Die Liebe zu Büchern hat schon so manche Buchseite gefüllt. Immer wieder manifestieren Autoren ihre eigene Leseleidenschaft in einem Roman, der quasi als Huldigung an die Literatur zu verstehen ist. Manchmal werden richtige Schmöker daraus, wie [„Der Schatten des Windes“ 2184 von Carlos Ruiz Zafón.
Andere Autoren packen das Thema wiederum gänzlich anders an und erschaffen humoristische Fantasy, wie es Walter Moers mit [„Die Stadt der träumenden Bücher“ 2486 gelungen ist. Und wieder andere erschaffen auf weniger als hundert Seiten eine so schöne Hommage an das Lesen, dass man es bedauert, dass die Lektüre nicht länger als für einen verregneten Sonntagnachmittag reicht – so geschehen im Fall von Carlos María Domínguez und seiner Novelle „Das Papierhaus“.
Schon der Einstieg in die Geschichte ist gleichermaßen skurril wie liebenswürdig. Die Literaturdozentin Bluma Lennon kauft in einem Buchladen in London eine Ausgabe der Gedichte von Emily Dickinson und ist an der ersten Straßenecke bereits so vertieft in die neue Lektüre, dass sie prompt von einem Auto überfahren wird und stirbt. Ihren Platz an der Uni nimmt fortan ihr Kollege ein. Der staunt nicht schlecht, als ihn nach einigen Tagen ein Päckchen erreicht, das an Bluma adressiert ist und eine von Zementstaub verunstaltete Ausgabe von Joseph Conrads Roman „Schattenlinie“ enthält.
Auf der ersten Seite des Romans offenbart eine Widmung von Bluma, dass sie das Buch einem gewissen Carlos geschenkt hat. Das weckt die Neugier des namenlosen Ich-Erzählers. Er macht sich auf die Suche nach Carlos und will herausfinden, welche Geschichte hinter dem Buch steckt.
Eine Spur führt ihn nach Buenos Aires, wo er den Buchliebhaber Delgado trifft, der Carlos früher kannte. Der erzählt ihm die Geschichte eines geradezu fanatischen Bücherfreundes. Carlos‘ Haus ist ein grandioses Bücherrefugium – immens in seinem Umfang und verzwickt in seiner Katalogisierung. Als der Katalog bei einem Brand in Flammen aufgeht, fasst Carlos einen merkwürdigen Entschluss …
„Das Papierhaus“ ist eine wunderschöne, geradezu poetische Huldigung an das Lesen. Alle Figuren in Domínguez‘ Geschichte haben eines gemeinsam – sie lieben Bücher, teils auf eine gar besessene, fanatische Art. Für alle Figuren ist diese Leidenschaft lebensbestimmend. Sie durchdringt alles und ist der eine Punkt, um den in der Lebensausrichtung alles kreist – bei den einen mehr, bei den anderen weniger.
Blumas kurzer Auftritt wird so schnell beendet, wie er begonnen hat. Aber auch für die übrigen Figuren dreht sich alles um Bücher. Für den Ich-Erzähler, weil es sein Beruf ist, für Delgado, weil es seine ganz private Leidenschaft ist. Delgado hat sich eine separate Bücherwohnung eingerichtet, in der er sich verkriecht, um sich ganz dem Schmökern hinzugeben.
Doch verglichen mit Carlos‘ Buchleidenschaft wirk Delgados Verhältnis zu Büchern fast noch gesund und normal. Carlos ist ein richtiger Bücherjunkie. Er geht keinem Beruf nach, hat sein ganzes Leben dem Lesen gewidmet, um tagein, tagaus nichts anderes zu tun als Bücher zu kaufen, zu katalogisieren und zu lesen. Als bekennender Bücherwurm mag man bei der Lektüre ein wenig neidisch auf Carlos‘ bibliophil so ausschweifenden Lebensstil sein, aber mit dem Neid ist es schnell vorbei, wenn man sieht, zu welch einem Menschen Carlos seine Leidenschaft gemacht hat – mysteriös, einsam und wunderlich.
Jemand, der wie ich Bücher auch stets schneller kauft, als er sie gelesen bekommt, kann sich Carlos‘ ausufernde Leidenschaft sehr schön als mahnendes Beispiel vor Augen führen, um seine ungezügelte Buchleidenschaft ein wenig zu bremsen und in vernünftigen Bahnen zu halten. Als mahnender Zeigefinger wird „Das Papierhaus“ somit definitiv einen besonderen Platz in meinem Bücherregal finden und mich hoffentlich vor den Folgen maßlosen Bücherkonsums behüten.
„Das Papierhaus“ ist |das| Buch für alle, die gerade wieder einmal über die Anschaffung eines neuen Bücherregals nachdenken oder wiederholt die Buchrücken absuchen, nach Titeln, die in die zweite Regalreihe verbannt werden können, um Platz für die letzten Neuanschaffungen zu machen. Wer gerne liest und Bücher liebt, der wird sich in irgendeiner der Figuren dieser Novelle ganz bestimmt wiederfinden.
Was die Lektüre obendrein liebenswert macht, ist Domínguez‘ Erzählstil. Leichtfüßig, aber auch mit einer gewissen Poesie in den Worten, erzählt er seine Geschichte, die sich mal tragisch entwickelt, mal ironisch. Schnell wickelt er den Leser um den kleinen Finger, zieht ihn tief in seine kleine Geschichte hinein und lässt ihn erst wieder los, wenn es nichts mehr zu sagen gibt. Domínguez weiß auf eine ganz unscheinbare Art zu fesseln, und spätestens wenn der Ich-Erzähler sich in Buenos Aires auf Spurensuche begibt und von einem Buchhändler allerhand sonderbare Auskünfte erhält, mag man das Buch nicht mehr beiseite legen.
Kurzum, mit „Das Papierhaus“ ist Carlos María Domínguez ein liebenswerter kleiner Schmöker geglückt, der die Liebe zu Büchern in eine schöne Geschichte kleidet. Hinreißend erzählt und mit einem Sinn fürs Skurrile, ist „Das Papierhaus“ fantastische Lektüre für jeden, der eine Leidenschaft fürs Lesen hegt.
|Ergänzend dazu: Unsere [Rezension 1555 der Hörbuchfassung.|