Moon, Alan R. – Zug um Zug – Europa

_Vom Wilden Westen in den alten Kontinent_

Von der vorletzten Essener Spielmesse brachte ich insgesamt fünf Spiele mit nach Hause. Zwei komplexe Abenteuerspiele, ein Rollenspiel, ein ebenfalls recht komplexes Taktikspiel und „Zug um Zug“ von |Days Of Wonder|. Während zunächst noch die üppig aufgemachten anderen Spiele im illustren Spielerkreis die größte Beliebtheit zugesprochen wurde, entwickelte das 2004 völlig zu Recht mit dem Titel „Spiel des Jahres“ ausgezeichnete Streckenbauspiel in kürzester Zeit ein Eigenleben und bescherte uns seitdem schon so manchen vergnügten Spieleabend – und setzte sich letztendlich als das beste Spiel dieses Spielmesse-Raubzuges an die Favoritenspitze.

So und ähnlich haben auch viele andere in den vergangenen Jahren ihre Erfahrungen mit „Zug um Zug“ gemacht und schätzen den Titel mittlerweile als eines der besten Familienspiele auf dem Markt. Für |Days Of Wonder| war die überwältigende Resonanz Grund genug, das bewährte Spielprinzip auszubauen und das mittlerweile auch im Internet und sogar im Rahmen einer offiziellen deutschen Meisterschaft spielbare, beliebte Gesellschaftsspiel gezielt zu modifizieren und zu verbessern. „Zug um Zug – Europa“ lautete im letzten Jahr die erste Fortsetzung, und entgegen vielen Befürchtungen, es handle sich hier lediglich um eine Kopie des Originals mit europäischer Landkarte, bietet der zweite Teil überraschenderweise eine ganze Reihe gelungener Neuerungen, die den Spielverlauf an manchen Stellen auffrischen, gleichzeitig aber auch den Anspruch um einige Prozentpunkte steigern.

_Worum es geht_

Wer von „Zug um Zug“ bislang noch nichts gehört hat, dem sollen Ablauf und Inhalt des Spiels an dieser Stelle mit einigen Worten erklärt werden. Ziel des Spieles ist es, mitsamt seinen 45 Waggons vorher festgelegte Zugstrecken zu bauen und so Verbindungen zwischen Städten zu schaffen, die einem bei erfolgreichem Gelingen unterschiedliche Punkte einbringen. Um festzustellen, welche Strecken man miteinander verbinden muss, werden zu Beginn Streckenkarten ausgeteilt, die jeder verdeckt in den Händen hält, damit die Mitspieler ihm keinen Strich durch die Rechnung machen können, indem sie diese Strecken selber verbauen. Im Laufe des Spiels kann man so ständig neue Streckenkarten nachziehen und die Zahl der potenziell erreichbaren Punkte in die Höhe treiben. Allerdings gilt zu beachten, dass erstens die Zahl der Waggons begrenzt ist und zweitens für jede nicht erfüllte Strecke die angegebene Punktzahl vom Gesamtergebnis abgezogen wird.

Der Streckenbau funktioniert indes über das Nachziehen farbiger Waggonkarten. Jede Strecke ist durch eine bestimmte Farbe gekennzeichnet, von der man entsprechend der jeweiligen Abbildung genügend Waggonkarten besitzen muss, um die gewählten Strecken zu bauen. Hat man das geschafft, werden die Karten wieder ausgelegt und die Strecke mit den Waggons aus der eigenen Auslage auf dem Spielplan gebaut. Hierfür gibt es dann noch einmal zusätzlich Punkte. Das Spiel läuft schließlich so lange, bis alle Waggons aufgebraucht sind und die Gesamtpunktzahl aus den erbauten und den auf den Streckenkarten geforderten Strecken zusammengezählt (bzw. bei Nichtgelingen subtrahiert) werden.

_Die wichtigsten Neuerungen_

Auch wenn allgemein der Eindruck entstanden sein muss – zumindest war davon auf der letztjährigen Spielmesse in Essen in Publikumskreisen häufig die Rede -, dass sich die Originalversion von der Europa-Variante nur durch ihr äußeres Erscheinungsbild, sprich die Aufmachung des Spielplans, unterscheidet, hat sich das Spiel durch die verschiedenen neuen Elemente in seinem Charakter doch um einige entscheidende Punkte verändert. Und dabei spielt auch der Spielplan eine große Rolle, denn dadurch, dass hier alles viel enger und im weitesten Sinne für die Streckenplanung auch komplexer aufgebaut ist, bekommt die strategische Komponente ein noch größeres Gewicht für die eigene Spielführung und eröffnet auch mehrere neue Vorgehensweisen im Bezug auf den langfristig angelegten Streckenplan. Dies wird unter anderem auch dadurch begünstigt, dass jedem Spieler zu Beginn eine zusätzliche Streckenkarte ausgehändigt wird, die in ihrer Länge die übrigen Karten um einiges übertrifft und somit auch auf jeden Fall gelöst werden sollte. Galt es auf der nordamerikanischen Karte noch, Schritt für Schritt die eigenen Strecken zu verlängern, sollte man nun noch konsequenter darauf achten, vor dem Verbinden der beschriebenen Städte einzelne Knotenpunkte als Erstes zu besetzen, denn sobald diese einmal besetzt sind, gerät man bereits in ziemlich große Schwierigkeiten.

Abhilfe hierfür schafft das nächste neue Element, die Bahnhöfe. Jedem Spieler werden insgesamt drei Bahnhöfe ausgehändigt, mit deren Hilfe er nun auch eine beliebige Stadt-zu-Stadt-Verbindung eines Gegners nutzen kann. Sollte eine Strecke also mal versperrt sein, gibt es hier eine letzte Möglichkeit, sie doch noch zu nutzen. Doch auch hier gibt es ein Hintertürchen, denn für jeden Bahnhof, den man zum Ende des Spiels noch nicht ausgelegt hat, erhält man 4 zusätzliche Punkte.

Doch noch mal zurück zu den Neuerungen auf dem Spielplan, in diesem Fall bezogen auf die aufwändigere Gestaltung der neutralen Strecken. War es im Vorgängerspiel lediglich nötig, für diese Strecken der Länge entsprechend Karten einer beliebigen Farbe auszuspielen, muss man hier ab und zu noch Bedingungen erfüllen. So muss man für Strecken, die teils über eine Fährenverbindung verfügen, zum Beispiel eine vorgegebene Zahl von Lokomotiven (Jokern) einsetzen, wohingegen die Nutzung eines Tunnels dann erfolgen kann, wenn man die Voraussetzungen, die in einem anschließenden Würfelwurf festgelegt werden, erfüllen kann.

Ansonsten läuft das Spiel prinzipiell ähnlich ab wie in der bereits bekannten Fassung. Wie genau sich dies darstellt, soll im Folgenden erklärt werden:

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan mit europäischen Zugstrecken
• 225 farbige Waggons, je 45 pro Spielfarbe
• 15 farbige Bahnhöfe, je 3 pro Spielfarbe
• 110 Wagenkarten
• 40 normale Zielkarten
• 6 Zielkarten ‚lange Strecke‘
• 1 Übersichtskarte
• 1 ‚Europa Express‘-Bonuskarte für die längste Strecke

_Spielvorbereitung_

Zu Beginn des Spiels werden Bahnhöfe und Waggons der Spielfarbe entsprechend an alle Mitspielenden verteilt und bilden eine Auslage. Der Stapel mit den Waggonkarten wird (besonders vor dem ersten Spiel) gut durchgemischt und dann verdeckt als Nachziehstapel neben das Spielbrett gelegt. Außerdem werden die fünf obersten Karten des Stapels daneben offen ausgelegt. Jeder Spieler erhält zudem noch vier dieser Wagenkarten auf die Hand.

Als Letztes werden noch die Zielkarten verteilt: Jeder Spieler ist verpflichtet, eine der Karten ‚lange Strecke‘ auf die Hand zu nehmen und muss weiterhin drei Zielkarten ziehen, von denen er mindestens zwei behalten muss. Nun darf er bis zu zwei Karten (darunter auch die mit der ‚langen Strecke‘) auswählen, die er wieder zurückgeben möchte. Es besteht aber auch die Möglichkeit, alle Karten zu behalten. Zielkarten, die abgegeben werden, kommen ohne zusätzliche Einsicht verdeckt in die Schachtel.

_Ziel des Spiels_

Das Ziel des Spiels besteht darin, mit den 45 zur Verfügung stehenden Waggons so viele Punkte wie nur eben möglich zu sammeln und darin seine Mitspieler zu übertreffen. Insgesamt gibt es vier verschiedene Möglichkeiten, Punkte zu bekommen, wobei die meisten hiervon erst zum Schluss gewertet werden. Im Spiel kann man auf direktem Wege nur über den Bau einer Strecke punkten. Zum Ende hingegen gibt es Punkte für alle erfüllten Streckenkarten sowie Abzüge für nicht Geschafftes. Weiterhin bekommt derjenige mit der längsten Gesamtstrecke eine Bonuskarte, die ganze zehn Punkte wert ist. Und auch die Bahnhöfe werden in der letzten Wertung noch einmal berücksichtigt und mit vier Zählern pro nicht gespieltem Bahnhof honoriert.

_Ein Spielzug_

Insgesamt muss jeder Spieler aus der Auswahl vier verschiedener Spielzüge wählen, wie er das Spiel fortsetzen möchte. Genauer gesagt sind dies:

• Waggonkarten nehmen,
• eine Strecke nutzen,
• Zielkarten ziehen,
• einen Bahnhof bauen.

Die am meisten genutzte Gelegenheit ist das Nachziehen neuer Waggonkarten. Für jede Strecke gibt es eine gewisse, farblich vorbestimmte Vorgabe dieser Karten, und es dauert manchmal recht lange, bis man die nötigen Voraussetzungen geschaffen hat, um die erwünschte Strecke zu bauen.

Karten kann man auf zweierlei Art nachziehen: Entweder nimmt man eine der fünf offen ausliegenden Karten (die nach jedem Zug wieder aufgefüllt werden) oder aber man zieht blind vom verdeckten Nachziehstapel. In beiden Fällen gilt: Man darf regulär zwei Karten ziehen, ist jedoch eine Lokomotive inbegriffen, darf man keine zweite Karte zusätzlich nehmen.

Sobald man genügend farblich gekennzeichnete Waggonkarten oder die als Joker einsetzbaren Lokomotiven besitzt, kann man die ersuchten Strecken nutzen. In diesem Fall spielt man die erforderliche Kartenzahl aus und besetzt den gewünschten Zugweg mit entsprechend vielen Waggons. Hier gilt es, die Sonderbedingungen zu beachten: Auf manch neutraler Strecke (Fähre) braucht man mindestens eine Lokomotive in seiner Auswahl, wohingegen man bei der Nutzung eines Tunnels ggf. noch Karten nachlegen muss. Dies wird entschieden, indem drei Karten vom Nachziehstapel gezogen und mit der ausgelegten Farbe verglichen werden. Für jede farbliche Übereinstimmung muss der Spieler nun ’nachzahlen‘. Kann er dies nicht, darf er die Strecke nicht nutzen, behält seine Karten jedoch.

Im Spiel zu zweit und dritt gibt es auch noch eine spezielle Regel für die parallel verlaufenden Strecken, die so genannten Doppelstrecken. Diese dürfen dann nämlich nur einfach genutzt werden, getreu dem Motto, wer zuerst kommt, baut zuerst Waggons. Ansonsten besteht hier die Möglichkeit, ein und dieselbe Strecke doppelt zu besetzen.

Nachdem man seine Strecke nun mit Waggons versehen hat, werden einem dann je nach Streckenlänge unterschiedliche Punkte zugesprochen, die der Spieler auf der Siegpunktleiste auch sofort weiterrückt.

Weiterhin besteht die Möglichkeit, in seinem Spielzug neue Zielkarten zu ziehen. Im Gegensatz zum Beginn des Spiels, muss man nun aber nur noch eine der drei ausgeteilten Karten auswählen. Hier gilt es, ganz bedächtig zu wählen, denn bei der europäischen Version von „Zug um Zug“ gilt es noch mehr als zuvor, realistisch einzuschätzen, was man noch aus eigener Kraft erreichen kann.

Die Option ‚Bahnhof bauen‘ sollte man nur dann wählen, wenn eine Strecke nicht mehr durch eigenen Einfluss genutzt werden darf, schließlich kosten Bahnhöfe am Ende wertvolle Punkte. In dem Moment, in dem der weitere Streckenbau indes durch einen Gegner verhindert wird, ist diese Option unvermeidlich, um nicht weitere Punktabzüge in Kauf nehmen zu müssen. Einen Bahnhof kann man bei Notwendigkeit auf eine beliebige Stadt des Spielplans setzen. Erst am Ende muss man entscheiden, welche der angeschlossenen Fremdstrecken man mit Hilfe dieses Baus nutzen möchte.

_Spielende_

Sobald ein Spieler am Ende seines Zugs nur noch zwei oder weniger Waggons in der Auslage hat, darf jeder Spieler noch genau einen Spielzug durchführen. Anschließend werden die Punkte auf dem Spielplan mit denen für die Zielkarten zusammengerechnet und derjenige mit den meisten Punkten zum Sieger erklärt.

_Meine Meinung_

Ich selber gehörte zu den eingangs angesprochenen Skeptikern, die nicht wirklich sicher waren, ob man ein derart geniales Konzept wie das von „Zug um Zug“ mit kleinen Veränderungen derart weiterentwickeln können würde, dass neue und alte Version unabhängig bleiben. Es mussten schon einige spezielle Neuerungen her, damit sich auch der Kauf einer zusätzlichen Spielvariante lohnt, doch was dies betrifft, hat man bei |Days Of Wonder| mal wieder ganze Arbeit geleistet.

Es sind sicher keine gravierenden Veränderungen – schließlich sollte das Spielprinzip bei Erhalt des Titels auch gleich bleiben – doch die scheinbaren Kleinigkeiten, die in der „Europa“-Fassung anders sind, haben einen deutlichen Effekt auf den Spielverlauf und somit das Ziel dieser Fortsetzung auf jeden Fall erreicht.

Für den erfahrenen „Zug um Zug“-Spieler wird es zunächst ohnehin eine ganz neue Erfahrung sein, sich mit dem etwas enger verwobenen Streckennetz zurechtzufinden. Es gibt viel mehr kleine Strecken, gerade im Westen der Karte, zusätzlich aber auch einige Knotenpunkte, deren Besetzung sich auf den weiteren Spielverlauf schon als entscheidender Schlag erweisen können – gerade wenn man im Spiel zu zweit oder dritt nicht die Doppelstrecken nutzen darf. Außerdem bringen die Fähren und Tunnel deutlich frischen Wind in das Spiel hinein, wobei es natürlich auch mit viel Glück zu tun hat, ob man bei der Verwendung der Fähren zusätzlich Karten auslegen muss. Die Bahnhöfe erleichtern einem weiterhin, aussichtslose und aufgegebene Streckenpassagen doch noch zu nutzen, so dass es im gesamten Spiel fast gar nicht möglich ist, durch Verbauen bestimmter Wege eine Vorentscheidung herbeizurufen. Das Spiel bleibt bis zum letzten Zug spannend, gerade dann, wenn die neuen Trümpfe wie eben der Bahnhof bis zuletzt nicht ausgespielt werden. Wobei die Spannung ja auch schon dadurch begünstigt wird, dass die Zielkarten bis zu guter Letzt nicht transparent sind und sich hier noch einige Überraschungen ergeben können.

Wichtig ist auf jeden Fall die Erweiterung des strategischen Spielanteils, denn auch wenn „Zug um Zug – Europa“ ganz offensichtlich ein Gesellschafts- und Familienspiel ist, so muss man eine Menge taktieren und langfristig zu planen lernen – ohne dass der Spielspaß davon getrübt wird.

Meiner Meinung nach ist „Zug um Zug – Europa“ daher auch nicht nur eine gelungene Fortsetzung, sondern auch eine sinnvolle, anspruchsvollere Ergänzung des bewährten Spielprinzips, die mir letztendlich sogar noch ein ganzes Stück besser gefällt als das Original. Aus diesem Grunde halte ich es auch gar nicht für bedenklich, eine Anschaffung beider Spiele in Betracht zu ziehen; bei gleicher Basis ergeben sich im direkten Vergleich nämlich doch noch überraschend viele eigenständige Charakteristika, die sowohl die Standard- als auch die Europa-Version zu unabhängigen Vertretern der „Zug um Zug“-Idee avancieren lassen. Oder um es anders zu formulieren: Es sind zwei ähnlich aufgebaute, aber ganz bestimmt nicht gleiche Spiele, von denen jedes seinen eigene Reiz hat – „Zug um Zug – Europa“ womöglich sogar den größeren …

Kurze Anmerkung zum Schluss: „Zug um Zug – Europa“ wurde unlängst zum Familienspiel des Jahres in Norwegen gewählt!

Mehr Infos: http://www.daysofwonder.com

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