auf den Punkt. Obwohl sich die Ereignisse bald förmlich überschlagen, kommt Guthrie denn auch nach nicht einmal 300 großzügig bedruckten Seiten zum Ende. Hut ab!

Die deutsche Ausgabe von „Post Mortem“ ist nicht nur stolze einhundert Seiten stärker als das Original, sondern auch fest gebunden. „Abschied ohne Küsse“ erschien noch in der Reihe „Hard Case Crime“ als Taschenbuch. Der Titel war offensichtlich erfolgreich genug um den Versuch zu wagen, Guthrie ‚auszugliedern‘, sein Werk preislich höher anzusetzen sowie es dort im Verlagsprogramm zu platzieren, wo es die ’seriöse‘ Kritik eher zur Kenntnis zu nehmen geruht.

_Autor_

Allan Guthrie wurde 1965 als Allan Buchan auf den schottischen Orkney-Inseln geboren. Die meisten Lebensjahre verbrachte er indes in der Großstadt Edinburgh, wo er noch heute wohnt und arbeitet.

Einen ersten Roman stellte Guthrie bereits 2001 fertig. Er arbeitete zu diesem Zeitpunkt in der Filiale einer britischen Buchhandelskette. Einen Verlag fand er lange nicht, erst 2004 wurde Guthries Debüt unter dem Titel „Two Way Split“ veröffentlicht; dies freilich nicht in England, sondern in den USA. Auch „Kiss Her Goodbye“ erschien 2005 jenseits des Atlantiks in der Reihe der „Hard Case Crimes“. Da diese sich auch in England einiger Beliebtheit erfreute, wurde Guthrie endlich auch im eigenen Land zur Kenntnis genommen; dass „Kiss Her Goodbye“ sowohl für einen „Edgar Allan Poe Award“ als auch für einen „Anthony“ und einen „Gumshoe Award“ nominiert wurde, dürfte mit eine Rolle gespielt haben.

Allan Guthrie ist dem ’schwarzen‘ Krimi treu geblieben. Seine Romane spielen in einem gemeinsamen Kosmos. Die Hauptpersonen des einen Buches können jederzeit als Nebenfiguren in einem anderen Werk auftreten. Inzwischen gilt Guthrie als neue, aber etablierte Stimme des englischen bzw. schottischen Kriminalromans, was er mit einer wachsendem Zahl von Literaturpreisen belegen kann.

_Impressum_

Originaltitel: Two-Way Split (Rockville/Maryland : Point Blank Press 2004/Edinburgh : Polygon, an imprint of Birlinn Limited 2005)
Übersetzung: Gerold Hens
Dt. Erstausgabe (gebunden): September 2008 (Rotbuch Verlag)
285 Seiten
EUR 16,90
ISBN-13: 978-3-86789-043-4
http://www.rotbuch.de

_Mehr von Allan Guthrie auf |Buchwurm.info|:_
[„Abschied ohne Küsse“ 5086
[„Abschied ohne Küsse“ 5272 (Hörbuch)

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