Rother, Stephan M. – Ich bin der Herr deiner Angst

Im Hamburger Club „Les Fleurs du Mal“ machen die Polizisten eine grausige Entdeckung: Ihr Kollege Ole Hartung, der undercover im Club ermitteln sollte, wurde dort brutal ermordet. Selbst der erfahrene Ermittler Jörg Albrecht ist sprachlos und gibt sich selbst die Schuld, denn er war derjenige, der seinen Kollegen in diese verdeckte Ermittlung geschickt hatte. Eine schlanke Gestalt in einem Catwoman-Kostüm war zuvor mit Ole im Club angekommen – wer ist die geheimnisvolle Person, der Hartung fälschlicherweise sein Vertrauen geschenkt hat? Um seine Witwe zu trösten, kündigt sich die hochschwangere Polizistin Kerstin Ebert an – doch obwohl sie nur wenige hundert Meter entfernt wohnt, kommt sie nie bei der trauernden Frau Hartung an. Kurze Zeit später wird Kerstin Ebert auf dem Friedhof ermordet aufgefunden, eine tödliche Strahlendosis war ihr und ihrem Baby zum Verhängnis geworden.

Durch eine Zeugin erfahren die Ermittler, dass Kerstin Ebert sich regelmäßig mit einem älteren Herrn im Rollstuhl auf dem Friedhof getroffen hat und es den Anschein hatte, dass sie diesem Mann vertraut. Wie passen Catwoman und der alte Mann im Rollstuhl zusammen? Die Ermittler Jörg Albrecht und Hannah Friedrichs fragen sich, ob es auch in ihrem Leben eine Person gibt, die erst vor Kurzem in ihr Leben getreten ist und der sie aber vertrauen, ohne dass andere Menschen in ihrem Umfeld davon ahnen. Albrecht ist sich dessen nicht bewusst, doch bei Hannah klingeln sämtliche Alarmglocken, denn erst kürzlich ist sie mit einem sehr attraktiven Mann im Bett gelandet, der ihr auch jetzt wieder über den Weg läuft. Hat sie etwa eine Affäre mit dem Mörder?

Noch weitere Morde geschehen, alle Opfer hatten mit einem Kriminalfall zu tun, der bereits 30 Jahre zurückliegt und an dem Albrechts ehemaliger Vorgesetzter zerbrochen ist, weil dessen Tochter dabei ums Leben gekommen ist. Doch was hat der damalige Fall mit dem aktuellen zu tun? Immerhin sitzt der damalige Täter in der Psychiatrie in Königslutter fest und kann schwerlich selbst für die neuen Taten verantwortlich sein …

_Angstspiel_

Im direkten Umfeld der Hamburger Kriminalbeamten Jörg Albrecht und Hannah Friedrichs kommen Menschen auf grausame Art und Weise ums Leben. Der Täter spielt offensichtlich mit den ureigensten Ängsten der Menschen – ein späteres Opfer wird lebendig begraben, ein anderes kopfüber in einen Sumpf gehalten, bis es ertrinkt. Albrechts Sekretärin hat schnell den richtigen Riecher, denn 30 Jahre zuvor gab es einen sehr ähnlichen Fall, den Traumfängerfall, bei dem die Menschen ebenfalls an ihren eigenen Ängsten gestorben sind. Alle Spuren führen zu diesem Fall, und so laufen auch in der Psychiatrie in Königslutter schließlich alle Fäden zusammen. Jörg Albrecht schafft es, Zugang zu dem Täter von damals zu erhalten und ihn zu dem neuen Fall zu befragen. Doch merkt er schnell, dass die Befragungen zu einem Katz-und-Maus-Spiel verkommen und er in eine Falle zu tappen scheint. Was aber wird hier gespielt?

Noch größere Ängste steht Hannah Friedrichs aus, die sich Hals über Kopf (obwohl sie ja verheiratet ist) in die Affäre mit einem erfolgreichen Anwalt gestürzt hat, der ihr aber immer dubioser vorkommt und der offensichtlich auch etwas zu verheimlichen hat. Als sie auf der Arbeit ein Video von einem ihrer Sexspielchen erhält, läuft es ihr eiskalt den Rücken runter – wer hat ihr das Video geschickt und was bezweckt der Erpresser damit?

Stephan M. Rother schafft es auf der ersten Hälfte des Buches, seine Leser vollkommen in den Bann zu ziehen. Die Taten sind so grausam, wie man es sich nur in seinen düstersten Albträumen je ausgemalt hat. So fiebert man der Auflösung entgegen und grübelt mit den Ermittlern zusammen, wer hinter der Mordserie stecken kann und hofft inständig, dass es keinen treffen möge, der einem beim Lesen bereits ans Herz gewachsen ist. Doch Rother verschont praktisch niemanden. Viele Personen haben nur sehr kurze Auftritte, sodass man sie kaum kennen lernen kann, aber schon bei der zweiten Toten – der hochschwangeren Polizistin – weiß man, hier werden Albträume wahr. Der Spannungsbogen ist über weite Strecken einfach nur genial. Ich habe das Buch abends kaum aus der Hand legen können, weil es so spannend war.

Dann aber sackt die Spannung komplett in sich zusammen: Als Stephan M. Rother beginnt, den Fall von damals wieder aufzurollen und er häppchenweise zu erklären beginnt, was hinter dem neuen Fall steckt, wird es immer abstruser. Bei seiner Auflösung hat er noch die eine und auch andere dicke Überraschung in petto, denn natürlich steckt jemand hinter der Mordserie, den man nun wirklich nicht auf dem Schirm gehabt hatte und es hängen auch tatsächlich beide Mordserien miteinander zusammen, doch die Verbindung ist dermaßen hanebüchen, dass ich am Ende nur noch den Kopf schütteln konnte. Dazu trägt der rund 100-seitige Showdown bei, der zäh wie Kaugummi ausfällt und trotz der lebensgefährlichen Situation nicht so recht packen will. Hier wäre weniger wirklich mal mehr gewesen.

Was mir auch nicht wirklich gefallen hat: Das Buch ist aus der Ich-Perspektive erzählt, und zwar aus Sicht von Hannah Friedrichs. In den Szenen, in denen sie nicht dabei ist – wenn Jörg Albrecht sich beispielsweise mit einem Psychologen trifft, um ein Täterprofil zu erstellen – fehlt diese Ich-Perspektive zwar, aber wann immer Hannah Friedrichs dabei ist, erzählt sie uns die Geschichte. Und das mag nicht so recht überzeugen – wieso gerade Friedrichs, die weder die Ermittlung leitet noch die entscheidenden Schritte zur Aufklärung macht? Am Ende durchschaut sie den Mörder zwar als Erste, aber auch da überzeugt sie bei ihrem Auftritt im Showdown nicht wirklich. Ich habe nicht generell ein Problem mit der Ich-Perspektive, aber hier mag sie nicht so recht passen.

_Spannend mit Abstrichen_

Bis etwa zur Hälfte des Buches war ich vollkommen in der Handlung versunken und blätterte mit kribbeligen Fingern Seite um Seite um, damit ich auch schnell vorankomme. Doch als Stephan M. Rother beginnt, seine Geschichte aufzuklären, verliert das Buch nicht nur rapide an Fahrt, sondern auch an Glaubwürdigkeit. Wie schlussendlich alle Fäden zusammen laufen, fand ich dermaßen abgefahren und übertrieben, dass ich das Buch am liebsten in die Ecke gepfeffert hätte. Dazu trägt auch das sehr müde, fast 100 Seiten andauernde Finale bei, das sich schier ewig hinzieht. Schade, dass Rother hier zu dick aufträgt, denn spannend schreiben kann er, nur sollte er beim nächsten Mal nicht ganz so übertreiben.

|Taschenbuch: 576 Seiten
ISBN-13: 978-3-499-25869-5|
http://www.rowohlt.de
http://herr-deiner-angst.de

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