Rachman, Tom – Unperfekten, Die

_Inhalt_

In den fünfziger Jahren kommt der amerikanische Multimillionär Cyrus Ott auf die Idee, in Rom eine englischsprachige Zeitung zu gründen. Sie wird für die ersten Jahre zu dem Sorgenkind seines riesigen Imperiums: Sie ist ein Verlustgeschäft, doch er hegt und pflegt sie, hilft ihr immer wieder auf die Füße, umsorgt sie und hält sie am Laufen.

Doch all der ganze Elan, sein Durchhaltevermögen und sein Charme machen Cyrus nicht unsterblich; er fällt einer Krankheit zum Opfer und läutet damit das lange, bittere Sterben seines einst so geliebten Blattes ein. Gut ein halbes Jahrhundert nach der Gründung schließt die Zeitung für immer ihre Tore.

Während sie in den letzten Zügen liegt, werden schlaglichtartig Ausschnitte aus den Leben ihrer Mitarbeiter und Leser beleuchtet: Da ist Lloyd, seinerzeit Starregisseur, heute vor allem alt, verbraucht und hoffnungslos hinter dem Mond. Arthur, der für die Nachrufe zuständig ist und mit der Welt im Allgemeinen nicht so recht kompatibel erscheint. Hardy, die Reporterin für Wirtschaft und Finanzen, die über die erste Jugendblüte hinaus ist und fürchterliche Angst davor hat, allein zu altern. Herman, der sein Leben lang einem Idol nachgeeifert hat. Kathleen, die Chefredakteurin, effizient, kühl, wenig barmherzig. Winston, hoffnungsvoller und etwas ratloser Jungreporter in Kairo. Ruby, Textredakteurin, ein Urgestein bei der Zeitung, von allen gemobbt, aber immer noch da. Craig, der Nachrichtenchef mit der beunruhigend jungen schönen Frau, über die er sich selbst immer wieder wundert. Ornella, die die Zeitung komplett lesen möchte, alle Ausgaben, und mehrere Jahre hinterherhinkt. Abbey, die Finanzchefin, an der all die unangenehmen Entscheidungen hängen bleiben, die mit Kündigungen zu tun haben. Und schließlich Oliver Ott, ein Enkel des Gründers, Schöngeist und Verleger wider Willen. Sie alle haben ein Leben neben der Zeitung, teils eng damit verknüpft, teil losgelöst davon. Und ähnlich ihrem Blatt geht es ihnen allen nicht besonders gut.

_Kritik_

Es sind grelle Lichter, die Rachman auf seine Protagonisten richtet, und was wir da sehen, ist nicht besonders schön. Unglück, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Schmerz, Wut sind die vorherrschenden Gefühle in diesem Buch. Fast ist es, als hätte der Autor eine ähnliche Marotte wie John Irving, den Personen, die er erfindet, etwas Grässliches antun zu müssen.

Wie in den kurzen Zwischenkapiteln die fünfzig Jahre lange Existenz der Zeitung nachgezeichnet wird, ist wunderbar anschaulich gelöst; die Entwicklung vom völlig verrauchten Sechzigerjahrebüro mit den klappernden Schreibmaschinen hin zum stillen, stumpfen, computergesteuerten Büro einer Firma, die Anfang des 21. Jahrhunderts Pleite macht, ist eindringlich beschrieben.

„Die Unperfekten“ hat jede Menge Lorbeeren eingeheimst, es sei „unwiderstehlich“, „ein Knaller.“ Die |New York Times| sei fast ausgeflippt und so fort. Vielleicht war das einfach zu viel des Guten, vielleicht bin ich mit den falschen Erwartungen drangegangen: Dieser Roman und ich werden nicht beste Freunde. Stilistisch ist nichts zu beanstanden, er liest sich ausgesprochen angenehm, aber er ist mir zu düster, zu hoffnungslos, zu traurig und in all der niederdrückenden Stimmung auch eine Spur zu eintönig. Natürlich, es sind immer wieder neue kleine und große Katastrophen, die Rachmann seinen Schöpfungen angedeihen lässt, aber wenn man das Ganze mit dem einen oder anderen Lichtblick gewürzt hätte, hätte die Mischung aller Wahrscheinlichkeit nach viel spannender gewirkt. Knappe fünf Seiten, auf denen am Ende noch angerissen wird, was aus den Handelnden weiter geworden ist, waren mir nach all dieser Tragik etwas zu wenig. Wohlgemerkt, ich fordere kein Happy End voller „Ringelpietz mit Anfassen“ für alle; ein paar warme Facetten, ein kleiner Hinweis darauf, dass nicht jeder Mensch eine Insel sein muss, hätte mir schon gereicht.

_Fazit_

Da ich mit dieser Meinung verhältnismäßig allein auf weiter Flur stehe, muss ich wohl kaum betonen, dass es sich hier um meinen ureigensten subjektiven Eindruck handelt. Mein Fazit jedoch lautet: „Die Unperfekten“ ist ein guter, aber kein Spitzenroman. Er führt nicht durch Höhen und Tiefen, sondern nur durch Tiefen, bringt nicht zum Lachen und zum Weinen, sondern lediglich Letzteres. Wenn man ausschließlich nach dem Stil ginge, gäbe es nichts zu beanstanden; auch die Charaktere sind sorgsam ausgefeilt, aber wenn es an der Mischung für den richtigen Plot fehlt, reicht es im Gesamturteil bestenfalls für ein „Gut“.

|Taschenbuch: 400 Seiten
Originaltital: The Imperfectionists
Aus dem Englischen von Pieke Biermann
ISBN-13: 9783423248211|
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