Rees, Celia – Sommer im Haus der Wünsche

Amerika in den Siebzigern: Wie jedes Jahr verbringt der fünfzehnjährige Richard den Sommerurlaub mit seinen Eltern an einem kleinen Küstenort. Hier lebt auch sein Freund Dylan, dessen Vater der Campingplatz gehört. Früher durchstreiften sie gemeinsam die Wälder, doch jetzt muss der sechzehnjährige Dylan seinem Vater bei der Arbeit helfen. Richard macht seine Spaziergänge alleine. Dabei stellt er überrascht fest, dass einer ihrer Stammplätze, das verlassene „Wunschaus“, inzwischen wieder bewohnt ist. Hier lebt die exzentrische Künstlerfamilie Dalton, über die im Dorf die wildeste Gerüchte kursieren. Mutter Lucia ist eine rassige, attraktive Frau, die sich unbekümmert beim nackten Sonnenbaden zeigt und den verlegenen Richard sofort ins Haus einläd. Mir rauchiger Stimme verleiht sie dem Jungen den Spitznamen „Ricardo“. Vater Jay ist ein Maler, der sich nicht um die sexuelle Freizügigkeit seiner Frau kümmert. Der hagere Mann lebt nur für seine Kunst und ist stets auf der Suche nach neuen Objekten. Der jugendliche Sohn Joe teilt sich wie selbstverständlich einen Joint mit seiner Mutter und die bildschöne Clio, ein Mädchen in Richards Alter, begegnet ihm mit Abweisung. Richard ist verwirrt über das hippihafte Leben der Familie, die sich so ganz anders benimmt, als er es aus seinem Elternhaus kennt.

Bald drauf trifft er Clio in seinem Geheimversteck im Wald. Entgegen ihrer ersten Begegnung benimmt sie sich viel freundlicher, nähert sich ihm an, macht Avancen. Sie verabreden sich für den nächsten Abend und verbringen gemeinsam die Nacht. Der unerfahrene Richard ist fasziniert von der verführerischen Clio, gleichzeitig aber auch immer wieder verunsichert durch ihr Verhalten. Fast jeden Tag des Sommers verbringt er bei den Daltons, streift mit Clio durch die Wälder, nimmt an den ausgelassenen Partys teil und sitzt Jay Modell. Es ist der Beginn des aufregendsten Sommers seines Lebens, der die Schwelle zwischen Jugend und Erwachsensein bildet. Die Liebe zu Clio und die Bekanntschaft mit der Familie Dalton konfrontiert Richard mit neuen Erfahrungen, mit Sex, tiefen Gefühlen, Drogen und dem Tod.

Sechs Jahre später erhält Richard eine Einladung von Clio zu einer Vernissage. Das Wiedersehen und der Besuch der Ausstellung werden für ihn zu einer Reise in die Vergangenheit. Beim Betrachten der Bilder steigen schmerzhafte Erinnerungen in ihm auf, die sich nicht mehr verdrängen lassen …

Das Ende der Kindheit ist ein beliebtes Thema, das die Autorin hier aufgreift. Der letzte unbeschwerte Sommer, die erste Konfrontation mit dem Ernst des Lebens, der erste große Schmerz – all das sind die Facetten, die dieser Roman thematisiert und miteinander verwebt.

|Stärken und Schwächen der Charaktere|

Fast jeder Leser wird sich in den Erfahrungen des jungen Protagonisten wiederfinden. Richard ist ein typischer Fünfzehnjähriger, der zum ersten Mal im Leben nicht wirklich weiß, wo er sich einordnen soll, der in der Schwebe hängt zwischen Kindheit und Erwachsenendasein. Der Sommerurlaub mit seinen Eltern hat an Reiz verloren. Richard fühlt sich zu alt, um mit seinen Eltern Fernsehabende zu verbringen, und ist froh um jede Minute, die er außerhalb ihrer Reichtweite zubringen kann. Er entflieht der häuslichen Überwachung, die ihm in diesem Sommer bewusster ist als je zuvor.

Gleichzeitig aber macht er die schmerzhafte Erfahrung, dass er für seinen Freund Dylan zu jung ist. Dylan ist zwar nur ein gutes Jahr älter, doch der Sechzehnjährige ist in den vergangenen Monaten zu einem jungen Mann herangereift, der seinem Vater regelmäßig bei der Arbeit auf dem Campingplatz zur Hand geht und keine Zeit und keinen Sinn mehr für die Spiele mit Richard hat. Den Abend lässt er mit Freunden im Pub ausklingen, wo Richard wiederum noch nicht zugelassen ist. Obwohl sich die beiden immer noch gut verstehen, ist ein Bruch in ihre Freundschaft getreten. Die Interessen liegen zu weit auseinander, die Lebensumstände haben sich zu weit voneinander entfernt, als dass mehr als unverbindliches Plaudern möglich ist.

Das wilde Leben der Daltons bietet für Richard daher einen starken Reiz, eine neue Erfahrung, der er sich nicht entziehen kann. Jedes Familienmitglied übt auf seine Weise eine Faszination auf Richard aus, der sich mit einer völlig neuen Lebensweise konfrontiert sieht. Fast lächerlich scheint der Vergleich zwischen dem Künstler Jay, seiner frivolen Ex-Muse Lucia und auf der anderen Seite Richards spießigen Eltern. Vor allem die rassige Schönheit Lucia wird überzeugend und anschaulich geschildert. Ihre unverschämt roten Haare, so rot, dass sie „nie und nimmer echt“ sein können, ihre unbefangene Nacktheit und ihre herzlich-frivole Art, mit Richard umzugehen, lassen das unbeschwerte Leben der Hippies lebendig werden. Der wortkarge Jay ist nicht weniger interessant und noch erheblich mysteriöser für Richard. Bereitwillig sitzt er ihm stundenlang Modell, ist aber auch jedesmal froh, wenn die Sitzung beendet ist und er sich von Jay verabschieden kann. Für den Teenager ist unverständlich, dass Jay keine Eifersucht über die Affären seiner Frau zeigt, seine zeitweiligen Wutausbrüche verstören ihn.

Schwächer ist dagegen die Darstellung der zweiten Hauptperson, Clio. Bei der ersten Begegnung verhält sie sich abweisend und mürrisch, sagt Richard beim Abschied sogar direkt ins Gesicht, dass er sich in Zukunft von ihrer Familie fernhalten soll. Ganz anders dagegen ihr Auftritt bei ihrer Begegnung im Wald. Sie umgarnt Richard, unterhält sich begeistert mit ihm über Abenteuerromane und besteht darauf, die nächste Nacht gemeinsam in ihrem versteckten Lager zu verbringen. Für ihre radikale Haltungsänderung führt sie keinen plausiblen Grund an und Richard gibt sich mit den nichts sagenden Antworten zufrieden. Unbefriedigend ist auch seine Reaktion, als Dylan ihm gegenüber behauptet, er habe gleichfalls eine Affäre mit Clio. Zwar ist Richard im ersten Moment geschockt, doch es gelingt ihm, seine verletzten Gefühle vor Dylan zu verbergen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen, besser, als es angesichts seiner Lage realistisch wäre.

|Licht und Schatten im Aufbau|

Positiv ist die Spannung, die den Roman von Beginn bis Ende durchzieht. Sie entsteht hauptsächlich durch die Vorankündigungen aus der Gegenwart. Der Leser erfährt, dass Clios Vater Jay, dessen Werke auf der Vernissage ausgestellt werden, verstorben ist, dass es sich um einen „bizzaren Tod“ handelte, der unmittelbar nach der Bekanntschaft mit Richard eingetreten sein muss und der wilde Schlagzeilen in den Zeitungen hervorrief. Erst ganz allmählich rollt sich die Vergangenheit auf, so dass am Ende die Fäden zusammengeführt werden und man kurz vor Schluss erfährt, was es mit Jays Tod auf sich hat und welche Rolle Richard dabei spielt.

Bis dahin verfolgt man interessiert vor allem Richards Begegnungen mit Jay; automatisch stellt man Mutmaßungen an, wie der merkwürdige Künstler enden mag. Sind Drogen im Spiel, ist es Selbstmord, ein Unfall oder gar Mord? Alles scheint möglich bei diesem undurchschaubaren Menschen, den man im gesamten Roman nie wirklich einzuschätzen vermag; die Andeutungen, die man zu Beginn erfährt, sind nur vage. Ebenso undurchsichtig ist zunächst das Verhältnis von Richard zu Clio, da man nicht erahnen kann, welchen Verlauf ihre Beziehung bis zum Ende des Sommers genommen haben wird.

Auch Richards Gefühle sind sichtlich gespalten; die Aussicht auf ein Wiedersehen mit seiner einstigen Geliebten erfreut und verwirrt ihn zugleich. Er fragt sich, warum sie darauf verfallen ist, ihn einzuladen nach all der Zeit; in die Aufregung mischt sich auch Angst vor der Konfrontation mit der Vergangenheit, vor möglichen Begegnungen mit Lucia oder Clios Bruder Joe, mit den Menschen aus jenem Sommer, der sein Leben so sehr verändert hat. Im Geist hört er Jays Stimme, die ihn davor warnt, die Einladung anzunehmen, doch der Drang, Clio wiederzusehen, und seine Neugierde sind stärker.

So spannend die Umstände um Jays Tod gestaltet sind, so schwach ist dagegen die Einbettung eines weiteren Konfliktes, der erst kurz vor Schluss Erwähnung findet und dessen Wirkung verpufft. Durch Zufall macht Richard eine schockierende Entdeckung, die für ihn nur eine entsetzliche Interpretation zulässt. Seine spontane Reaktion sorgt dafür, dass er sich mitschuldig an Jays Tod führt. Auch der Grund, weshalb Jay vom ersten Moment an so fasziniert von Richard ist und ihn unbedingt als Modell nutzen will, klärt sich erst sehr spät und kommt recht überraschend, so dass diese Wendungen ihre volle Wirkung so knapp vor Schluss nicht mehr voll entfalten können.

Mankos liegen auch in der Geschwindigkeit, in der sich die Handlung entwickelt. Zunächst ist Richard befremdet über die vielen Besucher der Familie Dalton, mit denen er Clio teilen muss; befreundete Studenten, Jays Ex-Frau mit ihren Kindern, weitere Künstler und Hippiegenossen bevölkern abends die Umgebung des „Wunschhauses“ und verwirren den scheuen Jungen. In wenigen Sätzen wird jedoch abgehandelt, dass sich Richard immer mehr an diese Gesellschaft gewöhnt und bereitwillig seine Kleidung zum Nacktbaden ablegt. Zu hastig, zu gedrängt und zu komprimiert liest sich diese rasche Entwicklung, bei der man sich wünscht, die Autorn hätte etwas länger an diesen Stellen verweilt, um Richards gewandelte Einstellung plastischer darzustellen.

Der Roman wartet zudem mit der originellen Idee auf, die Gemälde der Ausstellung in die Handlung miteinzubauen. Jedem Kapitel ist ein Auszug aus Beschreibung und Interpretation des jeweiligen Werkes vorangestellt, mit den offiziellen Angaben zum Bild und passend zum entsprechenden Handlungsabschnitt. Leider funktioniert es nur bedingt, die Bilder zum Leser zu transportieren, der seine ganze Phantasie bemühen muss, um eine ungefähre Vorstellung zu erhalten, wie sie wohl aussehen mögen – und selbst das ist im Endeffekt unbefriedigend. Zu abstrakt und oberflächlich sind halbseitige Beschreibungen, etwa wenn Märchenwälder oder pflanzenreiche Gärten das Thema bilden. Ideal wäre gewesen, wenn echte Bilder beigesteuert wären, was vermutlich aber einen zu großen Aufwand bedeutet hätte.

_Unterm Strich_ bleibt ein durchaus lesenswerter, aber in keiner Hinsicht überdurchschnittlicher Roman über Jugend, erste Liebe, erste Leidenschaft und das Ende der unschuldigen Kindheit. Nicht nur Erwachsenen, sondern vor allem jungen Lesern ab etwa fünfzehn Jahren bietet das Buch Raum zur Identifikation mit dem Protagonisten, mit seinen Problemen mit seinen Wünschen. Die Charaktere sind interessant, handeln aber teilweise zu unrealistisch. Der Spannungsaufbau ist gelungen, einige Stellen werden jedoch deutlich zu hastig erzählt. Die Sprache ist unkompliziert und weitestgehend schnörkellos, so dass sich der Roman, auch dank des geringen Umfangs, schnell lesen lässt.

_Die Autorin_ Celia Rees wurde 1949 in England geboren. Sie unterrichtete zunächst jahrelang an einer Schule, bis sie selber zum Schreiben kam. Ihr Fokus liegt auf Jugendromanen, oft angereichert mit mystischen Elementen. Zu ihren weiteren Werken gehören u.a. „Hexenschwestern“, „Piraten!“, „Hexenkind“ und „Das goldene Labyrinth“.

http://www.arena-verlag.de/

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