Mucha, Martin – Papierkrieg

_Inhalt:_

Arno Linder lebt in Wien, ist Anfang dreißig und Philologe mit kleinem Lehrauftrag an der Wiener Universität. Da aber überhaupt niemand mehr Geisteswissenschaften braucht, wird er jämmerlich bezahlt und ist nicht einmal krankenversichert. Dafür hat er ein ausgesprochenes Faible für Musik in großer Bandbreite und Marihuana. Seine Bekanntschaften tingeln zu großen Teilen durch die Halbwelt, wo auch Arno selbst sich wohl fühlt wie ein Fisch im Wasser.

Das Bildungsgefälle zwischen ihm und seinen Freunden stört ihn nicht. Es stört ihn allerdings, dass er andauernd so knapp bei Kasse ist. Und als eines Nachts beim Heimkehren ein betrunkenes junges Mädchen mitsamt geladener Waffe in seine Arme taumelt, sieht er eine Möglichkeit, seinen finanziellen Engpass in eine von Dukatenbäumen gesäumte Allee zu verwandeln.

Da sein ethisches Empfinden von Skrupeln völlig unbelastet ist, fährt er die junge Dame nach Hause, bemächtigt sich der Waffe und bietet dem wohlhabenden Vater an, den Namen seiner Tochter aus dem Schlamassel heraus zu halten. Gegen ein entsprechendes Entgelt, versteht sich. Wie groß der Schlamassel allerdings tatsächlich ist, wie tot die Toten in diesem Fall sein werden, dass man niemandem trauen darf und dass zu den Gefährdetsten überhaupt in diesem Abenteuer sein eigenes Herz gehören wird, kann der eigenwillige Schöngeist freilich nicht voraussagen. Und so stolpert er denn mutwillig in eine Geschichte, die ihre Wurzeln weit in die Vergangenheit streckt und unter anderem gut organisierte internationale Verbrecher auf den Plan ruft …

_Kritik:_

Sprachlich mal bildschön, mal krude führt Martin Mucha seine Leser durch die unkonventionelle Welt des Arno Linder. Geistige Erhabenheit, Bildung und Fachwissen treffen auf Proletentum, geringe Wortschätze und mentalen Dreck.

Die Figur des Arno Linder ist von ausgesprochener Ambivalenz. So sehr der Ich-Erzähler sich durch Wissen hervortut, durch Einhaltung gewisser Rituale sich in den Stand des liebenswert Schrulligen erhebt, so sehr stößt er dann wieder ab durch seinen gänzlichen Mangel an Ethik, Moral und Empathie. Wie er zwischen der Welt des Geistesadels, die sich in seinen Gedanken zeigt, und der Welt der Spieler, Nutten und Verbrecher hin und her laviert, ist faszinierend mit anzusehen. Er tänzelt quasi mit Lackschuhen am Rande der Gosse, und man vermag kaum wegzuschauen, auch, wenn er ab und an bis über die Waden in Unaussprechliches tritt.

Diese rasant ausgefahrenen Höhen und Tiefen werden geschmiert von überraschend viel Blut. Und wer gerade nicht damit besudelt ist, trägt mindestens eine Maske, hinter der sich etwas verbirgt, das ganz bestimmt nicht schön anzusehen ist. Nebenbei bemerkt klingen nicht eben leise Antipathien an, was die Wiener Polizei betrifft. Während man verwirrt dem Fall folgt, stellt sich irgendwo im Hinterkopf die Frage, was da vorgefallen sein muss, denn die Beamten werden samt und sonders abgewatscht.

_Fazit:_

Ehrlich gesagt habe ich schon lange nicht mehr so ratlos vor einem Buch gestanden. Was soll man zu „Papierkrieg“ sagen? Es ist … also, es ist schon mal nicht schön. Es ist faszinierend. Und unterhaltsam. Und abstoßend. Voller Typisierungen, voller harter Kerle, voll von teilweise wunderschönen Worten, die sich über den krass entgegen gesetzten anmutig erheben wie schillernde Schmetterlinge über Ursumpf. Ab und zu hat man das Gefühl, Mucha schieße hier über das Ziel hinaus: Manchmal ist es ein bisschen zuviel des Guten. Ganz so abgehoben spricht dann wohl doch niemand. Aber die Grundidee der kreischenden Gegensätze, das Aufreiben der Erhabenheit am Gewöhnlichen, Widerlichen, Eiskalten – das ist brillant erdacht und brillant gelungen.

Wenn es auch sonst nicht einfach ist, „Papierkrieg“ zu einzuordnen, kann ich doch eine Tatsache erzählen, die Ihnen vielleicht bei der Entscheidungsfindung (Lesen oder Nichtlesen?) helfen wird: Wenn ich auch noch immer keine Ahnung habe, wie ich den Krimi eigentlich finde, so kreisen meine Gedanken doch auch nach dem Lesen noch viel um die Geschichte. Und das hat einen ganz eigenen Wert.

|Broschiert: 372 Seiten
ISBN-13: 978-3839210543|
[www.gmeiner-verlag.de]http://www.gmeiner-verlag.de

Schreibe einen Kommentar